Am 19. Jänner 2012 fand vor dem Landesgericht Leoben die Strafverhandlung gegen Genossen Sebastian S. statt. Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Maria Sackl, sah in einem Hip-Hop-Reim ein abstraktes Gefährdungsdelikt der öffentlichen Sicherheit gegeben und erhob gegen alle juristischen Einschätzungen und Prognosen Anklage. Ein Bericht aus dem Gerichtssaal von Emanuel Tomaselli.
Die Verhandlung wurde vom Richter Peter Wilhelm geleitet. Im Beweisverfahren kamen neben der Staatsanwältin, der Verteidigerin auch der Angeklagte und der Zeuge Michael P. zu Wort. Der politische Charakter der Verhandlung war von Beginn an Thema. Sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge wurden mehrmals in ihrer ehemaligen Funktionärstätigkeit der Sozialistischen Jugend genannt. Auch die Nutzung von Facebook (FB) für die politische Tätigkeit (Einladungen zu SJ-Veranstaltungen) war Thema, und sollte für die Staatsanwältin sowohl den vorsätzlichen Charakter als auch den Tatbestand der qualifizierten Öffentlichkeit für eben diesen beweisen.
Demgegenüber betonte der Angeklagte, dass dieser Reim keinen Aufrufcharakter habe, sondern in einer Zweierdiskussion auf der FB-Seite von Michael P. geschrieben worden sei. Viele Fragen des Richters und der Staatsanwaltschaft bezogen sich dann auf Sicherheitseinstellungen und Wissen über FB. Die Öffentlichkeit des Textes habe man erst bemerkt, als man einen Artikel in der „Kleinen Zeitung“ gelesen habe, so Zeuge und Angeklagter unisono. Was die Staatsanwältin dann wieder zum Anlass nahm den Öffentlichkeitscharakter der Debatte unter zwei Freunden darzustellen. Der subjektive Wille, für die Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung zu sorgen, war damit jedoch nicht bewiesen, und daher bohrten Richter und Staatsanwältin permanent nach um den Angeklagten und den Zeugen in Widerspruch zu bringen und zu brauchbaren Antworten zu bewegen.
Die notwendige Zweifelsfreiheit für eine Verurteilung konnte hier jedoch nicht erzielt werden, dies betonte der Richter in seiner Urteilsverkündung, die von einer scharfen Belehrung über die potentielle Gefährlichkeit von Worten für die öffentliche Ordnung begleitet war: „Solche Dinge sind gefährlich, wie sonst entsteht so was wie in Großbritannien (gemeint waren die Unruhen im vergangenen Sommer, Anm.)?“ Durch verallgemeinerte Perspektiv- und Arbeitslosigkeit, und provoziert durch die Tötung eines Jugendlichen durch die Polizei, hätte man etwa antworten können. Ich erinnerte mich an die satanischen Verse, durch rückwärts abgespielte Schallplatten, die meine Jugend in den späten 1980ern „bedrohten“. Es scheint eine Regel zu sein, dass jede Generation von Jugendlichen mit einer ebensolchen Generation von bornierten Erwachsenen konfrontiert ist. Positiv ist, dass der „Satan“ heute Fleisch und Blut hat, und die morsche Welt in Form einer weltweiten Protest- und Aufstandsbewegung erschüttert.
Die Verhandlungsführung folgte weitgehend entlang dem Regieplan der Staatsanwaltschaft. Überraschend war, dass die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks nicht gewürdigt wurde. Der Richter gab an, Hip-Hop-Texte recherchiert zu haben, wobei er keine gleichlautenden Texte gefunden habe, sehr wohl aber andere „Schweinereien“. Es gebe zwar explizite Texte, die seien jedoch beschreibend und nicht aufrufend. Die Verwendung von „Wir“ im Reim wurde als Appell interpretiert. Diese Aussage verwunderte, da Sebastian ja nie bestritten hat, dass er die Zeilen selbst gedichtet hat. Weder würde man einem Maler vorwerfen den Pinsel nicht identisch zu führen, noch einem Journalisten seine Fähigkeit absprechen, weil er denselben Sachverhalt nicht mit denselben Worten beschreibt wie seine Kollegin vom Konkurrenzblatt. Staatsanwältin Sackl fühlte sich verpflichtet überhaupt zu verneinen, dass es sich um Hip-Hop handle. So stellte sie die Frage, ob Sebastian denn „a Liadl“ zu dem Text habe. Zur Erklärung: Sie meinte damit eine Melodie. In Widerspruch zum Richter geriet sie dann mit der Feststellung, dass der Text sich ja nicht mal reime. Als sie ihn dann laut aufsagte und ihr dann doch ein Reim über die Lippen kam, fiel Sackl kurz aus der Rolle der eisernen Beschützerin der öffentlichen Ruhe und Ordnung und musste lächeln – aus Verlegenheit. Der Richter überbrückte ihre offensichtliche Bildungslücke und nannte ihr die Reimpaare.
Der politische Charakter war auch hier wichtig, so wollte man etwa von Angeklagtem und Zeugen wissen, ob sie sich zu dieser Zeit auch über „Vermögenssteuern und Reichtumsverteilung“ unterhalten habe. Richter und Staatsanwältin wollten zudem wissen, ob der Angeklagte von den am 6. August in London ausgebrochenen Unruhen gewusst hätte. Sie wollten das Aufbrechen der gesellschaftlichen Unruhe mit der sozialistischen Überzeugung des Angeklagten verquicken und zum Gegenstand des subjektiven Tatmotivs konstruieren.
Nach dem Schlussplädoyer in dem Sackl festhielt, dass aus ihrer Sicht „präventive Maßnahmen absolut notwendig seien“, wundert es nicht, dass sie sich den juristischen Zweifeln des Richters nicht anschließen wollte und in Berufung geht. Der Freispruch ist damit noch nicht rechtskräftig, sondern wird am Oberlandesgericht Graz weiterverhandelt.
Wenn man die heutige Posse erlebt hat, kann man sich nicht vorstellen, dass das Ergebnis am Oberlandesgericht anders lauten kann.
Dennoch sollten wir diesen Prozess als eine Warnung verstehen. Es ist offensichtlich, dass es in Österreich sowohl in der Gesetzgebung (Stichwort: Vorratsdatenspeicherung, Sicherheitspolizeigesetz) als auch in der Justiz Kräfte gibt, die gesetzliche Grundlagen für eine Handhabe gegen „Unruhestifter“ schaffen wollen. Damit meinen sie nicht individuelle Straftäter sondern politische AktivistInnen.
Bleiben noch die subjektiven Elemente des Prozesses. Trotz Freispruch trägt Sebastian S. für die Anwaltskosten Verantwortung. Dazu kam die Angst um den Arbeitsplatz. Seine Firma wurde vom Prozess vorab durch die Staatsanwaltschaft informiert. Sebastian ist aber ein hervorragender Arbeiter und ihm wurde kurz vor dem Prozess versichert, dass ihm sein Posten sicher ist. Er kandidiert wieder als Jugendvertrauensrat und ist auch als gewerkschaftlicher Vertrauensmann in seiner Halle vorgesehen. In diesen Tagen werden in seinem Betrieb wie in Dutzenden anderen Unterschriften gegen eine drohende neue Pensionsreform gesammelt. Und nach dem Metallerstreik kam es im Werk zu einer bedeutenden Erneuerung im Betriebsrat. Ein neuer engagierter Betriebsratsvorsitzender hat den alten ersetzt, der im vergangenen Streik zu sehr die Interessen der Geschäftsleitung berücksichtigt hat. Sebastian wird Teil dieser jungen Garde des obersteirischen Proletariats sein, und er hat in den letzen Monaten viel gelernt, was er in seiner politischen Arbeit für die österreichische Arbeiterbewegung noch brauchen wird können.
Bleibt nun auch zu sehen, ob der ehemalige Vorsitzende der SJ Bruck/Mur nun in der Sozialistischen Jugend rehabilitiert wird. Und ob der ehemalige Vorsitzende der Bezirksorganisation Michael P. wieder rehabilitiert wird. Der Bezirkssekretär der SPÖ Kapfenberg hat sich heute auf die Seite der Genossen gestellt und war beim Prozess anwesend. Der Richter der Republik Österreich kann kein Verbrechen erkennen. Die SJ schon? Wäre es nicht angebracht, dass Max Lercher, der heute (aus Termingründen) nicht zu Gericht erscheinen konnte, sich förmlich für das Funktionsverbot und die Inszenierung der Landesvorstandssitzung, in denen Michael und Sebastian „abgeschossen wurden“, zu entschuldigen? Hätte die SJ nicht als Gesamtorganisation eindeutig und öffentlich Stellung für Sebastian S. beziehen müssen? Wie lange darf Laura Rudas, die mehrfach den Ausschluss dieser beiden Genossen aus der SPÖ gefordert hat, noch in der Löwelstraße werken? Wie lange haben wir noch eine Führung, die sich nicht vor eine jede Genossin und einen jeden Genossen stellt, wenn diese es am dringendsten brauchen? Nur solange es die Arbeiterbewegung und die Mitglieder der Jugendorganisation erlauben und keinen Tag länger.
19.1.2012
Außerdem haben wir ein Interview mit Sebastian und Michael veröffentlicht, das kurz nach der Urteilsverkündung mit ihnen geführt wurde.
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