Der Präsident der Reichen, Emmanuel Macron, ernannte am 5. September den rechts-konservativen Michel Barnier zum Premierminister. Barniers Partei wurde bei den Wahlen im Juli lediglich viertstärkste Kraft (6,6%) und führt nun trotzdem eine rechts-konservative Regierung an. Von Martin Halder.
Um den sich abzeichnenden Erdrutschsieg der extremen Rechten von Le Pen zu verhindern, gründete sich vor dem ersten Durchgang der Parlamentswahlen (30. Juni) die ‚Neue Volksfront‘ (NFP). Sie besteht aus der Kommunistischen Partei (PCF), der Sozialistischen Partei (PS), den Grünen und der linkssozialistischen LFI von Jean-Luc Mélenchon. Mélenchon gilt als jener Politiker, der am radikalsten gegen die Interessen der Kapitalisten steht. Die Volksfront gewann die Wahlen und bildet die stärkste Kraft im Parlament.
In Frankreich werden die Abgeordneten durch eine Direktwahl ermittelt, in der es gilt, die absolute Mehrheit zu erreichen. Sollte dies nicht gelingen, findet im betreffenden Wahlkreis ein zweiter Wahlgang statt. Für die zweite Wahlrunde ging die NFP ein politisches Bündnis mit Macron ein, indem sie den eigenen Kandidaten in der zweiten Wahlrunde zurückzog, falls er in der ersten Runde hinter Macrons Kandidat blieb. Diese Koalition wurde als „Republikanische Front“ bezeichnet. Während Mélenchon diesem Deal ganz zustimmte, war Macron nicht so gütig und hat in einer Reihe von Wahlkreisen die Kandidaten seines Zentrum-Lagers gegen jene des linkssozialistischen LFI aufrechterhalten.
Von der republikanischen zur reaktionären Front
Die NFP schaffte es trotzdem bei den Wahlen mit knapp einem Drittel der Sitze stärkste Partei zu werden, Macrons Liste auf den zweiten Platz und Le Pens Partei Rassemblement National (RN) auf den dritten Platz zu verdrängen.
Macron nutzte in den darauffolgenden Monaten seine Befugnisse als Präsident der Republik, um jeden von der Volksfront vorgeschlagenen Premierminister (Kanzler) zu verhindern und schließlich Barnier als Premier durchzusetzen.
Durch die politische Unterordnung der Linken unter Macron wird nun die RN politisch gestärkt: Le Pen kann sich nun erst recht als einzige parlamentarische „Alternative“ präsentieren und schießt bei den Nachwahlumfragen weiter in die Höhe.
Politisch bedeutet eine Regierung Barnier, dass Präsident Macron geschwächt ist, aber doch die Angriffe auf die Arbeiterklasse weiterführen kann. Die Kapitalisten fordern nach der Durchsetzung der Erhöhung des Pensionsantrittsalters nun starke Budgetkürzungen. Dazu fehlt nun aber eine Mehrheit im Parlament, weshalb die Regierung bei jedem Gesetzesvorhaben entweder die Unterstützung Le Pens oder von Teilen der NFP benötigt. Der Vorsitzende der RN fasste das folgendermaßen: „Barnier ist Premierminister unter Aufsicht. Ohne uns kann nichts getan werden.“ Gleichzeitig weiß Le Pen, dass sie, um früher oder später selber regieren zu können, ihre soziale Demagogie aufrechterhalten und in Konfrontation mit der Regierung gehen muss. Trotz aller ausgeklügelter institutioneller Stabilitätsmechanismen ist auch in Frankreich die politische Stabilität dahin.
Das Zwischenresultat der Republikanischen Front gegen Le Pen ist eine instabile, rechte Regierung. Obwohl die Linke die Wahlen mit einem Programm der sozialen Reformen gewonnen hat, ist sie aufgrund der ideologischen Schwäche ihrer Führer im Parlament nun gelähmt. Die „Rettung der Demokratie“ vor dem RN wird den gemäßigten Teilen der Volksfront als Ausrede für Zugeständnisse an die Kapitalisten im Parlament dienen.
Krise der bürgerlichen Demokratie
Macrons Manöver eröffnet aber so oder so ein neues Kapitel in der Krise der bürgerlichen Demokratie. 74% aller Franzosen sind nun der Meinung, dass der französische Präsident mit der Ernennung Barniers das Wahlergebnis missachtet hat.
Ein Leser der Le Monde drückt diese Stimmung so aus:
„Diese Ereignisse zeigen, dass selbst eine Wahl nichts bedeutet, wenn sie sich gegen das richtet, was die Machthaber beschlossen haben. Das einzige Mal, als Macron wirklich zurückruderte, war anscheinend, als die Gelbwestenbewegung gewalttätig wurde. Macron kritisiert ständig ‚die Extremen‘, aber er schürt die Idee, dass unsere Stimme nur etwas zählt, wenn wir in dieser Gesellschaft radikal auftreten.“
Auf die Straße!
Die aktuelle Situation zeigt, dass dieser Leserbriefschreiber die Stimmung der Massen gut wiedergibt. Sofort nach der Ernennung Barniers gingen zehntausende Franzosen auf die Straßen.
Barnier verlautete, dass er die Steuern weder bei den Arbeitern noch beim Mittelstand erhöhen wolle, sondern ausschließlich bei den Superreichen (zeitlich begrenzt). Doch dabei handelt es sich um salbungsvolle Worte, hinter denen schon die ersten Sparpakete geschnürt werden. Der größte Unternehmensverband des Landes MEDEF legt das offen dar, indem er sich bei einer derartigen Steuer diskussionsbereit zeigt, dafür allerdings eine Vorbedingung stellt: massive Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, die an die Arbeiterklasse fließen.
Am 7. September rief Mélenchon bereits zu landesweiten Protesten gegen die Regierung auf, an denen sich bis zu 300.000 beteiligten. Statt sich diesem Aufruf anzuschließen, rief die Führung der Gewerkschaft CGT für einen eigenen, getrennten Aktionstag für den 1. Oktober auf, an dem Schulen, Häfen, Eisenbahnen, u.a. bestreikt wurden.
Dies zeigt ein nächstes Problem der Führung der Arbeiterbewegung. Wie schon in den vergangenen Jahren bündeln sie den Zorn der Arbeiterklasse, Jugend und breiten Schichten des Volkes in vereinzelten Aktionstagen, was für die Herrschenden letztendlich eine überschaubare Herausforderung bleibt.
Die Zögerlichkeit der eigenen Führer zu überwinden ist die Hauptaufgabe, vor der die Arbeiterbewegung und Jugend steht. In Frankreich wie in Österreich werden Genossen der RKI in den kommenden Kämpfen diese Idee fundiert und lautstark argumentieren.
(Funke Nr. 227/07.10.2024)