Vor 100 Jahren konnten Frauen in Österreich erstmals an Wahlen teilnehmen. In diesem Artikel zeigen wir, wie die Revolution den Frauen das Wahlrecht brachte.
Als am 4. März 1919 die ersten acht weiblichen Abgeordneten (davon sieben sozialdemokratische Arbeiterführerinnen) ins Parlament einzogen, konnten sie auf einen langwierigen, jahrzehntelangen Kampf zurückblicken. In der Revolution von 1848 hatten Frauen erstmals begonnen, sich politisch im Rahmen der demokratischen Bewegung zu organisieren. Die Gründung des demokratischen Frauenvereins fiel jedoch zusammen mit einem Massaker an Erdarbeiterinnen. Diese Erfahrung ließ die revolutionären Frauen des Jahres 1848, auch wenn sie aus bürgerlichem Haus kamen, sich als Teil der noch jungen Arbeiterbewegung verstehen, weil das Bürgertum mit überwältigender Mehrheit aus Angst vor der Revolution bereits wieder auf dem Schoß des Absolutismus saß.
In den Jahrzehnten danach verzichteten die Bürgerlichen auf das Freiheitsideal, und umso rabiater verwehrten sie dem weiblichen Geschlecht die Freiheit und gleiche Rechte. Frauen wurden als geistig nicht reif genug dargestellt. Der Kampf um politische Rechte für Frauen schlummerte für Jahrzehnte einen Dornröschenschlaf. Bürgerliche Frauen, die sich in dieser stickigen Atmosphäre engagierten, setzten sich meist nur für das Recht auf Bildung und freie Berufswahl ein. Natürlich waren schon damals viele wirtschaftliche Bereiche für Frauen zugänglich. In den Fabriken schufteten bereits tausende Frauen und Mädchen. Die brutale Ausbeutung in der Industrie hatten die bürgerlichen Frauen natürlich nicht im Sinn, wenn sie den Zugang zu Arbeit forderten. Zwar gab es durchaus einige Frauen aus diesen Kreisen, die ihre „armen Schwestern“ unterstützen wollten und sich im Umfeld der entstehenden Arbeiterinnenbewegung engagierten, doch den politischen Kampf für gleiche Rechte führten sie nicht aktiv. Selbst in England, wo mit den Suffragetten eine sehr radikale Strömung der bürgerlichen Frauenbewegung aktiv war, kämpften diese – wenn auch mit sehr radikalen Methoden – nur für das „Damenwahlrecht“ der Besitzenden.
Sozialdemokratie und Wahlrechtskampf
So war die Sozialdemokratie, die unter dem Einfluss der Ideen von Marx und Engels stand, die einzige politische Partei in Österreich, die sich für die uneingeschränkte Gleichberechtigung der Geschlechter aussprach. Dazu zählte auch die Forderung nach dem Recht auf das allgemeine Frauenwahlrecht.
Gemäß der Analyse, dass auch der Parlamentarismus nur eine „Form der modernen Klassenherrschaft“ (Hainfelder Parteiprogramm) darstellt, wurde der Kampf um das Wahlrecht aber nur als „eines der wichtigsten Mittel der Agitation und der Organisation“ gesehen, nicht aber als Zweck an sich. Die ersten Schritte zur Massenbewegung machte die Sozialdemokratie im Kampf um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Symbolhaft stand dafür die Kampagne für den 8-Stunden-Tag. Doch um alle Teile des Proletariats rund um eine griffige Losung vereinen und so die organisierte Arbeiterbewegung aufbauen zu können, brauchte es ein anderes Thema. Friedrich Engels erkannte im Kampf um das Wahlrecht das Potential zur Vereinigung der gesamten Arbeiterklasse, und diese Strategie wurde nicht zuletzt in Österreich von der Sozialdemokratie mit Begeisterung aufgenommen. Gerade in der sozialdemokratischen Frauenbewegung sollte diese Idee auf sehr fruchtbaren Boden fallen. Da bestimmte Gruppen des weiblichen Proletariats, wie proletarische Hausfrauen, Dienstmädchen und Heimarbeiterinnen, aufgrund ihrer von Vereinzelung im privaten Haushalt geprägten sozialen Stellung nur schwierig gewerkschaftlich zu organisieren waren, sah man im Wahlrechtskampf eine große Chance die Arbeiterinnenbewegung weiter aufzubauen. Genau darin lag die zentrale Bedeutung des Wahlrechtskampfes: Der Aufbau einer revolutionären Sozialdemokratie mit Massenverankerung, die imstande ist, den Sozialismus zu erkämpfen.
Gemeinsamer Kampf
Das entscheidende Mittel zur Durchsetzung dieses Teils des sozialdemokratischen Programms wurde in Massenkämpfen bis hin zum Generalstreik gesehen. 1893 wurde dieser Kampf erstmals mit großen öffentlichen Kundgebungen offen ausgetragen. Die noch junge Arbeiterinnenbewegung, die erst kurz zuvor mit mehreren erfolgreichen Streiks und Organisierungskampagnen aufgefallen war, schloss sich mit Begeisterung dieser Wahlrechtsbewegung an. Die Arbeiterinnen kämpften Schulter an Schulter mit den Männern, aus dem Verständnis heraus, dass sie dieselbe wirtschaftliche Funktion in der Gesellschaft ausüben – ebenso für das Kapital rackern, ebenso den Staat erhalten, ebenso von ihm ausgesogen und niedergehalten werden, wie die männlichen Arbeiter. Sie haben dieselben Interessen und benötigen zu ihrer Durchsetzung dieselben Waffen.
Und die Arbeiterinnen führten diesen Kampf mit einem revolutionären Enthusiasmus sondergleichen. Adelheid Popp sagte auf der ersten großen politischen Arbeiterinnendemonstration der österreichischen Geschichte in der Penzinger Au: „Das Wahlrecht ist uns kein sozialdemokratisches Ziel, sondern nur ein Mittel im Emanzipationskampfe des Proletariats.“ Es ging um die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse, um den Kapitalismus beseitigen zu können. Die jungen Arbeiterinnen, die bei dieser Kundgebung die Reden hielten, wurden politisch verfolgt und mussten sich vor Gericht verantworten.
Der Wahlrechtskampf brachte bald schon erste Erfolge, und 1906 gelang es nach dem Beispiel der russischen Revolution mit Massenmobilisierungen und der Androhung eines Generalstreiks das allgemeine Wahlrecht für Männer durchzusetzen. Die sozialdemokratische Frauenorganisation verzichtete damals aus taktischen Überlegungen auf ihre eigenen Forderungen. Der wesentliche Grund dafür war, dass sie die Logik der Parteiführung akzeptierten, wonach das eigene Programm nicht von den objektiven Notwendigkeiten, sondern von den konkreten Kräfteverhältnissen im Parlament abhängig gemacht wurde. Diese Form von „Realpolitik“, die sich mit dem Reformismus in der Sozialdemokratie breitgemacht hat, führte dazu, dass der Kampf für das Frauenwahlrecht auf die lange Bank geschoben wurde.
Mit dem ersten internationalen Frauentag 1911 nahm die proletarische Frauenbewegung neuerlich Anlauf im Kampf um das Frauenwahlrecht. Zehntausende Arbeiterinnen demonstrierten damals mit tatkräftiger Unterstützung ihrer Genossen für politische Gleichberechtigung. Die Massenbewegung für das Frauenwahlrecht wurde nicht als „Frauensache allein, sondern gemeinsame Klassenangelegenheit der Frauen und Männer des Proletariats“ (Rosa Luxemburg) gesehen.
Ein wesentliches Argument in der Mobilisierung war, dass den Arbeiterinnen wesentliche soziale Rechte, wie ein ausreichender Mutterschutz, Kinderbetreuung oder eine staatliche Pension, nur deshalb vorenthalten werden, weil ihre Stimmen nicht zählten. Von Anfang an wurde der Kampf um politische und demokratische Rechte (das Wahlrecht und das Recht sich in politischen Vereinen zu organisieren) untrennbar mit dem Kampf für soziale Errungenschaften verbunden. Nie wurde das Wahlrecht als Ziel für sich verstanden. Die Demokratie konnte nur einen Wert haben, wenn sie aus der Sicht der Arbeiterklasse einen für sie fortschrittlichen sozialen Inhalt hatte.
Krieg und Revolution
Im Ersten Weltkrieg wurden Frauen massiv in die Produktion und zentrale Wirtschaftsbereiche (z.B. öffentlicher Verkehr) gedrängt und als „Soldaten des Hinterlandes“ gepriesen, außerdem zog der Staat verstärkt Frauen zur Verwaltung der Lebensmittelversorgung und im Fürsorgewesen ein. Für die konservativen Kreise wurde es immer schwieriger die These von der „Minderwertigkeit“ des weiblichen Geschlechts, mit dem der Ausschluss von Frauen aus der Politik begründet wurde, aufrechtzuerhalten.
Doch wie Rosa Luxemburg schon 1912 schrieb: „Das arbeitende Volk hat jedesmal seine Reife zur politischen Freiheit durch eine siegreiche revolutionäre Massenerhebung erweisen müssen. Erst wenn das Gottesgnadentum auf dem Thron und die Edelsten und Besten der Nation die schwielige Faust des Proletariats fest auf dem Auge und sein Knie auf ihrer Brust fühlten, erst dann kam ihnen auch blitzartig der Glaube an die politische »Reife« des Volkes.
Heute sind die Frauen des Proletariats an der Reihe, ihre Reife dem kapitalistischen Staate zum Bewußtsein zu bringen. Das geschieht durch eine andauernde, machtvolle Massenbewegung, in der alle Mittel des proletarischen Kampfes und Druckes in Anwendung gebracht werden müssen.“
Erneut ist es das Beispiel der russischen Revolution, die den Kampf um das Frauenwahlrecht befeuert. Mit dem Ausbruch der Revolution im Herbst 1918 in Wien und Berlin werden binnen Tage Fakten geschaffen, die in Jahrzehnten des politischen Kampfes nur als ferne Utopie erschienen waren. Wie von Rosa Luxemburg schon 1914 vorhergesagt, konnte das Frauenwahlrecht wie auch der Acht-Stunden-Tag und andere Reformen nur als Produkt des Klassenkampfes und nur mit proletarischen Kampfmethoden und Machtmitteln durchgesetzt werden.
“Die Revolution befreit die Frauen”, mit diesen Worten fasste die Arbeiterinnen-Zeitung diese historischen Umwälzungen aus Perspektive der Frauenbewegung zusammen: “Was wohl noch eines jahrelangen Kampfes bedurft hätte, geschah nun plötzlich ohne Kampf, ohne Anstrengung, ohne daß ernstlich Widerstand geleistet wurde. Seit dem 12. November gibt es keine politisch rechtlosen Frauen mehr!”
Die Revolution hatte die Masse der proletarischen Frauen zu politischem Leben erweckt, und sie forderten nun von der neuen Republik schnelle und radikale Antworten auf Armut, Hunger und Wohnungsnot. Zwar gab es im Zuge der Revolution eine Vielzahl von Reformen, die auch den Frauen zugutekam. Die Weigerung der Sozialdemokratie, die Revolution zu Ende zu bringen und dem Kapitalismus ein Ende zu setzen, führte aber dazu, dass die Frauenbefreiung auf halbem Weg steckenblieb. Das ursprüngliche Ziel der proletarischen Frauenbewegung, das Erkämpfen einer sozialistischen Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, ist auch 100 Jahre nach Erringung des Frauenwahlrechts eine brennende Aufgabe.
(Funke Nr. 171/März 2019)
Weitere Artikel in der Reihe:
- Teil 1: Die revolutionäre Geburt der Republik
- Teil 2: Revolutionäre Fieberschübe
- Teil 3: Eure „Ordnung“ ist auf Sand gebaut
- Teil 4: Luxemburg, Liebknecht und die deutsche Revolution
- Teil 5: Zwischen Republik und Rätedemokratie
- Teil 6: Die Revolution befreit die Frauen
- Teil 7: Die Föderative Ungarische Sozialistische Räterepublik
- Teil 8: Die gescheiterte Sozialisierung
- Teil 9: Als in Bayern die Kommunisten regierten
- Teil 10: Linksradikale Kinderkrankheiten