Zum fünfzigsten Todestag Schostakowitschs

Der Komponist Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch war ein Gigant der Musik des 20. Jahrhunderts und das musikalische Gewissen der russischen Revolution. Sein Todestag jährt sich am 9. August zum fünfzigsten Mal. Von Raphael Lins.
Schostakowitsch (1906-1975) stammte aus einer Familie mit starken revolutionären Traditionen. Der Urgroßvater nahm am Aufstand von 1830 und der Großvater am Januaraufstand von 1863 teil. Die Eltern hatten Sympathien für die Narodniki. Aus einer befreundeten Familie stammte ein Teilnehmer des Attentats auf den Zaren 1887, an dem auch Lenins Bruder Alexander Uljanow beteiligt war. Der junge Dmitri hat sicherlich aus diesem Umfeld seinen Hass gegen Tyrannei und die tiefen Sympathien für das Leiden der Opfer von Unterdrückung mitgenommen.
Er erlebte die russische Revolution während seiner musikalischen Ausbildung in Petrograd. Sie war ein deutlicher Einschnitt im Leben des kaum Zwölfjährigen. Insbesondere die Ermordung eines jungen Arbeiters in der Februarrevolution hinterließ einen bleibenden Eindruck, ebenso Lenins Rede am Finnischen Bahnhof im April 1917. Er komponierte mehrere, später leider vernichtete Werke: Hymne an die Freiheit, Kleine Revolutionssymphonie, Trauermarsch für die Opfer der Revolution usw. Gleich seine Abschlussarbeit am Konservatorium, die 1. Symphonie, führte zum Durchbruch als Komponist, auch wenn er noch verschiedenste Rückschläge als Künstler erleben sollte.
Die Oktoberrevolution führte zunächst trotz widrigster Lebensbedingungen zu einem enormen Aufschwung der Künste. Auch Schostakowitsch war in dieser Zeit sehr produktiv und experimentierfreudig, wovon die satirische Oper „Die Nase“ zeugt. Er begeisterte sich auch für die Möglichkeiten des Films und verkehrte mit allen Größen des sowjetischen Lebens (Meyerhold, Majakowski, usw.). Stalins Machtübernahme und die zunehmende Bürokratisierung im Zuge der Isolierung der Sowjetunion beengten das künstlerische Leben jedoch bald spürbar, und Schostakowitsch kam auf die Liste der „formalistischen“ und „volksfremden“ Künstler. Die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ ist musikalisch und thematisch sehr fortschrittlich und behandelt Fragen zur Stellung der Frau, Gesellschaft und Freiheit – und geriet deshalb im säuberungsschwangeren Klima Mitte der Dreißiger zum Skandal und führte infolge zur Ächtung des Komponisten.
Schostakowitsch war ein Kind der Oktoberrevolution und hasste den Stalinismus als Verrat an den Idealen Lenins und des Sozialismus. Die Hoffnungen und Träume der Oktoberrevolution liegen unter diesem Verrat begraben. Schostakowitsch hat eine scharfe Trennlinie zum „Sozialistischen Realismus“ gezogen (der dogmatischen Kunstanschauung des Stalinismus), redet in diesem Zusammenhang von „spießbürgerlicher Idylle“ und kritisiert:
„Die Anmaßung und das Hochtrabende dieser Werke waren ihrer inneren Kälte direkt proportional.“
Er hasste Stalin und die Bürokratie. Etliche seiner Werke zeugen in ihrem beißenden Zynismus davon. Er war mehrmals extrem scharfen Angriffen ausgesetzt, insbesondere während der Säuberungen in den Dreißigern („Feind des Volkes“ nach Lady Macbeth) und während der Formalismusdebatte 1948. Sein Leben und das seiner Familie war mehrmals unmittelbar bedroht. Dass wir unter seinen Werken Arbeiten propagandistischer Natur finden (die keinesfalls seine Besten sind), ist in diesem Kontext zu verstehen.
Die Tatsache aber, dass er auch in diesen Perioden großartige, tief empfundene Werke komponiert hat (z.B. die 4. Symphonie, die jahrelang in der Schublade gelegen hat), zeigt, dass er sich nur äußerlich gebeugt hat; auch hat er mehrmals sein Leben riskiert, um befreundeten Musikern in teils extrem riskanten Aktionen zu helfen. Im Gegensatz zu einigen anderen hat er auch nie einen Kollegen denunziert. Viele seiner Werke tragen direkte und indirekte Spuren seines erbitterten Kampfs gegen die Bürokratie und ihrer Auswüchse in der Kunst, hier sind vor allem die 5., 9. und 13. Symphonie zu nennen.
In der berühmten Leningrader Symphonie (7.), die während der deutschen Blockade entstand, finden wir einen leidenschaftlichen Kämpfer gegen den Faschismus. Die 11. behandelt die erste russische Revolution von 1905, der wache Beobachter Schostakowitsch hat hier aber sicher auch die Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 verarbeitet. Alle diese Werke haben eine unüberhörbare Leidenschaft gemeinsam. Schostakowitsch war nie teilnahmslos, und Mittel seines Denkens und Fühlens war die Musik. Im Werk eines Einzelnen können sich die Gefühle von Millionen konzentrieren. Das war bei Schostakowitsch definitiv der Fall. Er selbst hat in diesem Zusammenhang den Schriftsteller Anton Tschechow zitiert:
„‚Wir alle sind das Volk, und alles, was wir als unser Bestes leisten, ist ein Werk des Volkes.‘ Mit diesen einfachen und weisen Worten bestimmte A. T. das wahre Maß jeder menschlichen Tätigkeit und damit auch einer solch komplizierten und schönen, wie es das Schaffen von Musik ist.“
Schostakowitsch befasste sich tief mit den Problemen der Gesellschaft und der Zugänglichkeit von Kunst. Er war überzeugt von der Notwendigkeit, die Künste stark zu demokratisieren, und zitiert an einer Stelle Lenin über die sozialistische Kunst: „Sie muss von [den Massen] verstanden und geliebt werden. Sie muss sie in ihrem Fühlen, Denken und Wollen verbinden und emporheben.“ Schostakowitsch fährt dann fort:
„Musik wird nur dann zu einer Lebenstatsache, wird lebendig und aktiv, wenn sie von denen gehört und verstanden wird, an die sie sich wendet, für die sie geschrieben ist. (…) Die Oktoberrevolution hob Millionen einfacher Menschen zu einem neuen Leben empor. Sie erhielten zum ersten Mal Zutritt zu den größten geistigen Werten.“
Er betont mehrfach die Wichtigkeit von Verständlichkeit und Zugänglichkeit aller Menschen zu den Künsten. Seine Schriften bezeugen generell auch eine offenbare Auseinandersetzung mit dem Gedankengut des Marxismus. Es finden sich Zitate und Ideen aus Lenins „Empiriokritizismus“, den „Philosophischen Heften“, Hegelsche Gedankengänge usw.
Die Kunst muss frei sein, sonst kann sie nichts ausdrücken. Wenn nur ein festgelegter, von vornherein beschränkter Ausschnitt des menschlichen Lebens im Schaffen des Künstlers auftauchen darf, wird Kunst nie die Herzen der Menschen erreichen – sie hat dann, wenn überhaupt, nur bedingt etwas mit unserem Leben zu tun. Der sogenannte „Sozialistische Realismus“ war eine solche monströse Beschränkung der Freiheit der Kunst. Schostakowitsch hat mit seinem gesamten Werk, teilweise sogar unter Einsatz seines Lebens, um diese Freiheit gekämpft, und oft genug gewonnen. Das ist es, warum sein Werk heraussticht und eines der größten musikalischen Genies des 20. Jahrhunderts bis heute von Millionen Menschen geliebt wird: weil wir in seinem Werk wahre menschliche Größe finden.
Der ständige Balanceakt, das wirkliche Leben der Menschen (mit ihrem Denken und Fühlen!) in der stalinistischen Sowjetunion in seiner Musik ausdrücken zu können, hat aus einem selbstunsicheren, verschlossenen, aber ehrgeizigen Menschen einen verbitterten, zynischen, abgekämpften Mann gemacht, der ein ganzes Leben lang sogar kaum dazu in der Lage war, sich sprachlich einigermaßen auszudrücken. Aber Schostakowitsch wurde nie gebrochen, er hat seinen Kampf gegen den Stalinismus nie aufgegeben, bewahrte sich seinen glühenden Hass auf alle Ungerechtigkeiten, blieb den Idealen der Oktoberrevolution und seiner Jugend treu und steht heute als musikalischer Gigant und bewundernswerter Mensch vor uns.
(Funke Nr. 235/09.07.2025)