Die Auseinandersetzung um die Kollektivverträge im Handel zogen sich über zwei Monate und endeten in einer Niederlage. Zenon Khayat zieht Bilanz.
Das Feilschen zwischen Gewerkschaft und Unternehmensvertretung um die Arbeitsbedingungen der rund 430.000 Beschäftigten im Handel wurde am 24.10. eröffnet. Die Gewerkschaft GPA forderte den Ausgleich der Inflation des abgelaufenen Jahres und eine kleine Draufgabe. Die Unternehmer legten gar kein Gegenangebot, sondern provozierten nur. Es war von Anfang an klar, dass ohne Streiks sich nichts bewegen wird.
Zum ersten Mal kam es nun dazu, dass der Handel selbstständig in den Streik ging. Die ersten Warnstreiks wurden am 30.11.2023 in einigen kämpferischen Betrieben sehr erfolgreich umgesetzt. Die Dynamik war groß, sowohl in der Breite als auch der Tiefe. In organisierten Betrieben war die Streikbereitschaft der Kollegenschaft groß, und Streikwillige in unorganisierten Betrieben und Filialen meldeten sich streikbereit. Damit hätte man eines machen müssen: einen Offensivplan unter Einbeziehung aller (potentieller) Streikaktivisten und eine Koordination mit den Metallern. Die GPA schien aber komplett überfordert mit der Situation, versuchte nur den Schein einer kämpferischen Gewerkschaft zu markieren. Sie schien zu glauben, dass eine kurze „Machtdemonstration“ der Gewerkschaft genügt, um dann am Verhandlungstisch sozialpartnerschaftliche Ergebnisse zu erzielen.
Aus Sicht der vorwärtstreibendsten Kollegen haben sie ihr Bestes versucht, dass die Streikenden ja kein eigenes Momentum entwickeln. Streiks wurden auf Anraten der Gewerkschaften immer zeitlich begrenzt. Höchstens zwei Stunden, immer in den frühen Öffnungszeiten, um ja keinen finanziellen Hebel zu entwickeln. Es wurde nicht zwischen den Betrieben koordiniert, Betriebe streikten prinzipiell allein. Das Wichtigste für die Gewerkschaft war es, den Beschäftigten das Gefühl zu übermitteln, dass doch etwas getan wird. Gleichzeitig ließ sich das Verhandlungsteam hinhalten, und zum Erstaunen der Kollegenschaft zog ein Einkaufssamstag nach dem andern vorbei, ohne dass das Signal zur Ausweitung des Ausstandes kam. Die Stimmung sank wieder deutlich ab, die Dynamik der Vorwärtstreibenden stieß auf Widerstände von sozialpartnerschaftlich geprägten Kollegen und Kolleginnen, die sich dem Druck der Belegschaft zu entziehen versuchten.
So zog sich die Auseinandersetzung durch das ganze Weihnachtsgeschäft bis zum Schluss am 23.12.2023. Abgeschlossen wurde dann, zum Schock aller Streikenden, mit 27.12.2023 mit durchschnittlich 8,43%, 0,8% unter der „rollierenden” Inflation.
Kollegin Helga Fichtinger, Chefverhandlerin der GPA, formuliert die Politik und das Ziel der GPA perfekt:
„Für uns war wichtig, dass wir einen dauerhaft wirksamen Gehaltsabschluss für alle erreichen. […] Ich möchte hiermit auch an jene Arbeitgeber, die sich mehr leisten könnten, den Appell geben, dass Sie weitere innerbetriebliche Gehaltsrunden einlegen und so die Beschäftigten vom Erfolg profitieren lassen.“
Erstens verzichtet sie darauf, eine Lohnerhöhung zu erzielen. Zweitens appelliert sie an das Mitgefühl der Arbeitgeber, mehr vom Profit zu teilen. Damit pfeift sie schon selber auf die Sozialpartnerschaft und fordert nur noch Wohltätigkeit.
Die Kämpfe für 2024 werden noch härter und deshalb gilt es auch, die Instrumente der Arbeiterklasse wieder unter Kontrolle der Arbeitenden zu nehmen. Die Koordination zwischen den lokalen Betrieben muss durch die Arbeitenden selbst geregelt werden. Ich habe volles Vertrauen in die Arbeitenden. 2023 hat alle überrascht und es werden Lehren gezogen. 2024 gilt es praktische Beispiele zu setzen, wie die Kampfkraft der Handelsbeschäftigten dadurch gestärkt wurde.
Der Autor ist BR in der Buchhandelskette Thalia.
(Funke Nr. 220/26.1.2024)