Öffentliche Bedienstete, vor allem Lehrer, protestierten am Dienstag vor der Zentrale ihrer eigenen Gewerkschaft. Diese hatte nur zwei Stunden vor Beginn eine geplante Großdemonstration abgesagt. Die sozialpartnerschaftliche Bevormundungspolitik der Gewerkschaft führte abermals zu einer kampflosen Kapitulation in den Kollektivvertragsverhandlungen – doch die Wut dagegen formt sich nun auch auf der Straße. Von Lukas Frank und Yola Kipcak.
Für den 26. November hatten die für öffentliche Bedienstete zuständigen Gewerkschaften GÖD (für Bundesbedienstete) und Younion (für Städte- Gemeindebedienstete) zu einer Großdemonstration aufgerufen.
Anlass waren die diesjährigen Lohnverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Dem KV für Bundesbedienstete folgt üblicherweise deckungsgleich jener für Länder und Gemeinden und er betrifft von Lehrern über Ministerialbeamte und Polizei bis hin zu Pflegern und Kindergartenpädagogen öffentlicher Einrichtungen oder Stadt-Gärtnern insgesamt über 540.000 Beschäftigte.
Die kommende Regierung bereitet sich auf einen harten Sparkurs vor; bürgerliche „Experten“ und Parteien fordern, die Krisenkosten auf die Beschäftigten abzuladen und harte Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem. Nachdem die Regierung zunächst Lohnverhandlungen überhaupt verweigerte, riefen die Gewerkschaften zur Demonstration auf und für Lehrer fanden Dienststellenversammlungen statt.
Explosives Potential
Entgegen der Erwartungen der Gewerkschaftsspitze und trotz der chaotischen und – insbesondere seitens der Younion – bremsenden Rolle in der Mobilisierung hatte diese Demonstration mit Warnstreikcharakter in den Tagen davor explosives Potential entwickelt: Am Arbeitsplatz, in der Straßenbahn, sogar in Bars war sie überall Gesprächsthema.
Die Solidarität unter Kollegen und die Wut über die Arbeitsbedingungen ist groß, die Bereitschaft, an Kampfmaßnahmen teilzunehmen, gewaltig. Medien berichteten von erwarteten 30-40.000 Teilnehmern, Busse aus anderen Bundesländern befanden sich bereits am Weg zum Protest und mussten aufgrund der Absage umdrehen. Die bisherige Friedhofsruhe in den diesjährigen Herbstlohn-Verhandlungen drohte durchbrochen zu werden.
Das ist genau, was der Regierung und den Arbeitgebern sämtlicher Branchen in Dorn im Auge ist: Eine massenhafte Mobilisierung, in der die große Unzufriedenheit zutage tritt, entgleist leicht den „sicheren Bahnen“ von routinierten, sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen. Lange Lohnverhandlungen hätten die gerade laufende Bildung der Verlierer-Regierung erschwert.
Diese Demo hätte ein Wendepunkt in der heurigen Herbstlohnrunde sein können und eine Kampfdynamik in anderen Sektoren wie z.B. dem Handel entfacht. Egal in welcher Branche lodert die Wut über sich verschlechternde Arbeitsbedingungen und sinkende Löhne. Der zukünftigen Sparregierung, an der die Wahlverlierer ÖVP, SPÖ und Neos gerade schmieden, wäre ein erster, harter Schlag versetzt worden.
Ausverkauf für sozialpartnerschaftliche Friedhofsruhe
Die Gewerkschaftsspitze zog kurzerhand die Reißleine, unterschrieb hastig einen Kollektivvertrag und sagte die Demonstration ab: Ein „fairer“ Abschluss sei erzielt worden. Dieser liegt mit 3,5% sogar knapp unter der rollierenden Inflation. Als Zweijahresabschluss soll zudem verhindert werden, dass nächstes Jahr Unruhe durch Gehaltsverhandlungen entsteht.
Damit ist dieser Abschluss eine kampflose Niederlage. Denn kein einziger Beschäftigter gewinnt durch diesen überhasteten Abschluss und die Absage der Demonstration. Es ist ein Ausverkauf, der den Zusammenhalt und die Schlagkraft der Gewerkschaft langfristig schwächt.
Vor den Augen hunderttausender Kollegen haben sich damit die Spitzen der GÖD und der Younion auf die Seite der Sparregierung, der Budgetdisziplin und der Bosse sämtlicher Branchen gestellt.
Dass sie diese Entblößung in Kauf genommen haben – die GÖD muss sich nach diesem Ausverkauf nun am 27. und 28. November Personalvertretungswahlen stellen – zeigt, welche Angst die Gewerkschaftsspitze vor einem Kontrollverlust über ihre eigene Basis hat.
Die sozialpartnerschaftliche Stellvertreterlogik der Gewerkschaftsführung, nach der „gemeinsam“ mit den Arbeitgebern für sozialen Frieden gesorgt werden soll, ist eine Sackgasse.
In allen Sektoren stehen die Lebensbedingungen der Beschäftigten unter Druck, eine Strategie etwa gegen die drohenden Werksschließungen in der Industrie, Sparkurs und Stellenabbau gibt es seitens der Gewerkschaft nicht. Statt die Unzufriedenheit in Kämpfen zu bündeln, werden die Kollegen als Statisten für bürokratische Kuhhandel hinter verschlossenen Türen instrumentalisiert. Das desorganisiert die kollektive Schlagkraft und schwächt unsere Klasse.
Wut wird auf die Straße getragen
Dass diese Form der Stellvertreterpolitik immer mehr hinterfragt und sogar offen herausgefordert wird, zeigte der 26. November.
Entgegen der offiziellen Absage hielt die ÖLI-UG (Österreichische Lehrer/innen Initiative – Unabhängige Gewerkschafter/innen) an ihrem alternativ geplanten Treffpunkt im Volksgarten fest. Auch die Basisinitiative „Schule brennt“ rief zur Teilnahme auf.
Daraus entwickelte sich eine Demonstration, die über den Ballhausplatz zur Zentrale der GÖD zog. Unter „Kommts, kommts Kommts heraus“-Rufen wurden dort die GÖD-Verhandler aufgefordert, sich vor den Lehrern zu erklären. Dem wurde keine Folge geleistet und sie verschanzten sich in der Zentrale, während die Eingänge von Polizisten abgeriegelt wurden. Am Höhepunkt beteiligten sich lt. ÖLI-UG 1000 Personen, auch dutzende RKP-Mitglieder waren solidarisch vor Ort.
Die Demonstration war laut, wütend und kämpferisch. Das wurde insbesondere deutlich, als die Polizei vor der GÖD-Zentrale unprovoziert einen Lehrer zu Boden riss und an einer Wand umstellte. Daraufhin umzingelte spontan ein Teil der Demonstration die Polizisten und forderte die Freilassung. Nach einer Personenfeststellung ließ die Polizei von dem Lehrer ab. Schule brennt kündigte vor Ort an, Spenden für den Lehrer im Falle einer Strafe zu sammeln
Ob in Reden oder Einzelgesprächen mit Anwesenden – der Tenor war eindeutig: Dieser Abschluss war ein Ausverkauf. Die derzeitige Gewerkschaftsführung und die fehlende Kontrolle der Lehrer über ihre Gewerkschaft sind das Hauptproblem. Der öffentliche Dienst, gerade der Bildungs- und Gesundheitsbereich, werden dem Sparzwang geopfert. Allgemeine Probleme in Schulen wie Lehrer-Burnout, Personalmangel, die Übernahme von administrativen Tätigkeiten usw. werden mit diesem Abschluss nur schlimmer.
Am sichtbarsten wurde diese Stimmung in den beliebtesten Demo-Slogans: „Wir sind keine Regierungssparschweine“, „Größere Klassen – Sparkurs verlassen“, „Streik in der Schule, Uni und Fabrik – das ist unsere Antwort auf eure Politik“, „Wer hat uns verraten – GÖD Bürokraten“, „Keinen Abschluss – Ohne Urabstimmung“, aber auch: „Bei der Rüstung sind sie fix, für die Bildung tun sie nix“.
Für eine Opposition in der Gewerkschaft!
Die Demonstration war ein wichtiger Meilenstein. Sie macht deutlich, dass viele Kollegen nicht hinter diesem „fairen“ Abschluss stehen. Sie fand vor der GÖD-Zentrale statt und benannte klar die jetzige Gewerkschaftsspitze und die fehlende Kontrolle der Kollegen über ihre Gewerkschaft als Hauptproblem. Auch zeigte sie die Notwendigkeit der Selbstorganisierung der Kollegen.
Trotz der kämpferischen Stimmung konnte jedoch von den Organisatoren kein Weg vorwärts formuliert werden, außer dass „es weitergehen wird“. Was es braucht, ist das klare Ziel des Aufbaus einer Gewerkschaftsopposition, die systematisch die jetzige Führung herausfordert. Urabstimmungen* über Verhandlungsergebnisse, um mehr Kollegen die Augen zu öffnen, sowie die weitere Selbstorganisierung der eigenen Kollegen sind dafür ein Mittel zum Zweck.
Die kommenden Jahre werden hart, geprägt von Angriffen auf unsere Löhne und das Sozialsystem. Damit wir uns gegen diese Angriffe wehren können, brauchen wir eine Gewerkschaft, die bereit ist, den Klassenkampf zu organisieren.
*) Urabstimmung:
Einige Kollegen sind entschlossen, solche Urabstimmungen trotz bereits vorhandenem Abschluss durchzuführen. Ein Kollege erklärt: „Als nächsten Schritt wollen wir das Verhandlungsergebnis von den Kollegen abstimmen lassen, um ein reales Stimmungsbild über die Zufriedenheit mit dem Ergebnis zu liefern. Im SWÖ haben aktive Betriebsräte, darunter auch RKP-Mitglieder, solche Urabstimmung bereits mehrmals durchgeführt. Es geht auch darum, jene, die aktiv für die Selbstbestimmung über die eigenen Arbeitskämpfe und die Gewerkschaft sind, zu vernetzen. Die Logik der Gewerkschaftsführung, Kampfmaßnahmen von oben nach Gutdünkten auf- und abzudrehen, muss durchbrochen werden. Nach den Kollektivvertragsverhandlungen ist vor den nächsten Angriffen der Regierung, in welcher Form auch immer sie kommen wollen. Wir müssen uns jetzt organisieren, um unsere Interessen konsequent gegen die Sparregierung durchsetzen zu können. Mit einer selbstorganisierten Urabstimmungen wollten wir diesen Abschluss thematisieren und Kontakte knüpfen. Es braucht eine kämpferische Gewerkschaftsopposition.“
Wenn du auch für eine Urabstimmung bist, aktiv werden und dich vernetzen willst, schreib uns!