Nicht einmal 50 Tage im Amt, löst die Regierung von Javier Milei in Argentinien eine Welle von Protesten und den ersten Generalstreik seit 5 Jahren aus. Valentin Iser berichtet über die politische Entwicklung des Landes.
Bereits 2014 kam eine rechte Regierung unter Mauricio Macri an die Macht und versuchte, massive Angriffe auf Arbeitsrecht und Pensionen durchzusetzen, was jedoch eine Reihe von Generalstreiks provozierte. 2019 wurde Macri an der Wahlurne besiegt und von einer Linksregierung von Alberto Fernández und Christina Fernández de Kirchner abgelöst. Diese Linksregierung der Halbheiten löste keine der grundlegenden Probleme. Sie verwaltete lediglich die kapitalistische Krise. Der Lebensstandard in Argentinien verschlechterte sich zunehmend und die Inflation stieg weiter drastisch an, der Anteil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze verdoppelte sich auf 40%.
Wie wurde Milei Präsident?
Vor diesem Hintergrund müssen wir den Sieg des Rechten Javier Milei bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen im Oktober 2023 betrachten. Er nutzte demagogisch die Frustration der argentinischen Bevölkerung gegen die Reichen und Mächtigen aus: die meisten Menschen wollten nach Jahren der Enttäuschungen und des Verrats der etablierten Parteien (sowohl der traditionellen Rechten wie der Linken) einfach nur eine radikale Veränderung. Genau dies versprach und vor allem verkörperte Milei in seiner aggressiv-clownhaften Selbstdarstellung.
Der Gegenkandidat von Milei, Sergio Massa, war Finanzminister der Vorgängerregierung. Er hatte bereits Einsparungen zugunsten des IWF angekündigt und stellte damit offensichtlich keine Alternative zum „Outsider“ Milei dar. Wieder einmal zeigt sich, dass man einen rechten Anti-Establishment-Kandidaten (Trump, Bolsonaro, etc.) nicht mit einem „Kandidaten der Mitte“ besiegen kann.
Doch so sehr sich Milei auch als Anti-Establishment-Kandidat in Szene setzte, konnte er den zweiten Wahlrundgang letztendlich nur durch die Unterstützung der bürgerlich-rechten Parteien gewinnen. Denn auch etwa der ehemalige Präsident Macri setzte in der Hoffnung, einen Platz in seiner Regierung ergattern zu können, auf Milei.
Die weitsichtigeren Kapitalisten in Argentinien stellten sich natürlich hinter Massa, da er ihnen zuverlässiger erschien, die für die herrschende Klasse notwendigen Sparmaßnahmen und Deregulierungen durchzusetzen. Sie schlossen wohl, dass er durch seine Verbindungen zur Gewerkschaftsspitze eher die Massen unter Kontrolle behalten könnte, wenn er den notwendigen Sparkurs einschlägt. Sie fürchteten, dass Mileis offenerer und harscherer Angriff hingegen eine soziale Explosion provozieren könnte. Damit hatten sie nicht Unrecht.
Die Kettensäge im Amt
Milei wurde dafür bekannt, in seinem Wahlkampf mit einer Kettensäge in der Hand aufzutreten und seine Politik kommt tatsächlich einem sozialen Kettensägen-Massaker gleich. Er kündigte Massenentlassungen im öffentlichen Sektor sowie die Privatisierung der wichtigsten Staatsunternehmen an. Der Peso wurde abgewertet und staatliche Subventionen für Treibstoff, Lebensmittel, Wasser und Strom gestrichen, die Preise insbesondere von Lebensmitteln und Benzin stiegen auf das Doppelte.
Gepaart wurde dies mit einer enormen Einschränkung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie Angriffen auf das Streikrecht. Strafen auf Unternehmen, die gegen das Arbeitsrecht verstoßen, wurden aufgehoben.
Generalstreikbewegung
Quasi über Nacht wurde die gesamte Last der Krise auf die Schultern der Arbeiterklasse abgeladen. Genauso schnell pulverisierte Milei seine breite politische Unterstützung und löste eine Massenbewegung aus, an der sich über 1,5 Millionen Menschen in allen großen Städten Argentiniens beteiligten. Argentiniens traditionell stabilitätsorientierte Gewerkschaftsbürokratie sah sich angesichts des enormen Drucks der Arbeiterklasse gezwungen, einen Generalstreik auszurufen.
Javier Milei ist ein erzreaktionärer Politiker, der massive Angriffe auf die Arbeiterklasse durchführen möchte. Doch von der Gefahr des Faschismus in Argentinien, von der nun einige Linke warnen, also einer völligen Zerschlagung der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen, kann keine Rede sein. Milei ist dafür nicht stark genug und er musste jetzt schon erste Zugeständnisse machen. Die repressive Einschränkung des Versammlungsrechts erwies sich in letzter Instanz auch nur als ein leeres Blatt Papier und die Behörden waren angesichts der schieren Größe der Proteste nicht fähig, diese ernsthaft anzugreifen oder zu verhindern. Die argentinische Arbeiterklasse ist trotz der Wirtschaftskrise und Hyperinflation kampfbereit und hat in den letzten 25 Jahren keine ernsthafte Niederlage erlebt. Sie ist keineswegs besiegt, sondern tritt gerade erst in Aktion. Die Zeichen stehen nicht auf die Etablierung eines autoritären Regimes, sondern auf Schwächung des Staatsapparates.
Aber es reicht nicht, einfach nur die Regierung von Milei zu besiegen. Die wirtschaftliche Lage wird sich nicht grundlegend verbessern, wenn die Eigentumsverhältnisse der Konzerne und Banken so bleiben wie sie sind. Die Arbeiterklasse Argentiniens muss sich an die Aufstandsbewegung der 2000er-Krise erinnern: Aktionskomitees der Stadtviertel, Streikkomitees aller Repräsentanten aus den Fabriken. Einen koordinierten Aktionsplan aller Akteure aufstellen, um die Regierung zu stürzen und daraufhin die Machtfrage stellen: Denn nur wenn die argentinische Wirtschaft unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiterklasse steht, kann die Krise gelöst werden. Dafür kämpfen unsere Genossen in Argentinien!
(Funke Nr. 221/27.02.2024)