Der Sozialbereich kämpft: Die große Demo in Wien, Betriebsversammlungen und Streiks zeugen von der Entschlossenheit der KollegInnen. Jetzt braucht es einen Kampfplan, wie man wirklich gewinnen kann! Von Sarah Ott und Yola Kipcak.
Lautstark und kämpferisch zog am 8. November eine Demonstration von deutlich über 3.000 Beschäftigten aus dem privaten Sozial- und Gesundheitsbereich durch die Wiener Innenstadt. Etliche Einrichtungen hielten öffentliche Betriebsversammlungen ab, um ihren Protest auf die Straße zu tragen – in 142 Wiener Volksschulen entfiel die Nachmittagsbetreuung. Beim Verein LOK und dem ASB-WSD fanden bereits Teilstreiks statt.
Zahlreiche selbstgemalte Schilder, Plakate und Transparente zeigen, dass KollegInnen selbstbestimmt und entschlossen in diesen Arbeitskampf treten und auch ihren eigenen Forderungen Ausdruck verleihen: „In Zukunft will ich jausnen in bezahlten Pausen!!!“, „Besserer Betreuungsschlüssel“, „Sichere Arbeitsverhältnisse“, „35 Stunden müssen her!“, „Volle Anrechnung von Vordienstzeiten, die Zeit der stillen Held*innen ist vorbei“, „kein Abschluss ohne Urabstimmung“ und mehr war darauf zu lesen.
Die Gewerkschaften vida und GPA fordern ein Lohnplus von 15% und mindestens 350€, sowie 35-Wochenstunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Angesichts der steigenden Teuerung und dem eklatanten Personalmangel sind diese Forderungen das Minimum, wie etliche Schilder mit „mind. 15%!“ und „Minimum 350 Euro mehr Lohn“, „plus 500“ oder „750 – 35 h – sofort“ unterstrichen. „Wir sind streikbereit“ hallte es durch den Demonstrationszug.
Wie können wir gewinnen?
Die Demonstration in Wien war ein Zeichen der Stärke. Dieser Erfolg ist das Ergebnis der Arbeit von einer Reihe aktiver BetriebsrätInnen und KollegInnen, die sich bereits seit mehreren Jahren für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik vernetzen und einsetzen.
Von offizieller Gewerkschaftsseite wurde der 8. November jedoch nicht als breite Mobilisierung angelegt, sondern im Geiste der altbekannten Routine zu Betriebsversammlungen aufgerufen. Das wird allerdings nicht ausreichen, um die Forderungen zu erkämpfen:
Die Arbeitgeber sind nicht gewillt, den Bedürfnissen der Beschäftigten zu entsprechen. Das Gegenangebot liegt momentan bei 7,5% plus – nur die Hälfte der Forderung und weit unter der derzeitigen Inflation. Das würde einen saftigen Reallohnverlust bedeuten, umso mehr, da der letzte KV-Abschluss 2020 niedrig und für ganze drei Jahre abgeschlossen wurde. Für Vollzeit arbeitende gab es heuer keine Lohnerhöhung, lediglich die Arbeitszeit wurde um eine Stunde reduziert, was bereits jetzt einen deutlichen Reallohnverlust für viele bedeutet. Trotzdem richtet Chefverhandler Marschitz aus, dass die Forderung von 15% „nicht erfüllbar“ sei und zeigt sich „zuversichtlich“, dass man sich in der nächsten Verhandlungsrunde am 16. November auf ein substanziell niedrigeres Ergebnis einigen werde.
Die Gewerkschaft verkündete in den Medien, dass ohne ein Angebot „über 7,5%“ weitere Streiks folgen werden. Dies ist zu vage.
Es braucht die deutliche Lohnerhöhung von +15% und mindestens +350€, aber auch Verbesserungen im Rahmenrecht, wie eine 35 Stunden Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, die volle Anrechnung von Vordienstzeiten, die Abschaffung von zuschlagsfreier Mehrarbeit und die Erhöhung von Zulagen und Zuschlägen sind wichtige Forderungen, um der immer größer werdenden Personalnot entgegenzuwirken und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Die Versammlungen und die Demo am 8.11. haben gezeigt, dass der Sektor unter Dampf steht und mit einer korrekten gewerkschaftlichen Taktik die selbstgesteckten Ziele durchsetzbar sind. Das gilt es jetzt vorzubereiten: Die Beschäftigten haben bewiesen, dass sie bereit sind, für die Umsetzung der Forderungen zu kämpfen!
Kein Abschluss ohne Urabstimmung & für die Ausweitung des Kampfes!
Die Verhandlungsrunde vom 16. November ist ohne Endzeitpunkt angelegt, und wir kennen die Strategie der Arbeitgeber. In langen, oft bis in die Nacht andauernden Verhandlungen wird die Gewerkschaftsseite unter Druck gesetzt und dazu urgiert, einen „Kompromiss-Abschluss“ zu unterzeichnen, wie es erst kürzlich bei den Metallern geschehen ist. Die GPA erklärt auf ihrer Webseite in einem Dokument zu KV-Verhandlungen etwa:
„Warum dauert die Verhandlung oft bis spät in die Nacht? (…) natürlich gibt es Druck von außen, einen Abschluss zu erzielen. Es wird also alles unternommen, um doch noch (und wenn es tief in der Nacht ist) zu einer Einigung zu gelangen .“
Um diesem Druck standzuhalten, gibt es ein einfaches Mittel: Kein Abschluss ohne Befragung der Belegschaften, ob sie das Angebot annehmen wollen – also eine Urabstimmung. Das gibt dem Verhandlungsteam ein starkes Mandat, den Kampf so lange weiterzuführen, wie es die Belegschaften selbst für richtig halten. Zwei Wiener Betriebsrätekonferenzen am 30. Mai und am 27. September sprachen sich bereits einstimmig in Anträgen für dieses Mittel aus.
- Daher gilt es jetzt: Stärken wir dem Verhandlungsteam den Rücken, indem wir Unterstützungsnachrichten und Beschlüsse verfassen: kein Abschluss ohne Urabstimmung – wir sind streikbereit!
Der SWÖ-Kollektivvertrag hat eine Vorbildwirkung für andere KVs, wie etwa BABE oder Rotes Kreuz, aber auch Caritas und Diakonie. Gleichzeitig befinden sich derzeit der Handel (mit einer Forderung nach +10%), die Wiener Ordensspitäler sowie die Eisenbahner (je +500€ Forderung) ebenfalls mitten in Arbeitskämpfen. In den Ordensspitälern laufen bis 10. November Betriebsversammlung und Befragungen der Beschäftigung zu Kampfmaßnahmen. Im Krankenhaus Speising sprachen sich beispielsweise 95% der Beschäftigten für einen Streik aus. Das zeigt das Potenzial, das in der Situation angelegt ist.
Es ist ganz im Sinne der Arbeitgeber, diese Verhandlungen und Kämpfe aufzuspalten. Dem muss eine gesamthafte Gegenstrategie entgegengesetzt werden!
Es ist absehbar, dass die Arbeitergeber in der nächsten Verhandlungsrunde nicht bereit sein werden, die +15%/+350€ Forderung zu erfüllen. Daher:
- Die anvisierte österreichweite Betriebsrätekonferenz des SWÖ am 24. November muss dafür genutzt werden, einen gesamthaften Kampfplan inklusive Streiks zu diskutieren und abzustimmen! Die anderen Branchen müssen dazu eingeladen und eine gemeinsame Strategie festgelegt werden.
Auf der ganzen Welt sieht man eine Zunahme an Streiks und Bewegungen. Auch in Österreich steigt die Wut und Unzufriedenheit angesichts der steigenden Lebenserhaltungskosten, während die Dividenden und Managerboni sprudeln und die Regierung großzügig Milliardenhilfen für Unternehmen verteilt. Die Unternehmer und Arbeitgeber sind in den letzten Jahren immer aggressiver und unnachgiebiger aufgetreten. Die sozialpartnerschaftliche Routine der Vergangenheit ist völlig wirkungslos dagegen und bereitet im Gegenteil nur Verschlechterungen und Niederlagen vor. Wir müssen kämpfen, um das gesteckte Ziel von plus 15% durchzusetzen.
Sarah Ott ist Betriebsrätin bei LOK und Funke-Aktivistin. Wenn du Fragen zu Streiks oder Urabstimmungen hast und selbst aktiv werden möchtest, melde dich: redaktion@derfunke.at.
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Die Lehren aus dem letzten KV-Abschluss ziehen: