Imperialistischer Krieg & imperialistischer Frieden

Seit drei Jahren wird behauptet, dass in der Ukraine um Freiheit und Demokratie gekämpft wird. Jetzt, wo Russland militärisch gewinnt, stehen Friedensgespräche im Raum, die keine Zweifel daran offenlassen, worum es wirklich geht: nackte imperialistische Interessen. Von Willy Hämmerle.
Die Imperialisten – die USA und Russland – verhandeln heute darüber, wer die Ukraine ausbeuten darf. Trump gibt sich gegenüber Putin betont freundlich und hat direkte Gespräche mit dem Kreml aufgenommen. Die Regierungen Europas müssen vorerst dabei zuschauen, was sich die stärkeren Räuber untereinander ausmachen.
Die Ukraine selber hat am wenigsten zu melden und wird vor aller Augen zur Schuldkolonie degradiert. Die Amerikaner haben dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj ein „Abkommen“ hingeknallt, das den USA das Vorrecht auf kritische Rohstoffe (Graphit, Lithium, Titan, Seltene Erden …) im Wert von 500 Milliarden US-Dollar geben würde. Trump spricht von einer möglichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Putin, dieser wiederum bietet den USA dafür eine gemeinsame Ausbeutung der Bodenschätze in den künftigen „neuen, historisch russischen“ Gebieten an.
Von wegen Freiheit und Demokratie, abgetauscht werden Profit und Einfluss. Dabei geht es aber nicht nur um die unmittelbare Ausplünderung der Ukraine, sondern um weitreichendere Interessen. Mit den Erfolgen auf dem ukrainischen Schlachtfeld versucht Russland den USA eine weltweite Neuaufteilung von Einflusszonen abzuringen. Auch die Kriege und Regimewechsel, die der zentrale US-Verbündete Israel im Nahen Osten anstrengt, werden Teil dieses diplomatischen Ringens sein.
Die USA stehen in der Ukraine vor einer herben Niederlage. Vergessen wir nicht: Ihr Hauptinteresse vor und mit diesem Krieg war die Einhegung und Schwächung Russlands durch die Einbindung der Ukraine in den NATO-Block. Von „Regime Change“, der „Dekolonisierung Russlands“ und anderen Luftschlössern war die Rede. Zurück am Boden der Tatsachen will Trump heute einen schnellen Deal, damit das Investment der letzten Jahre zumindest nicht in einem kompletten Verlustgeschäft endet. Er akzeptiert dafür, dass ein Teil der Ukraine an Russland geht und sie nicht Teil der NATO sein wird. Die USA sind heute nicht mehr der unumstrittene Weltpolizist. Insbesondere brauchen sie freiere Hand, um sich auf ihren Hauptgegner China konzentrieren zu können. Auch das drängt die USA dazu, diesen Krieg zu beenden, der Russland und China näher aneinandergerückt hat.
Russland hingegen „führt den Krieg um die Kontrolle über die Regierung in Kiew („Entnazifizierung“ und „Entmilitarisierung“) und das Schwarze Meer. Weiters, dass das belastende Sanktionsregime gegen seine Wirtschaft aufgehoben wird. Russland will, dass seine Banken wieder in den internationalen Zahlungsverkehr zugelassen werden und sein im Westen beschlagnahmtes Finanzvermögen (300 Mrd. $) wieder freigegeben wird. Vor allem will Russland, dass die Produkte seiner wichtigsten Industrie (Energie) wieder auf den Weltmarkt dürfen. Es ist auch gegen die beschlossene Neustationierungen US-amerikanischer Mittelstreckenatomraketen in Europa.“ (Funke Nr. 229)
Russland hat vor allem strategische Interessen und will mehr als das, was die USA derzeit bieten. Die Sanktionen haben die russische Wirtschaft nicht zusammenbrechen lassen. Die explodierenden Militärausgaben (ca. 40% des Staatshaushaltes) bescheren dem Land sogar eine Sonderkonjunktur – ein wichtiger Faktor für die gestiegene Kriegsunterstützung in der Bevölkerung. Aber die Sanktionen unterminieren Russlands Rolle am Weltmarkt, was sogar den Griff Moskaus auf seine Vasallenregimes in Zentralasien und im Kaukasus untergräbt. Es will eine neue Sicherheitsordnung in Europa – eine Abrüstung der NATO-Kontingente und der Ukraine – und damit bessere Bedingungen für das russische Kapital, seinen internationalen Einfluss geltend zu machen. Putin hat deshalb vorerst keinen Stress, einen schnellen Waffenstillstand zu unterzeichnen, sondern ist bereit, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen – begleitet vom weiteren Vormarsch der russischen Armee.
Diese Interessenslage deutet auf ein zähes Ringen bei den Verhandlungen und steht in scharfem Widerspruch zu einem schnellen „Deal“. In jedem Fall gilt aber: „Ein ‚Frieden‘ der von den Kapitalisten der USA, der EU, Russlands und der Ukraine verhandelt werden wird, kann nur ein Kompromiss imperialistischer Interessen sein, der den Keim des nächsten Krieges schon in sich trägt.“ (Funke Nr. 229)
In jedem Fall gilt auch, dass der größte Verlierer am Ende die EU sein wird.
Ein Rückzug der USA aus der Ukraine und ein Abbau der NATO-Kontingente würden bedeuten, dass Washington nicht mehr bereit ist, die Hauptkosten der europäischen Sicherheitsinteressen zu tragen. Die US-Dominanz über Europa ist das Fundament der Europäischen Union, da keine zentrale europäische Nation die Dominanz eines anderen europäischen Staates über sich selbst dulden kann. Das wurde in zwei Weltkriegen geklärt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Osteuropa schnell in den westlichen Einflussbereich gebracht. Hervorragende Bedingungen für das europäische Kapital: Es fand profitable Investitionsfelder und konnte gleichzeitig seine durch die US-Präsenz ohnehin schon eher geringen Militärausgaben stark senken (diese Ausplünderung bei gleichzeitiger Abrüstung nennt man heute zynisch „Friedensdividende“).
So konnte der Fleckerlteppich Europa mit seinen vielfältigen, oft entgegengesetzten Interessen, seine historische Schwäche für eine gewisse Zeit überwinden. Der lange Nachkriegsaufschwung und die gemeinsame Abhängigkeit von den USA haben die europäische Integration vorangetrieben. Die Zuspitzung der imperialistischen Konflikte und der befürchtete Rückzug der Amerikaner rücken alle Widersprüche, die sich aus der Kleinteiligkeit Europas ergeben, wieder ins Zentrum.
Europa wird von allen Seiten aufgerieben und befindet sich im Niedergang. Mit einem gestärkten Russland und einem abweisenden Amerika konfrontiert, wird es für die Aufrechterhaltung seiner eigenen imperialistischen Ambitionen und Interessen in Osteuropa (aber auch z.B. in Afrika) dazu gezwungen, massiv aufzurüsten. Die bisherigen Summen (z.B. die 100 Mrd. € Sondervermögen in Deutschland, die bis 2027 aufgebraucht sein sollen) sind angesichts der geopolitischen Notwendigkeiten nur ein kleines Präludium. Die deutsche noch-Außenministerin Annalena Baerbock plapperte vor den Wahlen ein EU-Aufrüstungspaket im Umfang von 700 Mrd. € in die Welt hinaus. Zum Vergleich: Die bei den Militärausgaben oft diskutierten 5% vom BIP (das zahlt Polen) hätten allein in Deutschland letztes Jahr Rüstungsaufgaben in Höhe von 215 Mrd. € bedeutet – bzw. 44% vom Gesamtbudget. Diverse Generäle sagen, dass kurzfristig noch mehr nötig wäre. Das geht nur mit einer massiven Ausweitung der Schulden und brutalen Angriffen auf die Arbeiterklasse.
Diese Zahlen zeigen das Wesen eines „Friedens“ zwischen imperialistischen Räubern: ein zeitweiser Kompromiss und Vorbereitungen, das Schlachten bei nächster Gelegenheit wieder aufzunehmen. Austragen und bezahlen muss das Ganze die Arbeiterklasse. Sie alleine hat auch die Macht, einen wirklichen Frieden herzustellen, wie Lenin am Vorabend der Russischen Revolution erklärte: „Gibt es einen Weg zu einem Frieden ohne Austausch von Annexionen (Eroberungen), ohne Aufteilung der Beute unter den kapitalistischen Räubern? Es gibt einen solchen Weg, er führt über die Arbeiterrevolution gegen die Kapitalisten aller Länder.“