Genau drei Monate war die französische Regierung unter Noch-Premierminister Barnier im Amt, bevor sie am 4. Dezember durch ein Misstrauensvotum zu Fall gebracht wurde. Während im parlamentarischen Hinterzimmer über einen Nachfolger verhandelt wird, wollen die Arbeiter kämpfen. Von Willy Hämmerle.
Zuerst zur Ausgangslage. Der französische Kapitalismus ist in einem denkbar schlechten Zustand. Seit Jahrzehnten fällt sein spezifisches Gewicht in der Weltwirtschaft. Frankreichs Anteil am globalen BIP hat sich seit den 1980ern halbiert (1980: 4,48% – 2024: 2,24%), was den generellen Abstieg Europas am Weltmarkt widerspiegelt – aber auch sein Marktanteil in der EU sinkt. Der Abstand zu Deutschland, dem größten Konkurrenten in Europa, wird seit den 1990ern kontinuierlich größer. Das hat mehrere Gründe.
Imperialismus
Zentraler Baustein der französischen Wirtschaft ist traditionell der Kapitalexport, d.h. die Plünderung und Ausbeutung anderer Länder, insbesondere seiner ehemaligen Kolonien in Afrika. Der ehemalige Präsident Chirac stellte 2008 fest: „Ohne Afrika wäre Frankreich ein Dritte-Welt-Land.“ Im globalen Wettstreit der imperialistischen Mächte verliert der französische Imperialismus aber immer mehr an Boden, vor allem Russland und China setzen ihm in Afrika immer stärker zu. Allein in den letzten Wochen verlangten der Tschad und Senegal ein Ende der französischen Militärpräsenz und in Niger, das bisher Uran zu Spottpreisen exklusiv an Frankreich liefern musste, enteignete die Regierung die wichtigste Uranmine und stoppte die Lieferungen.
Diese immer unsicherer und weniger werdenden Extraprofite waren aber dringend notwendig, um die französischen Arbeiter bei der Stange zu halten. Sie blicken auf eine stolze Tradition zurück und traten – angefangen beim revolutionären Generalstreik im Mai 1968 – seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder massenhaft in den Kampf für ihre sozialen Interessen. Lange haben die französischen Kapitalisten es daher nicht gewagt, die Arbeiterklasse umfangreich anzugreifen, wie es etwa die deutsche Regierung in den früher 2000er-Jahren mit der Agenda 2010 getan hat.
Früher oder später musste Frankreich aber nachziehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Regierungen Sarkozy, Hollande und Macron waren von immer aggressiveren Konterreformen (Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Erhöhung des Pensionsantrittsalters usw.) und sozialen Angriffen geprägt. Regelmäßig gab es dagegen Massenproteste (mit der Gelbwestenbewegung 2018-19 als Höhepunkt), die aufgrund der passiven Haltung der Gewerkschaftsführung immer wieder ins Leere liefen.
Alle diese Angriffe haben vor allem dazu geführt, dass die Profitrate der Kapitalisten gestiegen ist. Diese Profite flossen aber – angesichts der Krise auf dem völlig übersättigten Weltmarkt – in erster Linie nicht in produktive Investitionen, sondern in spekulative Geschäfte und die Ausschüttung von satten Dividenden. Dasselbe gilt im Übrigen für die massiven Steuererleichterungen und staatlichen Subventionen für Großkonzerne: Sie wandern zu einem großen Teil direkt in die Taschen der privaten Shareholder. Finanziert wird das ganze auf dem Rücken der Arbeiter und durch eine enorme Ausweitung der Staatsschulden. Frankreich hat heute nach Griechenland und Italien die dritthöchste Staatsverschuldung in der EU. Alleine das Bedienen der Zinsen soll bis 2028 bis zu 100 Milliarden € ausmachen. Zum Vergleich: Das Bildungsbudget machte letztes Jahr 65 Milliarden € aus.
Regimekrise
In diesem Kontext muss die jetzige politische Krise verstanden werden. Die Bourgeoisie ruft unisono: „Noch mehr sparen! Noch mehr Steuern (aber nicht für die Unternehmen)! Noch mehr Subventionen für die Großkonzerne!“ und will eine Regierung, die dieses Programm umsetzt. Dafür geben die Wahlen aber nicht mehr genügend politisches Personal her. Die jahrelange Sparpolitik der traditionellen Parteien (Republikaner und Sozialdemokraten) und Macrons hat die Gesellschaft weit polarisiert, sowohl nach links (France Insoumise, Mélenchon) als auch nach rechts (Rassemblement National, Le Pen).
Die Republikanische Partei des nun gestürzten Premier Barnier hat bei den letzten Wahlen gerademal 6,5% gemacht, eine Parlamentsmehrheit für sein Kabinett ist sich gar nicht erst ausgegangen. Nach der Vorstellung eines harten Sparbudgets und dessen Scheitern im Parlament (nachdem er das Budget per Dekret am Parlament vorbei durchsetzen wollte), muss er jetzt unverrichteter Dinge wieder abtreten. Zum Redaktionsschluss berät Macron noch gemeinsam mit allen „gemäßigten“ Parteien (d.h. ohne Mélenchon, der die Gespräche boykottiert, und Le Pen, die gar nicht eingeladen war) über einen möglichen Kompromisskandidaten als Nachfolger für Barnier, um „Stabilität herzustellen“ und ein ähnlich geartetes Budget doch noch durchzubringen. Es ist unklar, ob das gelingen wird, wobei die Sozialdemokraten klare Signale senden, dass sie bereit sind, ihre Zustimmung zu geben. Eine solche Mehrheit wäre jedenfalls äußerst fragil und würde sofort zu einer weiteren Polarisierung führen.
Auf, auf zum Kampf!
Sicher ist jedenfalls, dass die anhaltende Krise und die Sparpolitik der Bürgerlichen den Klassenkampf weiter anheizen werden. Schon Barniers Amtsantritt war von Protesten begleitet, seitdem fanden Streiks in mehreren Sektoren statt. Im öffentlichen Dienst streikten am 5.12. die Fluglotsen, das Schul-, Pflege- und Krankenhauspersonal und allen voran die Lehrer, insgesamt gingen an diesem Tag 200.000 Arbeiter gegen die Sparpläne von Barnier auf die Straße. Seit 11.12. streiken die Eisenbahner und der 12.12. wurde zum Protesttag gegen (drohende und bereits durchgeführte) Entlassungswellen erklärt. Allein seit Ende November haben 14 Unternehmen, darunter Großkonzerne wie Michelin und Auchan, Massenentlassungen angekündigt.
Die Arbeiter wollen dagegen kämpfen, aber ihre Führung (die Gewerkschaften und auch Mélenchon) verfolgt eine völlig nutzlose Strategie. Seit Jahrzehnten setzt sie auf „Aktionstage“, vereinzelte Streiks und symbolische Aktionen. Sie organisiert keinen ernsthaften Kampf und vergeudet damit das Potenzial der hunderttausenden Kampfbereiten, die regelmäßig ihren Aufrufen folgen. Das wäre aber der Schlüssel aus der politischen Sackgasse: eine Vereinigung der Kämpfe, ein tatsächlicher Kampfplan und ein Ziel, das die tausenden Probleme an der Wurzel packt: die Verstaatlichung der Banken und Konzerne unter Arbeiterkontrolle.
(Funke Nr. 229/12.12.2025)