Die serbische Revolution verteidigen – für den Generalstreik!

Am 28. Juni versammelten sich wieder 100.000 zu einer Massenkundgebung in Belgrad. Vučićs Regime reagierte mit Polizeigewalt, Verhaftungen und Einschüchterungen. Dies provozierte im ganzen Land ein neues Aufflammen der seit acht Monaten laufenden Massenbewegung. Selbst Fälle von Spaltungen der Polizei sind vorgekommen. Seither finden täglich Blockaden statt, um das Land zum Stillstand zu bringen. Von Vincent Angerer.
In kürzester Zeit haben auch die Zborovi (Massenplena) wieder eine zentrale Rolle gespielt: In der WhatsApp-Gruppe eines Belgrader Bezirks-Zbors etwa sind in wenigen Tagen hunderte Menschen neu beigetreten. Es werden Aktionen geplant und Informationen aus dem ganzen Land ausgetauscht. In ganz Serbien gibt es hunderte solcher Zborovi.
Von Seiten der studentischen Führung der Bewegung wurden am 28. Juni auch serbisch-nationalistische Töne angeschlagen. Dies stieß in den Zborovi auf Widerstand. Insbesondere die Überwindung der nationalen Spaltung zwischen der mehrheitlich muslimischen Region Sandžak und der orthodoxen Mehrheit des Landes wird von den bewusstesten Teilen der Bewegung vehement verteidigt.
Aktuell kursiert in der Studentenbewegung die Idee eines Generalstreiks. Dies ist eine Schlüsselidee: Ein erfolgreicher Generalstreik könnte das Regime stürzen. Denn dann hieße es: kein Strom in Vučićs Parlament, kein Sprit für die gepanzerten Wagen der Polizei – stattdessen entfesselte Kraft und Kreativität der vereinten Arbeiterklasse!
Doch auch hier zeigen sich in der Studierendenbewegung bremsende Stimmen: Nach einem medienwirksamen Aufruf zu einem Generalstreik, machte die Führung der Studentenbewegung über ihren Instagram-Kanal „Studenti u Blokadi“ einen Schritt zurück. Sie behauptete, dass der Aufruf eine „Solo-Aktion“ der FDU-Fakultät (Film- und Darstellende Künste) war. Dies widerspiegelt den liberalen Druck in der studentischen Plena-Bewegung, die der Arbeiterklasse keine führende Rolle in der Bewegung zugestehen will und aus Enttäuschung über die EU (die sich zu schwach fühlt, offen gegen Vučić Position zu beziehen und stattdessen sein Regime weiter stützt) aktuell in Richtung serbischen Nationalismus rückt. Dies gilt auch für das Aktivistenkollektiv Blokada Beč in Wien, das revolutionäre Ideen bekämpft, sich dem Nationalismus öffnet und sich gleichzeitig als politischen Hebel österreichischer Interessen andient (siehe Offener Brief an Blokada Beč auf rkp.red).
Führende Gewerkschafter sprechen sich mittlerweile für einen Generalstreik aus, was die Stimmung in der Klasse zum Ausdruck bringt. Dabei betonen sie aber die Notwendigkeit, vorher „die Gesetzeslage zum Streikrecht zu ändern.“ Dies ist eine Ausrede und unterstreicht einmal mehr, dass die Spitze der Organisation weiter für Klassenzusammenarbeit steht, obwohl Ende Juni erstmals ein Präsident des größten Dachverbandes der Gewerkschaften abgewählt wurde. Der Generalstreik muss von unten organisiert werden.
Wir revolutionären Kommunisten sagen: Ein landesweiter, all-serbischer Kongress der Zborovi soll einberufen werden, um die volle Mobilisierung und die Paralyse des Regimes durch einen umfassenden Generalstreik zu diskutieren.
Zu diesem Kongress sollen aus allen Betrieben in Serbien, von allen Arbeitsplätzen Delegierte gewählt werden. Dieser demokratische Kongress muss das Mittel zur Abwehr des Angriffs Vučićs diskutieren und die Offensive planen: den Generalstreik, die wahre vollständige Blockade.
Die politische Differenzierung in der Bewegung ist kein Problem, sondern ein Schritt nach vorne, sie dient der Klarheit. Wir sagen: Es braucht eine echte Arbeiterpartei – wie einst die Partei von Dimitrije Tucović. Tucović war der Gründer der ersten Partei auf dem Balkan, die sich entschieden gegen nationale Spaltung und das Spiel der Imperialisten stellte und für die Einheit der Arbeiterklasse stand. In all seinen Entscheidungen blieb er standhaft gegen jede Unterdrückung – für die sozialistische Weltrevolution. Er war der jugoslawische Lenin.
In den letzten Jahren gab es viele Massenbewegungen und Streiks in Serbien – mehrere Bewegungen gegen Vučić, Streiks von Goša über Smederevska Palanka bis Fiat, sowie eine erfolgreiche Massenbewegung gegen den Lithium-Abbau durch Rio Tinto (Funke Nr. 227). Sie alle laufen in einer Frage zusammen: Wer bestimmt? Nur wer das Privateigentum der Banken und Konzerne angreift, gibt den breiten Massen in Serbien eine Perspektive!
Eine der Schwächen der serbischen Revolution ist ihre nationale Beschränktheit. Der Staat Serbien dient nicht der Freiheit des serbischen Volkes – er ist ein Gefängnis unter Vučić und dem Imperialismus. Ein gesamt-serbischer Zbor würde daher einen Appell an alle Völker des Balkans richten, selbst in den Kampf gegen ihre korrupten Regimes zu treten.
Die Herrschenden aller Kleinstaaten sind von der Macht der Bewegung und ihrer länderübergreifenden Solidarität so verängstigt, dass sie in jedem Land jetzt Nationalismus schüren. In Kroatien zeigte sich dies beim Konzert des faschistischen Sängers Thompson, das massiv durch die Medien aufgebauscht wurde.
Alle Völker Jugoslawiens leiden heute unter dem Imperialismus und der massiven Erschwerung ihrer kulturellen Weiterentwicklung. Doch diese geteilte nationale Unterdrückung kann nur durch den Sturz des Kapitalismus und der imperialistischen Fremdherrschaft beendet werden – in einem gemeinsamen Kampf der Arbeiter aller Nationen, wie es die Partisanen vorgemacht haben.
Der Nationalismus am Balkan ist eine Stütze der Fremdherrschaft, er organisiert den zerspaltenen Charakter des Balkans im Interesse der dominanten imperialistischen Mächte und ihrer lokalen Lakaien.
Nationale Befreiung ist nur gemeinsam möglich – durch eine sozialistische Revolution, die einen gemeinsamen Staat durchsetzen wird.
Ein starker, unabhängiger Balkan, dessen Bevölkerung keine billige und herumschiebbare Arbeitskraft ist und dessen Märkte kein Abspülbecken für die deutsche und österreichische Überproduktion sind, ist keineswegs im Interesse des Kapitalismus – West oder Ost. Der Grund, weshalb österreichische Medien nun überhaupt wieder so viel über die aktuellen Ereignisse in Serbien schreiben, liegt in den materiellen Interessen der österreichischen Kapitalisten am Balkan.
Es gibt nur eine Macht, die daran interessiert ist, den Zyklus an Unterdrückung und Spaltung zu überwinden, die guten Aspekte Jugoslawiens zurückzubringen. Das ist die Arbeiterklasse des gesamten Balkans, die nur in ihrer Einheit die Herrscher und den Kapitalismus stürzen kann. Tatsächlich zeigte sich im Frühjahr 2025 zahlreiche Ansätze für eine Bewegung am gesamten Balkan – dies ist ein weiterer Beweis für die Verbundenheit der Region und die Tatsache, dass die einzelnen Völker ihr Schicksal nur gemeinsam in die Hände nehmen können.
(Funke Nr. 235/09.07.2025)