Viele Jugendliche und Arbeiter verfolgen die rechten Wahlerfolge in jüngster Zeit mit Sorge und Zorn und einige fürchten, dass wir womöglich auf dem Weg Richtung Faschismus sein könnten. Als Marxisten stehen wir klar gegen diese reaktionären, bürgerlichen Politiker und Parteien und wollen sie besiegen. Dafür müssen wir zuerst die Ursache ihres Erfolges verstehen. Wir brauchen eine Klassenanalyse, um eine kommunistische Antwort auf die Rechten zu geben. Von Yola Kipcak.
Die FPÖ führt alle Wahlumfragen unumstritten an. Erst 2019 waren sie in der schwarz-blauen Regierung mit der ÖVP gescheitert und ihre Unterstützung in den Keller gerasselt; nun stehen sie wieder ganz an der Spitze. Dies ist ein internationaler Trend: Donald Trump hat gute Chancen auf seine zweite Amtsperiode als US-Präsident, der „Anarchokapitalist“ Javier Milei regiert seit 2023 Argentinien. In der EU verzeichnen rechte Parteien Zugewinne (AfD – Deutschland, Marine Le Pens ‚Ressamblement National‘ – Frankreich, Chega – Portugal, Vlaams Belang – Belgien, u.a.), in einigen Ländern stellen sie bereits die Regierung (Meloni und die „Brüder Italiens“, Viktor Orban – Ungarn, Geert Wilders – Niederlande).
Krise des Kapitalismus
Der Startpunkt ist, zu verstehen, an welchem Punkt im Gesamtprozess wir uns befinden. Der Kapitalismus steckt in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Der Aufstieg von Rechten ist nur ein Ausdruck dieses Prozesses.
In letzter Instanz braucht jedes System materielle, also wirtschaftliche Stabilität, um zu funktionieren. Die Massen müssen spüren, dass das Leben bewältigbar ist, dass es vielleicht gar Verbesserungen und Zukunftschancen gibt. Jahrzehntelang war dies der Fall. Es gab Stabilität, Wirtschaftswachstum und Zugeständnisse an die Arbeiterklasse, wie Zugang zu Bildung und ein funktionierendes öffentliches Gesundheitssystem.
Alle diese Errungenschaften stehen aber unter Druck: Ungleichheit nimmt zu, Reallöhne sinken und öffentliche Leistungen werden schlechter. „[F]ast nichts untergräbt das Vertrauen in den Kapitalismus und befeuert den (rechten wie linken) Anti-Eliten-Populismus so sehr, wie eine Wohnungskrise“, schreibt unlängst die Financial Times besorgt. Die Welt versinkt im Chaos, von der Klimakatastrophe über die Covid-Pandemie bis hin zu blutigen Kriegen in der Ukraine und in Palästina.
Die Arbeiterklasse, insbesondere die Jugend, sieht keine Verbesserung in ihrem Leben, sondern im Gegenteil ständige Verschlechterungen, Einsparungen und Kürzungen. In den Herzen von Millionen Menschen wachsen Wut und Verzweiflung.
Die nackte Wahrheit des Kapitalismus entblößt sich immer weiter: Dass dieses System einer winzigen Minderheit von Profiteuren dient, welche die Mehrheit ausbeutet und unterdrückt.
Krise der Demokratie
Die Verteidiger des Status quo, die traditionellen Parteien der alten Periode, verlieren durch die Bank an Unterstützung. Die Bürgerlichen sind besorgt. „Die Mitte kann sich nicht halten“, titelt das Finanzmagazin „Economist“ im Juni. Die „Krise der Demokratie“ ist in aller Munde.
Die Krise der Demokratie ist der Prozess, in dem die unterdrückte Klasse beginnt, den Status quo zu hinterfragen. Das Vertrauen in die bürgerlichen Institutionen sinkt überall. Nur 16% der unteren Einkommensschicht sehen sich in Österreich noch im Parlament vertreten.
In einer verzerrten Weise sind die Unterstützung für Trump, Le Pen und die FPÖ ein Ausdruck des Unmuts in allen Klassen und Schichten der Gesellschaft, auch der Arbeiterklasse.
Derselbe Prozess wird zukünftig große Schwenks nach links, soziale Explosionen und Klassenkämpfe auf die Tagesordnung setzen. Daher sind Ungeduld, Herablassung oder gar ein Abschreiben der Arbeiterklasse als „rückständig“ schlechte Ratgeber für Revolutionäre. Weder lachen, noch weinen, sondern verstehen, lautet unsere Devise.
Krise des Reformismus
Eine entschlossene Offensive der Arbeiterklasse könnte den wachsenden Unmut schon jetzt kanalisieren und einen Weg nach vorne bieten. Doch die Arbeiterparteien und die Gewerkschaften haben sich vollständig der Rettung des Krisenkapitalismus verschrieben. Sie kapitulierten in jeder Frage vor dem Druck der Bürgerlichen oder schickten sich erst gar nicht an, diese herauszufordern. Auch bei der Migration, die von den Kapitalisten und ihren Medien zur zentralen gesellschaftlichen Bedrohung hochgeschrieben wird, kapitulieren sie scheibchenweise vor den Rechten. Sie liefern damit die Arbeiterklasse den Angriffen der Herrschenden aus, vereinzeln sie – und tragen so die Hauptverantwortung für den Aufstieg rechter Demagogen.
Demagogie
Die Rechten haben im Gegensatz zu den linken Softies keine Skrupel, sich als Außenseiter gegen das Establishment zu präsentieren. Die permanenten Angriffe durch liberale Medien, Staatsapparat und andere Parteien parieren sie gekonnt und gewinnen damit den Respekt ihrer Unterstützer. Herbert Kickls Wahlkampftour trägt den Slogan „Mit euch gegen das System“. Er spricht immer wieder reale Probleme in der Gesellschaft an, über die alle anderen betreten schweigen, etwa den Zusammenhang von Russlandsanktionen, Ukraine-Kriegsunterstützung und den steigenden Energiekosten.
Dies ist reine Demagogie, doch sie erzielen damit Wahlerfolge, die sie dann wieder nützen, um Angriffe auf die Arbeiter durchzusetzen (Pensionsreform 2003, 12-Stunden-Tag 2018).
Sie spalten die Arbeiterklasse durch Rassismus, Homophobie und ihre Sündenbock-Politik gegen Migranten und Flüchtlinge. So wird die Schuld für die sozialen Probleme nicht bei den Kapitalisten, sondern bei den doppelt und dreifach unterdrückten Minderheiten verortet.
Sie lenken von den wahren Ursachen der Probleme ab und sind klar gegen die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiterklasse. Wir entgegnen: Wenn du bessere Lebensbedingungen willst, schmeiß die Kapitalisten raus, nicht die Migranten!
Faschismus?
Die Wahlerfolge der Rechten führen auch bei Arbeitern und Jugendlichen zur Sorge über einen aufsteigenden Faschismus. Der Wesenskern des Faschismus ist aber nicht einfach nur eine graduelle Zunahme von Rassismus und die Verbreitung von Fakenews.
Der Faschismus ist vielmehr eine spezifische Form der kapitalistischen Herrschaft, deren Wesenskern die vollständige Zerschlagung der Arbeiterorganisationen ist. Er ist die letzte, verzweifelte Zuflucht der Kapitalisten, um ihr System vor dem Umsturz durch das Proletariat zu retten.
Dabei stützte sich das Kapital historisch auf eine Massenbewegung, die Großteils aus kleinbürgerlichen und deklassierten Elementen bestand. Diese zerschlägt mit physischer Gewalt jede kollektive Organisierung der Arbeiterklasse: Gewerkschaften, Arbeiterparteien, selbst Arbeitersport- oder Bildungsvereine. Erst auf dieser Basis der Erzwungenen „sozialen Ruhe“ kann sich die faschistische Diktatur erheben.
Der Faschismus kann also nicht durch den reinen Willen eines Politikers, einer Partei – ja, noch nicht einmal der gesamten herrschenden Klasse „eingesetzt“ werden. Die Arbeiterklasse ist eine mächtige Kraft – um sie so gründlich zu besiegen, muss sie bereits demoralisiert und geschlagen sein.
Doch heute ist die Arbeiterklasse in keiner Weise entschieden geschlagen; sie beginnt gerade erst zu kämpfen. Die Herrschenden fürchten soziale Explosionen und anstatt die Arbeiterklasse zu zerschlagen, versuchen sie, sie über die Gewerkschaftsbürokratie und die Führungen der reformistischen Arbeiterparteien zu integrieren.
Wir haben bereits eine Reihe dieser extrem rechten Demagogen in Regierungen erlebt: Bolsonaro in Brasilien, Trump, die „Recht und Gerechtigkeitspartei“ in Polen, die FPÖ in Österreich, Meloni in Italien usw. Kein einziges dieser Länder wurde dadurch faschistisch. Diese rechten Demagogen entpuppen sich an der Macht als reaktionäre, aber letztendlich „normale“ bürgerliche Politiker. Mehrheitlich waren diese Regierungen instabil und schwach – weit entfernt von mächtigen Diktaturen.
Selbst in den 1930er Jahren war die Bourgeoisie äußerst besorgt, ob sie bei dem Versuch, die Arbeiterklasse zu zerschlagen, alles verlieren könnte; dass sie einen Bürgerkrieg hervorrufen würde, über dessen Ausgang sie sich nicht sicher war.
Heute wäre ein solcher Bürgerkrieg ein noch größeres Risiko, denn die Arbeiterklasse ist numerisch so stark und potenziell mächtig wie noch nie. Die US-Black-Lives-Matter-Proteste zeigten das wahre Kräfteverhältnis in der Gesellschaft: Ganz ohne Streiks, nur durch Massenproteste auf der Straße, zwang diese Bewegung 2020 Trump dazu, sich aus Angst im Bunker zu verbarrikadieren!
Wir stehen am Beginn eines revolutionären Prozesses und nicht an seinem Ende, wie dies in den 1930ern nach einer Serie von niedergeschlagenen Revolutionen der Fall war. Die zentrale Aufgabe ist es heute, die besten Arbeiter und Jugendlichen zu organisieren, um sich auf Klassenkämpfe vorzubereiten – nicht auf den Bürgerkrieg gegen den Faschismus.
Heuchelei
In den letzten Monaten prasselte eine Lawine an Artikeln und Meinungsmache seitens Liberaler, Reformisten und selbst Konservativer gegen die rechten Parteien auf die willige Zuhörerschaft nieder. Die Gründe, aus denen Liberale gegen FPÖ, AfD & Co Stimmung machen, sind jedoch denen der Arbeiterklasse und Kommunisten fundamental entgegengesetzt.
Aus Sicht der „Politiker der Mitte“ stellen die rechten Demagogen eine Gefahr für die Stabilität ihres Systems dar. Als politische „Outsider“, die nicht eng mit den traditionellen Netzwerken des Kapitals verknüpft sind, agieren Rechtsparteien oft unberechenbar, gelten als unkontrollierbarer und liebäugeln mit der Polarisierung der Massen, was aus Sicht der Bürgerlichen ein gefährliches Spiel mit dem Feuer ist. Indem sie Konventionen und ungeschriebene Gesetze (Respekt vor den Medien, Gerichten und anderen „heiligen“ Institutionen) brechen, untergraben sie die öffentliche Glaubwürdigkeit derselben. Aus kleinkarierten Eigeninteressen, oder weil sie die Interessen kleinerer Fraktionen innerhalb der Kapitalistenklasse vertreten, steigen sie nicht selten den wichtigen Interessen des Finanzkapitals auf die Zehen.
Letzteres ist gerade in der EU besonders heikel. Die verschiedenen Nationalstaaten sind entlang ihrer jeweiligen Kapitalinteressen völlig gespalten. Nationalistische, rechte Parteien drohen das fragile Gleichgewicht in der EU noch mehr zu untergraben: Das Problem, das bürgerliche Strategen mit AfD, FPÖ und Orban haben, ist deren pro-russische Haltung, nicht etwa deren Homo- und Transphobie.
Um die Rechten zu diskreditieren, missbrauchen die Mainstreamparteien die ehrliche antirassistische Grundhaltung von Millionen Arbeitern und Jugendlichen. Frankreichs verhasster Präsident Macron stilisiert bereits seit sieben Jahren jede Wahl als Entscheidungsschlacht „gegen Rechts“. Auf gleiche Weise versuchen die Demokraten in den USA, Joe Biden als das „kleinere Übel“ schmackhaft zu machen (Dieser Artikel wurde vor dem Rücktritt Joe Bidens geschrieben, Anm.). In den großen Demonstrationen Anfang des Jahres, die in Deutschland und Österreich zur „Rettung der Demokratie“ und gegen die AfD und FPÖ aufriefen, lautete die Message: Wählt uns, die Vernunft der Mitte!
Dieses Spiel ist reinste Heuchelei. Täglich beweisen Grüne, Sozialdemokraten und Liberale, dass sie kein Problem mit dem Rassismus der Rechten, den Kriegen und dem Sozialabbau haben. Während sie Orban, FPÖ und Trump Propaganda und Medienmissbrauch vorwerfen, wurden in der EU selbst Gesetze zur Einschränkung von politischen Inhalten auf Sozialen Medien beschlossen.
Es ist ihre Politik der Angriffe auf die Arbeiterklasse, ihre Verteidigung des sich stets verschlechternden „Status quo“, der erst den Aufstieg der Rechten ermöglicht hat.
Wenig überraschend schlägt diese Kampagne gegen Rechts daher rundum fehl. Der Aufstieg der Rechten ist so nicht zu stoppen.
Jetzt Rechts statt Grün
Das Finanzkapital kann sich die Regierung nicht nach freien Stücken auswählen – es kann nur sein Bestes geben, mit Wahlergebnissen zu arbeiten und Regierungen seinen Bedürfnissen unterzuordnen.
Durch Medien, Staatsapparat, „Expertengutachten“, die Drohung der „Reaktion der Märkte“ hämmert die Bourgeoisie derzeit auf alle Akteure ein, um arbeitsfähige Kompromisse zu finden. Mit dem Aufkommen der Klimabewegung wurden in der letzten Periode die imperialistischen Profitinteressen in den „Green Deal“, „Klimaschutzzölle“ und CO2-Steuern verpackt.
Nun vollzieht sich ein Umschwung; die Rechten werden salonfähig gemacht. Der Green Deal ist begraben, die Verbrennermotoren und Aufrüstung sind en vogue, der Rassismus und harte Migrationspolitik werden allgemein akzeptiert.
In den letzten Wochen wird immer offener über die Einbindung der vormaligen Rechtsaußen-Parias geredet. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen umgarnt die rechte italienische Premierministerin Meloni; sämtliche bürgerliche Zeitungen spekulieren, wie man Le Pen von ihren teuren Wahlversprechen abbringen, ihren Rassismus dafür aber aufgreifen könnte. Ungarns Premier Viktor Orban bereitet den Strippenziehern in der EU mit seinen nationalen Alleingängen nach wie vor Kopfschmerzen (er startete seinen EU-Ratsvorsitz mit einem „bilateralen“ Staatsbesuch nach Russland) – hier setzt man auf Schadensbegrenzung. Allein die AfD, die den eigenen Parteiapparat und die Mitglieder am wenigsten unter Kontrolle hat, ist ihnen derzeit noch zu wild.
Doch die Richtung ist klar: In der nächsten Periode werden für die Verteidigung der Profite, für die Militarisierung der Gesellschaft und die Verteidigung der imperialistischen Interessen der Kapitalisten harte Angriffe auf die Arbeiterklasse nötig. Hierfür braucht es mehrheitsfähige Regierungen – wenn nötig eben auch mit Rechts.
Diese Strategie wird den Bürgerlichen jedoch keine Atempause verschaffen. Die Spaltungen in der EU – und weltweit – haben ihre Wurzeln in der zunehmenden Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten inmitten der Krise. Diese Spaltungen werden sich zukünftig vergrößern, mit oder ohne die rechten Parteien. Die Instabilität wird sich vertiefen, die Politik der rechten Demagogen wird kein einziges Problem der Arbeiterklasse lösen. Die Unzufriedenheit der Massen, die sich derzeit unter der Oberfläche anstaut, wird zunehmen. Dies bereitet eine Explosion des Klassenkampfes in der Zukunft vor.
Klassenkampf gegen Rechts
Die Liberalen sind unfähig, die Rechten zu bekämpfen. Im Gegenteil stärken ihre Methoden, die ständigen Angriffe auf die Arbeiterklasse und die Heuchelei, den Aufstieg der Rechten.
Wir lehnen die reaktionäre Politik der Rechten vollständig ab und machen keinerlei Zugeständnisse an deren Rassismus, Homophobie und all die andere spalterische Ideologie. Wir sind keine Fatalisten und behaupten, dass es ohnehin egal sei, ob rechte Politiker an der Macht sind, oder nicht, denn sie treiben die Angriffe und Spaltung der Arbeiterklasse voran.
Doch wir sind gegen eine Einheit der Arbeiterklasse mit Bürgerlichen, wir haben kein Vertrauen in kapitalistische Politiker, egal welcher Farbe. Wir unterstützen Joe Biden nicht, um Trump zu besiegen. Wir unterstützen die Grünen nicht, um die FPÖ zu besiegen. Wir ziehen einen klaren Trennstrich zwischen den Liberalen und uns. Wenn sie vorgeben, gegen die Rechten zu kämpfen, tun sie das aus gänzlich anderen Gründen, als wir.
Die Liberalen wollen den Kapitalismus retten und wünschen sich die Stabilität der Vergangenheit zurück. Wir erkennen an, dass dies utopisch und eine Illusion ist. Die Taktik des „kleineren Übels“ bereitet nur Niederlagen für die Jugend und die Arbeiterklasse vor.
Der einzige Weg, um die Rechten tatsächlich zu besiegen, ist der Klassenkampf gegen die Kapitalisten.
(Funke Nr. 225/8.07.2024)