Das Elend des Pazifismus & der Erste Weltkrieg

Weltweit gibt es 56 militärische Konflikte und Kriege, in denen 92 unterschiedliche Staaten involviert sind – so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Unterdessen werden in der Arbeiterbewegung und der Linken ständig pazifistische Allgemeinplätze erhoben: Abrüstung, Diplomatie, Völkerrecht und Neutralität sollen den Frieden bringen. Doch derartige Appelle betrachten das Problem von Krieg und Aufrüstung oberflächlich und bleiben daher auf der Strecke. Was ist die Position der Kommunisten zu Krieg und Pazifismus? Von Martin Halder
Lenin vermerkte 1915: „Krieg ist schrecklich? Ja. Aber er ist schrecklich profitabel.“ Hier haben wir den Kern der Sache. Es reicht nicht aus, den imperialistischen Krieg moralisch zu verurteilen. Wir müssen zuerst verstehen, was ihn hervorbringt. Krieg und Gewalt sind untrennbar mit dem Kapitalismus und seinem Profitstreben verbunden. Die Kapitalisten der ganzen Welt führen Kriege um neue Märkte, billige Rohstoffe, Einflusssphären und den Erhalt der eigenen Macht. Im Zeitalter des Imperialismus, das Lenin mit der Wende zum 20. Jahrhundert ansetzt, werden ständig Kriege um die Neuaufteilung der Welt geführt. Selbst wenn einzelne Politiker oder Regierungen es anders wollten (das müssen keine moralischen Gründe sein, es kann ihnen auch einfach zu teuer sein), kann sich auf Dauer kein imperialistisches Land diesen Konflikten entziehen, denn die Nicht-Teilnahme an diesem blutigen Spiel würde die eigene Schwächung bzw. die Stärkung der imperialistischen Gegenspieler bedeuten.
Nur der Sturz des Kapitalismus kann Kriege wirklich beenden und dem Internationalismus den Weg bahnen. Der Pazifismus hingegen betrachtet den Krieg als etwas, das ebenso gut mit diplomatischeren Bemühungen oder friedfertigeren Politikern verhindert werden könnte. Er lehnt den Krieg ab, ohne gegen den Kapitalismus zu kämpfen. Seine Kritik richtet sich gegen „die Oberfläche der politischen Phänomene und wagt nicht, zu ihren wirtschaftlichen Ursachen vorzudringen“ (Trotzki). Der Pazifismus verkennt deshalb nicht nur das Wesen der imperialistischen Kriege, sondern auch das des Friedens, der aus ihnen hervorgeht. Ein Abkommen zwischen Räubern (und das ist jeder Frieden zwischen den Imperialisten, solange die Arbeiter sie nicht stürzen) bereitet nur den Boden für den nächsten Krieg. Die einzige Praxis des Pazifismus bleibt der zahnlose Appell an die Herrschenden (inkl. Beschwörung der UNO und des sogenannten internationalen Rechtes), die Waffen ruhen zu lassen. Und wenn die Herrschenden hören? Dann ist trotzdem nichts gelöst.
Der Erste Weltkrieg war ein solcher Krieg zur Neuaufteilung der Welt, dem schon der Krieg zur Aufteilung des Balkans (1912-13) vorausging. Er war die Probe aufs Exempel für die Tauglichkeit der pazifistischen Phrasen, die im liberalen Sumpf damals sehr populär waren.
Nach Kriegsausbruch verwarfen die liberalen Pazifisten ihre Appelle und stimmten in das Kriegsgeheul der Herrschenden ein. Der englische Schriftsteller H. G. Wells, der zuvor viel über die Schrecken des Krieges schrieb, wurde zum glühenden Kriegsunterstützer. Laut ihm müsse der deutsche Militarismus geschlagen werden, um den Krieg für immer zu beenden („The war that will end war“). In Deutschland und Österreich argumentierte man auf ähnlicher Linie, nur dass es hier den russischen Despotismus zu schlagen galt. Auch die USA traten schließlich in den Krieg ein – unter dem pazifistischen Präsidenten Wilson. Trotzki bemerkt passend: „Es gab noch nie so viele Pazifisten auf der Welt wie jetzt, wo sich in allen Ländern die Menschen gegenseitig umbringen.“
Die Reformisten kapitulierten. Die Zweite („Sozialistische“) Internationale, deren Führung sich eine gute Stellung innerhalb des Kapitalismus erarbeitet hatte, unterstützte ihre jeweiligen Regierungen, Könige oder Kaiser. Nur in Serbien und Russland stimmten die Internationalisten gegen den Krieg.
Die Revolutionäre – Lenin, Luxemburg, Liebknecht voran – kämpften in der internationalen Arbeiterbewegung um das richtige Programm gegen den Krieg und gegen den Chauvinismus aller Schattierungen. Während der rechte Flügel der Sozialdemokratien offen für den Krieg eintrat (in Österreich etwa der zweifache Bundeskanzler Karl Renner) gab es eine zentristische Richtung (in Deutschland: Karl Kautsky; in Österreich: Victor Adler), die versuchte, ihre Unterstützung für den Krieg hinter pazifistischen Phrasen zu verbergen und einem wirklichen Kampf mit der Parteirechten aus dem Weg zu gehen.
Lenin richtete seine Hauptkritik gegen diese Strömung, die im Unterschied zu den Rechten ihre Unterstützung für den Krieg versteckte und immer argumentierte, warum aufgrund der Zensur und Reaktion keine revolutionären Initiativen gesetzt werden dürfen. In Österreich argumentierten sie beispielsweise gegen illegale Aktionen (Flugzettel, Streiks) gegen den Krieg, wie sie allein von der Gruppe der Linksradikalen propagandiert wurde. Sie waren, wie Lenin festhielt, sozialistisch in Worten und chauvinistisch in der Tat (Sozialchauvinisten eben).
Lenin richtete sich ebenso gegen pazifistische Slogans wie „Entwaffnung“ oder „Lang lebe der Frieden“, die oft aus einem ehrlichen Antrieb formuliert wurden. Der Kern seiner Kritik war, dass der einzige Weg, den Krieg wirklich zu beenden, der Sturz des Kapitalismus und die Machtergreifung der Arbeiterklasse ist. Marxisten verwenden keine Allgemeinplätze („Für Frieden“, „Für Demokratie“), die genauso gut von den Bürgerlichen für ihre reaktionäre Politik beansprucht werden. Unsere Losung ist der Klassenkampf. Die Arbeiterklasse ist die einzige Kraft, die die Kriegstreiber tatsächlich bekämpfen kann. Die Forderung nach „Frieden“ kann nur eine fortschrittliche Rolle spielen, wenn sie mit dieser revolutionären Perspektive verbunden wird.
Die Bolschewiki erklärten, dass die Lösung der drängendsten Probleme („Land, Brot, Frieden“) nur mit dem Sturz der Kapitalisten und Großgrundbesitzer („Alle Macht den Sowjets“) möglich ist. Dieser Standpunkt wurde durch die Oktoberrevolution 1917 vollends bestätigt, die nicht nur den Ersten Weltkrieg in Russland beendete, sondern auf dieser Basis auch die Arbeiterklasse der ganzen Welt angespornt wurde, Schluss zu machen mit Krieg und Kapitalismus.
Durch die Russische Revolution konnten die russischen Soldaten im Jahr 1917 ein Schild an der Front anbringen, das mehr zum Ende des Krieges beigetragen hat, als alle pazifistischen Resolutionen dieser Welt und das noch heute im HGM in Wien hängt: „Wir sind bereit Frieden zu schließen, falls ihr dasselbe große Werk vollbringt, das bei uns getan ist, stürzt euren blutigen Kaiser, den Urheber alles Blutvergießens, und wir sind zum Frieden bereit! Die russischen Soldaten.“