Die Anfang der 1990er Jahre von George Bush Senior ausgerufene „neue Weltordnung“ zerbröselt vor unseren Augen. Die mächtigste imperialistische Nation auf der Welt verliert zunehmend die Kontrolle und stürzt von einer Krise in die nächste. Von Willy Hämmerle.
Der US-Imperialismus sah nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Weg frei für eine „unipolare Welt”, in der die USA als einzige Supermacht den Ton angeben. Wo immer es notwendig oder gerade eine gute Gelegenheit war, um den eigenen Einfluss und die Profitinteressen der US-Konzerne durchzusetzen, gingen die Imperialisten in die Offensive. Die Interventionen am Balkan rund um die Zerstörung Jugoslawiens, die NATO-Osterweiterung und die Kriege im Nahen Osten (Irak 1991, Afghanistan 2001, Irak 2003) waren dabei nur die Höhepunkte dieser „neuen Ära”, in der es scheinbar keinen globalen Konkurrenten mehr gab.
Schon recht bald offenbarte sich aber, dass auch der mächtige US-Imperialismus keine absolute Narrenfreiheit genießt. Die Limits zeigten sich beispielsweise, als der russische Imperialismus im Jahr 2008 mit einer Intervention in Georgien die Ausbreitung der NATO in den Kaukasus verhinderte, und bei der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014. 2011 mussten sich die USA nach acht Jahren Krieg aus dem Irak zurückziehen, ohne groß etwas vorweisen zu können. 2021 folgte nach 19 Jahren der Rückzug aus Afghanistan und die erneute Machtübernahme der Taliban. In Syrien wurden die US-unterstützten Rebellen vom durch Russland gestützten Assad-Regime geschlagen.
Alle diese Niederlagen sind für sich genommen keine existenzbedrohenden Katastrophen, in ihrer Gesamtheit sind sie aber die Symptome für den relativen Niedergang des US-Imperialismus, der schon lange nicht mehr schalten und walten kann, wie er will. Die materielle Grundlage dafür ist der relative Abstieg der US-Wirtschaft und der Aufstieg neuer Mächte, allen voran China. Es gab einmal eine Zeit, als die USA die Hälfte des weltweiten BIP erwirtschaftete. Heute ist es noch ein Viertel.
Je weiter sich die Krise auf Weltebene zuspitzt, desto mehr verschärft sich die politische Krise zuhause. Die herrschende Klasse in den USA ist tief gespalten und es wird Jahr für Jahr schwieriger für sie, stabil zu regieren. Daran hat auch die Abwahl von Donald Trump nichts geändert. Jede Hoffnung, dass mit Joe Biden zumindest wieder „seriöse Politik” auf der Tagesordnung steht, hat sich, nicht zuletzt durch seine wiederholte offenkundige Verwirrtheit bei öffentlichen Auftritten, in Luft aufgelöst. Zuletzt bezeichnete Biden etwa nach einem lange erwarteten Treffen den chinesischen Präsidenten Xi Jinping bei der darauffolgenden Pressekonferenz als „Diktator”, was beim Außenminister Blinken sichtbare Unruhe auslöste.
Die wenigen Wahlversprechen im Sinne der Arbeiter sind auf die lange Bank geschoben, während ein Streik der Eisenbahner auf seine Initiative hin vom Kongress verboten wurde. Seine Amtszeit steht ganz im Sinne der kapitalistischen Krise: Unsummen für Militär und Konzerne, ein paar kleine Zugeständnisse und sonst nur Angriffe für die Arbeiterklasse. Kein Wunder also, dass seine Beliebtheitswerte auf einem ähnlich niedrigen Niveau sind wie die von Donald Trump zu seiner unbeliebtesten Zeit als Präsident.
Die Spaltung geht tief durch den Staatsapparat, dessen Institutionen immer offensiver gegen den politischen Gegner instrumentalisiert werden. So lieferte sich Trump Auseinandersetzungen mit den Geheimdiensten, und der von den Republikanern kontrollierte Oberste Gerichtshof ließ jeden Schein von Unabhängigkeit fallen, indem er Urteile gegen das Recht auf Abtreibung, LGBT-Rechte und den geplanten Erlass von „student loans” erließ.
Die Republikaner sind ihrerseits gespalten. Sie stellen die Mehrheit im Kongress, trotzdem brauchte es Anfang dieses Jahres 15 Wahlgänge, um Kevin McCarthy zum Speaker of the House (Parlamentspräsident) zu wählen. Es war das erste Mal seit 100 Jahren, dass der Kandidat der Mehrheitsfraktion mehr als einen Wahlgang brauchte. Eine kleine Gruppe republikanischer Trump-Hardliner um Matt Gaetz gab ihr Einverständnis erst, als sie einen 55-seitigen Forderungskatalog mit umfassenden Minderheitenrechten durchgebracht hat.
Und trotzdem musste McCarthy auf Initiative von Matt Gaetz seinen Posten schon im Oktober wieder räumen, als er einen Kompromiss mit den Demokraten verhandelt hatte, um einen „Government Shutdown” wegen fehlender Finanzmittel zu verhindern. Seitdem werden in den USA nur mehr Übergangsbudgets beschlossen, um immer wieder in letzter Minute einen Shutdown zu verhindern. Einigkeit herrscht über die Notwendigkeit zu sparen – insbesondere im Sozialsystem. In den kommenden Wochen und Monaten steht aber die finanzielle Unterstützung für die Ukraine, Israel und Taiwan zur Debatte. Die Spaltung über die „richtige” Außenpolitik schwächt die USA auch auf Weltebene weiter – erst kürzlich ließ das Weiße Haus verlautbaren, dass die genehmigten Mittel für den Ukrainekrieg nur noch bis Ende des Jahres reichen werden.
Trump und seine Anhänger setzen mit ihrer reaktionären Demagogie am weit verbreiteten „Anti-Establishment”-Gefühl an. Es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass er nächstes Jahr wieder Präsident werden könnte, was die Krise des politischen Regimes nur noch weiter zuspitzen würde. Möglich ist das nur, weil die Arbeiterklasse keine politische Organisation hat, die ihre Klasseninteressen vertritt.
Die USA sind tatsächlich, wie der russische Revolutionär Leo Trotzki einmal festhielt, ein „Gigant auf tönernen Füßen”. Die mächtige amerikanische Arbeiterklasse ist angesichts der tiefen Krise in eine stetig wachsende Welle an Organisierung, Klassenkämpfen und Streiks eingetreten. Zuletzt legten die Autoren und Schauspieler die Traumfabrik Hollywood monatelang lahm und die Arbeiter in der Automobilindustrie streikten 6 Wochen lang. Biden, der letztes Jahr noch den Streik der Eisenbahner sabotierte, sah sich (als erster Präsident in der Geschichte der USA!) dazu gezwungen, den streikenden Automobil-Arbeitern seine Unterstützung auszusprechen, doch auch Trump sprach in einer Autofabrik und warb um Unterstützung. Das zeigt, welche Gefahr die Bürgerlichen in der Arbeiterbewegung sehen – wenn sich die Arbeiter aus den Klauen der bürgerlichen Parteien befreien. Dafür kämpfen unsere Genossen in den USA: Für eine kommunistische Massenpartei, für den Sturz des US-Imperialismus, für den Sozialismus zu unseren Lebzeiten!
(Funke Nr. 219/06.12.2023)