Im Verlauf unserer Serie zur Oktoberrevolution zeichneten wir den Gang der Ereignisse im revolutionären Russland im Jahr 1917 nach. Zum Abschluss wollen wir ihre Bedeutung auf internationaler Ebene beleuchten.
Die Leninsche Losung, “Alle Macht den Räten”, und die praktische Umsetzung der Forderungen “Brot, Land und Frieden” gegen den Widerstand der alten Eliten eröffnete den ArbeiterInnen eine Perspektive im Kampf gegen Krieg und Elend, einen Ausweg aus der kapitalistischen Sackgasse. Die junge russische Räterepublik war über Nacht zum Fokuspunkt der internationalen Arbeiterklasse geworden. Sie zeigte, dass es möglich war, die Herrschaft der Kaiser und Kapitalisten zu brechen, und das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.
Weitere Artikel in der Reihe:
Der Frieden von Brest-Litowsk
Schon die ersten Maßnahmen der neu etablierten Sowjetmacht sind klarer Ausdruck dieser völlig veränderten Situation. Im Dekret über den Frieden (siehe letzte Ausgabe) wandte sich erstmals eine Regierung direkt und auf gleicher Augenhöhe an die unterdrückten Massen anderer Länder. Gleichzeitig fand eine massenhafte Verbrüderung zwischen den russischen und deutschen Soldaten statt, sofort begannen die Bolschewiki revolutionäre Propaganda an der Front zu verteilen. Während der darauffolgenden Friedenskonferenz in Brest-Litowsk im Dezember setzten die Bolschewiki diese Politik weiter fort. Leo Trotzki, der die russische Delegation anführte, nutzte dabei die Verhandlungen, um sich direkt an die ArbeiterInnen und Soldaten der kriegführenden Länder zu wenden. Mit dem Verständnis, dass die Russische Revolution nur der Auftakt für die internationale Revolution sein kann, zog er die Verhandlungen in die Länge und nutzte jeden einzelnen Verhandlungstag, um öffentlich den Charakter des imperialistischen Krieges anzuprangern, und die revolutionären Entwicklungen im Westen zu beschleunigen.Revolution
Diese Taktik trug in einer Situation der allgemeinen Kriegsmüdigkeit und des Hasses auf die bestehenden Verhältnisse schon bald Früchte. Bereits unmittelbar nach der Oktoberrevolution traten die ArbeiterInnen in Wien unter der Losung “Gebt uns den Frieden wieder oder wir legen die Arbeit nieder.” zusammen. Als dann im Jänner 1918 in der Habsburgermonarchie eine spontane Streikbewegung ausbrach, blieb diese nicht bei ihren ursprünglichen Forderungen nach Brot stehen. Der Jännerstreik von 1918 (ausführliche Behandlung in der nächsten Ausgabe) nahm unter dem Eindruck der Brester Friedensverhandlungen und den Erfahrungen der jungen Räterepublik zunehmend revolutionäre Charakterzüge an: Als erste in Westeuropa waren es die ArbeiterInnen Österreich-Ungarns, die das Konzept der Sowjets übernahmen und Arbeiter- und Soldatenräte im ganzen Land bildeten. Ähnliche Entwicklungen spielten sich in vielen kriegführenden Ländern ab. Ausgehend von Massendemonstrationen im Jänner, traten die europäischen ArbeiterInnen über das ganze Jahr 1918 hinweg, vor allem in Österreich-Ungarn, Deutschland, Italien und Frankreich in den Streik, die Soldaten und Matrosen meuterten immer öfters. Vorläufig blieben diese Bewegungen jedoch erfolglos: Während ihre sozialdemokratischen Führer die Streikenden zur Mäßigung aufriefen, setzten die alten Regimes auf blutige Repressionen. Den Wendepunkt dieser revolutionären Welle leiteten die Kieler Matrosen im November 1918 ein. Nach einer letzten verzweifelten Offensive der deutschen Heeresführung im Frühjahr, besiegelte das Eintreten der USA in den Krieg und die Kapitulation Österreich-Ungarns die endgültige Niederlage Deutschlands. Ein bevorstehendes Flottenmanöver, das eine “Entscheidungsschlacht” gegen die Briten hervorrufen sollte, schlussendlich aber einem Selbstmordkommando gleichkam, führte zur entscheidenden Revolte. Gemeinsam mit den ArbeiterInnen von Kiel übernahmen die Matrosen das Kommando über die Flotte und bildeten, wie schon im Jänner, den ersten Sowjet auf deutschem Boden, von wo aus sich die Meuterei rasch ausbreitete. Innerhalb weniger Tage hatte sie bereits das ganze Reich erfasst, ohne irgendwo auf nennenswerten Widerstand gestoßen zu sein. Die alte Ordnung löste sich in Luft auf. Wie in Russland nach der Februarrevolution lag die Macht auf der Straße, doch wer sollte sie übernehmen?Der Verrat der Sozialdemokratie
Die Sozialdemokratischen Parteien genossen noch immer das Vertrauen der meisten ArbeiterInnen und konnten sich an die Spitze der revolutionären Bewegungen stellen. Diesen Einfluss nutzen sie allerdings, um die revolutionären Massenbewegungen zu bremsen und in ruhiges Fahrwasser zu lenken. Die Massen sollten sich mit der Ausrufung der Republik zufrieden geben und nicht weiter zum Sozialismus voranschreiten. Symbolhaft dafür steht die berühmte Szene vom 12. November in Wien. Während die Sozialdemokratie gemeinsam mit den Bürgerlichen die demokratische Republik verkündete, schnitten revolutionäre ArbeiterInnen den weißen Balken aus der rot-weiß-roten Fahne, und hissten das Rote Banner der sozialistischen Republik. Selbst Otto Bauer musste zugeben, dass “nur Sozialdemokraten (…) die Arbeitermassen von der Versuchung zu revolutionären Abenteuern abhalten [konnten].” Die im Aufbau begriffenen Rätestrukturen wurden abgebaut oder zu harmlosen “beratenden Strukturen” im bürgerlichen Staat anstatt zu Machtinstrumenten der ArbeiterInnen gemacht. Nur in Ungarn und Bayern eroberte die Arbeiterklasse kurzzeitig die Herrschaft und rief eine Räterepublik aus. Doch hier, wie in Russland ließ die Konterrevolution nicht lange auf sich warten.Konterrevolution
So wie der Funke der Revolution unmittelbar auf die westlichen Länder übersprang, erfüllten sich auch die Herzen der Bourgeoisie mit dem Geist der internationalen Solidarität – mit den Kräften der Reaktion in Russland. Vereint im Bestreben die Revolution “während der Geburt zu erwürgen” (Winston Churchill), unterstützten die imperialistischen Mächte (Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, etc.), noch während sie sich offiziell im Krieg gegeneinander befanden, die zahlreichen “Weißen” (konterrevolutionären, im Gegensatz zu den “Roten”) Generäle, die sich gegen die Sowjetmacht auflehnten und das Land in den Bürgerkrieg stürzten. Neben der enormen materiellen Unterstützung in Form von Geld und Waffen, marschierten imperialistische Armeen auch direkt in Russland ein. Alles in allem war die Revolution von 21 Interventionsarmeen an sämtlichen Außengrenzen bedroht. Die in der von Trotzki geschaffenen Roten Armee organisierten ArbeiterInnen und Bauern verteidigten ihre neu gewonnen Errungenschaften unter größten Anstrengungen. Auch dieser Konflikt wurde mit auf der internationalen Ebene ausgetragen – und gewonnen. Immer wieder solidarisierten sich die ArbeiterInnen im Ausland mit der Revolution, etwa die Hafenarbeiter Großbritanniens, die Militärlieferungen an die reaktionäre polnische Armee unterbanden. Nicht selten liefen ganze Truppenteile der weißen und ausländischen Armeen auf die Seite der Bolschewiki über, die während des ganzen Bürgerkriegs nicht nur militärisch, sondern auch politisch-agitatorisch gegen ihre Feinde vorgingen. Nur zu oft mussten sich die Imperialisten zurückziehen, um ihre Soldaten nicht mit dem “Virus des Bolschewismus zu infizieren”. All dies zeigt, dass die Oktoberrevolution von 1917 keine bloß russische Angelegenheit war, sondern ein Ereignis von internationaler Bedeutung. Tatsächlich war sie der erste Schritt auf dem Weg der sozialistischen Weltrevolution. Überall hatten die revolutionären Erhebungen zunächst einen spontanen Charakter – die Februarrevolution in Russland, der Jännerstreik in Österreich, die Novemberrevolution in Deutschland, usw., doch diese Bewegungen können nur dann erfolgreich bis zum siegreichen Ende gehen, dem Sturz des Kapitalismus, wenn es eine starke Organisation gibt, die die Revolution anführen kann. Darin lag schlussendlich der entscheidende Unterschied zwischen Sieg und Niederlage der Europäischen Revolution. So betrachteten auch die Bolschewiki unter Lenin und Trotzki den Kampf für den Sozialismus stets vom Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse aus. Sie sahen die dringlichste Aufgabe in der Ausbreitung der Revolution und begannen als Ausdruck davon mit dem Aufbau einer neuen internationalen Kampforganisation – der Kommunistischen Internationale. Diese Organisation wurde nach ihrer Gründung 1919 mit enormen Enthusiasmus von Millionen ArbeiterInnen auf der ganzen Welt in der Hoffnung auf die sozialistische Weltrevolution aufgebaut. Doch mit der Stalinisierung der Sowjetunion in den 20er Jahren, dem einseitigen Bürgerkrieg der Bürokratie gegen die Revolutionäre und die Arbeiterklasse, wurde auch die KomIntern von einem Instrument der Befreiung zu einem Instrument der Stalinbürokratie im Ausland. Letztendlich wurde sie von Stalin sang- und klanglos im Jahr 1943 auf Wunsch der Westmächte im 2. Weltkrieg aufgelöst. Doch ihr ursprüngliches Ziel, die Verwirklichung des Sozialismus auf Weltebene, ist heute in der tiefsten Krise des Kapitalismus aktueller denn je.Weitere Artikel in der Reihe:
- Teil 1: Ein zerrissenes Land
- Teil 2: Die Februarrevolution
- Teil 3: Der Zar ist gestürzt! Was nun?
- Teil 4: Der Kampf um eine revolutionäre Partei
- Teil 5: Der Frühsommer
- Teil 6: Die Julitage
- Teil 7: Putschversuch von Rechts
- Teil 8: Die Oktoberrevolution
- Teil 9: Die Sowjets ergreifen die Macht
- Teil 10: Der Funke fliegt