Die Krise in Österreich spitzt sich weiter zu, die Unternehmer werden immer aggressiver und fast täglich gibt es Meldungen von neuen Massenentlassungen. Wir treten in eine neue, härtere Phase des österreichischen Klassenkampfs ein, aus der es schon längst überfällige Lehren zu ziehen gilt: Es braucht eine neue Gewerkschaftspolitik! Von Martin Halder.
In Zeiten des allgemeinen Wirtschaftsaufschwungs – wie etwa in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg – konnten die Gewerkschaften stets einen Teil des wachsenden Profits den Kapitalisten abringen und den Lebensstandard der Massen erhöhen. Doch in der Krise verlangt der Kapitalismus nach Angriffen auf Arbeitsbedingungen und Löhne. Solange die Gewerkschaftsführung versucht, die Krise im Einklang mit dem Profit der Konzerne zu lösen, besteht der Spielraum lediglich darin, Verschlechterungen abzumildern, zu verzögern oder neue Arbeitsverträge einzugrenzen. Das zeigt die ganze Erfahrung spätestens seit der Krise von 2008.
Staatlicher Geldregen (für die Reichen)
2008 und noch vielmehr während der Corona-Pandemie 2020 hat die Gewerkschaftsführung zusammen mit der Sozialdemokratie die Strategie verfolgt, die Arbeitsplätze auf Kosten der Löhne und der Steuerzahler zu sichern. Die Kurzarbeit-Regelung erlaubte es den Unternehmern, statt ihre Beschäftigten zu entlassen, ihre Arbeitszeit auf bis zu 10% (in einigen Monaten sogar 0%) zu reduzieren, ohne selbst Mehrkosten zu haben. Der größte Teil der verbleibenden Lohnkosten übernimmt hingegen der Staat und bis zu 10% zahlen sich die Beschäftigten mittels „Lohnverzicht“ selbst.
So konnte 2020 eine Welle der Massenentlassungen verhindert werden, allerdings auf dem Rücken der Arbeiterklasse und mit dem Ergebnis von höheren Staatsschulden, wofür – wie wir nach den nächsten Wahlen sehen werden – auch wieder die Arbeiterklasse in der Form von Sparpaketen zahlen wird.
Die Krise wurde also ganz in Einklang mit dem Profit der Konzerne gemanagt. Während die Arbeiterklasse Teile ihres Lohns verlor, wurde die Wirtschaft mit einem staatlichen Geldregen überschüttet (insgesamt 47 Mrd. € an Corona-Förderungen, 10 Mrd. € davon flossen bis Dezember 2022 in die Kurzarbeit). Konzerne und Banken verzeichneten 2021 bis 2023 absolute Rekordergebnisse. In diesen drei Jahren haben die zwanzig größten Konzerne Österreichs (ATX) über 37 Mrd. € Gewinne „erwirtschaftet“.
Vom Regen in die Traufe
Inzwischen hat sich der Wind gedreht. Die Bürgerlichen haben die Phase, in der auf jedes Problem Geld geschmissen wird („koste es, was es wolle“ – Sebastian Kurz), für beendet erklärt. Angesichts der Permanenz der Krise (auf Corona folgte der Energiepreisschock und die Eskalation des Protektionismus) ist anderes auch nicht möglich. Die kommende Regierung – egal welche Konstellation – wird eine der sozialen Angriffe und Einsparungen (außer beim Militär). Das Budget für Kurzarbeit wurde von 300 Mio. (2023) auf 20 Mio. (2024) gesenkt, mit dem Resultat, dass immer mehr Anträge auf Kurzarbeit – zuletzt von Liebherr in Lienz für 960 Beschäftigte – abgelehnt werden.
Konnten in den letzten Jahren mit staatlichen Hilfen die schlimmsten Verschlechterungen ein letztes Mal vermieden werden, greifen die Kapitalisten nun mit voller Härte an. Überall kommt es zu Massenentlassungen (wir berichteten bereits in Funke Nr. 222).
Magna (500), B&R (240) und der Solarhersteller Fronius (450) kündigen Massenentlassungen an. Bei Steyr Automotive werden erneut 200 Stellen gestrichen, womit das ehemalige MAN-Werk in Steyr seit der Übernahme durch Sigi Wolf auf unter 1.000 Beschäftigte mehr als halbiert wurde. Die Handelskette Depot ist insolvent, wovon knapp 350 Arbeitsplätze betroffen sind. Der deutsche Halbleiter-Produzent Infineon kündigt 380 Stellen in Österreich.
Nachdem Pierer Mobility (ehemals KTM) Anfang dieses Jahres bereits 300 Arbeiter entlassen hat, werden nun erneut 200 gestrichen, „um die Rentabilität der Gruppe zu sichern“ (Vorstand). Das Ziel der Bosse ist es, die Arbeiterklasse härter auszupressen, um ihre Profite zu sichern. Die Unternehmer werden jedes Mal dreister und aggressiver.
Doch die Gewerkschaftsführung hält an der Vergangenheit fest. Sie versucht stets ein gutes Auskommen mit den Unternehmern zu finden. Kein einziger Stellenabbau wird mit den Mitteln der Arbeiterbewegung (Streiks, Betriebsbesetzungen, …) bekämpft, überall ist man glücklich, wenn man hunderte Arbeiter zumindest mit einem Sozialplan in die Arbeitslosigkeit schicken kann. Mit diesem Ansatz haben die Beschäftigten schon verloren.
Spaltung der Gewerkschaft: Zwei unterschiedliche Strategien
Auch bei den Lohnverhandlungen wird der Klassenkampf härter und Streiks werden immer mehr zur Normalität (was für Österreich alles andere als normal ist). 2023 gab es so viele Streiktage wie seit zwanzig Jahren nicht mehr und auch in diesem Jahr kam es bereits zu Streiks in der Chemischen Industrie, bei den Fahrradboten, den Speditionsarbeiter und zum größten Streik in der Geschichte der Austrian Airlines (AUA).
Dabei ist es kein Zufall, dass drei dieser vier Arbeitskämpfe von der Vida geführt wurden. Darin drückt sich eine Spaltung der Gewerkschaft aus. Auf einer Seite steht der traditionelle, sozialpartnerschaftliche Zugang des ÖGB: schnelle Abschlüsse und moderate Lohnforderungen, die sich mit den Profiten der Unternehmer vereinbaren lassen. Auf der anderen Seite steht die Vida, deren Vorsitzende Roman Hebenstreit versucht, die neue Realität von „härteren, längeren und intensiveren Auseinandersetzungen“ anzuerkennen.
Diese neue Politik drückt sich unter anderem so aus: Kämpfe um tatsächliche Verbesserung des Lebensstandards zu führen, statt nur oder wie beim letztjährigen Handels-KV nicht einmal für den Ausgleich der (rollierenden) Inflation. Zudem setzt die Vida in vielen Bereichen (ÖBB, Ordensspitäler, AUA, Spedition) mit der wichtigen Ausnahme des privaten Gesundheits- und Sozialbereichs (wo sich die Vida gegen diese Forderung stellt) die Urabstimmung über Verhandlungsergebnisse um. Der selbstbestimmte Arbeitskampf ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg. Wir unterstützen diesen offensiven Ansatz in der Lohnpolitik, er ist ein wichtiges Anzeichen, dass die neue Realität nicht spurlos an der Gewerkschaftsbewegung vorbeigeht.
Darüber hinaus stehen wir für eine vollständige Kehrtwende in der Gewerkschaftspolitik. Dazu gehört es den Kampf mit offenem Visier und ohne jegliche Rücksicht auf die Profite der Konzerne zu führen. Sie zeigen umgekehrt auch keinerlei Rücksicht gegenüber unseren Jobs und unserem Lebensstandard.
- Kampf um jeden Arbeitsplatz – nein zu jedem Stellenabbau!
- Bei angedrohten Betriebsschließungen, Kapitalflucht oder Massenkündigungen müssen die Konzerne ihre Geschäftsbücher offenlegen und zeigen, in welcher „Not“ sie wirklich sind.
- Konzerne, die Massenentlassungen durchführen, müssen verstaatlicht und unter Kontrolle der Beschäftigten weitergeführt werden.
- Um Werksschließung oder eine Verlagerung von Maschinen ins Ausland zu verhindern, müssen wenn nötig Betriebsbesetzungen organisiert werden.
(Funke Nr. 226/30.08.2024)