Die Kapitulation der Gewerkschaften
Der jüngsten Abschlüsse im Öffentlichen Dienst und bei den Metallern deutlich unter der Inflation stellen eine weitreichende Kursänderung der Gewerkschaftsspitzen dar. Nach dem Versuch der letzten Jahre die Kaufkraft zu erhalten, wurden Reallohnverluste als neues Paradigma akzeptiert und durchgesetzt. Aber die Geduld der Arbeiterklasse hat ein Ablaufdatum. Wir müssen uns auf ein Wiedererwachen des Klassenkampfes vorbereiten. Von Laura Höllhumer
Die Metaller legen in Österreich traditionell die Latte für alle anderen Abschlüsse. Das Ergebnis mit 2% und ein Vertag auf zwei Jahre mit weiteren jährlichen Reallohnverlusten hallte daher wie ein Paukenschlag durch alle Branchen. Es war aber nicht nur das unterirdische Ergebnis, sondern die Art, wie der Abschluss zustandekam: Die Verhandler der ProGe hatten nicht mal eine Forderung ausgegeben und sofort, ohne Verhandlungen abgeschlossen. Kurz darauf akzeptierte die Gewerkschaft öffentlicher Dienst für Lehrer, Beschäftigte in Gesundheit und Verwaltung und Polizisten einen Dreijahres-Abschluss mit durchschnittlich 1,5% Lohnerhöhung pro Jahr.
Die Sozialpartnerschaft ist ein abgekartetes Spiel gegen die Interessen der Beschäftigten. „Verantwortung, Fairness, Wettbewerbsfähigkeit“: In den Statements konnte man die Aussagen der Gewerkschaftler nicht von jenen der Metallerbosse unterscheiden, was dem ProGe Chef im Nachhinein sichtlich peinlich ist.
Diese Lohnabschlüsse sind die Konsequenz aus der Orientierung der Gewerkschaftsführungen auf die Regierung. Anstatt gegenüber den Kapitalisten hohe Löhne zu erkämpfen, sehen sie die Erlösung darin, in einer Regierung mit SPÖ-Beteiligung über staatliche Maßnahmen die soziale Situation zu stabilisieren. Mit Korinna Schumann sitzt eine Gewerkschaftsvertreterin im Sozialministerium.
Aber diese Strategie geht nicht auf. In der Krise gibt es nichts zu verteilen, sondern nur Angriffe mitzutragen. Im Gegenteil läuft die aktuelle Politik der Gewerkschaftsspitzen auf eine komplette Entwaffnung der Arbeiterbewegung hinaus. Dieser Regierung der sozialen Angriffe, der Aufrüstung und des Rassismus wird durch die Beteiligung einer Vertreterin der Gewerkschaften auch noch ein linkes Cover gegeben.
Wenn dann nach Abschlüssen mit den höchsten Lohnverlusten seit Jahrzehnten die alte Leier von der Vermögenssteuer aufgelegt wird (ÖGB Katzian) oder Illusionen in das Gesetz gegen Shrinkflation geschürt werden (ProGe Binder) ist das nichts als ein Versuch einen Ausverkauf zu vertuschen.
Durch Lohnverluste hofft man, die Kapitalisten dazu zu bewegen, Standorte und Arbeitsplätze im Land zu behalten. Doch diese Strategie geht nicht auf. Jede Woche gibt es neue Massenentlassungen. Zuletzt wurden bei Lenzing in Oberösterreich 600 Stellen gestrichen, nur um einen Gutteil der Verwaltungsposten nach Indien und Tschechien zu verlagern. Die tägliche Erfahrung zeigt: den Profitinteressen der Kapitalisten entgegen zu kommen bedeutet ständige Arbeitsverdichtung, bringt Lohnverluste und schützt keine Arbeitsplätze. Die aktuelle Gewerkschaftspolitik ist eine offene Einladung für eine Gewaltspirale gegen die Beschäftigten.
Die Gewerkschaftsführungen beschönigen diese Realität indem sie ihre Mitglieder direkt belügen. Auf der Website von ÖGB und GÖD liest man zur Neuverhandlung: „Höhe des Abschlusses für 2026 unverändert bei 3,3 %. Nulllohnrunden 2027 und 2028 verhindert. Sicherung der Kaufkraft niedriger Gehälter auch 2027 und 2028 trotz der budgetären sehr schwierigen Situation.“
Tatsächlich beträgt die Lohnerhöhung kommendes Jahr 3,3% – aber erst ab Juni! Im Jahresdurchschnitt sind das dann nur 1,65%. Für die Jahre 2027 und 2028 wurden bereits eine Lohnanpassung von 1 % vereinbart – halb so hoch wie die optimistischen politischen Erwartungen bezüglich der Teuerung. Die politisch angestrebten Nulllohnrunden für 2026 und 2027 – wurden also gar nicht verhindert, sie wurden nur kaschiert. In den kommenden drei Jahren berechnen Wirtschaftsforscher eine kumulierte Inflation von 8,1%. Im selben Zeitraum steigen die Gehälter allerdings nur um 5,4 %. Das ist keine Kaufkraftsicherung, sondern Reallohnverlust. Damit ist die dritte Lüge auch klar benannt: es gibt keine Kaufkraftsicherung der Löhne.
Die Gewerkschaft hat eine Betonmauer gegen die Beschäftigten errichtet, und alle Parteien blasen Nebelwände auf. Die KPÖ-Graz etwa bezeichnet den Neuabschluss als „fair“ und als „respektvolle Sozialpartnerschaft“ , die man auch im eigenen Verantwortungsbereich leben möchte.
Die Unzufriedenheit mit den Bedingungen in der Arbeit (Arbeitsverdichtung, Einsparungen, Kündigungsdruck, … ) und den Abschlüssen ist aber groß. Aber mehrheitlich bleib der Unmut bisher vereinzelt und passiv, und äußert sich in einer Welle von Gewerkschaftsaustritten. Wir wiederholen hier: Aus der Gewerkschaft auszutreten ist ein Fehler, aber Mitglieder sollen ihren Personalvertretungen und Gewerkschaftsführungen jedes Vertrauen entziehen – als ersten Schritt um Platz für neues zu machen. Im Bildungssektor fand die Opposition zur Gewerkschaftsführung mit „Schule brennt“ bereits einen organisierten Ausdruck, das sind nur frühe Anzeichen. Die Geduld der Arbeiterklasse hat ein Ablaufdatum.
Differenzierungsprozesse in den Gewerkschaften sind angelegt. Betriebsräte in einigen Sektoren, die von der Gewerkschaft vida organisiert werden, versucht schon länger neue Organisationsformen für diese neue und härtere Phase des Klassenkampfes zu entwickeln.
Anfang Dezember beginnen die KV-Verhandlungen der Ordensspitäler Linz und bereits jetzt ist eine Organising-Kampagne im Laufen. Zentrale Forderung ist eine Arbeitszeitverkürzung auf 35h/Woche. Dazu wird ein Netzwerk aus Teamdelegierten aufgebaut, die ihre Kollegen organisieren, informieren und einbinden. Das Verhandlungsteam ist ihnen nach jeder Verhandlungsrunde berichtspflichtig, und die Teamdelegierten entscheiden nach jeder Verhandlungsrunde über Fortführung des Arbeitskampfes oder einen Abschluss. Das ist das Einmal eins von erfolgreicher Gewerkschaftspraxis.
Politisch bleibt auch die Gewerkschaft vida der Vorstellung eines sozialpartnerschaftlichen Interessensausgleichs verpflichtet. Die Vorstellung, dass man die Lage der Beschäftigten nur stabil halten kann, wenn es den Betrieben und „öffentlichen Finanzen“ gut geht ist falsch. In Zeiten der permanenten Krisen und der organisierten Gier der Reichen bedeutet dieser Ansatz, dass die Lage der Beschäftigten und deren Anzahl sich verschlechtert. Schnell kommt man in die Situation nur Verschlechterungen „abzufedern“. Politische Erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit setzt heute wieder voraus, dass man bereit ist die Profite hart an zu greifen, und die Kapitalisten mit Enteignung bedroht, wenn sie Investitionen und Produktion am Standort boykottieren.
Wir stehen für eine vollständige Kehrtwende in der Gewerkschaftspolitik. Es gilt den Kampf mit offenem Visier und ohne jegliche Rücksicht auf die Profite der Konzerne zu führen. Sie zeigen umgekehrt auch keinerlei Rücksicht gegenüber unseren Jobs und unserem Lebensstandard.
Der Generalstreik in Italien, die Klassenkämpfe in Frankreich, die Jugendrevolutionen auf der ganzen Welt beweisen: Arbeiterklasse und Jugend können kämpfen. Diese Perspektive gilt es in Betrieb und Gewerkschaft einzubringen, um so, wenn auch hier die Arbeiterklasse zu kämpfen beginnt, ein Ansprechpartner zu sein. •