Steiermark: Etwas ist Faul in unserer Gesellschaft

Es ist der Kapitalismus. Die Folgen sind steigender Druck in der Schule und am Arbeitsplatz, zunehmende Entfremdung, Vereinzelung, psychische Probleme und Gewalt. Jeder 5. Jugendliche hat psychische Probleme (eine Verdopplung seit 2020), jeder zehnte denkt fast täglich an Suizid. 71% der Jugendlichen haben Zukunftsängste wegen weltweiter Krisen wie Krieg und Klimawandel. In der Anarchie des Kapitalismus hat niemand sein eigenes Leben unter Kontrolle. Der Amoklauf am 10. Juni an einer Schule in Graz ist die tragische Spitze einer Gesellschaft, in der jeglicher sozialer Zusammenhalt immer weiter erodiert wird. Von Christoph Pechtl.
Die Politik verschärft die gesellschaftliche Krise, indem sie durch Einsparungen die ökonomische Krise auf die Arbeiterklasse abwälzt. Der staatsmännische Zynismus, mit dem die Bundesregierung auf den Grazer Anschlag reagierte, ist nur ein weiterer Beweis dafür. Bildungsminister Wiederkehr erklärte psychologische Hilfe zur „Top-Priorität“. Doch in Zeiten des Sparmassakers bedeutet das 30 (!?) Sozialarbeiter für 1,2 Mio. Schüler. Mehr gesellschaftliche Ressourcen kann der Kapitalismus nicht aufbringen. Psychologische Fachkräfte sollen zudem „verdoppelt“ werden. Anstelle wirksamer Unterstützung brachte dies den maroden Zustand psychischer Betreuung an die Oberfläche. Selbst bei einer Verdopplung (die in der Vergangenheit mehrmals gescheitert ist) kommen auf eine Fachkraft 3000 Schüler…
Die steirische FPÖ-ÖVP Landesregierung übertrifft diesen Zynismus mit offenem Hohn und verkündete nur wenige Tage nach dem Anschlag in Graz ein Sparpaket für den beratenden Sozialbereich. Bereits Anfang Juli sollen 2,5 Mio.€ für 40 Vereine gestrichen werden, die unter anderem an Gewaltprävention arbeiten, an Schulen aktiv sind oder einen Männernotruf bereitstellen. Soziallandesrat Amesbauer (FPÖ) deckt dies mit aggressiver Kulturkampf-Rhetorik. So werden gezielt Projekte angegriffen, die auch im Integrationsbereich oder in der Unterstützung von LGBT+-Personen arbeiten. Amesbauer nimmt dabei kein Blatt vor den Mund: Er vermisst die Schaffung von „Mehrwert“ durch Integrationsarbeit und möchte Schluss machen mit Deutschkursen und „Multikulti-Projekten“. Die Landesregierung bereitet durch diese Demagogie weitere Einsparungen vor. Die Schulden des Landes sollen bis Ende des Jahres um beinahe eine Mrd.€ auf 7,1 Mrd.€ steigen. Mehr als 412 Mio.€ gehen heuer für Schuldzahlungen drauf. Für diese Profite der Banken soll das soziale Gefüge erodiert werden.
Widerstand dagegen bildete sich rasant abseits der traditionellen Arbeiterparteien in der Steiermark. Betroffene Betriebe schufen beinahe über Nacht die Plattform „Steiermark retten“. Am ersten Juli fand in Graz eine Demo mit einigen tausend Teilnehmern statt. Die Demoteilnehmer waren entrüstet angesichts der Schamlosigkeit der Landesregierung, die noch wenige Tage zuvor Krokodilstränen ob des Amoklaufes vergossen hatte. Doch die Ausrichtung der Organisatoren stellt die Sparlogik nicht grundsätzlich in Frage: „Wir müssen sparen, aber nicht am falschen Fleck“
Die KPÖ bietet bisher keine alternative Perspektive. Sie beteiligte sich an der Demo, eine Rede hielt sie nicht. Die „Strategie“ der KPÖ scheint zu hoffen, durch einen Krisengipfel und Gespräche mit der FPÖ-ÖVP die Einsparungen „fairer“ zu gestalten. Dies ist eine ganz andere Logik als noch 2012, als die KPÖ sich an die Spitze der Bewegung gegen Einsparungen setzte und damit die gesellschaftliche Unterstützung der Partei anschob. Die Partei folgt heute der Logik der KPÖ geführten Regierung in der Landeshauptstadt Graz. Seit Amtsantritt führt diese ein verzweifeltes Rückzugsgefecht gegen den ständigen Spardruck des Staatsapparats. Unter dem ironischen Titel „Kommunales Plus“ wurden bereits 7 Mio. eingespart. Der verhängten Haushaltssperre, die nun zu greifen beginnt, fallen weitere 12 Mio. verteilt über alle Abteilungen zum Opfer. Über diesen Sommer will die KPÖ nun weitere 7 Mio. aus dem Budget streichen. Das Ziel der KPÖ dabei ist es, das große Sparpaket in die nächste Legislaturperiode zu verschieben.
Der Versuch, die Einsparungen durch Zahlenspiele im Budget und die Erhöhung des Überziehungsrahmens bei Banken von 60 Mio. auf 150 Mio. zu bremsen, kann die sozialen Probleme der Arbeiterklasse und Jugend nicht lösen. Vor allem wird ein Kampf gegen Einsparungen der Bürgerlichen auf Bundes- und Landeseben dadurch völlig unmöglich. Die KPÖ muss dafür mit der eigenen Sparlogik brechen. Sich vehement auf die Seite der Bewegung gegen die Streichung der Landesregierung zu stellen & diese politisch voranzutreiben ist eine weitere Chance, die überfällige politische Wende der Partei in ihrer eigenen Stadtpolitik zu vollziehen.
Die RKP schlägt eine Kampagne zur Schuldenstreichung der Stadt Graz und aller Kommunen vor. Allein die Zinszahlungen der Stadt Graz sollen 2025 49 Mio. € (!) verschlingen. Welche sozialen Vereine, welche Gewaltprävention, welche Anlaufstellen für die psychische Gesundheit wir als Stadt haben, wird einfach diktiert von der Chefebene des Finanzkapitals, die durch die Schuldknechtschaft der österreichischen Gemeinden hervorragende Profite schreiben.
Die 40 Vereine sollten gerettet werden, indem sie unter Kontrolle ihrer Beschäftigten in die Gemeinde übernommen werden, ein erster Schritt um die soziale und psychologische Unterstützung in Graz auf das notwendige Niveau zu heben. Das wäre eine Kampfansage an das Spardiktat der Banken und die rechte Landesregierung, die nicht nur die Bevölkerung in Graz, sondern in ganz Österreich elektrisieren würde.
(Funke Nr. 235/09.07.2025)