Wir fahren gemeinsam – aber wohin?

Der Arbeitskampf bei den privaten Busunternehmen ist beendet. Die Gewerkschaft „vida“ hat sich bei der 5. Verhandlungsrunde mit den Arbeitgebern geeinigt. Was diesen Kampf besonders gemacht hat, war die Kooperation von Gewerkschaft und Teilen der Klimabewegung. Der folgende Diskussionsbeitrag soll dazu beitragen, eine erste Bilanz der Kampagne „Wir fahren gemeinsam“ (WFG) zu ziehen. Von Oscar Jenner.
Vor etwa einem Jahr haben Aktivistinnen und Aktivisten der Klimabewegung mit der Gewerkschaft „vida“ zusammen das Bündnis „Wir fahren gemeinsam“ gegründet. Ihr Ziel war es den Beruf des Busfahrers attraktiver zu machen. Damit sollte eine von vielen Stellschrauben gedreht werden, um die Verkehrswende zu beschleunigen. Für den notwendigen Ausbau des öffentlichen Verkehrs braucht es mehr Personal. Wie in vielen anderen Branchen auch werden in den nächsten Jahren aber Tausende Beschäftigte fehlen. Das hängt nicht zuletzt mit den sehr schwierigen Arbeitsbedingungen bei den privaten Busunternehmen zusammen.
Eine Studie der Arbeiterkammer hat gezeigt, dass es bei den Rahmenbedingungen massive Verbesserungen bräuchte. Über drei Viertel der befragten Lenker (76 Prozent) gaben an, dass sie an Feiertagen oder am Sonntag arbeiten. Sonntagszulage erhalten sie dafür aber keine. Zudem bemängeln die Busfahrer laut der Studie, dass Nachtzuschläge nur in der Zeit von 0 bis 5 Uhr bezahlt werden. Ein großes Problem sind die unbezahlten Pausen und dass keine Toiletten zur Verfügung stehen.
Bei der jüngsten Kollektivvertragsrunde ging es neben einem Teuerungsabgleich vor allem um die Frage der Nachtzulage, die bis 6 Uhr bezahlt werden sollte. Das war auch der Grund, warum der Warnstreik nach der vierten Verhandlungsrunde auf die sehr unorthodoxe Zeit von 4 bis 6 Uhr angesetzt wurde.
Das war die erste Streikmaßnahme im privaten Busbereich seit Menschengedenken. Nur beim Postbus gibt es eine gewisse Kampftradition aus der Zeit, als der Betriebsrat die Privatisierung zu verhindern versuchte.
Die Kampagne „Wir fahren gemeinsam“ hat sich zum Ziel gesteckt, die Belegschaften bei den privaten Busunternehmen streikbereit zu machen. Während der ÖGB und die meisten Teilgewerkschaften einen klassisch sozialpartnerschaftlichen Kurs fahren, als wären wir noch in den 1960er Jahren, hat die Gewerkschaft „vida“ versucht, neue Wege einzuschlagen. Die „vida“ vertritt nicht nur die Eisenbahner, sondern auch den privaten Busbereich. Ein wesentliches Instrument der „vida“ ist die Abhaltung von Urabstimmungen über KV-Abschlüsse. Dies ist eine alte Forderung von Kommunistinnen und Kommunisten zur Demokratisierung der Gewerkschaften, die auch die Kampf- und Durchsetzungsfähigkeit der Arbeiterbewegung stärken kann. Mit „Wir fahren gemeinsam“ setzt die „vida“ außerdem auf das Organising-Modell, mit dem man sich in Branchen mit niedrigem Organisationsgrad stärker verankern möchte. Die Eisenbahnergewerkschaft hat eine längere Geschichte der Öffnung gegenüber sozialen Bewegungen, die auf die Zeit der Antiglobalisierungsbewegung Anfang der 2000er Jahre zurück geht. Wir begrüßen es sehr, dass die Gewerkschaft sich für solche Kooperationen öffnet und frischen Wind in die eigenen Reihen bringt.
Umgekehrt war es ein wichtiger Schritt von Teilen der Klimabewegung, dass sie offen auf die Gewerkschaften zugeht und die Kooperation zugeht. Die RKP hat über Jahre die Position vertreten, dass die Klimabewegung einen anderen Weg einschlagen muss. Schon 2019 haben wir uns in Fridays for Future (FFF) „für eine Orientierung auf die Arbeiterklasse mit dem Ziel eines Generalstreikes und für antikapitalistische Forderungen als Ergänzung zu den radikalen Klimaschutzzielen der Bewegung“ argumentiert.
Die Methoden von FFF oder der „Letzten Generation“ waren nicht geeignet, einen Brückenschlag zur Masse der Lohnabhängigen zu schlagen und sie für die Ziele der Klimabewegung zu gewinnen. Ganz im Gegenteil. Initiativen wie „Wir fahren gemeinsam“ sind umso wichtiger, weil sie einen Ansatz zur Überwindung dieser zentralen politischen Schwäche der Klimabewegung aufzeigen.
Die Arbeit von WFG brachte auch beachtliche Schritte vorwärts. Die Organising-Arbeit hat erste Früchte getragen. Durch regelmäßige Präsenz und Diskussion mit Lenkern und Unterstützung von deren Anliegen (z.B. für Toiletten), konnte eine Vertrauensbasis aufgebaut werden. Die wichtigste Errungenschaft dieser Kampagne ist wahrscheinlich die Schaffung eines österreichweiten Netzwerks von Garagenverantwortlichen. Dies sind Kolleginnen und Kollegen, die das Vertrauen der Belegschaft in ihrer Dienststelle haben und sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einsetzen wollen. Teilweise sind das kämpferische Betriebsräte, aber in vielen Fällen auch Lenker ohne Betriebsratsfunktion. Bei den KV-Verhandlungen war das Verhandlungsteam diesen Garagenverantwortlichen berichtspflichtig. Nach jeder Runde wurde bei Online-Konferenzen der Verhandlungsstand breit diskutiert.
Diese Garagenverantwortlichen sind umso wichtiger, da sich vor allem in Wien die privaten Busunternehmer auf „gelbe“, als der Geschäftsführung nahe stehende, Betriebsräte stützen. Diese Betriebsräte sind der verlängerte Arm der Eigentümer und Manager in die Belegschaft hinein. Rund um den Warnstreik hat man sehen können, welche Rolle sie spielen. Sie haben sogar Falschmeldungen verbreitet, dass man mit der Teilnahme am Streik die Kündigung riskiert. Anstatt schwankenden Kollegen die Angst zu nehmen, haben sie Zweifel gesät. Das erklärt auch, warum in Wien der Warnstreik bei den Firmen Dr. Richard, Blaguss und Gschwindl weniger erfolgreich war als in den Bundesländern.
Das Gewicht dieser Betriebsräte im Verhandlungsteam war auch ausschlaggebend, dass es letztlich zu einem recht ernüchternden Abschluss gekommen ist. Der Verhandlungsergebnis für den Zweijahresabschluss besagt: 3,6% höhere Löhne für 2025 und die rollierende Inflation +0,1% für 2026. Dazu kommen ab Juli 50% Nachtzulage von Schichten zwischen 23 Uhr und Null Uhr, ab dem 1.1.2026 sollen es 50% ab 22 Uhr sein (Überstundenzuschlag greift hier nicht – d.h. man kann nicht beides bekommen). Bei den Rahmenbedingungen gibt es nur minimale Verbesserungen.
Wir lehnen Kollektivvertragsabschlüsse mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr prinzipiell ab. Die österreichische Gewerkschaftsbewegung hat eine jahrzehntelange Geschichte der Passivierung der Arbeiterklasse hinter sich. Die jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen sind eine der wenigen Möglichkeiten, wo die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben eine Möglichkeit haben, die im ÖGB tiefsitzende Stellvertreterlogik zu durchbrechen. Wenn die Verhandlungen stocken, kommt es zu Betriebsversammlungen, vielleicht sogar zu Warnstreiks oder Streiks. Diese Mobilisierungen waren in den letzten Jahren immer wichtige Gelegenheiten, um den Organisationsgrad der Gewerkschaften zu erhöhen und die Belegschaften aus der Passivität zu reißen. Mit einem Zweijahresabschluss nimmt sich die Gewerkschaft diese Möglichkeit. Das hilft nur den Unternehmern. Im konkreten Fall wird dadurch die Organisierungsarbeit von WFG des letzten Jahres massiv geschwächt.
Mancher mag sagen, dass es zumindest gelungen ist, weitere Verschlechterungen in dieser Branche abzuwehren. Aber angesichts der ohnedies schon sehr schwierigen Arbeitsbedingungen und der Notwendigkeit einer Verkehrswende halten wir diese Argumentation für falsch. Diesen Abschluss lehnen wir ab. Mit einer richtigen Kampfstrategie wäre angesichts der Streikbereitschaft von großen Teilen der Belegschaften mehr möglich gewesen.
Nach diesem Abschluss ist eine gute Gelegenheit, die bisherigen Erfahrungen von WFG bilanzieren.
Wie gesagt, das System der Garagenverantwortlichen sehen wir als wichtigen Schritt in die richtige Richtung und muss in Zukunft ausgebaut werden. Das Ziel muss sein, rund um diese kämpferischsten Kolleginnen und Kollegen gewerkschaftliche Aktivgruppen aufzubauen, die in Arbeitskämpfen die gesamte Belegschaft mobilisieren und dem Druck seitens der Geschäftsführung und der „gelben“ Betriebsräte standhalten können. Ihre Position gilt es zu stärken, damit ein Verhandlungsteam gar nicht erst auf die Idee kommt, schlechte Abschlüsse zu tätigen.
In dieser KV-Runde und beim Warnstreik hat sich gezeigt, auf welche Betriebsräte man sich verlassen kann und und auf welche nicht. Es ist offensichtlich, dass in den Unternehmen mit „gelben“ Betriebsräten, eine Erneuerung des Betriebsratsgremiums notwendig ist. Die erste Voraussetzung dafür ist der Aufbau von gewerkschaftlichen Aktivgruppen, die die Kräfteverhältnisse im Betrieb verändern können.
Beim Warnstreik zumindest in Wien wurde aber auch die Rolle der Gewerkschaft deutlich sichtbar. Die „vida“ nutzt die Mobilisierungsfähigkeit und den Enthusiasmus der Klimabewegung. Das ist prinzipiell positiv. Der Streikposten um 4 Uhr morgens bei der Garage von Dr. Richard in der Stralehnergasse wäre ohne die Aktivistinnen und Aktivisten von WFG nicht möglich gewesen. Die anwesenden Hauptamtlichen der Gewerkschaft haben aber auch deutlich gemacht, wer in dieser Kampagne das Sagen hat. Die Frauenvorsitzende der „vida“, die auch SPÖ-Gemeinderätin ist, hat beim Warnstreik eine sehr negative Rolle gespielt und verhindert, dass der Streikposten die Streikbrecher daran hinderte, die Garage zu verlassen. Das Argument, man habe sich noch Eskalationspotential für den nächsten Streik aufheben wollen, ist eine Farce. Auch wenn es sich nur um einen 2-stündigen Warnstreik handelt, dann muss man versuchen, diesen entschlossen durchzuziehen. Nur so kann man die Grundlage schaffen, dass die Kolleginnen und Kollegen bereit sind, beim nächsten Mal länger und härter zu streiken.
Bei diesem Warnstreik wurde aber deutlich, worum es der Gewerkschaft wirklich geht. Sie nutzt die Mobilisierung, um gestärkt an den Verhandlungstisch zurückkommen zu können. Dabei unterlässt sie aber alles, was ein „sozialpartnerschaftliches“ Klima stören könnte. In dieser Sozialpartnerschaftslogik ist WFG nur eine weitere Spielfigur für den Apparat zur Verfolgung der eigenen Ziele. Und wer zahlt, schafft letztlich an.
Mit Urabstimmungen und Organising-Kampagnen hat die „vida“ neue Wege beschritten. Aber Urabstimmung allein ändert noch nichts, wenn es in den Betrieben keine politische Kraft gibt, die den Argumenten der Gewerkschaftsführung notfalls eine Alternative zur Sozialpartnerschaftslogik entgegenstellen kann.
Die Methoden der „vida“ sind noch lange kein Bruch mit dieser alten Logik, die in der Gewerkschaft noch vorherrschend ist. Wir brauchen ein klares Verständnis von der Rolle der Gewerkschaftsbürokratie in diesem System. Sie versteht sich in erster Linie als Vermittler zwischen Arbeit und Kapital und sucht den Interessensausgleich, sprich in letzter Instanz stützt sie die herrschende Ordnung. Damit steht sie aber, gerade in Zeiten der Krise, im Widerspruch zu einer konsequenten Durchsetzung von Arbeiterinteressen und einer Politik zur Bekämpfung der Klimakatastrophe, die nur durch einen Bruch mit den Profitinteressen erfolgreich sein kann.
Als RKP treten wir für starke Gewerkschaften mit möglichst hohem Organisationsgrad ein, weil sie „Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals“ (Marx) sind. Aber solange die Gewerkschaft nicht auf einer demokratischen Grundlage und einem Programm des entschlossenen Klassenkampfs steht, kann sie die Interessen der Lohnabhängigen nicht so vertreten, wie dies notwendig wäre. Wer die Gewerkschaft zu einem Kampfinstrument machen will, muss für die Demokratisierung und Revolutionierung der Gewerkschaften kämpfen.
Um diesen notwendigen Kampf führen zu können, darf man nicht vom Gewerkschaftsapparat und dessen finanziellen Mitteln abhängig sein. Nur wenn man finanziell unabhängig ist und seine politische Arbeit selbständig, aus der Bewegung heraus finanziert, kann man in entscheidenden Situationen auch einen eigenen Standpunkt notfalls auch gegen den Gewerkschaftsapparat vertreten.
WFG hat wichtige Schritte vorwärts gemacht, aber wir müssen uns bewusst sein, dass wir große Ziele haben. Wir wollen eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, in der die Bedürfnisse von Mensch und Natur Priorität haben, in der wir die Wirtschaft und das gesellschaftliche Zusammenleben so organisieren, dass wir die Klimakatastrophe noch abwenden und die Erde als lebenswerten Ort für alle Menschen erhalten können. Das setzt die Überwindung des Kapitalismus im Zuge einer sozialen Revolution voraus. In einem System der Profitmaximierung kann es keine sozial-ökologische Transformation geben, wie wir es dringend brauchen.
Eine wichtige Übergangsforderung der Klimabewegung muss der massive, planmäßige Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs unter der Kontrolle und Mitwirkung der Beschäftigten und der Fahrgäste sein. Der Bahn- und Busbetrieb muss von der öffentlichen Hand betrieben werden. Mit der Mobilität der Menschen darf kein Profit gemacht werden. So kann es nicht sein, dass zum Beispiel in Wien ein Drittel aller Buslinien an private Busunternehmen ausgegliedert sind und es dadurch Buslenker 1. und 2. Klasse mit unterschiedlicher Entlohnung und unterschiedlichen Rechten gibt. Warum sollen sich arbeiterfeindliche Unternehmer wie Richard und Blaguss, die bei dieser KV-Runde das Streikrecht mit Füßen treten, eine goldene Nase verdienen, indem sie vom „Roten Wien“ Aufträge bekommen? WFG sollte im kommenden Landtagswahlkampf die Forderung erheben, dass alle Buslinien von den Wiener Linien direkt betrieben werden und der öffentliche Verkehr auf Kosten des Kapitals massiv ausgebaut wird.
Neben der Unterstützung gewerkschaftlicher Kämpfe im Verkehrs- und Transportsektor müssen wir auch politische Kämpfe führen, in denen wir die Notwendigkeit eines Bruchs mit der Profitlogik und des Sturzes des Kapitalismus aufzeigen. Dafür braucht es eine revolutionäre Kampfpartei, die wir als RKP in Österreich und international aufbauen wollen. Die Genossinnen und Genossen der RKP setzen sich in der Klimabewegung und in den Gewerkschaften für ein solches revolutionäres Programm ein: für eine demokratische Planwirtschaft – Kommunismus statt Klimakatastrophe.
Bild: Gewerkschaft Vida.