Nach 16 Monaten unablässiger Bombardierung schweigen in Gaza vorerst die Waffen.
Das Ausmaß der Zerstörung ist katastrophal. Die offizielle Zahl der Todesopfer liegt bei über 46.000, darunter 13.000 Kinder. Eine Studie im Lancet (eine angesehene medizinische Fachzeitschrift) schätzt, dass die Zahl noch viel höher liegt – bis Oktober 2024 wohl über 70.000 und dass es plausibel ist, von über 186.000 auszugehen.
Über 90% der Bevölkerung, 1,9 Millionen Menschen, wurden aus ihren Häusern vertrieben. Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitsbereichs wurden wiederholt angegriffen – über 650 Angriffe sind dokumentiert worden, die mehr als 1.000 Beschäftigten im Gesundheitsbereich das Leben kosteten. Das Bildungssystem liegt in Trümmern: 95% aller Schulen und alle Universitäten wurden beschädigt oder zerstört, wodurch 660.000 Kinder keinen Unterricht mehr erhalten.
Die Gesamtwirkung des Krieges geht aber über materielle Zerstörung weit hinaus. Allseitige Unterernährung, der Zusammenbruch der Sanitärversorgung und das psychologische Trauma, das der Bevölkerung zugefügt wurde, werden über Generationen hinweg anhalten. Laut UN erhielten im Jänner 96% der Kinder unter zwei Jahren keine ausreichenden Nahrungsmittel. 345.000 Menschen in Gaza droht der Hungertod und 876.000 befanden sich in einem Ernährungsnotstand.
Das tatsächliche Abkommen ist dabei nichts neues. Allen wesentlichen Punkten des Abkommens hatte die Hamas bereits im Mai 2024 (!) zugestimmt. Obwohl Israel die Sache verschleppte, kam es im letzten Sommer zu einer Einigung. Diese wurde von Netanjahu torpediert. So kommen die zynischen Berechnungen des israelischen Premierministers ans Licht: Er hat sich rücksichtslos vom Motiv seines persönlichen und politischen Überlebens leiten lassen. Das ist auch den Familien der israelischen Geiseln nicht entgangen.
Wir halten fest: Israel, mit seinen Kampfflugzeugen, Bomben, Raketen, Panzern, Drohnen und der Unterstützung des US-Militärs und anderer westlicher Streitkräfte hat sein zentrales Kriegsziel nicht erreicht: die Zerstörung der Hamas und die Rückführung der Geiseln. Im Gegenteil: Der Krieg hat die palästinensische Jugend massiv radikalisiert – und so füllen sich die Reihen der Hamas, die im Gegensatz zur ex-stalinistischen Fatah nicht kapituliert hat, neu. „In dieser Situation erholt sich die Hamas schneller, als die IDF sie vernichten kann“, erklärte Amir Avivi, ein pensionierter israelischer Brigadegeneral, dem Wall Street Journal.
Während sie von Frieden sprachen, rüsteten die USA Israel gleichzeitig bis an die Zähne auf und gewährten Netanjahu jede erbetene Unterstützung. Insgesamt gab die US-Regierung zwischen Oktober 2023 und Oktober 2024 17,9 Milliarden Dollar für Militärhilfe an Israel aus. Die amerikanischen und britischen Streitkräfte unterstützten Israel zudem mit Geheimdienstarbeit und Zielerfassung.
Die westlichen Regierungen bilden außerdem eine feste Front zur Verteidigung von Israels völkermörderischer Politik. Der neue US-Präsident Donald Trump übte jetzt starken Druck auf Netanjahu aus, dem Deal zuzustimmen. Gleichzeitig hob er die Sanktionen gegen rechtsradikale jüdische Siedler auf, die im Westjordanland auch nach dem Waffenstillstand weiter gegen die Palästinenser vorgehen.
Insbesondere auch die österreichische Regierung, die als eine der wenigen gegen mehrere Waffenstillstandsresolutionen der UN stimmte, hat gezeigt, was die angebliche „Neutralität“ Österreichs wert ist: Während das Morden im Gazastreifen anhielt, wurden hierzulande Demos verboten, Aktivisten angeklagt und auch sonst alles getan, um ein Auftreten gegen den Völkermord als „Antisemitismus“ zu diffamieren.
Die westlichen Regierungen, insbesondere die Liberalen, haben sich immer als Verteidiger der Demokratie, der Menschenrechte und des Völkerrechts inszeniert. Unter diesem Deckmantel haben sie immer die reaktionärste Politik versteckt: Sie kürzen im Gesundheitswesen und anderen Sozialausgaben, während sie Milliarden für Kriege in der Ukraine und Gaza und für Aufrüstung ausgeben.
Aber der steigende Unmut über diese Politik bietet auch eine Perspektive für die Befreiung Palästinas. Das Schicksal der Palästinenser ist heute enger denn je mit dem der internationalen Arbeiterklasse verknüpft. Die Krise des Weltkapitalismus befeuert den Klassenkampf überall. Wenn sie sich vereint, kann sie nichts aufhalten. Die Unterdrückung und Ausbeutung kann nur eine sozialistische Revolution beenden. Der Kampf für die Befreiung der Palästinenser beginnt daher mit dem Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus im eigenen Land!
(Funke Nr. 230/22.01.2025)