Ukraine: Europa verliert an allen Fronten

Mit dem Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin werden Hoffnungen für einen Frieden in der Ukraine geweckt. Die widersprüchliche Interessenslage zwischen Russland, den USA, Europa und dem Regime in Kiew machen einen schnellen Durchbruch unwahrscheinlich. Von Willy Hämmerle.
Unabhängig vom Verhandlungsverlauf kann man aber einige Dinge festschreiben.
Erstens: Russland verfügt über mehr Truppen und produziert mehr Kriegsmaterial als die westlichen Verbündeten an die Ukraine liefern wollen, oder überhaupt können. Die stark befestigten ukrainischen Stellungen im Donbas (seit 2014 im Aufbau) und die neue Form der Kriegsführung mit Drohnen (sie sind für mehr als 2/3 der Verluste an der Front verantwortlich) sorgten dafür, dass dieser Krieg extrem blutig, verlustreich und teuer ist. Die russische Armee konnte entlang der über 1000 Kilometer langen Frontlinie bisher keinen entscheidenden Durchbruch erzielen, aber die Gegenseite kommt nicht aus der permanenten Defensive heraus. Die russische Drohnenproduktion nimmt volle Fahrt auf und der Festungsgürtel im Donbas wird immer löchriger. Russland gewinnt den Abnützungskrieg militärisch, es ist bloß eine Frage der Zeit.
Das erkennen mittlerweile alle Seiten an und niemand formuliert deshalb mehr ernsthaft eine Rückeroberung der von Russland eroberten Gebiete als Bedingung für ein Friedensabkommen. Vielmehr wird über die genaue Grenzziehung, eine eventuelle demilitarisierte Zone, die Form der militärischen Sicherheitsgarantien und die juristischen Feinheiten diskutiert. Das ist auch der Grund, wieso Russland harte Forderungen stellt und nicht bereit ist, einen vorübergehenden Waffenstillstand einzugehen.
Zweitens: Die USA ist ökonomisch gestärkt, insbesondere gegenüber Europa. Die Entkoppelung der europäischen (v.a. der deutschen) Industrie von russischer Energie schwächt einerseits den direkten Konkurrenten und zwingt ihn gleichzeitig dazu, teuer in den USA einzukaufen. Das Zurückfahren der militärischen Präsenz in Europa bringt die EU in eine brenzlige Lage. Sie muss jetzt selber massiv aufrüsten und sich dabei wiederum, aufgrund geringer eigener Produktionskapazitäten, auf teure Geschäfte mit den USA einlassen.
Mit einem von Trump eingefädelten (aber noch nicht unterschriebenen) Deal zwischen Armenien und Aserbaidschan, drängen die USA tief in traditionell russisches Einflussgebiet im Kaukasus. Auch die Achse Moskau-Teheran ist unter dem Druck der USA brüchig geworden, Moskau ist zu schwach sich offensiv auf der Seite Irans zu positionieren.
Drittens: Europa verliert in jedweder Hinsicht. Deutlichster Ausdruck der Abhängigkeit vom großen Bruder USA ist der unterwürfige Zoll-Deal mit Trump. Von der Leyen vereinbarte ein diktiertes „Abkommen“, in dem die EU einige Zollschranken fallen lässt und gleichzeitig einen pauschalen Zollsatz von 15% auf Exporte in die Vereinigten Staaten akzeptiert. Auf Aluminium und Stahl wird bereits seit Juni ein Zoll von 50% aufgeschlagen. Dieser Zoll wird jetzt noch zusätzlich auf über 400 Produktgruppen der Metallindustrie verrechnet, je nach Alu- oder Stahlanteil – und zwar zusätzlich zu den pauschalen 15%. Ein Motorrad aus europäischer Fertigung kostet damit in den USA jetzt ca. 30% mehr.
Aufrüstung, Zölle und anhaltend hoch bleibende Energiepreise setzen die europäische Wirtschaft und die Staatshaushalte massiv unter Druck. Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz spricht ganz offen aus, was das für die Arbeiterklasse heißt: „Der Wohlfahrtsstaat, wie wir ihn heute haben, lässt sich mit dem, was wir in der Wirtschaft produzieren, nicht mehr finanzieren.“ Massenentlassungen (allein im letzten Jahr wurden in der deutschen Industrie 114.000 Stellen abgebaut – Österreich folgt auf dem Fuß) und harte Sparpakete stehen am Programm – und damit Instabilität und Klassenkampf.
Gleichzeitig bedroht der Vormarsch Russlands den Einfluss der westeuropäischen Länder auf Osteuropa und die Stabilität der EU. Nachdem letztes Jahr in Rumänien ein unerwünschter Wahlausgang aufgrund angeblicher russischer Einmischung annulliert wurde, sind die EU-Granden (Macron und Merz) heute selber im kleinen Moldawien auf Wahlkampftour unterwegs, um ein pro-europäisches Ergebnis sicherzustellen.
Europa wird im Ukrainekrieg zwischen den USA und Russland aufgerieben. Es gibt keinerlei Perspektive für einen Frieden, von dem die europäischen Kapitalisten profitieren würden. Also muss der Krieg aus ihrer Sicht weitergehen. Das ist der Grund, wieso sie auf „Sicherheitsgarantien“ in Form von EU und US-Truppen bestehen, was die USA nicht interessiert und für Russland nicht annehmbar ist. Ihre einzige Hoffnung ist es, durch ein Fortführen des Krieges Zeit zu gewinnen, den europäischen Kapitalismus und seine Wehrfähigkeit und politische Handlungsfähigkeit wieder in Gang zu kriegen.
Diese Perspektive ist völlig reaktionär. Bluten müssen dafür die Arbeiter, allen voran die in der Ukraine. Für einen echten Frieden müssen zuallererst die Ausbeuter gestürzt werden, um deren Interessen der Krieg überhaupt geführt wird.
(Funke Nr. 236/28.08.2025)