Die Fahrradboten nutzten die EM für Streiks und erhöhten im Kampf um einen besseren Kollektivvertrag den Druck auf die Arbeitgeber. Doch derzeit sieht es ganz nach einer Pattsituation aus. Von Konstantin Korn.
Seit Ende November letzten Jahres zieht sich der Arbeitskampf der Rider schon. Die zentrale Forderung der Rider ist eine ordentliche Lohnerhöhung in dieser Niedriglohnbranche, mit der zumindest die Inflationsrate (8,7%) abgegolten werden soll. Die Unternehmen bieten aber weiterhin nur 5,8%.
In der Branche dominieren zwei große Unternehmen: Foodora und Lieferando. Vor allem die pinke Foodora-Flotte mischt derzeit den Markt auf. Mit einer sehr aggressiven Strategie will Foodora seinen Marktanteil weiter vergrößern. Dazu gehören z.B. Nachtlieferungen bis 1 Uhr (während Konkurrent Lieferando „nur“ bis 23 Uhr liefert) oder die Erweiterung des Angebots auf Transporte von sensiblen Produkten wie Medikamenten, die bisher von kleineren, spezialisierten Lieferdiensten übernommen wurden. Teil dieser Offensive ist eine extreme Wettbewerbskultur in der Belegschaft, die gezielt vom Management geschaffen und aufrechterhalten wird. Bei Foodora gibt es ein undurchsichtiges Rankingsystem, nach dem die Schichten zugeteilt werden. Zum Beispiel kann man für Wochenend-, Feiertags- und Nachtdienste Extrapunkte sammeln und sich somit gegenüber den anderen Fahrradboten für mehr oder attraktivere Schichten qualifizieren. Jobeinsteiger erhalten zu Beginn automatisch bevorzugte Rankings, sodass sie mehr verdienen können und dadurch zur Investition in bessere Ausrüstung (wie E-Bikes) verleitet werden. Doch bei den kleinsten Verfehlungen (fehlender Helm, Verspätung bei Dienstantritt, Kundenbeschwerden, weil bei der Lieferung etwas fehlte) wird man herabgestuft. Die Folge sind weniger oder gar keine Schichten und somit existenzbedrohende Einkommensverluste. Solche Repressionen sind möglich, da bei Foodora fast alle Rider freie Dienstnehmer sind.
Diese Arbeitsverhältnisse sind extrem prekär. Wer nicht funktioniert, kann jederzeit durch neue oder „flexiblere” Rider ersetzt werden. Wer sich organisiert und an Streiks beteiligt, riskiert in diesem System natürlich sehr viel. Foodora hat z.B. bei den aktuellen Streiks bereits einige Rider kurzerhand gekündigt.
Das erklärt auch, warum die Streiks bei Foodora eine viel geringere Beteiligung haben als bei Lieferando, wo Rider eine Festanstellung haben. Gleichzeitig spürt Lieferando aber den wachsenden Konkurrenzdruck und ist daher nicht so leicht zu Zugeständnissen gegenüber der eigenen Belegschaft zu bewegen. Die Unternehmen spielen also auf Zeit, in der Hoffnung, dass den Riders die Luft ausgeht.
Die beschriebene Pattsituation kann mit den bisherigen Kampfmethoden der Gewerkschaft nicht durchbrochen werden. Die Streiks in Wien, Graz und Innsbruck bei den drei Vorrundenspielen des österreichischen Teams bei der EM waren ein Schritt vorwärts. Die Rider nutzen die Öffentlichkeit der Fußball-EM und wollen aufzeigen, dass die großen Marktführer zwar Unsummen für UEFA-Sponsoring, nichts aber für die Rider übrig haben. Ein Genosse aus Graz berichtete uns vom dortigen Streik:
„Der Streikposten am Seiteneingang des Lieferando Hubs in der Kalchberggasse (gegenüber liegt gleich das AMS!) hält Kollegen auf, die zur Arbeit kommen; erklärt warum diese nicht arbeiten sollten, jene die noch immer nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, werden kurzerhand aufgenommen, damit sie nicht um ihre Bezüge umfallen, oder diese zumindest in zwei Monaten bekommen. Das wird regelmäßig von den entlang der Straße sitzenden und lehnenden Leuten in den orangen Westen mit Beifall quittiert.“
Die Streikbereitschaft ist bei der Lieferando-Belegschaft durchaus gegeben, aber die Art, wie der Kampf von der Gewerkschaft organisiert ist, weist nicht wirklich nach vorne. Ein Kollege beschreibt die Stimmung an den Treffpunkten der Streikenden als „unruhige Langeweile“. Die Gewerkschaft, die den Streik unterstützt, hat weiterhin einen sehr passiven, defensiven Zugang. Dass sich die Streikenden einen anderen Zugang wünschen, zeigen die Gespräche, die wir mit Kollegen in Graz und Innsbruck führen konnten: „Es braucht eine Demonstration oder Kundgebung. Vor die Wirtschaftskammer müssten wir gehen. Der Hub in Graz ist einfach zu weit ‚weg vom Schuss‘, um gut sichtbar zu sein.“ Ein anderer Kollege meint: „Wir müssen auch andere Branchen erreichen.“ Absolut, dem ist nicht viel hinzuzufügen!
In den Gesprächen zeigt sich, wie kampfbereit die Rider sind. Ihnen ist bewusst, wie wenig sie zu verlieren haben: einen prekären Job, ein Gehalt unter der Armutsgrenze, teils mit unsicheren oder schlecht gewarteten Fahrrädern durch den Innenstadtverkehr, und das bei jedem Wind und Wetter.
Diese Bedingungen erklären aber auch, warum es einen so großen Turnover in der Belegschaft gibt. Den Aufbau einer stabilen gewerkschaftlichen Organisation macht das natürlich nicht gerade einfach. Die Bereitschaft, die vorhandenen Hürden zu nehmen, ist aber spürbar. Die Streikenden sind unterschiedlichster nationaler Herkunft und nur die wenigsten sprechen Deutsch. Es ist schon ein kleines Wunder, überhaupt eine Streikversammlung zustande zu bekommen. Die Sprachbarriere ist allgegenwärtig: mit Englisch geht‘s so halbwegs, für die restlichen Kollegen gibt es bei den Versammlungen eine Flüsterübersetzung.
Zum Abschied stellen wir die Frage, was sich denn ändern müsste, damit es in der Branche besser wird. „Die Bonzen gehören weg“, kommt es wie aus der Pistole geschossen von einem rumänischen Kollegen. Er ist Kommunist, gibt uns seine Telefonnummer und will in Kontakt bleiben.
(Funke Nr. 225/8.07.2024)