Serbische Revolution: Für Kommunismus!

Sieben Monate dauern die Massenmobilisierungen gegen Vučić in Serbien schon an. Mit der Gründung von Zborovi (Räten) ist die Bewegung im März aus den Universitäten hinausgewachsen. Für eine entscheidende Richtungswendung fehlt der Bewegung ein gemeinsames Programm und dem Regime die Kraft. Von Vincent Angerer.
Immer offener versucht das Vučić-Regime die Bewegung mit Repression zu unterdrücken, doch dies führt nur zu einer starken Welle von Solidaritätsprotesten. Vučić musste sich schließlich von der staatlichen Gewalt distanzieren. Doch er setzt weiterhin gezielt Repression ein, um die Stärke der Bewegung auszutesten. Er greift „punktuell“ durch, um keine geballte Antwort der Massen zu provozieren. Politisch nützt das Regime jede politische Schwäche der Bewegung – etwa indem es versucht, den revolutionären Charakter der Studierenden als pro-EU-Bewegung umzudeuten. Dazu nutzt er Fehler der Bewegung wie den Auftritt von Beate Meinl-Reisinger vor den serbischen Marathonläufern in Wien.
Die Revolution hat eine Reihe von Phasen durchlaufen: Von der Studierendenbewegung, die sich in Plena organisierte und landesweit Universitäten besetzte, über Massenblockaden und Proteste mit Millionen Beteiligten bis hin zum wohl entscheidenden Punkt – dem Entstehen der Zborovi, einem emergenten Rätesystem. Die Bewegung schöpfte ihre Stärke aus der konsequenten Ablehnung jeglicher etablierten Politik. Die Ablehnung sowohl der pro-europäischen Opposition als auch der pro-russischen, orthodoxen „Glaubenskrieger“ war Grundlage für die Breite der Bewegung.
Diese Haltung entspricht der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte: Sämtliche Parteien sind nur verschiedene Schattierungen derselben Interessen – sie repräsentieren verschiedene Teile der herrschenden Klasse mit den Banken und Konzernen der verschiedenen Imperialisten im Hintergrund. Die Arbeiterklasse aber hat gar keine Partei. Die Kommunistische Partei Jugoslawiens wurde von den herrschenden Bürokratien schon 1990 aufgelöst und eröffnete eine Periode von Nationalismus, Kriegen und Konterrevolution. Die Arbeiterklasse wurde politisch buchstäblich atomisiert, obwohl sie immer wieder zu Massenbewegungen zusammenfand.
Die Ablehnung aller Politik ist daher ein starker, einender Gedanke der Studierenden und der Massen.
Doch um den nächsten Schritt zu machen und die Regierung wirklich zu stürzen, braucht es mehr als nur Verneinung des Jetzt. Es braucht ein positives Programm. Die Massen schießen ihrer studentischen Führung äußerst viel Vertrauen vor, aber nicht so viel Vertrauen, als dass sie Vučić stürzen würden, ohne zu wissen, was danach kommt. Diese Ungewissheit vor dem, was nach einem Sturz der Regierung kommen würde, ist der wichtigste Grund, warum das Regime noch nicht gefallen ist.
Den Studierenden ist dieses Fehlen einer offenen Auseinandersetzung mit Politik immer bewusster geworden und so haben sie sich entschlossen, zu Neuwahlen aufzurufen. Diese Entscheidung war und ist in den Plena der besetzten Universitäten heiß umstritten. Eine namhafte Minderheit angeführt von der Philosophischen Fakultät Beograds lehnt dies ab und plädiert für die Permanenz der Mobilisierung und den Ausbau der Zborovi-Macht. Ohne politisches Programm, um das man streitet, muss diese formell radikalere Position aber an Unterstützung verlieren, weder Studenten noch die Massen können ewig weiterdemonstrieren.
Um die Vermittlung der Ideen der Bewegung im Rahmen der Wahlen zu ermöglichen, soll jetzt eine Partei gegründet werden, die unter der direkten Kontrolle der Studierenden stehen soll – eine „Studenten-Liste“ (studentska lista). Dabei werden keine Studierenden selbst in der Partei sein, sondern nur von Plena gewählte Vertreter. Der Grund dafür ist die Angst vor Korruption der einzelnen Studierenden, wenn sie zu sehr ins Rampenlicht treten. Die Bewegung hat einen wahren Ekel gegenüber dem individuellen Erheben und der Entwicklung einzelner „Führer“ der Bewegung. Dies geht zurück auf die konkrete Erfahrung und der Korruption jedes noch so gut klingenden Politikers, auch von Parteien wie ZLF (Links-Grüne-Front in Beograd), die selbst aus Mobilisierungen hervorgegangen sind.
Die Entscheidung, Politik bewusst und offen auf die Tagesordnung zu bringen, ist ein korrekter und notwendiger Schritt. Doch dies offenbart auch eine Leerstelle: Es gibt nur ein neues Spielfeld (der Kampf um Neuwahlen) aber immer noch kein politisches Programm. Es gibt weiter nur eine Reihe von konkreten Forderungen an die Behörden und die Regierung, aber es gibt keinerlei politische Orientierung, die den Massen erklären würde, was genau passiert, wenn sie Vučić in einem Aufstand stürzen oder an der Urne abwählen. Als solches ist die Forderung nach Neuwahlen sowie auch die Gründung einer Studierenden-Partei immer noch „leer“ und kann die grundlegende Frage der Bewegung nicht lösen.
Was fehlt, ist ein Programm, das die Machtfrage im Interesse der arbeitenden Massen beantwortet. Es muss sich der zentralen Frage stellen: Wer soll herrschen – und im Interesse welcher Klasse?
Die Entstehung der Zborovi zeigt, dass die Bewegung instinktiv nach einer Staatlichkeit abseits des korrupten Parlamentarismus sucht. Was Lenin 1905 über die Sowjets sagte, trifft auch heute zu: Die Zborovi sind in politischer Hinsicht „Keimform einer provisorischen revolutionären Regierung“.
Doch ohne ein klares Programm, das ihre lokale Tätigkeit verallgemeinert und mit wirtschaftlichen Forderungen für alle Schichten der Ausgebeuteten und Unterdrückten verbindet, werden auch sie früher oder später bedeutungslos.
Ein kommunistisches Programm argumentiert dafür, dass:
Dann kann endlich der Reichtum der ganzen Halbinsel im Interesse der Bevölkerung genutzt werden. Die erzwungene Arbeitsmigration, die Ausbeutung der Arbeiter und der natürlichen Ressourcen hat ein Ende. Die nationale Spaltung und der Missbrauch der Religion für die Herrschenden wird Geschichte, und der Aufbau eines gemeinsamen, sozialistischen Balkans der Massen kann beginnen.
Nieder mit Vučić! – EU & Österreich: Hände weg von Balkan!
(Funke Nr. 234/28.05.2025)