Bei den Parlamentswahlen am 7. Juli wurde der zuvor prognostizierte Erdrutschsieg der extremen Rechten von Marine Le Pen abgewendet. Hunderttausende waren gegen ihre Partei auf der Straße. Doch um die Rechten wirklich besiegen zu können, braucht die Bewegung eine Partei, die den Klassenkampf gegen die Bürgerlichen führt, statt sich ihnen unterzuordnen. Von Martin Halder.
Nach dem Wahlsieg bei den EU-Wahlen (9. Juni) und dem ersten Durchgang zu den Parlamentswahlen (30. Juni) fühlte sich Le Pens Partei Rassemblement National (RN) so siegessicher, dass sie bereits Pläne machte, welche Minister in ihrer zukünftigen Regierung sitzen sollten. Doch dieser Traum platzte im entscheidenden zweiten Wahldurchgang wie eine Seifenblase.
Sieger wurde das linke Wahlbündnis der Neuen Volksfront (NFP) mit 184 Sitzen. Den zweiten Platz erreichte das Bündnis von Präsident Macron (166 Sitze), der für seine verhasste Sparpolitik (Erhöhung des Pensionsantrittsalters) 86 Sitze und damit seine relative Mehrheit verlor. Le Pens Partei erreichte mit 143 Sitzen lediglich den dritten Platz. Es wäre jedoch völlig falsch, daraus zu schließen, dass die RN politisch besiegt wäre, im Gegenteil. Le Pens Partei erreichte zwar relativ gesehen weniger Sitze (aufgrund des franz. Wahlsystems) doch mit über 10 Millionen Stimmen (37%) sogar mit großem Abstand absolut mehr Stimmen als alle anderen Parteien.
Ihr Anti-Establishment-Image konnte sie weiter stärken, während die Volksfront ihr Programm und ihre Politik zugunsten Macrons weiter abschwächte.
Sackgasse Volksfront
Die NFP gründete sich nach der Ausrufung von Neuwahlen, um dem Aufstieg der extremen Rechten an die Macht entgegen zu treten. Ihr gehören die Kommunistische Partei (PCF), die Sozialistische Partei (PS), die Grünen und die linkssozialistische LFI von Jean-Luc Mélenchon an.
Sowohl das Programm als auch die Parteienkonstellation der NFP ist eine Wiederauflage des NUPES-Bündnisses, das für die Wahlen 2022 ins Leben gerufen wurde und sich dann anhand der Palästina-Frage gespalten hatte. PCF, PS und die Grünen stimmen regelmäßig in die Hetze Macrons gegen Mélenchon ein, dass seine Unterstützung für Palästina „antisemitisch“ sei.
Im Vergleich zum Vorgängerbündnis NUPES wurden die inhaltlichen Forderungen der NFP nochmals abgeschwächt: Gar keine Verstaatlichung mehr, aber Beibehaltung der Waffenlieferungen an die Ukraine.
Weiters hat die Neue Volksfront eine Übereinkunft mit dem Macron-Lager für den zweiten Wahlgang geschlossen, wobei sich der jeweils schwächere Kandidat in einem Wahlkreis zurückziehen soll, um eine höhere Chance gegen die Rechten zu haben. Mélenchon hat diesem Deal zugestimmt. Macrons Lager war gleichzeitig nicht so gütig und hat in einer Reihe von Wahlbezirken ihre Kandidaten gegen die LFI aufrechterhalten.
So konnte Macron, einer der verhasstesten Präsidenten der Geschichte, mit Hilfe der Linken seine krachende Wahlniederlage sogar noch abmildern. Die RN wurde politisch gestärkt, indem sich die Neue Volksfront der Politik von Macron anbiedert und Le Pen sich so glaubwürdig als einzige „Systemalternative“ darstellen kann: Die Strategie des „kleineren Übels“ bereitet stets das größere Übel vor.
Wie weiter?
Auf Frankreich kommt eine Phase der massiven Instabilität und Krise zu. Keine der drei politischen Lager hat eine parlamentarische Mehrheit.
Egal wie die kommende Regierungskonstellation aussehen wird, der Druck der Bürgerlichen, den „verantwortungsvollen“ Sparkurs von Macron fortzuführen, wird enorm sein. Die Unterordnung der Volksfront unter die Bürgerlichen spielt auch hier eine desaströse Rolle. Die Sozialisten und Grünen haben sich schon bereit gezeigt, mit Macron eine Übereinkunft zu finden und auf die verbleibenden sozialen Forderungen des Volksfront-Programms, wie ein Mindestlohn von 1.600 Euro und die Rücknahme der Pensionsreform, zu verzichten.
Mélenchon hingegen erklärt, das gesamte Programm umsetzen zu wollen. Doch die Mehrheit dafür gibt es nur auf der Straße, nicht im Parlament. Am 15. Juni (nach den EU-Wahlen) gingen über 600.000 Menschen im gesamten Land auf die Straße, um gegen die Rechten zu demonstrieren.
Statt Kapitulation vor den Bürgerlichen braucht es eine Massenbewegung, die sowohl gegen Le Pen als auch Macron den Kampf aufnimmt. Diese Einstellung wird von den fortgeschrittensten Teilen der Jugend bereits artikuliert. Nach der ersten Wahlrunde am 30. Juni gingen in Paris über 8.000 gegen Rechts auf die Straße – doch dass die Jugendlichen ihren „Führern“ weit voraus sind, zeigte sich daran, dass sie Mélenchon vor Ort mit Zwischenrufen unterbrachen und ihn dafür kritisierten, seine Kandidaten zurückgezogen zu haben.
Auf dieser Stimmung gilt es aufzubauen. Bricht Mélenchon nicht mit Macrons prokapitalistischer Politik, wird er gemeinsam mit ihr untergehen.
(Funke Nr. 225/8.07.2024)