24-Stunden-Betreuung: Moderne Sklaverei

Im März bezeichneten zahlreiche Gewerkschafter im gesamten Bodenseeraum, darunter ÖGB-Vorsitzender Reinhard Stemmer (FSG), die Bedingungen in der 24-Stunden-Betreuung als „moderne Sklaverei“. Private und öffentliche Medien setzten sofort alles daran, diese Kritik zu relativieren. Von Jodok Schwarzmann, Hauskrankenpfleger und RKP-Mitglied.
Die sklavenähnlichen Bedingungen der 24/7-Betreuerinnen (96% weiblich) sind jedem bekannt, der sie sehen will: Zahlreiche Agenturen importieren Massen dieser „selbständigen Unternehmerinnen“ aus Osteuropa (großteils Rumänien). 85% verdienen maximal 1350€ im Monat, 12-mal jährlich, viele weit darunter. Die Agenturen kassieren außerdem ihre Bezüge und behalten ihre „Vermittlungsgebühren“ ein. Ein Einsatz dauert 4 Wochen am Stück, 7 Tage die Woche, dann 4 Wochen Unterbrechung. Aufgrund de facto nicht existierender Arbeitszeitbegrenzung wird in vielen Fällen ganztägig gearbeitet, Nachtarbeit ist jedoch ebenfalls zu erledigen. Die Wirtschaftskammer empfiehlt drei Stunden Pause am Tag, Realität sind zwei, 50% können auch diese nicht konsumieren. Es existiert kein Urlaub und kein Krankengeld, viele arbeiten deshalb auch krank. Die erzielten Pensionsansprüche sind marginal, viele verdienen das Geld nicht für sich, sondern finanzieren als tatsächliche „Altersversicherung“ einem Kind in der Heimat eine Ausbildung.
Wir unterstützen die Forderung von Gewerkschaftern wie Reinhard Stemmer von der VidaFlex (Gewerkschaft für Scheinselbständige) oder auch des Aktivistenverbands IG24, alle Betreuungsverhältnisse in ein Angestelltenverhältnis und in einen bestehenden KV des Gesundheitsbereichs zu überführen, mit allen Schutzrechten. Die Vorarlberger Medien versuchten, die Dringlichkeit dieser Forderung zu relativieren. In der Nachrichtensendung Vorarlberg Heute wurden Best-practice-Beispiele herangezogen, in erster Linie kamen die Agenturen zu Wort: Die selbständigen Betreuerinnen hätten ja freie Wahl des Arbeitsortes, Probleme existierten in „Einzelfällen“. Matthias Neustädter drängte in der Radiosendung „Neues bei Neustädter“ die Vidaflex-Gewerkschafterin live in eine Ecke, bis diese selbst trotz richtiger Darstellung der Verhältnisse von „notwendiger Übertreibung“ sprach. Die IG24 kontert derzeit mit ihren Beiträgen die Falschdarstellungen des ORF.
In meinen (berufsbedingten) Gesprächen konnte noch jede Betreuerin ihre ganz persönlichen „Einzelfälle“ bestätigen. 24/7-Betreuerin zu sein kann bedeuten: über einen ganzen Monat hinweg täglich schwerste Pflegearbeit zu leisten und dennoch nachts mehrmals gerufen zu werden; sich bereits in den ersten Tagen vor aggressiven Patienten oder Angehörigen tagelang in einem Zimmer einzusperren und in Flaschen zu urinieren, um danach von der eigenen Agentur zu hören, man dürfe nicht sofort aufgeben (45% machen Gewalterfahrungen); rund um die Uhr von einer bemühten und freundlichen Familie umgeben zu sein – und genau dadurch von der Enge eines fremden Haushalts erdrückt zu werden usw. Es bedeutet ständigen Ortswechsel und ein Erschwernis für das Führen dauerhafter familiärer oder romantischer Beziehungen, egal ob zu Menschen in der Heimat oder im Arbeitsland.
Betreuerinnen hätten Streikmacht, das Gesundheitssystem ist mittlerweile völlig von ihnen abhängig. Die Vereinzelung und die Notwendigkeit finanzieller Transfers in die Heimat üben aber starken Druck auf jede Organisierung aus. Was wir brauchen, ist solidarische Organisierung aller Beschäftigten im Gesundheitsbereich, mit einem Kampf für gute Arbeitsbedingungen für ALLE! Im Rahmen eines solchen Kampfes könnten die Kolleginnen in der Betreuung ihre Vereinzelung am besten überwinden.
Wir brauchen aber mehr: die Grundlage dieser Überausbeutung ist der Imperialismus der EU und die Armut in Europa – das europäische Kapital hat sich nicht zufällig gerade den profitablen Investitions- und Arbeitskräftemarkt Rumäniens durch autoritäre Eingriffe in die rumänischen Wahlergebnisse gesichert. Es ist auch nicht erstaunlich, dass die nationalistischen Kandidaten gerade unter Auslandsrumänen die höchsten Zustimmungsraten verzeichneten – Erfahrung lehrt.
Der gesamte Balkan leidet unter Entvölkerung, seine Migrantinnen stopfen die tiefer werdenden Versorgungslücken in den westeuropäischen Sozialstaaten. Dies ist kein Zukunftsmodell. Wir müssen dafür sorgen, dass menschenwürdige Pflege und armutssichere Pensionen von den Profiten unserer Kapitalisten bezahlt werden.
„Was ihr erlebt ist moderne Sklaverei, und was euer Land erlebt ist moderner Imperialismus!“ In einem Pausentreffen mit acht Betreuerinnen bestätigten mir alle Kolleginnen lautstark diese Aussage. Nieder mit dem Kapitalismus, für die vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!
(Funke Nr. 234/28.05.2025)