Dieses Perspektiv-Dokument wurde bei der Konferenz der Funke-Strömung am 24. März 2024 diskutiert und verabschiedet. Es beschreibt die zentralen Bruchlinien und Widersprüche des Kapitalismus in der Welt und in Österreich und die Aufgaben der Revolutionären Kommunisten. Auf Basis dieser Perspektiven beschloss die Konferenz die Gründung der Revolutionären Kommunistischen Partei in Österreich bis zum Frühjahr 2025.
Inhalt
Wendepunkte: Der Nachkriegsboom ist aufgezehrt
Der österreichische Kapitalismus, sein Staat und der Reformismus
Superwahljahr 2024
Demoskopie offenbart politische Apathie und Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse
Die Fortgeschrittensten wollen Kommunismus
Babler: Das schnelle Scheitern des Linksreformismus
KPÖ: Auferstanden aus Ruinen
Der Klassenkampf und die Gewerkschaften
Schlussbemerkung
Die Aufgabe eines Perspektivdokuments einer kommunistischen Organisation besteht darin, die vorgefundenen objektiven Bedingungen einer rigiden wissenschaftlichen Analyse zu unterziehen, um als Organisation in ihr zu intervenieren. Dabei gilt es analytisch die wesentlichen von den unwesentlichen Tendenzen und Erscheinungen zu unterscheiden.
Die zentrale Bedeutung kommt der Entwicklung der Wirtschaft zu, die bestimmt, ob der Verteilungskampf der Klassen tendenziell zu- oder abnimmt. Wirtschaftskrisen wirken sich vielfältig auf das Leben und das Bewusstsein der Arbeiterklasse aus und bestimmen ihre Grundhaltung zum System: Wird das Leben tendenziell besser und leichter oder schlechter und unsicherer? Auch in der Kapitalistenklasse lautet die Frage: Vergrößert oder verkleinert sich der Markt und damit die Realisierbarkeit von Profiten? Je nachdem nehmen die Widersprüche innerhalb der herrschenden Klassen zu oder ab.
Ein grundlegendes Entwicklungsgesetz der Dialektik und damit auch der Geschichte ist der Umstand, dass die Anhäufung von langsamen quantitativen Veränderungen letztendlich eine neue Qualität erzwingen: Plötzlich treten Krisen, Kriege, Katastrophen, Zusammenbrüche, Massenbewegungen, Revolutionen etc. auf. Solche Ereignisse haben eine besondere Bedeutung für den Gang der weiteren Ereignisse.
Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Wendepunkte (der Philosoph Hegel nennt sie „Knotenpunkte“) weder von ihrem Zeitpunkt noch von ihrer Qualität exakt vorausgesagt werden können. Dies trifft auf alle Verhältnisse zu. Man weiß etwa mit Sicherheit, dass die Stadt San Francisco oder Istanbul auf einer geologischen Verwerfungslinie liegen und daher neuen Erdbeben ausgesetzt sind. Wann das nächste derartige Ereignis genau stattfinden wird, kann die Geologie aber nicht voraussagen. Wie viele Menschen in diesem kommenden Katastrophenereignis ihre Wohnung oder gar ihr Leben verlieren, ist wiederum eine Frage der Qualität der Häuser, die der Kapitalismus für die Arbeiterklasse errichtete.
In der Analyse der menschlichen Gesellschaft ist es ähnlich und sogar noch komplizierter. Ein und dasselbe Ereignis kann entweder gar keine Reaktion oder aber einen Aufstand auslösen. Das Bewusstsein der Menschen ist tendenziell konservativ aber auch extrem elastisch: Es kann sich innerhalb kürzester Zeit so wandeln, dass der Mensch, der am Morgen aufsteht, am Abend nur noch äußerlich dieselbe Person ist. Das klassische Beispiel dafür ist der „Blutsonntag“ der St. Petersburger Arbeiter, der am Beginn der Russischen Revolution von 1905 stand. Die Arbeiterklasse kann vieles ertragen und erdulden, aber irgendein Anlass ist der sprichwörtlich letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Marx beschreibt dies unvergleichlich tief: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ (Marx, 18. Brumaire)
Ein Perspektivdokument ist also keine Glaskugel, die die Ereignisse genau voraussagen kann. Wir fassen hier den grundlegenden Zustand und die Entwicklungstendenzen des Weltkapitalismus und die historisch gewachsenen Bedingungen, unter denen die Arbeiterklasse sich hierzulande bewegt. Dies erlaubt es uns, in die konkreten Ereignisse schnell und mit sicherer Hand zu intervenieren. Richtiges und energisches politisches Agieren an solchen Wendepunkten ist zentral für das Wachstum und die tiefere Verankerung der revolutionär-kommunistischen Organisation in der Arbeiterklasse und Jugend. Alles dies fällt umso leichter, je klarer wir den Zustand des Kapitalismus und die Lage der Arbeiterklasse grundsätzlich erfassen.
Wendepunkte: Der Nachkriegsboom ist aufgezehrt
Österreich hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg im längsten kapitalistischen Aufschwung der Geschichte (1947-1974) zu einer der reichsten Nationen der Welt entwickelt. Die feste politische Einbindung in den Westen, kombiniert mit spezifischen historischen Verbindungen zu Osteuropa (und kurzzeitig, in den 1970igern, zum Nahen Osten) und einer militärischen „Neutralität“, die half, unproduktive Kosten zu sparen (es gab wenig Militärausgaben im Vergleich zu anderen Ländern), boten spezifisch gute Entwicklungsbedingungen. Ökonomische, finanzielle und politische Stabilitätsfaktoren wurden aufgebaut, von denen das Land bis heute zehrt.
Die 1990er Jahren waren von einer Expansion des österreichischen Kapitals geprägt. Der Fall der stalinistischen Arbeiterstaaten (Sowjetunion, Osteuropa, Jugoslawien) ermöglichte es dem österreichischen Kapital, schlagartig zu expandieren. Bereits zuvor hielt es starke Handelsverbindungen in diese Weltregion aufrecht und genoss dadurch in der Plünderung Osteuropas und des Balkans einen Startvorteil. 1995 erfolgte der Beitritt zur EU und 2002 die Einführung des Euros. Auch diese Veränderungen vergrößerten die internationalen Marktanteile der österreichischen Kapitalisten. Konstanter Sozialabbau und die Zerschlagung der verstaatlichten Industrie im Inland im Zuge der Kampagne zur „Erlangung der Europareife“ waren weitere wichtige Faktoren dieser Expansionsphase der Austro-Kapitalisten. Es begann die Goldene Epoche des österreichischen Imperialismus.
Dies war die Periode der sogenannten „Globalisierung“, der nochmaligen rasanten Ausweitung des Welthandels und der Vertiefung der weltweiten Arbeitsteilung. Die Integration der Weltwirtschaft ist heute so tief, dass ein völliges Auseinanderbrechen kaum denkbar ist. Es wäre eine absolute Katastrophe für den Wohlstand auf der ganzen Welt. Dennoch erzwingen Privateigentum und Nationalstaat eben diese Rückbewegung, die mit der Weltwirtschaftskrise von 2008 einsetzte. Dies manifestiert sich im Wiedereinführen von Zöllen (begründet wird das demagogisch mit „Klima- oder Konsumentenschutz“), Subventionen für die heimische Industrie („Greenconversion und Klimaschutzmaßnahmen“, nationalstaatliche Entschädigungen für Profitentgang durch COVID und Energiepreise), strategische Ansiedlung von Schlüsseltechnologien im eigenen Einflussbereich zur Reduktion strategischer Abhängigkeiten (bei Technologie, Daten, Industrie und natürlichen Ressourcen), Sanktionen und Ausfuhrverboten (z.B. 12 Sanktionspakete der EU gegen russische Waren und Kapitalisten, technologische Sanktionen gegen chinesische Halbleiterproduktion).
Die grundlegende ökonomische Tendenz in den kapitalistischen Weltbeziehungen ist heute also die sogenannte „Deglobalisierung“, das Auseinanderreißen des Weltmarktes in konkurrierende Nationalstaaten und Blöcke. Dieser Epochenwandel hat weitreichende Konsequenzen für Österreich, das stark vom internationalen Handel und Kapitalverflechtungen abhängig ist.
Die Ökonomie wird weltweit immer politischer. Die Bedeutung der Staatsapparate, Staatsgelder, Zentralbanken, bilateraler Abkommen und Höchstgerichte im Wirtschaftsleben ist überall im Steigen begriffen. Die weltweite militärische Aufrüstung, die Zunahme von militärischen Auseinandersetzungen und Kriegen ist die politische Weiterführung dieser Tendenz der gegenseitigen Abkoppelung. Wenn die Märkte nicht mehr wachsen, können die Gegensätze zwischen den kapitalistischen Nationen eben letztendlich nur mit Gewalt ausgetragen werden.
Aufgrund der historisch gewachsenen engen Verflechtung Österreichs mit Russland und Osteuropa ist die politische und wirtschaftliche Konfrontation des westlichen und des russischen Imperialismus von entscheidender Bedeutung für die Abwärtsbewegung des Kapitalismus in Österreich in den kommenden Jahren: War die „Brückenfunktion“ zwischen Ost und West einst eine besonders profitable Position und die kapitalistische Restauration Osteuropas eine Goldgrube, wird unter den geänderten Vorzeichen mit der Konfrontation der Staaten das Land auf eine geopolitische „Bruchzone“ geschoben. Österreich ist den Verschiebungen und Konflikten in den Weltbeziehungen besonders ausgesetzt, was ein bedeutender und zunehmender Instabilitätsfaktor sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik sein wird.
Kräfteverhältnisse entwickeln sich graduell, oberflächlich oft kaum wahrnehmbar, schlussendlich aber äußern sich die aufgetürmten Gegensätze gewaltsam, katastrophal etc. und eine neue Realität bricht durch.
Dazu eine Betrachtung aus dem Weltperspektivendokument 2023: „Die heutige Weltkrise stellt klarerweise einen Wendepunkt in der Gesamtlage dar. Aber man könnte ebenso 2008 als Wendepunkt bezeichnen. Das trifft voll und ganz zu, so wie auch auf das Jahr 1973: Die erste weltweite Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt wirklich viele Situationen, die man als Wendepunkte beschreiben kann, und es wäre gefährlich für uns, diesen Ausdruck bedeutungslos zu machen, indem wir ihn ständig stumpf wiederholen. Und doch ist dieser Begriff alles andere als bedeutungslos. Im Gegenteil: Er enthält einen sehr tiefgründigen Gedanken. Es handelt sich dabei in Wirklichkeit um eine Ausdrucksweise für Hegels Begriff der Knotenlinie der Entwicklung, worin eine Reihe kleiner (quantitativer) Entwicklungen an einem kritischen Punkt in eine qualitative Veränderung umschlägt. Jeder Wendepunkt hat Gemeinsamkeiten mit der Vergangenheit sowie seine spezifischen Eigentümlichkeiten. Notwendig ist es, die Besonderheiten in der Situation herauszuarbeiten und die konkreten Veränderungen, die daraus hervorgehen, zu erklären.“
Als zentrale Wendepunkte im Weltkapitalismus benennen wir:
Den Ausbruch und die Effekte der Weltwirtschaftskrise von 2008/09, der die Bourgeoisien aller Staaten zuerst noch gemeinsam mit einer Ausweitung der Geldmenge zur Stabilisierung der Weltwirtschaft begegneten. Null-Zins, ein stetig wachsender Anteil der Zentralbanken am Finanzmarkt, Schuldenexplosion von Staaten, Konzernen und privaten Haushalten, die Schulden machen heute 350% der Weltwirtschaftslistung aus – so viel wie noch nie in der Geschichte des Kapitalismus in „Friedenszeiten“. Gleichzeitig: Die Ära des Freihandels, der Hauptmotor der wirtschaftlichen Expansion des Kapitalismus nach 1945, begann sich in ihr Gegenteil zu verkehren, was sich erstmals im Scheitern der Welthandelsrunde von Doha 2014 manifestierte.
Obwohl die Produktivkräfte wirtschaftlich gesehen längst den politischen Organisationsrahmen der Bourgeoise, den Nationalstaat, durchbrochen haben und für den Weltmarkt produzieren, bleibt der Nationalstaat das wichtigste Instrument der Machtausübung der Kapitalistenklasse. Solange die Märkte expandierten, konnten die miteinander konkurrierenden Nationalstaaten Europas mit den EU-Verträgen ein hohes Maß an Integration erzielen, bis hin zur Einführung einer gemeinsamen Währung und der Herausbildung einer (extrem schwachen) Staatlichkeit. Alle Nationalstaaten konnten, wenn auch unterschiedlich stark, davon profitieren, dass man als EU „gemeinsam“ eine Wirtschaftsregion bildet.
Aber jeder Nationalstaat hat seine eigenen Interessen, die in der Krise zunehmend in Widerspruch zueinander treten. Daher treten zentrifugale Kräfte innerhalb der EU und des EURO-Raums auf. Dies manifestiert sich in der griechischen Staatsschuldenkrise (2012ff), dem Brexit (2020), der Unfähigkeit der EU seit dem Beitritt Kroatiens (2013) am Balkan und in Osteuropa weiter zu expandieren, dem Zusammenbruch des Schengen-Abkommens innerhalb der EU, dem Zusammenbruch der Achse Frankreich-Deutschland, dem einstigen Motor der europäischen Integration, Deutschlands militärische Initiative „Sky Shield“ abseits der EU-Strukturen, EU-Sanktionen gegen Mitgliedsstaaten (Polen und v.a. Ungarn), kurzfristige diplomatisch-finanzielle Manöver, in denen EU-Staaten sich gegenseitig erpressen, um gemeinsame Beschlüsse zustande zu bekommen (wie jüngst zum Ukraine-Beitrittsprozess gegenüber Ungarn), die nur Zeit gewinnen, aber die Widersprüche zwischen den europäischen Nationalstaaten nicht auflösen. Als kleinster gemeinsamer Nenner für die europäischen Bourgeoisien im globalen Wettbewerb der Blöcke wird die EU zumindest in ihrem Kern auf absehbare Zeit Bestand haben, aber eine Vertiefung der Integration ist unter kapitalistischen Verhältnissen unmöglich. Im Ringen der drei großen Mächte (USA, China, EU) ist die EU das schwächste Glied.
Die militärischen Niederlagen der USA im Irak und in Afghanistan; die wahrscheinlicher werdende Niederlage in der Ukraine; und die Widersprüche zwischen den USA und ihrem wichtigsten Vasallen im Nahen Osten (Israel) im Gaza-Krieg zeigen die schwindende Macht der seit dem Zweiten Weltkrieg unbestrittenen dominanten imperialistischen Macht auf der Welt.
Das drei Jahrzehnte lange Wirtschaftswachstum Chinas hat es zu einem entscheidenden Faktor in der internationalen Arbeitsteilung gemacht. Der Aufstieg Chinas hat die Weltwirtschaft mehrmals von einem Absturz („Asienkrise“ 1998, „Dot.com-Krise“ 2000, „Finanzkrise“ 2007ff) bewahrt, doch die Phase des ungebremsten Wachstums ist vorbei. Chinas ungebremste industrielle Expansion ist beendet, die Entwicklung der Binnenökonomie ist heute von gleichen Krisenerscheinungen geprägt wie im Westen (Überproduktion und hohe Verschuldung). Seine Waren und Kapital drängen auf den Weltmarkt und treten hier in Konkurrenz zu den alten und weiter dominierenden Mächten USA und Europa. China ist heute eine imperialistische Macht, die im Gegensatz zu den westlichen Blöcken USA und Europa steht und deren Eindämmung ein Hauptmotor der protektionistischen Maßnahmen des Westens ist.
Regionale Mächte wie Russland, Indien und die Türkei nutzen die relative Schwäche des Westens, um ihrerseits Märkte und Einflusszonen zu erobern.
Die COVID-Krise im Jahr 2020 beschleunigte die vorherrschende Haupttendenz der Deglobalisierung und verschärfte alle wirtschaftlichen Krisenerscheinungen schlagartig. Die globalen Lieferketten wurden (durch Lockdowns und politische Interventionen) unterbrochen. Die Staaten reagierten mit der nochmaligen Steigerung der seit 2008 betriebenen inflationären Geld- und Budgetpolitik durch eine neue massive Geldschwemme der Zentralbanken und enorm hohe Budgetdefizite („Koste es was es wolle“, damaliger Bundeskanzler Kurz). Gleichzeitig brachen die Produktion und Konsumtion ein. Dies legte die Basis für die Entstehung einer globalen inflationären Welle ab Sommer/Herbst 2021.
Die schlagartige Erhöhung der Energiepreise im Zuge des Ukrainekrieges ab Februar 2022, besonders in den traditionell von Russland belieferten Märkten (darunter Österreich, Ungarn, Slowakei), ist ein wichtiges Element der anhaltend überdurchschnittlichen Inflation in den betroffenen Ländern.
Die Arbeiterklasse ist gezwungen, auf die Inflation mit Klassenkampf zu reagieren.
Die innen- und außenpolitische Stabilisierung des russischen Imperialismus in den letzten 20 Jahren ermöglichte es Russland, den seit 2015 eingefrorenen Konflikt um die Integration der Ukraine in den Westen und seiner Regierung in Kiew militärisch entgegenzutreten. Der Krieg dauert nun zwei Jahre, es ist der blutigste Konflikt in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Ein Siegfrieden der Ukraine, das deklarierte Ziel des westlichen Imperialismus und seiner liberalen Kriegshetzer, ist militärisch gesehen ausgeschlossen. Der Ukraine fehlen dafür das Menschenmaterial und die notwendigen Waffen, um gegenüber Russland in eine militärisch vorteilhafte Position zu kommen. Bestenfalls können der Westen und sein ukrainisches Regime für einige Zeit ein militärisches Patt aufbauen und stabilisieren. Das in die Länge ziehen des Krieges ist die Hauptstrategie des Westens, da die westlichen Bemühungen um die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen (die die USA und GB im April 2022 sabotierten) nunmehr von Russland brüsk verneint werden, es setzt aktuell auf militärischen Sieg. Ein Fortbestand der Ukraine in den Grenzen von 1991 ist ausgeschlossen, ein EU-Beitritt der Ukraine ist unmöglich, da er die EU selbst zerreißen würde. Das Sanktionsregime des Westens gegen Russland untergräbt die eigene wirtschaftliche Kraft gleichzeitig mehr als jene Russlands und führt zu einer Verschiebung des wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisses innerhalb der westlichen Alliierten von Europa zu den USA und innerhalb von der EU von Deutschland zu den amerikanischen Satelliten in der EU (Polen).
Eine großflächige Rückabwicklung der (zunehmend zweiseitig verhängten) Wirtschaftssanktionen ist unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Russland enteignet zunehmend westliche Unternehmen (zuletzt die Anteile der OMV und der deutschen Wintershall an einem arktischen Gasfeld, dies ist die erste Enteignung in Russland, der nicht eine Einstellung der Unternehmenstätigkeit zuvor ging) und umgekehrt bereitet man sich im Westen vor, eingefrorenes russisches Eigentum zu enteignen, um den Krieg der Ukraine weiter zu finanzieren. Für Österreichs Kapital ist dies eine enorm heikle Entwicklung. Die größte heimische Bank, die RBI macht 50% ihres Profites in Russland, mehr als 4 Mrd. € Profit liegen dort und können nicht nach Österreich zurücktransferiert werden. Der Westen, die USA und die EZB machen enormen Druck, dass die RBI sich aus Russland zurückzieht, Russland droht umgekehrt mit einer entschädigungslosen Enteignung, falls dieser Schritt gesetzt würde. So oder so, eine Bank kann nicht auf 50% ihres Profites verzichten und die Austro-Banker haben keinerlei Absicht, sich selbst zu amputieren. Die Regierung und die Nationalbank (ÖNB) versuchen, der Bank den Rücken gegen die eigenen Verbündeten zu stärken. Wie bei der Energieversorgung spielt die österreichische Bourgeoisie dabei auf Zeit und setzt ihre Hoffnung darauf, dass die Widersprüche im Weltkapitalismus abnehmen. Dies ist eine hoffnungslose Perspektive.
Der Niedergang der großen österreichischen Konzerne ist bereits im vollen Gange. Lange bevor der Kampf um die geopolitische Orientierung politisch ausgetragen wurde, drückten sie sich in den rasch wechselnden Managerbesetzungen des Konzerns OMV aus. Die Erdöl-Erdgas-orientierte „Russenfraktion“ im OMV-Management (Rainer Seele) wurde 2021 entmachtet und der Kunststoff-westorientierte Flügel (Alfred Stern) verliert nun den Machtkampf mit dem Abu Dhabi Staatsfonds über die Kontrolle des hochprofitablen Tochterkonzerns, den Kunststoffhersteller Borealis, der eigentlich die Zukunft des Konzerns sein sollte. Nach den Milliardenabschreibungen in Russland (2,5 Mrd. Verlust durch das enteignete Gasfeld, 1 Mrd. Verlust durch die Sprengung der Pipeline Nord Stream 1) hat die OMV, der größte Industriekonzern Österreichs (Bilanzsumme 2022: 56 Mrd. €) scheinbar keine Kraft, sich gegen den Machtanspruch ihrer arabischen Partner zu wehren. Der Immo-konzern Signa des Polit-Lieblings Rene Benko (bisher viertreichster Österreicher) schlittert unaufhaltsam in die Pleite. Benkos Konzern besteht aus einem undurchsichtigen Geflecht von 2.000 Firmen. Der Konzern schreibt seit vier Jahren Verluste, was durch immer neue Kredite abgedeckt wurde. Österreichische Banken sind nach bisherigem Wissensstand mit 5,2 Mrd. € investiert, in den letzten Jahren wurden zunehmend Finanzierungen aus den Golfstaaten und Russland aufgestellt. Die Umgebung von Benko selbst macht die EZB für den Zusammenbruch des parasitären Kartenhauses verantwortlich.
Diese Einzelereignisse zeigen eine tiefere Wahrheit: Die „goldene Ära“ des österreichischen Kapitalismus ist beendet. Österreich ist am absteigenden Ast. Im vom Economist erstellten Wettbewerbsfähigkeitsranking der 35 reichsten OECD-Staaten liegt Österreich aktuell nur am 33. Platz (Economist, 17.12.2023). Weniger Extraprofite bedeuten weniger politische Stabilität, und wir stehen erst am Anfang.
Für Georg Knill, Obmann der Industriellenvereinigung ist die Aussicht auf eine kommende Wiederaufbauphase der Ukraine „die stärkste Konjunkturhoffnung Europas“. Wie Lenin sagte: „Der Krieg ist schrecklich – schrecklich profitabel“. Tatsächlich war die Ukraine im Jahr 2023 jenes europäische Land mit dem (nach dem kriegsbedingten Einbruch 2022) höchsten Wirtschaftswachstum (5%). „Frieden“ in der Ukraine bedeutet, dass das Land eine Schuldkolonie mit billigen Arbeitskräften und profitablen Investitionsmöglichkeiten wird. Derweil wagen sich nur Rüstungskonzerne in der Ukraine groß zu investieren.
Doch objektiv geht es für den Westen, insbesondere die EU, in der Ukraine in absehbarer Zeit nur um ökonomische und politische Schadensbegrenzung. Der aus Sicht des Westens ungünstige Kriegsverlauf hat für Europa und die Welt weitreichendere Konsequenzen als die Niederlagen der USA (Afghanistan, Irak) zuvor. Bundesheer-Stratege Reisner über die Perspektive einer offenen Niederlage des Westens: „Dann steht die Weltordnung, wie wir sie jetzt kennen, auf dem Spiel. Das muss jetzt nicht sofort völliges Chaos und Krieg bedeuten. Aber wir müssen akzeptieren, dass diese dominante Vorreiter-Rolle, die wir (der Westen, Anm.) bis jetzt hatten und auch der Garant war für unseren Wohlstand und die Rohstoffversorgung, nicht mehr dieselbe sein wird. Und dass wir, das gilt vor allem für Europa, neu definieren müssen, welche Rolle wir in dieser multipolaren Welt haben“ (Interview NTV). Die „Neudefinition der Rolle Europas“ in den imperialistischen Weltbeziehungen wird die zunehmend fragilen Beziehungen zwischen den EU-Staaten weiter erschüttern, aber auch die ökonomische und politische Krise der österreichischen Bourgeoisie im Inneren anheizen.
Weltwirtschaft: Schwaches Wachstum, hohe Inflation, viele Risiken – Österreich im europäischen Vergleich schlecht
Die bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften tun sich mit der Einschätzung der Krise schwer, weil ihre ökonomischen Rechenmodelle der Komplexität der Widersprüche des Kapitalismus nicht Herr werden. Sie sagen ein schwaches Wachstum der Weltwirtschaft bei einer langsam sinkenden Inflation voraus, betonen aber einstimmig, dass ihre Prognosen allesamt ausschließlich mit „abwärts gerichteten Risikofaktoren“ behaftet sind, also Best Case-Szenarios beschreiben. Diese Prognosen zeichnen das globale Bild einer anhaltenden Stagflation, also schwaches Wirtschaftswachstum mit hoher Inflation – dies ist ein gemachtes Rezept für den ökonomischen Klassenkampf. In Zahlen: „Die Weltwirtschaft erholt sich weiterhin langsam von den Auswirkungen der Pandemie, dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und der Lebenshaltungskostenkrise. Die Weltwirtschaft hinkt vor sich hin. (…) Nach unseren jüngsten Prognosen wird sich das globale Wachstum von 3,5 Prozent im Jahr 2022 auf 3 Prozent in diesem Jahr und 2,9 Prozent im nächsten Jahr verlangsamen. (…) Dies liegt nach wie vor deutlich unter dem historischen Durchschnitt. (…) Die Gesamtinflation verlangsamt sich weiter, von 9,2 Prozent im Jahr 2022 auf 5,9 Prozent in diesem Jahr und 4,8 Prozent im Jahr 2024.“ (IWF World Economic Review, October 23)
Ökonomen der EZB schätzen die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in der EU im Jahr 2024 mit über 50% ein.
Die Wirtschaft in Österreich entwickelt sich im Vergleich zum Euro-Raum unterdurchschnittlich (alle Zahlen WIFO, 21.12.23): minus 0,8% im Jahr 2023, (prognostizierte) plus 0,9% im Jahr 2024 und 2% im Jahr 2025. Österreich steckt aktuell somit in der tiefsten Rezession der Eurozone und sein prognostiziertes Wachstum in den kommenden Jahren gehört zu den niedrigsten in Europa. Die Industriekonjunktur, die im 3. Quartal 2022 in eine halbjährige Stagnation und ab dem Frühjahr 2023 in eine Rezession fiel, soll im Herbst 2024 wieder zum Wachstum beitragen. 2023 ist die Auslastung der Maschinen in der Industrie von über 90% auf knapp über 80% gefallen. Sektoral wird weiter erwartet, dass der Bau 2024 noch tiefer in die Krise rutscht (-5%) und nur der Dienstleistungssektor, getragen vom Inlandskonsum und Tourismus, die schwache Konjunktur trägt. Hinzuzufügen bleibt die Beobachtung, dass die österreichischen Prognoseinstitute eine konjunkturelle Verbesserung oft in „ab einem halben Jahr“ ansetzen. Ob dies der geschilderten methodischen Schwächen der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre entspricht oder der in der Krise der bürgerlichen Demokratie wachsenden politischen Bedeutung der heimischen Wirtschaftsforscher für die politische Stabilität in der krisengeschüttelten Alpenrepublik, bleibt unklar.
Das Budgetdefizit (Differenz aus Einnahmen und Ausgaben des Staates) betrug 2022 3,5% des BIP (der Wirtschaftsleistung) und senkt sich nur langsam. Die Staatschuldenquote lag bei 78,4% der Wirtschaftsleistung: Das heißt, dass die Staatsschulden fast so hoch sind, wie 80% dessen, was die gesamte österreichische Wirtschaft in einem Jahr erwirtschaftet. Beide Kennziffern liegen im europäischen Mittelfeld, während vor der aktuellen Krisen Österreich noch im Spitzfeld lag. Je länger die Zinsen hoch bleiben, desto teurer wird die Finanzierung der Staatsschulden und neuer Defizite. Erstmals seit Jahren ist hier, ausgehend von einem niederen Niveau, ein steigender Anteil von Zinszahlungen an den Staatsausgaben zu verzeichnen. Eine anhaltende Rezession oder neue Schocks verstärken diesen Trend. Die Wirtschaftsforschungsinstitute verlangen die Halbierung des Budgetdefizits, es ist zu erwarten, dass im Zuge der kommenden Regierungsverhandlungen ein sogenannter „Kassensturz“ stattfindet, der mit „absoluter Wissenschaftlichkeit“ feststellen wird, dass eine unabdingbare Notwendigkeit von Sparmaßnehmen und Strukturreformen (insbesondere Pensionskürzungen) besteht.
Die Anzahl der Beschäftigten stagniert seit Mitte 2023 und die Arbeitslosigkeit steigt leicht. Generell aber gehen die Wirtschaftsinstitute von einer weitgehend stabilen Beschäftigung aus, weil die „Babyboomer“ vor der Pension stehen und die Migration (die zuletzt mit dem Ukrainekrieg eine Beschleunigung erfuhr) aus politischen Gründen (rassistische Politik) abnimmt. Das Wirksamwerden der Erhöhung des Frauenpensionsantrittsalter (eine Maßnahme der Pensionsreform 2003) im Jahr 2024 bedeutet, dass in dem kommenden 5 Jahren jährlich 20.000 Arbeiterinnen mehr am Arbeitsmarkt verbleiben. Auch die jetzigen Anstrengungen der Bürgerlichen, die Kinderbetreuung auszubauen, sind der Vergrößerung der industriellen Reservearmee geschuldet: Wenn Arbeitskräfteknappheit besteht, werden Frauen in den Arbeitsmarkt integriert, wenn die Krise kommt werden sie wieder in den „Schoß der Familie“ entlassen.
Die Ausbeutung der Arbeiter ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Der öffentliche Bereich (insbesondere die Daseinsfürsorge) ist chronisch unterbesetzt (im Pflegebereich etwa fehlen 73.000 neue Arbeitskräfte bis 2030) und steht im Wettbewerb mit dem Privatsektor um Arbeitskräfte. Die Mehrheit der Betriebe versuchen ihre Belegschaft „durch die Krise zu bekommen“, also nicht zu kündigen, um bei anspringender Konjunktur sofort loslegen zu können, ohne zuerst neue Arbeitskräfte finden und einschulen zu müssen. In den meisten Betrieben findet seit Monaten „nur“ eine Selektion von Mitarbeitern statt, jene mit den meisten Krankenständen, die aufmüpfig sind etc. werden gekündigt. Es gibt jedoch Anzeichen, dass sich diese Politik ändert: Magna, KTM und Steyr haben nun erste Massenentlassungen angekündigt. Weiters steigt die Zahl der Firmenpleiten, besonders im Handel, aber auch in der Industrie. Wenn sich diese Tendenz verschärft, kann dies einen Nachahmeffekt nach sich ziehen: Wenn der einzelne Unternehmer sieht, dass die Reservearmee der Arbeitslosen in der Industrieregion wächst, sinkt die Hemmschwelle zu entlassen allgemein.
Dies beschreibt das Szenario, wenn die Prognosen halten und keine neuen Schocks auftreten. Eine länger anhaltende Konjunkturflaute oder eine (schlagartig) sich vertiefende Krise macht einen Anstieg der Arbeitslosigkeit unvermeidbar. Auf Basis ihrer Prognosen sieht das IHS jedoch vorerst eine konjunkturelle Gefahr durch mangelnde Einwanderung nach Österreich, worunter sie eine mangelnde Konkurrenz am Arbeitsmarkt und dadurch einen Lohndruck nach oben verstehen: Sie befürchten, dass die Arbeiter am längeren Ast sitzen und „zu hohe Löhne“ verlangen können.
Überdurchschnittlich im Eurozonenvergleich soll sich hingegen die Inflation entwickeln. Seit der Einführung des Euros 1999 bis 2021 liegt die durchschnittliche Jahresinflation in Österreich bei 1,9% im Jahr. 2022 schnellte der Wert auf 8,5% (Euroraum: 8,4%). Seither bleibt die Inflationsrate in Österreich konstant über dem EURO-Durchschnitt. Sie beträgt 2023 7,8%, für 2024 sind 4%, 2025 3,1% prognostiziert. Dies bedeutet, dass die Inflation im kommenden Jahr doppelt so hoch sein wird als im Durchschnitt der Euro-Zone. Österreich hat damit auf Sicht eine der höchsten Teuerungsraten in der Euro-Zone.
Das Wirtschaftswachstum im Niederst- und die Inflation im Höchst-Bereich im Vergleich zur internationalen Konkurrenz sind keine guten Zeichen für die Attraktivität des Standorts Österreich. Das bedeutet, dass Kapitalisten ihre Investitionen in Österreich nicht am besten aufgehoben sehen und sich nach besseren Profitmöglichkeiten umsehen. Es bedeutet weiter, dass die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die sich an den großen Ländern mit einer deutlich niedereren Inflation orientiert, ab dem kommenden Jahr im Gegensatz zu der für Österreich notwendigen Politik der Beibehaltung hoher Zinsen zur Preisdämpfung stehen wird. Höhere Zinsen bedeuten weniger Kredit, damit eine geringere Geldmenge und weniger Konsumtion, was in Summe zur Dämpfung des Preisauftriebs führt – niedere Zinsen bedeuten eine umgekehrte Dynamik. Wenn die EZB die Zinsen senkt, obwohl die Inflation in Österreich weiter hoch ist, erhöht dies den Druck auf Einsparungen im Sozialbereich um den Konsum der Arbeiterklasse einzudämmen und so den Preisauftrieb durch ein Abwürgen des Konsums zu dämpfen. Eine langfristig überdurchschnittliche Inflation in Österreich hat aufgrund der Exportorientierung des Landes zudem vielfältige Wettbewerbsnachteile und verschärft gleichzeitig den Verteilungskampf zwischen Arbeitern und Kapitalisten.
Österreich hatte in der Vergangenheit unterdurchschnittliche Energiepreise, wofür die seit 1968 bestehende Gaspipeline aus der damaligen Sowjetunion maßgeblich war. Im Zuge des Ukrainekrieges wandelt sich dieser Vorteil in einen Nachteil, da der Preisanstieg hierzulande besonders hoch und eine stabile Energieversorgung jedenfalls nachhaltig teurer wird. Der Energiepreis in Österreich wird auf Sicht deutlich über jenem in den USA oder China liegen, was den Industriestandort untergräbt: Es wird im Vergleich zu anderen Regionen teurer für Industriekapitalisten, in Österreich zu produzieren. Der Gaspreis ist in Österreich zwischen Oktober 2021 und Oktober 2023 um 167% gestiegen, doppelt so viel wie in Deutschland (83%) und viermal so viel wie in der EU (37%). Die erhöhten Energieimportpreise durch die Konfrontation mit Russland bedeuten für die Volkswirtschaft Mehrkosten von 7-8 Mrd. € im Jahr und sind dafür hauptverantwortlich, dass Österreich das erste Mal seit 2011 leicht mehr importiert als exportiert hat (die Leistungsbilanz beträgt -1,3 Mrd. €, 0,3% des BIP). Die Energieimportkosten tragen zudem zu etwa einem Prozentpunkt zu der österreichischen Teuerung bei. Damit ist etwa die Hälfte der höheren Teuerung Österreich im Vergleich zum EURO-Schnitt auf die deutlich höher gestiegenen Energiepreise hierzulande zurückzuführen. Die Ende 2022 in Kraft gesetzte „Strompreisbremse“ (die Energiekonzerne wurden vom Staat subventioniert, um die Haushaltsenergie zu verbilligen) wirkt mit 0,3% Prozentpunkten inflationsdämpfend, diese Maßnahme läuft mit Ende 2024 aus.
Im Energiesektor stehen zahlreiche strategische politische Entscheidungen an, die von der Regierung jedoch nicht getroffen werden (und aufgrund der Schwäche des österreichischen Imperialismus meist nicht durchgesetzt werden könnten), sondern vielmehr national und international Spaltungslinien innerhalb der Bourgeoisie sind. Dazu zählen: der Bau einer zusätzlichen Erdgas-Pipeline von Oberösterreich nach Deutschland, um Zugang zu neuen Märkten zu bekommen, findet nicht statt, der Ausbau des Stromnetzes ist viel zu langsam, das Klimaschutzgesetz (und damit die Finanzierung des technologischen Umstieges der Energiesysteme in den Betrieben und Haushalten) kommt nicht zustande. Während die Liberalen (Grüne, Neos, Teile der SPÖ) im technologischen Umstieg zu „grünem Strom“ und E-Mobilität einen Wachstumsmotor sehen, verteidigt ein anderer Teil der Bourgeoisie (vertreten durch ÖVP, FPÖ) die Verbrennungstechnologie, in der deutsche Konzerne und österreichische Zulieferer die Weltmarktführerschaft innehaben. Die Führung der Gewerkschaft PROGE unterstützt dabei die politische Position der ÖVP. Letztendlich ist auch die Frage, aus welcher Weltregion die Energie für Österreich kommen soll, völlig unklar.
Die OMV, der größte Konzern Österreichs, hat einen Abnahmevertrag von russischem Erdgas bis 2040. Dieser Vertrag wurde unter Bundeskanzler Kurz, der damals eine ausgesprochen pro-russische Politik vorantrieb, im Jahr 2018 geschlossen. Der aktuelle Bundeskanzler gibt jedoch an, den Inhalt dieser Vereinbarung nicht zu kennen, ist aber gleichzeitig der einzige westliche Regierungschef, der während des Ukrainekrieges nach Moskau zu Putin gereist ist. Die ukrainische Regierung hat mittlerweile angekündigt, die Durchleitung des Gases mit Ende 2024 einzustellen. Gleichzeitig hat die OMV nun einen umfangreichen neuen Liefervertrag für US-amerikanisches Flüssiggas ab 2027 abgeschlossen. Auf dem Papier besteht also bald ein massives Überangebot an Erdgas. Ob es aber tatsächlich kommt, woher es kommt und zu welchem Preis (jedenfalls anhaltend höher als in der Vergangenheit) ist jedoch völlig unklar. Ebenso unklar ist eine gesamthafte Industriestrategie für Österreich, weil hier gegensätzliche Interessen innerhalb der Bourgeoisie aufeinandertreffen.
Als globale Risiken benennt der IWF: die Vertiefung der Immobilienkrise in China, volatile Rohstoffpreise wegen der geopolitischen Konflikte und Klimakatastrophen, anhaltend hohe Nahrungsmittelpreise wegen des Ukrainekrieges, große Preisdifferenzen bei Rohstoffen in unterschiedlichen Weltregionen und hohe Schuldenstände bei schwachem Wachstum, was neue Staatsschuldenkrisen provozieren kann. Er kommt zu der Schlussfolgerung, dass die „mittelfristigen Perspektiven dunkler sind als die kurzfristigen“. Diese pessimistische Schlussfolgerung des Währungsfonds basiert nicht zuletzt darauf, dass die Herrschenden wissen, dass die als notwendig erachteten Gegenmaßnahmen („Strukturreformen“, d.h. Angriffe auf die Arbeiterklasse) einerseits den Klassenkampf anheizen und andererseits gegen die tatsächliche Bewegung des Weltkapitalismus laufen, also eine Utopie sind. Der IWF argumentiert so für multilaterale Kooperation in einer „regelbasierten Weltordnung“ und „freien Welthandel bei kritischen Materialien und Nahrungsmitteln“, um den Gang der Weltwirtschaft ins Positive zu drehen. Sie wünschen sich also eine Zusammenarbeit der Kapitalisten für ihren gegenseitigen Vorteil. Genau dies wird nicht passieren, da alle herrschenden Klasse die Krise zum Nachbarn exportieren wollen, und damit die Stabilität des Weltkapitalismus an sich untergraben.
Der österreichische Kapitalismus, sein Staat und der Reformismus
Österreichs Bourgeoisie erlebte im 20. Jahrhundert drei große Brüche: 1. das Auseinanderbrechen der Monarchie in sozialen und nationalen Revolutionen (1918), 2. der Anschluss an das Deutsche Reich (1938) verbunden mit den Arisierungen (der Enteignung von jüdischem Kapital und Eigentum, sowie die Ermordung und Vertreibung der Juden) und nationalsozialistischen Großprojekten (Gründung der voestalpine Linz, Infrastrukturprojekte) und 3. der sogenannte Wiederaufbau nach 1945.
1918 bedeutete für das in Wien konzentrierte Finanzkapital der Monarchie, dass ihre Investments nun vielen verschiedenen Kleinstaaten mit unterschiedlichen Währungen, ohne direkte politische Kontrolle durch den eigenen Staatsapparat eingezwängt war. Dies führte 1929 zum Zusammenbruch der Bodencreditanstalt, was die Weltwirtschaftskrise von 1929 auslöste. Der Heimmarkt der Industrie war viel zu klein, was starke wirtschaftliche Zerwürfnisse bedeutete. Das Kleinbürgertum verarmte durch den Zusammenbruch der Währung schlagartig und die Arbeiterbewegung war stark und neigte zu spontanen Aufständen.
Die siegreichen Alliierten im Zweiten Weltkrieg legten sich 1943 darauf fest, dass Österreich nach Niederlage des Deutschen Reiches im Zweiten Weltkrieg wieder als selbstständiges kapitalistisches Land entstehen soll. Allerdings: Es gab keine handlungsfähige österreichische Bourgeoisie mehr und keinen österreichischen Staatsapparat! 18.000 Betriebe waren sogenanntes „herrenloses Eigentum“ und über 2.000 Betriebe wurden spontan unter Arbeiterkontrolle wieder in Betrieb gesetzt.
Die Siegermächte waren so gezwungen, auf die Arbeiterorganisationen zu setzen, um nach 1945 die „demokratische Konterrevolution“ (Ted Grant) durchzusetzen. Sie konnten sich dabei auf das zur Rückkehr freigegebene sozialdemokratische Exil sowie den rechtesten Flügel der SPÖ (Karl Renner, der zweimal – 1918 und 1945 – als „Gründer der Republik“ fungierte und 1938 mit den Nazis kollaborierte) stützen, aber auch auf die Kollaboration mit der stalinistischen KPÖ. Die Rolle der KPÖ in der kapitalistischen Stabilisierung ist durch den bald aufkommenden Kalten Krieg etwas schwerer festzumachen. Die KPÖ war bis Ende 1947 Teil der Bundesregierung, und war führend an der Reetablierung der österreichischen Repressionskräfte (der Polizei) beteiligt.
Die entscheidende Rolle kam jedoch der SPÖ und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) zu. Ohne ihre aktive Beteiligung wäre ein kapitalistischer Wiederaufbau des Staates Österreich unmöglich gewesen. Um die Integration der Arbeiterklasse in die kapitalistische Stabilisierung zu gewährleisten, war es notwendig, die Organisationen der Arbeiterbewegung völlig zu entdemokratisieren. Das Betriebsrätegesetz, ein Nebenprodukt der 1918er-Revolution, wurde völlig neu aufgesetzt und als kooperierendes und ausgleichendes „Mitbestimmungsgremium“ neu konzipiert. Der Gewerkschaftsdachverband ÖGB wurde von oben herab gegründet und dementsprechend völlig undemokratisch entworfen, wobei unter den Erfahrungen des Klassenkampfes der Nachkriegsjahre die Entdemokratisierung ständig verfeinert wurde. Basisstrukturen (etwa Ortsgruppen einer Gewerkschaft) haben in Österreich nicht einmal formell demokratische Rechte (ein Recht auf Anträge z.B.) und existieren oft gar nicht. Das Prinzip von Meinungsfindung durch Abstimmungen in Gremien ist ungewohnt, die Forderung nach einer Abstimmung, wenn auch formell möglich, wird bis heute fast überall als „Querulantentum“ qualifiziert. Eine zentrale Rolle kam weiters der Arbeiterkammer zu teil, die bereits 1922 als Teil des bürgerlichen Staatsapparates konzipiert wurde, um die Rätebewegung endgültig zu liquidieren, womit die Bürokratie der Arbeiterbewegung und über sie die Arbeiterklasse in untergeordneter Rolle in den bürgerlichen Staat integriert wurden.
Dieses Setup konnte nur gegen harte Widerstände der Arbeiterklasse durchgesetzt werden, wobei die Jahre 1949-50 entscheidend waren. Die Niederlage der spontanen Generalstreikbewegung vom Herbst 1950 (Oktoberstreik) und die in den Jahren 1948 bis 1950 abgeschlossene Konterrevolution innerhalb der SPÖ waren die Wendepunkte, die Gewerkschaft und die SPÖ zu sicheren Säulen der kapitalistischen Stabilisierung machten. Generalsekretär Erwin Scharf wurde 1948 aus der Partei ausgeschlossen und die linke revolutionär-sozialistische Nationalratsabgeordnete Hilde Krones von der Parteirechten in den Selbstmord gemobbt. Nach der Niederlage im Oktoberstreik wurden tausende Arbeiter aus den Betrieben ausgesperrt (500 allein in der Voestalpine), 10.000 Arbeiter und Arbeiterinnen aus der Gewerkschaft ausgeschlossen. Der kleinbürgerliche Charakter des SPÖ-Apparats, den Trotzki bereits für die Erste Republik festgehalten hat, wurde gewaltsam als bestimmender politischer Faktor in der Arbeiterklasse durchgesetzt. Der SPÖ-Apparat wurde gleichzeitig als tragende Säule des Staates fest integriert, dies ist ein wichtiger Unterschied zwischen der Ersten und Zweiten Republik. Ohne SPÖ (und in kleinerem Ausmaß und zeitlich kürzer KPÖ) kein bürgerlicher Staatsapparat, ohne Staatsapparat keine Wiederauferstehung des Privatkapitals. Die Arbeiterorganisationen waren zentral für die Rettung des Kapitalismus nach 1945.
Der Staatssektor war bis in die späten 1980er Jahre in der Wirtschaft dominant und war gesetzlich darauf festgelegt, den privaten Sektor zu entwickeln. Als das Privatkapital stark genug war, begann die Zerschlagung der Verstaatlichten Industrie ab den frühen 1990iger Jahren. Die kapitalistische Restauration Osteuropas und die Strukturreformen der 1990iger im Zuge des EU-Beitrittes und der Euroeinführung waren ein Steroid-Boost für die Kapitalistenklasse.
Die ökonomischen und politischen Verhältnisse in Österreich begannen in den 1990iger Jahren zunehmend dynamischer und krisenhafter zu werden: die Sozialpartnerschaft gerät von oben unter Druck, neue Akteure in der Bourgeoisie treten auf, die Parteienlandschaft differenziert sich aus, die Parteien und Regierungen werden zunehmend instabil. Seit 2017 erlebte Österreich nicht weniger als fünf verschiedene Regierungen!
Das neue ökonomische Selbstbewusstsein der Bourgeoisie materialisierte sich politisch in den Bürgerblockregierungen von 2000 bis 2007 (d.h. Regierungen von bürgerlichen Parteien, in dem Fall ÖVP-FPÖ beziehungsweise deren kurzlebiges Spaltungsprodukt BZÖ) – „Wir brauchen die Roten nicht mehr, keine Kompromisse mehr mit der Arbeiterbürokratie!“ lautete die Devise der Kapitalisten. Auch die bürgerlichen Regierungen ab 2017 sind u.a. dadurch charakterisiert, dass die Bürgerlichen die historisch notwendig gewesene Teilhabe der Sozialdemokratie am Staat zurückdrängten. Dass die Sozialdemokratie jedoch für so lange Zeit die tragende Rolle im Staatsapparat spielte, und die ÖVP nur die zweite Geige, erschwerte die Durchsetzung dieser Linie selbst innerhalb der ÖVP. Sowohl Schüssel als auch Kurz konnten nur durch einen internen Flügelkampf ihre Partei auf anti-sozialpartnerschaftliche Linie bringen. Die direkten Interessen des österreichischen Kapitals konnten so schärfer durchgesetzt werden, einhergehend mit Cliquenbildung und Politik in dessen Interesse. Das politische Zerfransen der Bürgerlichen ist daher in der historischen Schwäche der ÖVP bereits embryonal angelegt.
Hinzu kommen die Veränderungen innerhalb der Bourgeoisie selbst. Die RBI ist die wichtigste österreichische Bank, deren Bilanzsumme nur wenig kleiner als die der gesamten Volkswirtschaft Österreichs ist (364 Mrd. € vs. 480 Mrd. €). Ihre Eigentümer sind mehrheitlich 7 Raiffeisen-Landesbanken, die wiederrum von lokalen Genossenschaftsbanken kontrolliert werden. Dieser Konzern ist also ein historisch gewachsener gesellschaftlicher Block, der eng mit der ÖVP und dem Staatsapparat verwoben ist, wichtigstes Werkzeug des österreichischen Kapitalexportes nach Osteuropa (gefolgt von Erste Bank, unklar ist ob UniCredit Bank Austria, die ehemalige Bank Austria, eine italienische oder österreichische Bank ist) und über Beteiligungen kontrolliert er auch zehntausende Industriearbeitsplätze und zentrale Medienkonzerne. Dies ist das traditionelle Machtzentrum der Bourgeoisie.
In der goldenen Ära der 1990iger und frühen 2000er Jahren vollzog sich der Aufstieg (und auch schon wieder den Fall einiger) von neuen Akteuren innerhalb der Bourgeoisie, etwa Frank Stronach (Magna), Didi Mateschitz (Red Bull) und anderer. Mit der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz multiplizierten sich die Glücksritter, die schnell politischen Protagonismus innerhalb der ÖVP erlangten: Novomatic-Boss Johann Graf, Signa-Chef Rene Benko, Steyr-Eigentümer Sigi Wolf, KTM-Chef Stefan Pierer, Wire-Card Manager Jan Marsalek, etc. diese Namen sind allesamt mit den unzähligen ÖVP- (und im geringen Ausmaß FPÖ-) Korruptionsfällen verbunden. Eine weitere Gemeinsamkeit (mit Ausnahme von Graf) ist, dass diese Leute mit geliehenem Geld reich wurden, viele von ihnen (Wolf, Benko, Marsalek, hinzuzufügen sind Strabag-Chef Haselsteiner, Ex-OMV Chef Seele) organisch mit russischem Kapital und Staatsapparat in Verbindung stehen, und dass deren Gewicht innerhalb der österreichischen Bourgeoisie gleichzeitig aktiv von Sebastian Kurz vorangetrieben wurde. Dabei nimmt es die ÖVP mit gesetzlichen Regeln und bürgerlichen Konventionen nicht sehr genau. Liberale und internationale Medien beschreiben dies als die „Orbanisierung Österreichs“. Nehammer sollte (und will) diesen Kurs in der ÖVP weiterfahren, doch dies gelingt ihm nicht. Er hat dafür nicht das persönliche Format und die aufgetürmten Widersprüche innerhalb der Bourgeoisie und ihres Staatsapparates (insbesondere der Justiz) sind zu groß, die internationalen Konflikte zu scharf.
Dies sind die historisch gewachsenen materiellen Verhältnisse innerhalb der Bourgeoisie, des Reformismus und eines über Jahrzehnte miteinander geteilten Staatapparates, die jetzt durch Wirtschaftskrise und geopolitische Zuspitzung hart und permanent unter Stress gesetzt werden. Wir müssen verstehen: Politische Entscheidungen leiten sich nicht mechanisch aus der wirtschaftlichen Situation ab, sondern sind das Resultat des Ringens von gegensätzlichen Interessen. Lenin stellte dabei fest, dass der Imperialismus nicht die Freiheit will, sondern die Herrschaft. Ted Grant erkannte, dass die „demokratische Konterrevolution“ nach 1945 zeitlich begrenzt ist und diese grundlegende Tendenz zur direkten Herrschaft unter Krisenbedingungen wieder zum Tragen kommen wird. Nur ist das nicht einfach: Unter dem Druck der krisenhaften Entwicklungen zerfranst sich die Bourgeoisie intern in zahlreiche Interessengruppen und findet keine gemeinsame Richtung. Die Arbeiterklasse ist so groß wie nie zuvor in der Geschichte. Das klassische Kleinbürgertum (das sich historisch immer wieder von den Bürgerlichen für ihre Interessen mobilisieren ließ) ist nur noch eine gesellschaftliche Randerscheinung. Die Führungen der Arbeiterklasseorganisationen sind über Jahrzehnte in die Leitung der Staatsgeschäfte und der Wirtschaft integriert. Diesen Umstand wollen (und müssen) die Bürgerlichen zur Erhöhung des Profites zurückdrängen, gleichzeitig benötigen sie aber die Zusammenarbeit mit der reformistischen Arbeiterbürokratie, um die chaotischen politischen Verhältnisse zu stabilisieren. Die politische Machtausübung der Bourgeoise wird so zunehmend instabil, ist von Widersprüchen durchzogen und daher anfällig für Krisen und plötzliche Veränderungen.
Trotzki fasste dieses Problem auf geniale Weise in „Partei, Klasse, Führung“ (1936): „Es gibt einen alten Spruch, der die evolutionäre und liberale Auffassung von der Geschichte widerspiegelt: jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Die Geschichte zeigt jedoch, dass ein- und dasselbe Volk innerhalb einer relativ kurzen Epoche sehr verschiedene Regierungen haben kann (Russland, Italien, Deutschland, Spanien usw.) und dass darüber hinaus die Reihenfolge der Regierungen sich keineswegs in ein- und dieselbe Richtung bewegt: vom Despotismus zur Freiheit, wie sich das die evolutionären Liberalen vorstellen. Das Geheimnis liegt darin, dass ein Volk sich aus feindlichen Klassen zusammensetzt und die Klassen selbst sich in verschiedene und teilweise antagonistische Schichten gliedern, die eigene Führungen besitzen; überdies ist jedes Volk den Einflüssen anderer Völker ausgesetzt, die auch wieder aus Klassen bestehen. Regierungen drücken nicht die systematisch wachsende „Reife“ eines „Volkes“ aus, sondern sie sind ein Produkt des Kampfes zwischen verschiedenen Klassen und den verschiedenen Schichten innerhalb ein und derselben Klasse, und schließlich der Einflüsse äußerer Kräfte – Bündnisse, Konflikte, Kriege usw. Außerdem muss noch hinzugefügt werden, dass eine Regierung, wenn sie erst einmal am Ruder ist, sich viel länger halten kann als das Kräfteverhältnis, dem sie entstammt. Genau aus diesem historischen Widerspruch gehen Revolutionen, Staatsstreiche, Konterrevolutionen usw. hervor.“
Die Industriellenvereinigung, ein einst seriöser, langfristig denkender industrieller Altherrenclub, bei deren Kaminabenden große Politik entworfen wurde, ist mit der Politik der ÖVP unzufrieden. Wie tief die Entfremdung ist, äußerte sich auf der Weihnachtsfeier der Industriellenvereinigung Oberösterreich. In seiner Festrede lobte KTM-Chef und Sebastian-Kurz-Sponsor Stefan Pierer den „weisen Bruno Kreisky als Beispiel für einen respektvollen Umgang mit der Industrie“. Die IV vermisst heute eine Industriepolitik, ortet mangelnde politische Unterstützung der Regierung in der Zurückdrängung der Gewerkschaften und der Durchsetzung von Lohnkürzungen und fühlt sich generell von der kriselnden ÖVP nicht genug wahrgenommen. Ihre anfängliche Begeisterung für die Klimawende ist verflogen, jetzt stellt sie sich gegen den Wandel hin zur E-Mobilität, weil sie sieht, dass der technologische Vorsprung Chinas hier zu groß ist. Sie artikuliert sich gegen den „Klimabürokratismus“ in Brüssel und die CO2-Besteuerung, fordert mehr Freihandel und gleichzeitig höhere Schutzzölle gegen China. Politisch setzte sie auf eine Einbindung der SPÖ in die kommende Regierung, solange die Liberale Rendi-Wagner die Partei führte. Mit Andreas Babler kann sie wegen seiner „populistischen Aussagen“ zur 32-Stunden-Woche und Erbschaftssteuern zurzeit hingegen nichts anfangen. Bezüglich der Einbindung der FPÖ fällt dem Vorsitzenden der IV, Georg Knill hingegen kein Argument ein, nachdem die FPÖ klargestellt habe, dass sie nur gegen Asylanten, nicht aber gegen die Einwanderung von Arbeitskräften auftrete. Die Gewerkschaftsspitzen buhlen bei den Industriellen derweil darum, Teil der kommenden Regierung sein zu dürfen, um gemeinsam den Industriestandort flott zu bekommen, also gemeinsam aus der Klimapolitik auszutreten und den Protektionismus dort hochzufahren, wo die heimische Industrie sich im Nachteil befindet.
Grüne, Neos, BIER und die Spitze der Bundes-SPÖ stehen außenpolitisch für die bedingungslose politische Unterstützung des westlichen Imperialismus und seine „Werte“, die KPÖ gibt diesem Druck nach. Die ÖVP versucht die auseinanderdriftenden Interessen in ihr selbst auszubalancieren, ist aber in einer tiefen inneren Krise und bis an die Spitze instabil. Die FPÖ, und insbesondere Kickl, gilt für die liberalen „Transatlantiker“ als „anti-westlich“ und daher nicht regierungsfähig. Die SPÖ setzt dabei darauf, dass sich in der ÖVP wieder die „christlich-sozialen“, sozialpartnerschaftlichen Kräfte durchsetzen. Keine der Parteien hat auch nur ansatzweise eine Lösung für die allgemeinen und spezifischen Probleme des Kapitalismus in Österreich.
Zusammenfassend: Die Weltwirtschaft ist blutleer und der kapitalistische Weltmarkt driftet auseinander. Die Interessen der österreichischen Kapitalisten sind in zwei unterschiedlichen Blöcken: im Westen, wo der österreichische Kapitalismus fest eingebunden, sowie in Russland, wo er starke (Profit-)Interessen und organische Beziehungen hat. Es gibt keine klare Richtung in allen weiterreichenden strategischen Ausrichtungen. Gleichzeitig findet eine innere Ausdifferenzierung der Bourgeoisie statt. Die Einbindung der traditionell starken Arbeiterbürokratie könnte die Lage temporär stabilisieren. Die politische Voraussetzung dafür ist, dass sie sich in zentralen Linien der Bourgeoisie politisch völlig unterordnet. Ihre Einbindung könnte aber angesichts der Krise zu teuer sein, weil notwenige Konterreformen (z.B. Pensionen) dadurch verwässert werden. Dies sind die Kernelemente der Krise des bürgerlichen Regimes. Eine Lösung dafür ist nicht möglich.
Superwahljahr 2024
Es gehört zum ABC des Marxismus, dass „die moderne Staatsgewalt nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet“, ist, wie im Kommunistischen Manifest steht. Die bürgerliche Demokratie ist eine der möglichen Regierungsformen, durch die die herrschende Klasse ihre „Geschäfte verwaltet“. Die bürgerliche Demokratie ist im Grunde die vorgezogene Regierungsform für die Kapitalisten. Lenin schreibt in „Staat und Revolution“: „Die Allmacht des ‚Reichtums‘ ist in der demokratischen Republik deshalb sicherer, weil sie nicht von einzelnen Mängeln des politischen Mechanismus, von einer schlechten politischen Hülle des Kapitalismus abhängig ist. [Sie ist] derart sicher, dass kein Wechsel, weder der Personen noch der Institutionen noch der Parteien der bürgerlich-demokratischen Republik, diese Macht erschüttern kann.“ Doch die tiefen Krisen des Kapitalismus bedingen auch eine Krise der bürgerlichen Demokratie. Die Bourgeoisie wird in sich uneiniger, was stabile Regierungskonstellationen immer schwieriger gestaltbar macht. Hinzu kommt, dass die demokratische Illusion, bei der dem Volk vorgegaukelt wird, sie könnten ihre grundlegenden Probleme durch die Mittel der bürgerlichen Demokratie lösen, permanent erschüttert wird. Immer weniger Menschen vertrauen Parteien und Institutionen. Dieses Problem wird für die Bourgeoisie immer größer.
Revolutionäre Kommunisten wissen, dass man mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie die Übel des Kapitalismus, die Ausbeutung und Unterdrückung, nicht lösen kann, da die wirkliche Macht in der Gesellschaft unverändert bei den Banken und Konzernen liegt. Dennoch sind wir nicht indifferent gegenüber den Entwicklungen, die in der Sphäre der Demokratie und des Parlamentarismus vor sich gehen. Die Krise der bürgerlichen Demokratie und Institutionen haben bedeutenden Einfluss auf den Gang des Klassenkampfes und sind ein Wetterleuchten der heranreifenden sozialen Revolution.
Das kommende Jahr ist ein Superwahljahr: Arbeiterkammern, Stadt Salzburg und Innsbruck, Landtagswahlen Vorarlberg und Steiermark, EU-Wahlen, Nationalratswahlen. Normalerweise finden wichtige Wahlen statt, wenn eine neue Regierungskonstellation von den Herrschenden und ihren Parteien vorbereitet wurde. Dies ist diesmal aber nicht der Fall. Trotz der permanenten Krise der Regierung und v.a. der ÖVP hielt die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode, ohne dass greifbar wäre wie eine stabile Regierung im Sinne der Bürgerlichen gebildet werden könnte.
Die Umfragen zeigen, dass die FPÖ mit 30% konstant die mit Abstand stärkste Partei ist. Die SPÖ liegt weiter auf Platz zwei mit 23-26%, die ÖVP bei 20%. Grüne und Neos liegen bei etwa 10%. Damit scheint eine Koalition von zwei Parteien nur mit der FPÖ möglich. Alle Varianten einer Regierungsbildung sind daher mit einer Zunahme von politischer Instabilität behaftet – während die österreichischen Kapitalisten genau das Gegenteil brauchen: eine stabile Regierung der sozialen Angriffe und kühnen außenpolitischen Initiativen.
Die FPÖ ist eine parlamentarisch ausgerichtete bürgerliche Partei, die das Parlament nicht abschaffen, sondern darin eine führende Rolle will. Ihre Wählerschaft bezieht sie aus allen Klassen und Schichten. Diese Popularität hat sie unter der Führung von Kickl wieder erarbeitet, weil sie sich als einzige Partei demagogisch „gegen die Eliten“ stellt. Dieses Vertrauen hat sie sich insbesondere in der Corona-Bewegung erarbeitet, wo sie sich als einzige Partei gegen die gescheiterte Impfpflicht (die von allen anderen Parteien unterstützt wurde) gestellt hat. FPÖ-Chef Herbert Kickl stellte sich auch persönlich vor echte und angebliche Corona-Leugner und nahm diese vor der Regierung und der schneidenden Arroganz der Liberalen in Schutz. Die FPÖ spricht sich weiter, als einzige Parlamentspartei, gegen die westliche Unterstützung der Ukraine aus, ist gegen die Russland-Sanktionen und betont ihre positive Haltung zur populären „Neutralität“.
Damit hat sie sich auch in der Arbeiterklasse eine breite Wählerbasis erarbeitet. Immer mehr zornige Arbeiter (dabei politisch etwas rückständig und vorurteilsbeladen) treten in der Kollegenschaft offen als FPÖler auf. Nach unserer Beobachtung sind es in der Arbeiterklasse nicht die Streikbrecher, sondern vielmehr die Kritiker der Sozialpartnerschaft, die sich auf Wahlebene mit der FPÖ identifizieren.
Wir Kommunisten bekämpfen den Einfluss der FPÖ in der Arbeiterbewegung, weil sie eine reaktionäre, organisch bürgerliche Partei ist, die die Arbeiter nur demagogisch anspricht, um sie im nächsten Moment eiskalt zu verraten. Sie schwächt die Arbeiterklasse durch ihre systemische rassistische, homo- und transphobe Spaltungsrhetorik und ihre Heimattümelei. Gleichzeitig: Ein Zusammengehen mit den Liberalen oder dem Staat gegen die FPÖ ist für Kommunisten ausgeschlossen, nur der offen ausgetragene Klassenkampf gegen die Kapitalisten bietet einen Weg nach vorne.
Sowohl im Wahlkampf als auch zur Regierungsbildung werden wir hart gegen die Logik des „kleineren Übels“ argumentieren, also dass ‚alles besser und ein Fortschritt‘ gegenüber einer FPÖ ist. Viele junge, linke Menschen wollen ehrlich eine FPÖ in der Regierung verhindern und sehen ihren Aufstieg als Problem. Wir müssen erklären, dass die FPÖ nur stark ist, weil es keine klassenkämpferische Alternative gibt, die die wahren Probleme in der Gesellschaft überzeugend anspricht und Kämpfe darum organisiert. Daher können FPÖ und Rechte nicht dadurch geschwächt werden, dass man genau die gleiche Politik, die die FPÖ erst gestärkt hat, fortführt und Kompromisse eingeht. Nur der Klassenkampf, der die Probleme der Arbeiterklasse und Jugend aufgreift und für eine Verbesserung kämpft, kann die Rechten besiegen. Genau dieser Klassenkampf wird durch die kapitalistische Krise und Ausweglosigkeit ständig angetrieben. Unsere Alternative ist eine eigenständige Position der Arbeiterklasse zu argumentieren, einzufordern und zu sein – mit den sehr beschränkten Mitteln die wir haben, weil wir klein sind. In der konkreten Situation müssen wir betonen: Wahlen sind nur ein momentaner Ausdruck des Kräfteverhältnisses, nur eine kämpfende Arbeiterklasse kann die Situation unmittelbar wieder umdrehen. Daher: Weg mit den Bürgerlichen – durch den Klassenkampf!
Dies wird uns in scharfen Gegensatz zu den Liberalen und Reformisten jeder Schattierung bringen (und damit auch zur Mehrheit der „linksradikalen“ Organisationen). Diese werden argumentieren, dass man „Kompromisse“ eingehen muss um die „Demokratie zu retten“. „Das nachträgliche liberale Geheul über eine Reaktionsepoche ist stets umso lauter, je maßloser die liberale Feigheit war, die der Reaktion das Feld jahrelang unbestritten überließ“, wusste Marx schon 1859 (Marx, Herr Vogt). Musterbeispiele von vorzeitiger Feigheit und der Verrottetheit der bürgerlichen Demokratie in Österreich liefert das Zentralorgan des österreichischen Liberalismus, die Tageszeitung Der Standard. Im Leitartikel „Ist Kickl als Kanzler unausweichlich?“ heißt es: „Was kann man dagegenhalten? Zuwarten wird nicht helfen. In erster Linie müssten die Parteien verständliche Antworten auf die Sorgen und Probleme der Menschen finden. Wir müssen die Sorgen der Menschen, so diffus sie mitunter seien mögen, ernst nehmen – und zwar über diese Floskel hinaus. Es geht darum, konkrete und praktische Lösungsansätze zu finden. Den Menschen wieder das Gefühl geben, dass sich Politik am Wohlergehen der Bürger ausrichtet und nicht am Machterhalt und am Aufteilen der Pfründe. Wir haben derzeit eine politische Führung, die sich kaum verständlich machen kann. Das gilt insbesondere für die ÖVP, die mit ihrer seltsamen ‚Glaub an dieses Österreich‘-Kampagne zeigt, wie sehr man an den Menschen vorbei schwadronieren kann. Auch die anderen Parteien haben kein Rezept. Am ehesten noch versucht SPÖ-Chef Andreas Babler, direkt bei den Menschen anzusetzen. Aber auch er verirrt sich in nicht relevanten Themenlagen oder tappt allzu schnell in die Populismusfalle. Dieser aufgesetzte Klassenkampf, das ist zu sehr Klientelpolitik. Das Gegeneinander, auf das Babler setzt und das wohl der Oppositionsrolle geschuldet ist, nährt Zweifel, ob er tatsächlich Kanzler kann und zu einer konstruktiven, alle umfassenden Führung des Landes imstande wäre.“ Der Standard warnt eindringlich vor der „Machtübernahme“ der FPÖ, die das Land in eine „illiberale Demokratie“ umbauen würde, und nennt als erstes Problem dabei die drohende Kürzung der Subventionen für unabhängige Medien (oh, welch prinzipienhafte Verteidigung der Demokratie!) – eine kohärente Idee, wie dies zu bewerkstelligen wäre, hat er jedoch nicht – außer eines: auf keinen Fall darf die Arbeiterklasse für ihre eigenständigen Interessen kämpfen!
Es ist in diesem Jahr mit viel Dynamik zwischen und innerhalb der Parteienlandschaft zu rechnen, allerdings insbesondere derart, dass die Lage aus Sicht der herrschenden Klasse noch komplizierter wird. Erstmals seit 1959 besteht eine solide Möglichkeit, dass die KPÖ ins Parlament einzieht. Das Wahljahr 2024 beginnt mit den Salzburger Gemeinderatswahlen, wo der KPÖ-Plus-Kandidat Dankl einer der beliebtesten Politiker ist und um Platz eins und damit den Bürgermeistersessel kämpft. Ein solcher Wahlerfolg in Salzburg ist eine Steilvorlage, womit die KPÖ endgültig Teil der bundespolitischen Debatte werden würde. Im Herbst des Jahres findet die steirische Landtagswahl statt, wo ein weiterer Erdrutschsieg der KPÖ (wie in Salzburg zuvor) möglich ist, und die Partei womöglich vor die SPÖ schiebt. Weiters sind im liberalen Lager Überraschungen möglich, die weitere Wahlverschiebungen bringen (Othmar Karas, der sich von der ÖVP abgespalten hat und ein möglicher Wahlantritt von Dominik Wlazny (Bier), der in Umfragen in Wien drittstärkste Partei ist).
Ein „Volkskanzler“ Kickl (wie er sich selber nennt) würde Österreich zu einem neuen unsicheren Kantonisten in der EU machen. Die Wahlen zum EU-Parlament werden eine europaweite Verschiebung weg von den Liberalen und Reformisten hin zu dem, was die Bürgerlichen „Populisten“ nennen, ergeben. Weitere nationale Rechtsregierungen drohen die EU in heiklen Fragen, v.a. in der Außenpolitik (Ukraine-Krieg!), noch handlungsunfähiger zu machen und nach innen noch tiefer entlang von nationalstaatlichen Interessen zu spalten. Diese Entwicklung wollen die Liberalen, Reformisten und die europäischen Institutionen mit allen Mitteln verhindern. Die Funktionsfähigkeit der EU und ihre strenge transatlantische Orientierung werden so zunehmend prekärer.
Eine Regierung unter Kickl würde unter heutigen Bedingungen eine politische Protestbewegung auf der Straße auslösen. Aber es ist insbesondere der hohe außenpolitische Preis, den das österreichische Kapital nicht bezahlen möchte, es will lieber unter der Aufmerksamkeitsschwelle der westlichen Machtzentren weiterlavieren, entgegengesetzte Interessen ausbalancieren und auf bessere Zeiten hoffen. FPÖ ja, aber Kickl dürfe nicht Teil der Regierung sein, sagt etwa die IV, die die Regierungspolitik der FPÖ in den Ländern (v.a. in Oberösterreich) durchwegs positiv beurteilt. Die Bildung einer Bundesregierung ist unter den gegebenen Voraussetzungen aber schwierig. Eine FPÖ ohne Kickl (also ein interner Putsch gegen ihn) ist nicht einfach, eine Dreiparteienkoalition gegen die FPÖ ebenso. Die SPÖ gemeinsam mit einer ÖVP (zerfressen von Korruption und intern gespalten nach einer wahrscheinlich massiven Wahlniederlage), gemeinsam mit einer der kleineren Parteien, macht Regierungsbildung und Koalitionsverhandlungen kompliziert. Dies sind alles keine Szenarien, die auch nur annährend dem entsprechen, was das Land aus Sicht der Herrschenden brauchen würde: eine stabile Regierung zur Durchsetzung von sozialen Konterreformen.
„Kickls ‚System‘ ist der autoritäre Unrechtsstaat. Wenn er sich durchsetzt, ist jede demokratische Errungenschaft dahin.“ (Rauscher, Der Standard, 11.1.). Bürgerliche Leitartikler und Wissenschaftler bereiten die Öffentlichkeit mit solchen falschen Szenarien der Ende der Demokratie für weitreichendere kreative Lösungen der politischen Krise vor. Die „Schönheit und Eleganz der Verfassung“ wird einmal mehr angerufen, um Wege zu finden, das erwartete Wahlergebnis im Sinne politischer Stabilität und Berechenbarkeit zurechtzubiegen. „Die Presse“ weist etwa darauf hin, dass der Bundespräsident allein entscheidet, wen er zum Bundeskanzler angelobt und dass ein Bundespräsident de facto nicht abgesetzt werden kann und somit mit einigem politischen Geschick dem Parlament einen Kanzler, der keinesfalls Kickl heißt, aufzuoktroyieren vermag. In anderen Worten: die bürgerliche Zeitung Presse spielt mit dem Gedanken, dass der Bundespräsident mittels seiner verfassungsmäßigen antidemokratischen Machtbefugnisse eine möglichst günstige Regierung für das Kapital erzwingen soll, um den „Parteienhader“ zu schlichten. Beinahe zeitgleich (man darf vermuten, dass beide Artikelschreiber zum gleichen Hintergrundgespräch geladen wurden) skizziert Rainer Novak in der „Sonntagskrone“ unter dem Titel „Das wahre Duell lautet van der Bellen versus Kickl“ ein ähnliches Szenario. Die Präsidentschaftskanzlei bereitet sich und die Parteiführungen auf lange Sondierungsgespräche und ein persönliches Match Van der Bellen gegen Kickl vor. Als Ausweg wird hier die Bildung einer Expertenregierung genannt, die von einer Parlamentsmehrheit gestützt wird. Dies wäre im Einklang mit den Überlegungen von WIFO Chef Felbermayer, der davon ausgeht, dass die kommende Pensionsreform nicht in Form von koalitionären Parteienvereinbarungen, sondern eher von einer breiteren politischen Vereinbarung unter der Regierungszeit durchgesetzt werden könnte und sollte. Wir sehen also: zum Schutz vor der „illiberalen Demokratie“ und zur Durchsetzung von Sozialabbau spielen die Herrschenden mit dem Gedanken, die Parteidemokratie (zuerst mal temporär) auszuhebeln.
<h3id=“inh_5″>Demoskopie offenbart politische Apathie und Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse
Seit 2018 veröffentlicht das SORA-Institut den österreichischen Demokratie-Monitor, um die Einstellung der Österreicher zum Zustand der Demokratie und ihrer Institutionen abzufragen. Auf die Frage „Alles in Allem betrachtet: Funktioniert das politische System in Österreich derzeit sehr gut, ziemlich gut, weniger gut oder gar nicht gut?“ antworten 39% mit „gut“, 59% „weniger oder gar nicht gut“. Das kommende Jahr wird das Lager der Pessimisten weiter stärken.
Die Stimmungslage korreliert stark mit dem verfügbaren Einkommen, es ist also eine Klassenfrage: „Das Ausmaß der Zufriedenheit hängt v.a. mit der ökonomischen Lage der Menschen zusammen, wobei im Zeitverlauf zwei unterschiedliche Entwicklungen zu beobachten sind: Im mittleren und oberen Drittel ist die Zufriedenheit mit dem politischen System von 2020 bis 2022 erodiert. Mit zunehmender Dauer der Pandemie, dem wiederholten Aufflammen von Korruptionsvorwürfen und der steigenden Inflation dachten 2022 nur noch halb so viele Menschen wie 2020, dass das politische System in Österreich gut funktioniert – im oberen Drittel ist die Zufriedenheit von 78% auf 45%, im mittleren Drittel von 70% auf 34%, gefallen. Nun kann eine erste Erholung festgehalten werden: Aktuell denken 52% der Menschen im oberen und 41% der Menschen im mittleren Drittel, dass das politische System gut funktioniert – ein Plus von jeweils sieben Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Im unteren Drittel fällt die Zufriedenheit dagegen über alle Erhebungsjahre hinweg gering aus und sie schwankt auch weniger entlang aktueller Ereignisse. Ihr höchster Wert wurde 2018 gemessen: Im ersten Demokratie Monitor war immerhin noch die Hälfte (49%) der Menschen davon überzeugt, dass das politische System gut funktioniert, inzwischen ist es nur mehr ein Viertel (24%). Hinzu kommt, dass die Zufriedenheit im unteren Drittel seit 2020 kontinuierlich sinkt. Im Gegensatz zum oberen und mittleren Drittel gilt dies auch für die vergangenen zwölf Monate – die aktuelle Zufriedenheit liegt erneut fünf Prozentpunkte unter jener des Vorjahres.“
Dieselbe Klassenpolarisierung zeigt sich in Bezug auf die Institutionen: „Dem Bundespräsidenten vertrauen derzeit 52%, dem Parlament 39% und der Bundesregierung 32% – genauso viele wie im Vorjahr. Dasselbe gilt für die Parteien: Anschließend an letztes Jahr berichtet auch heuer wieder etwas mehr als jede:r Dritte 4 (36%), keine Partei zu finden die die eigenen politischen Anliegen vertritt (zum Vergleich: 2018 waren es 13%). Diese Stabilisierung auf Ebene der Gesamtbevölkerung speist sich jedoch aus zwei einander entgegengesetzten Entwicklungen: Während das Vertrauen in die repräsentativen Institutionen unserer Demokratie im mittleren und oberen Drittel angestiegen ist, ist es im unteren Drittel erneut gesunken. So vertrauen dem Parlament derzeit 41% im mittleren und 55% im oberen Drittel – ein Plus von 6 bzw. 7 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Im unteren Drittel liegt das Vertrauen in das Parlament aktuell bei 21% und damit um 6 Prozentpunkte niedriger als vor einem Jahr.“
Auch auf die Frage wie sehr man sich repräsentiert fühlt ist die Lage je nach Einkommen und sozialer Stellung sehr differenziert: „Derzeit sind z.B. 61% der Menschen im oberen und 47% im mittleren Drittel davon überzeugt, im Parlament gut vertreten zu sein – vor einem Jahr waren es mit 37% bzw. 28% noch deutlich weniger. Im unteren Drittel dachten demgegenüber bereits 2018 lediglich 26%, dass sie im Parlament gut vertreten sind, letztes Jahr waren es 23% und derzeit sind es nur mehr 16%. Der Großteil des oberen Drittels (82%) und die Mehrzahl des mittleren Drittels (68%) findet inzwischen auch wieder eine Partei, die die eigenen politischen Interessen vertritt. Im unteren Drittel gilt dies nach wie vor für nicht einmal die Hälfte der Menschen. Dies hat weitreichende Auswirkungen, nicht nur auf das Systemvertrauen: Im unteren Drittel sind derzeit nur mehr 26% davon überzeugt, mit politischer Beteiligung etwas bewirken zu können.“
Eine notwendige Schlussbemerkung. Diese Umfrage ist ideologisch von der Sorge um die zunehmende Blutleere der bürgerlichen Demokratie inspiriert und wissenschaftlich solide gearbeitet. Dem Forschungsinteresse entsprechend inkludiert sie nur wahlberechtigte Österreicher. Ein wachsender Teil der Arbeiterklasse sind aber Migranten und ihre Kinder, die systematisch von der Ausübung von grundlegenden demokratischen Rechten wie dem Wahlrecht ausgeschlossen sind. Stattdessen werden sie zu entwürdigenden Integrationsvereinbarungen, Kursen und Tests geschickt. Flüchtlinge und andere Migranten außerhalb der EU sind zudem dem ständigen Stress und der Willkür der Ausländer- und Asylbehörden ausgesetzt. Die Erlangung der Staatsbürgerschaft ist weiters extrem restriktiv. Wir sehen auch eine deutliche Zunahme von temporären Arbeitsgenehmigungen („rot-weiß-rot-Card“, ca. 9.000 im Jahr 2023) und die gezielte Anwerbung von Arbeitskräften auf allen Kontinenten für „Mangelberufe“, zu denen heute praktisch alle gehören. Die Verbundenheit dieser großen und wachsenden Schicht der Arbeiterklasse mit der rot-weiß-roten bürgerlichen Demokratie, ihren Parteien und Medien, die allesamt rassistische Vorurteile verbreiten, sind dementsprechend noch schwächer ausgeprägt.
Die Fortgeschrittensten wollen Kommunismus
Eine andere Studie, die im Juni 2023 erstellt wurde, förderte überraschende Ergebnisse zutage, wie positiv Österreicher über „Kommunismus“ denken. 70 % befürworten eine „Klassenlose Gesellschaft, in der jeder Mensch gleiche Rechte und Chancen hat“, 14 % befürworten die „Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln“, usw. Es sind diese Menschen, die wir mit einer kühnen kommunistischen Propaganda direkt ansprechen. Dies erzielt insbesondere in der Jugend hervorragende Resultate. (Gallup, Stimmungsbarometer, Juni 2023)
Die zugrundliegende Analyse trafen wir bereits auf der vergangenen Konferenz: „Die Mehrheit der Jugend ist also offen, das Bestehende radikal zu hinterfragen. Die Gesellschaft und ihre (Geschlechter-)Normen werden als übergriffig und lebensfeindlich wahrgenommen, der Rassismus als unerträglich. Die allgemeine Fäulnis des Kapitalismus mit seiner frappanten Ungleichheit und gierigen Zukunftsvergessenheit prägt die ideologische Perspektive dieser Jungen. Der verteufelte „Kommunismus“ und „Sozialismus“, über Generationen hinweg als Schreckensbild wirksame ideologische Waffen der Bourgeoisie, sind plötzlich wieder „in“. Diese Begriffe lösen keine Angst aus, sondern stoßen auf Interesse. Eine stetig wachsende Minderheit der Jugendlichen ist offen für revolutionäre Schlussfolgerungen und durch unsere revolutionäre Propaganda direkt ansprechbar. Weil die Kräfte des Marxismus im 20. Jahrhundert weit zurückgeworfen und gesellschaftlich isoliert wurden, ist es unabdingbar, dass wir ein möglichst schnelles Wachstum der revolutionären Kräfte in den Mittelpunkt unserer politischen Anstrengungen stellen. Wer die Jugend hat, hat die Zukunft!“ Die AYAC-Kampagne der IMT lieferte uns die Inspiration und das Werkzeug, um zu beginnen dieses Potential tatkräftig, gezielt und mit der Kraft der ganzen Organisation systematisch anzusprechen.
Für eine ganze Generation bedeutet Kapitalismus Unterdrückung, Ausbeutung, Krisen und mangelnde Perspektiven auf ein eigenständiges sinnvolles Leben. Die Politisierung erfolgt nicht primär – oft gänzlich abseits – der politischen Debatten in Parlament und etablierter Parteien, zu denen man keinen Bezug hat, sondern anhand der Krisen des Weltkapitalismus: der Klimakatastrophe, der Kriege, des Rassismus, …
Dabei entwickelt eine Schicht ein anti-kapitalistisches, eine kleine Minderheit ein kommunistisches Bewusstsein. Geprägt sind die ideologischen Vorstellungen in dieser Schicht oft von im Internet vorgefundenen ideologischen Trümmern (oft des Stalinismus), nur vereinzelt existiert dabei ein klares Verständnis der konterrevolutionären Rolle des Stalinismus. Weiters üben kleinbürgerliche, vereinzelnde und spaltende Ideologien, wie die Identitätspolitik und Intersektionalismus einen zersetzenden Einfluss aus. Es gilt, diese ideologischen schwarzen Löcher, die die revolutionären Hoffnungen dieser Schicht anziehen und sofort neutralisieren, zu bekämpfen. Der erste Ansatz dafür ist die praktische Offenheit unserer eigenen Organisation, sich bei uns zu organisieren und mit uns gemeinsam zu kämpfen. Wer aktiv für den Kommunismus kämpfen will, ist eingeladen mit uns zu kämpfen und sich in der Praxis von der Überlegenheit des revolutionären Marxismus überzeugen zu lassen!
Einen breiteren Ausdruck findet die antikapitalistische Grundierung in der Jugend in Massenbewegungen, die oft einen internationalen Charakter haben und internationale Ereignisse und Prozesse zum Anlass haben: Black-Lives-Matter, die Klimabewegung und zuletzt die Palästinabewegung. Die Intervention in diesen Bewegungen ist für unseren Aufbau zentral, weil sich hier die anti-kapitalistische Politisierung verbreitert und vertieft. Dabei gilt es, das gesamte Arsenal bolschewistischer Taktik (gute Propaganda, kühne Agitation, Einheitsfront,…) zum Einsatz zu bringen. Unsere Stärke besteht weiter darin, dass wir in all diesen Bewegungen das revolutionäre Programm der Orientierung auf die Arbeiterklasse und ihre Kampfmethoden sowie die klare Perspektive der sozialistischen Weltrevolution aufzeigen können. So können wir die politischen Sackgassen und Hoffnungslosigkeit, die aufgrund der reformistischen Führungen unweigerlich eintreten, politisch beantworten und die besten Leute vom Marxismus überzeugen und organisieren.
Die Klimabewegung ist anhaltend relevant. Doch der voranschreitende Klimawandel (dieses Jahr wird erstmals das 1,5° Ziel scheitern, extreme Wetterereignisse, historischer CO2-Rekordausstoß 2023) zeigt immer deutlicher die Impotenz der derzeitigen Ausrichtung. Unter diesem Druck spaltet sich die Bewegung zunehmend, jedoch nicht an der zentralen Frage „Mit oder gegen die herrschende Klasse.“ Obwohl die Methoden eines Teils der Bewegung sich radikalisiert haben (Klimakleber), ist die politische Ausrichtung des „radikalen Flügels“ in Österreich politisch weiter auf das Flottmachen der liberalen Bourgeoisie (konkret: die Stärkung der Grünen gegen die ÖVP in der Regierung) ausgerichtet. Ihre einzige Forderung lautet: „Klimagesetz jetzt! Die Forderungen des Klimarates umsetzen!“. So kann die Bewegung keine Unterstützung in der Arbeiterklasse bekommen. Der Staatsapparat nützt diese Isolierung zur Kriminalisierung der „Letzten Generation“, es wird berichtet, dass die Staatsanwaltschaft gegen 150 Aktivisten wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt.
Der Krieg Israels gegen die Palästinenser spaltete die Klimabewegung international aber weiter. Greta Thunberg nimmt eine mutige Position der Verteidigung der Unterdrückten ein, dies bringt die Liberalen zur Weißglut. Die Liberalen argumentierten, dass die Frage des Klimas „unpolitisch“ sei, die Unterstellung des „Antisemitismus“ war sofort da. FFF Deutschland und Österreich, aber auch der methodisch radikale Flügel (Letzte Generation) und die aus der Klimabewegung kommende Lena Schilling, jetzt Krone-Kolumnistin, die mit einem Wahlantritt auf der KPÖ-Liste kokettiert, stellten sich gegen Greta und distanzierten sich von ihrer Haltung. Eine „Föderalisierung“ der internationalen Bewegung FFF steht an, was hierzulande nur bedeuten kann, dass die Mehrheit sich völlig den Grünen unterordnet. Greta hingegen demonstriert in Schweden jetzt im anti-kapitalistischen Block (Autonome) der Klimabewegung. Es ist zu erwarten, dass diese Spaltung sich vertieft und Chancen für Kommunisten bietet.
Die Palästina-Bewegung war international eine riesige Massenbewegung, mit Millionen von Demonstranten in historisch großen Demonstrationen (Hunderttausende) in GB und den USA. In Österreich ist die Bewegung kleiner und weitgehend auf Migranten beschränkt. Dies ist in erster Linie dem heftigen ideologischen Druck der „Nationalen Einheit pro Israel“ geschuldet. Trotz dieses starken Drucks, welcher auch durch die mediale Berichterstattung bestärkt wurde und teilweise auch in anderen Ländern spürbar ist, entwickelten sich diese Bewegungen. Viele Junge Menschen wenden sich ab von traditionellen Medien und entwickeln durch Berichterstattungen aus Sozialen Medien ein anderes Bild der Geschehnisse. Durch die spürbare Differenz zwischen traditioneller und alternativer Berichterstattung vertieft sich der Unmut über die aktuelle Lage und auch die „Nationalen Einheit pro Israel“ führt zu einer tieferen Radikalisierung in Teilen der Jugend. Die Bewegung steht seit Beginn unter der Generalanklage des Antisemitismus und wurde politisch und polizeilich von vorneherein kriminalisiert. Die österreichische Linke kapitulierte in Abstufungen: 1. sich voll auf die Seite Israels zu stellen, gegen die Palästinademo demonstrieren und keinerlei Debatte dieser Position zulassen (Antifa Wien), 2. sich voll auf die Seite Israels zu stellen, keine Debatte zulassen und pro-Palästinenser auszuschließen (SJÖ), 3. nichts zum Thema sagen (Junge Linke), 4. für Palästina zu demonstrieren, aber bitte in „eigenen, reinen“ Demonstrationen und nicht in der Massenbewegung (Stalinisten und einige „trotzkistische“ Sekten), 5. sich auf Seite der Palästinenser zu stellen und dann vor der reformistischen Parteiführung einzuknicken (KJÖ). Wir hielten diesem Druck, der sich wochenlang gezielt auf unsere Organisation richtete, in jeder Hinsicht stand – und wurden dadurch politisch stärker und organisatorisch größer.
Solche Bewegungen sind in der aktuellen Weltlage des Kapitalismus und der vorherrschenden Stimmung in der Jugend jederzeit möglich. Die permanente Organisierung der pro-kommunistischen Jugend fand nicht statt, weil es kein stabiles relevantes kommunistisches Organisations-Angebot gibt. Dies haben wir erkannt und machen es zu einer zentralen Linie des Aufbaus: diese Schicht gewinnen, ausbilden und so die notwenigen materiellen Kräfte sammeln, um sich größeren Aufgaben – der tiefen Durchdringung der Arbeiterklasse – zu stellen.
Babler: Das schnelle Scheitern des Linksreformismus
Mit den Massenbewegungen nach der Krise 2008 entstanden international linksreformistische Führer, Strömungen und Parteien mit Massenanhang: Die Linke (DE), Syriza (GR), Podemos (SP), Corbyn (GB, ausgedrückt in Labour und Momentum), Bernie Sanders (USA, ausgedrückt in den Democratic Socialists of America, DSA) und andere. Die letzte Welle der linksreformistischen Parteien und Projekte sind aber schon wieder vorbei oder in der Krise, bestreiten den Klassenwiderspruch im Kapitalismus, sind zersplittert. Weiters ist festzustellen, dass es keinerlei Spaltungsprodukte dieser Organisationen gibt, die den politischen Klassenkampf bleibend auf eine höhere Stufe gehoben hätten.
Dieses Scheitern ist kein Zufall: die Krise des Kapitalismus ist zu tief, als dass sich neue reformistische Traditionen etablieren könnten. Die politische Unzulänglichkeit des Reformismus wird sofort auf die Probe gestellt: Für den Kapitalismus oder für die Arbeiterklasse? Beides geht nicht. Jedes Versprechen, die soziale Lage der Arbeiterklasse zu stabilisieren, ohne die Bereitschaft aufzubringen, die Arbeiterklasse in den Kampf zu führen sind eine politische Utopie.
In Österreich gab es im vergangenen Jahrzehnt sowohl innerhalb als auch außerhalb der Sozialdemokratie mehrere Anläufe den Linksreformismus flott zu machen, alle sind in den Ansätzen gescheitert. Die Krise der SPÖ eröffnete die bisher greifbarste Chance, als die liberale Parteiführung, paralysiert durch jahrelange Diadochenkämpfe im März 2023 die Kontrolle über die Partei verlor. Die Parteispitze organisierte eine Mitgliederbefragung um den Parteivorsitz, um die liberale Rendi-Wagner an der Spitze zu festigen und ihren Herausforderer Doskozil zum Schweigen zu bringen.
Aus dem geplanten Zweikampf wurde ein Dreikampf, nachdem der linksliberale Niki Kowall seine Kandidatur bekanntgab. Kowall zog zurück, als der ambitionierte traditionslinke Bürgermeister Andreas Babler sich zum Wahlantritt durchrang. Die außenpolitische Agenda Bablers, der bis dahin Anti-EU und anti-imperialistische Positionen vertrat, überließ er dabei Kowall und dem pro-amerikanischen Netzwerk rund um den Diplomaten Petritsch (Ex-Kolonialverwalter Bosniens und aktuell aktiver Promoter des westlichen Imperialismus in Afghanistan). Dieser „Kompromiss“ fiel Babler nicht schwer. Die SPÖ-Linke verständigte sich seit Jahren darauf, dass man die Sozialdemokratie allein durch Sozialpolitik im Stil der Zweiten Republik großmachen soll, Außenpolitik sei unwichtig, anderen polarisierenden Themen soll man ausweichen (oder eben auch kapitulieren, wie sich im Herbst in der Frage der Migration zeigte). Dementsprechend lautete das Motto des „Einigungsparteitages“ im November „Zurück (!!) zur Gerechtigkeit“ – ein tragisch-komischer Versuch das Motto „Wir sind zu allem bereit, um wieder in der Regierung sein zu dürfen“ in „populäre“ Worte zu fassen.
Doch wieder der Reihe nach: Um in die Stichwahl zu kommen setzte Babler, der über keinen großen Apparat oder Ressourcen verfügte, auf eine „Basisbewegung“. Gewarnt vor internationalen Erfahrungen hielt der Parteiapparat den Spielraum für die entstehende Dynamik nach links in jeder Hinsicht klein. Trotzdem traten innerhalb weniger Stunden an die 10.000 neue Mitglieder der Partei bei, um Babler zum Vorsitz zu tragen. Babler zog durch das Land und versammelte tausende Unterstützer um sich. Wir stellten in unserer Intervention fest, dass es sich mehrheitlich um sozialdemokratisch geprägte Menschen handelt, die sich in dieser kurzen Zeit mobilisieren ließen. Die Stimmung war hoffnungsfroh und erleichtert, aber nicht kämpferisch. Wir konnten viele Zeitungen verkaufen, aber keinen einzigen neuen Genossen gewinnen. Versuche, im Rahmen der betrieblichen Arbeit Babler zu thematisieren, erzielten keine Erfolge. Unter bessergestellten (geistige Arbeiter) Schichten der Klasse bestand ein abstraktes Interesse, unter manuellen Arbeiter aller Kategorien (Pflege, Fabrik, Kindergarten) stießen wir aber auf taube Ohren, wenn wir versuchten darüber mit Arbeitskollegen in tiefe politische Debatten zu kommen. Dies ist nicht überraschend: die Klasse bewegt sich nicht gleichzeitig und politische Prozesse brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Diese Zeit gab es hier nicht. Außerdem hat die Politik der Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten zu viel Enttäuschung geführt, die bei vielen nicht einfach durch „schöne Worte“ wiedergutgemacht werden konnte.
In der Mitgliederbefragung erreichte Babler knapp den zweiten Platz. Er stoppte die Mobilisierung unmittelbar, um die einwöchige Frist zum Juni-Parteitag zu nutzen und eine Vereinbarung mit den sozialdemokratischen Machtzentren (SPÖ-Wien, FSG) zu treffen. Diese Machtzentren bildeten (neben den SPÖ-Frauen) die Hauptbasis der Unterstützer der gescheiterten Liberalen Rendi-Wagner. Obwohl Babler damals rhetorisch noch deutlich links von seinem Konkurrenten Doskozil stand, kam diese Abmachung zu Stande. Programmatisch dafür entscheidend war, dass Babler für die Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft steht, also die tiefgehende Einbindung der Arbeiterbürokratie in die Verwaltung des Staates. Der Polizist Doskozil hingegen steht für einen Managerapproach des direkten staatlichen Eingriffes zum Vorantreiben von Reformen: die Verstaatlichung der Krankenkasse, staatliche Mindestlöhne etc. Sein Vorstoß, die Quoten abzuschaffen, machten ihn auch in der Frauenorganisation, deren Exponentinnen dieses Instrument für ihre eigene Karriere nützen, ungenießbar. Persönliche Animositäten zwischen Doskozil und Ludwig (SPÖ Wien) werden ihr Übriges getan haben. Zusammenfassend: die Babler-Bewegung endete nach zwei Monaten in einem Kompromiss zwischen ihm und den Machtzentren, plus einen tiefen Schwenk zu einer aktiv-proimperialistischen Außenpolitik. Babler sitzt am Kutschbock, aber gelenkt wird der Wagen von der Top-Bürokratie der SPÖ Wien.
Obwohl Babler in seinen Stellungsnahmen ständig betont, dass er und die SPÖ eh immer eine „klare politische Haltung“ bewiesen haben, ist das genaue Gegenteil richtig. Er hat keine politische Linie, er ist offen für alles und ändert seine Aussagen wir ein Chamäleon die Hautfarbe. Dies schafft kein Vertrauen in der Wählerschaft. So ist es unmöglich, dass er über den Kreis der Sozialdemokratie und der Arbeiteraristokratie in den Betrieben hinaus eine große Wahlunterstützung erzielen kann.
Der Funke rief innerhalb der kurzen Frist (36 Stunden), in der es möglich war, der SPÖ beizutreten und an der Mitgliederbefragung teilzunehmen, dazu auf, dies zu tun und Babler kritisch (unter Beibehaltung unseres eigenen Programmes) zu unterstützen. Diese politische Initiative war völlig richtig. Der Linksreformismus muss die Arbeiterklasse früher oder später verraten, da er nicht grundsätzlich mit dem Kapitalismus bricht. Aber ein solcher Prozess kann kürzer oder länger dauern und indes der Arbeiterklasse viele praktische Erfahrungen ermöglichen. Bewegungen rund um linksreformistische Führer und/oder Programme können daher einen positiven Schritt vorwärts bedeuten, wenn die Arbeiterklasse dadurch in Bewegung tritt und so in der Praxis den Reformismus abtesten kann. Das ist der der Grund für die Taktik der kritischen Unterstützung solcher Bewegungen. Im konkreten Fall blieb die Vorwärtsbewegung der Babler-Kandidatur zeitlich kurz, schichtenmäßig isoliert und politisch „naiv“: Bablers Unterstützer gaben sich mit seinem Vorsitz zufrieden und übten keinerlei Druck auf ihn aus, seine ursprünglichen Positionen zu verteidigen. Dies erzwang die Kapitulation des Linksreformismus vor den realen Machtverhältnissen: Ein politisches Programm zur Verbesserung des Lebens der Arbeiterklasse kann unter heutigen Verhältnissen nur dann eine relevante Kraft entwickeln, wenn ein harter, massenhafter Klassenkampf zur Durchsetzung der Verbesserungen geführt wird. Dies war hier nicht der Fall.
Selbst wenn wir nicht wissen können, wie die politischen Prozesse sich konkret in Ereignissen ausdrücken (und sogar davon überrascht werden können), wenn wir an den Wendenpunkten (hier: den Antritt Bablers kritisch unterstützen, die Verteidigung der Palästinenser), dann greifen die Räder ineinander. Weil die Bablerbewegung sich entwickelte, wie sie sich eben entwickelte, erzielten unseren politischen Positionierungen erst im Herbst eine wirkliche Hebelwirkung. Und zwar als die herrschende Klasse eine „bedingungslose nationale Solidarität mit Israel“ durchsetzte. Eine solche nationale Einheit hilft immer nur den Unterdrückern. Obwohl der SPÖ-Vorsitzende sich geräuschlos unterordnete, nutzen die Bürgerlichen unsere kritische Wahlunterstützung für Babler und unsere Positionierung für Palästina, um den nunmehrigen SPÖ-Vorsitzenden weiter politisch abzutesten und zurechtzurücken. Er bestand den Test vorzüglich.
Hunderte Medienberichte über Wochen machten uns so bekannt wie nie zuvor. Die lügenhaften Unterstellungen der Bürgerlichen und der Reformisten gegen uns (angebliche Terrorsympathie und angeblicher Antisemitismus, gegen die wir weiter nach allen Möglichkeiten vorgehen) verblassen im Lichte der anhaltend brutalen Unterdrückung der Palästinenser zunehmend.
Der Charakter der SPÖ als Arbeiterpartei mit kleinbürgerlichem Apparat und bürgerlicher Führung bleibt unverändert, wie auch die Perspektive, dass eine Revolution in Österreich nicht ohne Bruch in dieser Partei und der von ihr kontrollierten Massenorganisationen möglich ist. Gerade weil das so ist, brauchen aber auch die Bürgerlichen die Sozialdemokratie zur Stabilisierung. Das Wiederum führt dazu, dass immer größere Teile der Avantgarde die Sozialdemokratie nicht als Ansatzpunkt sehen. So werden in der kommenden Periode viele Prozesse und Klassenkämpfe außerhalb dieser Organisationen stattfinden.
Die Orientierung auf diese Partei bietet daher gar nicht die besten Bedingungen zum Aufbau der revolutionär kommunistischen Organisation, weswegen wir eine Neuorientierung unserer Arbeit vornehmen. In der gegeben politischen Instabilität sind rasche politische Schwenks der revolutionären Kommunisten organisch angelegt. Wir werden auch kommende Wendepunkte erkennen und – wenn opportun – neuerlich mutige taktische Schwenks vornehmen. Auf der Basis von Perspektiven und konkreten Ereignissen, Ereignissen und nochmals Ereignissen! Das Brot von morgen können wir heute nicht essen. Wir konzentrieren uns daher auf eine kühne Agitation, gute kommunistische Propaganda. Dabei sind schrille, arrogante, denunziatorische oder sektiererische Töne verboten! Wir haben das Ziel, die Avantgarde zu organisieren, aber wollen auch von jenen Arbeitern und Jugendlichen verstanden werden, die uns heute nicht zustimmen, sondern reformistische Illusionen haben. Wo es möglich und gewinnbringend ist, werden wir auch weiterhin versuchen in konkreten Kämpfen in Einheitsfront mit den Reformisten zu kämpfen. Dies sind die zentralen Methoden der Bolschewiki.
KPÖ: Auferstanden aus Ruinen
Die KPÖ ist wie alle historischen kommunistischen Parteien im Zuge der Spaltung der 2. Internationale entstanden. Die Gründung der Partei erfolgte durch Zufallspersonen und Manöver, abseits der fortgeschrittensten Elemente des Klassenkampfes jener Tage im November 1918. Aufgrund ihrer eigenen politischen Schwächen gelang es ihr in der 1. Republik nicht die Dominanz der Sozialdemokratie, die rhetorisch bedeutend nach links rückte, zu durchbrechen. Erst durch ihre bedeutende Arbeit in der Illegalität des Austrofaschismus (1934-1938) und Hitlerfaschismus (1938-1945) gelang es ihr eine wichtige Kraft in der Arbeiterbewegung zu werden, indem sie wichtige Arbeiterkader aus den Spaltungsprozessen der Sozialdemokratie gewann. Ihr knöcherner Stalinismus isolierte sie nach 1945 wieder rasch, wiewohl sie bis in die 1980iger eine ernstzunehmende Verankerung in der Klasse (v.a. in Industriebetrieben) aufrechterhalten konnte. In den 1990iger spaltete sich die Partei defacto in mehrere Richtungen, wobei die heute noch relevantesten die (rechts-)stalinistische Landesorganisation Steiermark (die an der KPÖ als eigenständige Klassenorganisation festhielt) und die liquiditionistische („parteiauflösende“) Landesorganisation Wien sind. Die Wiener KPÖ versuchte sich jahrelang in Bündnissen und Deckorganisationen ohne offenen kommunistischen Bezug aufzulösen. Als Arbeiterkammer-Fraktion und hauptsächlich migrantisches Bündnis existiert weiter die KOMINTERN als relevante eigenständige Kraft in diesem Spektrum. Die persönlichen Gräben zwischen den Hauptexponenten dieser Strömungen sind weiter tief, während die politischen Unterschiede sich in den vergangen 20 Jahren zunehmend abflachten und objektiv gesehen politisch irrelevant sind. Die KPÖ ist heute eine linksreformistische Partei, die sich zwar von ihrem Selbstverständnis aber nicht in ihrem Wesen von der Sozialdemokratie unterscheidet.
Die KPÖ schaffte es, sich ausgehend von ihrer kontinuierlichen Präsenz in der Steiermark bundesweit zu konsolidieren. Entscheidend dafür war der Zustrom neuer Kräfte aus der Spaltung der Grünen Jugend (GJ, 2017), womit sie sich eine politische Basis in Salzburg und im kleineren Ausmaß in Wien erarbeiten konnte. Die Junge Linke ist die organisatorische Kontinuität der GJ. Sie transformierten sich als „Junge Linke“ in die neue Jugendorganisation der Bundes-KPÖ (und stehen so in Konkurrenz zu KJÖ, die sich wieder der KPÖ annähert). Diese neue Schicht hat eine Annäherung der Bundes-KPÖ an die KPÖ Steiermark und somit eine „Befriedung“ dieser jahrzehntelangen Spaltung ermöglicht: das gemeinsame Interesse sind Wahlsiege. Heute ist die Junge Linke die größte Jugendorganisation in Österreich mit kommunistischem Selbstverständnis und durch den Wahlsieg der KPÖ Salzburg 2023 hat dieser Flügel nun auch genug „Eigengewicht“, um sich im bürokratischen Match mit der KP-Steiermark bei der Annäherung selbstbewusst behaupten zu können (gute Plätze auf Wahllisten, Beeinflussung der Wahlstrategie u.ä.)
In der verallgemeinerten politischen Krise heute kommt ihr zugute, dass sie als unverbrauchte, „radikale“ Kraft, ehrlicher als die SPÖ und die Grünen wahrgenommen wird. KPÖ-Funktionäre sind jedoch davon überzeugt, dass die Arbeiterklasse politisch rückständig ist und nur durch konkrete Politik („die Partei muss nützlich sein“: Suppenküchen) und Single-Issues („Wohnungen“) gewonnen werden kann. Diese Haltung ist Ausdruck desselben parlamentarischen Kretinismus, mit dem sozialdemokratischen Reformisten sich ihre kampflosen politischen Niederlagen stets schönreden. Der Gewerkschaftsflügel der Partei (GLB) schafft es nicht, sich methodisch aus dem FSG-Reformismus zu lösen, er macht in den Betrieben die gleiche Stellvertreterpolitik (siehe Magna) und ist unfähig innerhalb der Gremien der Gewerkschaften (in denen er dank des historischen Fraktionsstaus breit verankert ist) eine glaubhafte Opposition zur Mehrheitsfraktion zu entwickeln.
Im Herbst 2023 fand eine aus allen Bundesländern beschickte Bundes(aktivisten)-Konferenz in Graz statt, die erste seit den Spaltungen der Partei im Zuge des Zusammenbruchs des Stalinismus. Daran nahmen etwa 300 Mitglieder teil. Es fehlten nur die Hauptexponenten der historischen Spaltung: die Unterstützer des orthodox rechts-stalinistischen steirischen Landtagsabgeordneten Murgg und der Hauptexponent des Wiener Liquiditionistenflügels Walter Baier. Trotzdem war die Konferenz geprägt vom Versuch, jede politischen Diskussion, etwa zur Palästinafrage, penibel zu unterdrücken. Das Ziel war allein eine Bundeskandidatur für die Nationalratswahlen sicherzustellen und Tobias Schweiger (Wien) zum Spitzenkandidaten zu akklamieren.
Es ist weiter klar, dass die KPÖ nun auch von liberalen und bürgerlichen Medien in Richtung der kommenden Wahlen angeschoben wird, was weiter politischen Druck von der Bourgeoisie auf die Partei ausübt. Die KPÖ als Bindeglied zu Wählerschichten, die sonst ganz mit bürgerlicher Repräsentationspolitik abschließen, ist sicherlich eine Erwägung weitblickenderer Bürgerlicher. Vielleicht ist sie auch als Instrument gegenüber der Sozialdemokratie interessant. In jedem Fall haben die Bürgerlichen den Aufstieg der KPÖ akzeptieren (müssen) und arbeiten mit den neuen Umständen. Aber eine KPÖ, die tatsächlich in die Situation kommt, für die Interessen der Arbeiterklasse kämpfen zu müssen, ist etwas was die Bürgerlichen mit offenem Visier bekämpfen. Dieser Konflikt wird um die Finanzen der Stadt Graz geführt: Die Bürgerlichen wollen die KPÖ an der Regierung mit den Mitteln des Staatsapparates politisch zerstören. In der hoch verschuldeten Stadt wurde ein staatlicher Finanzkommissar mit Vetomacht eingesetzt, gleichzeitig wird die Finanzierung der Stadt mittels des Finanzausgleiches von Seiten der Landesregierung eingeschränkt. Die KPÖ verzichtete darauf, eine öffentliche Kampagne gegen diese Sabotage zu führen und wird – sofern sie ihre Politik nicht ändert und die Arbeiterklasse gegen diese Sabotage mobilisiert – gezwungen sein, ein massives Sparpaket zu verkünden. SPÖ oder KPÖ: gleicher Reformismus – gleiches Ergebnis.
Besonders deutlich wurde dies politisch einmal mehr in der pazifistisch-pro-israelischen Haltung in der Öffentlichkeit und der typisch stalinistischen eklektischen Verteidigung ihrer pazifistischen Position nach innen. Die AYAC-Kampagne übt einen politischen Druck auf die KPÖ aus, wie die graue Eminenz Stefan Parteder ungefragt öffentlich kommentierte („die Verwechslungsgefahr ist nicht lustig“). Eine von uns angefragte Solidarisierung der KPÖ gegen die anti-kommunistischen Angriffe auf „Der Funke“ durch die SPÖ-Bürokratie lehnte die Partei aus Gründen der „Nicht-Einmischung“ ab.
Es gibt keinerlei Anlass für Illusionen in den Linksreformismus der KPÖ. Die Elemente der Fäulnis sind deutlich sichtbar und in dieser Periode der Krisen ist es auch für eine kommunale oder kleine Parlamentspartei unmöglich, sich in einer staatlich finanzierten roten politischen Nische eine weiße Weste zu bewahren. Bei den kommenden Wahlen werden die fortgeschrittensten Teile der Arbeiterbewegung aber versuchen, die KPÖ über die 4%-Sperr-Schwelle ins Parlament zu schieben.
Der Klassenkampf und die Gewerkschaften
Die wirtschaftlichen und politischen Krisen schieben den ökonomischen Klassenkampf an. Diese Tendenz wird anhalten und zunehmen, sofern die Arbeitslosigkeit nicht plötzlich massiv ansteigt. Auch im vergangenen Jahr nahmen Arbeitskämpfe zu, neue Sektoren sammeln erste Erfahrungen, und es gibt neue Formen von Arbeitskämpfen. Der Streik beim Lebensmittelerzeugen ARDO in NÖ ist dafür symptomatisch: Der Streik wurde von der Belegschaft erzwungen, es ging um Löhne und fand außerhalb der Kollektivvertragsverhandlungen statt und er dauerte zwei Wochen. Die Zeiten, in der der ökonomische Klassenkampf sich beinahe ausschließlich auf die Zeit der Kollektivverhandlungen konzentriert und dort unter vollständiger Kontrolle der Bürokratie durchgeführt werden, sind gezählt. Also auch der ökonomische Klassenkampf wird dynamischer und härter. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, bei jedem Schritt den Lernprozess der Klasse zu beschleunigen, indem wir die gemachten Erfahrungen im Kampf mit den Kapitalisten und der Rolle der Arbeiterbürokratie klar aussprechen, verallgemeinern und wo möglich, die direkte Klassenauseinandersetzung praktisch vorantreiben.
Arbeiter sind gezwungen, an ihrem Arbeitsplatz solidarische Beziehungen aufzubauen, um die Ausbeutung der Lohnarbeit erträglich zu gestalten und einen den grundlegenden kulturellen Bedürfnissen entsprechenden Anteil an dem erarbeiteten Mehrprodukt in Form von Löhnen zu erhalten. Der ökonomische Klassenkampf ist also keine subjektive politische Option. Man kann sich als Arbeiter frei entscheiden, ideologisch Anhänger der christlichen Sozialehre, des Neoliberalismus oder des Kommunismus zu sein, aber im Lohnarbeitsverhältnis wird sich der Klassenkonflikt trotzdem manifestieren. Er fließt aus dem Wesen der Lohnsklaverei selbst, quasi „automatisch“. Historisch haben sich aus diesem objektiven Klassenwiderspruch Gewerkschaften als die größte Massenorganisation entwickelt, in einigen Ländern, darunter Österreich auch Betriebsräte als direkte Vertretung der Belegschaft.
Wenn der gesellschaftliche Reichtum steigt, ist es relativ (relativ!) einfach, die Bedingungen zu verbessern und den Anteil der Löhne am Profit konstant zu halten oder zu steigern. Die Macht aber haben die Eigentümer, die entlassen und einstellen können, die Gesetze, den Staat, die Medien, die herrschende Moral und ihre schwächenden Spaltungsmechanismen wie den Rassismus auf ihrer Seite haben. Die Arbeiterklasse hingegen kann sich nur punktuell und temporär (temporär ist dabei relativ, in (vor-)revolutionären Situationen können Arbeiter über Jahre die Kontrolle der Fabrik verteidigen, siehe FIAT in den 1970igern, oder die österreichischen Stahlwerke von 1945 bis 1950) zusammenschließen und dieser herrschenden Macht solidarisch die Arbeiterkontrolle über den Betrieb (wichtigste Form: der Streik) entgegensetzen. Wir dürfen uns daher nichts vormachen, die meisten Streiks im Kapitalismus werden – unabhängig von der Führung – verloren, oder: was mit einer Hand gewonnen wurde, wird mit der anderen auch gleich wieder verloren. In jedem Streik aber begreift die Arbeiterklasse ihre Lage im Kapitalismus besser und testet ihre eigenen Führungen ab. Er ist eine „lebendige politische Schule“, wie Rosa Luxemburg sagte, die das Proletariat für die Revolution vorbereitet.
Die Verantwortung der Führung der Gewerkschaften liegt in der Frage: habt ihr den bestmöglichen Kompromiss mit den Metallbaronen und Finanzhaien erzielt, indem ihr die Solidarität der Klasse organisiert habt, indem ihr das ganze Potential des Streikwillens abgerufen, indem ihr die schwachen Sektoren durch den gemeinsamen Kampf mit den Starken mitgetragen habt? Dies beantwortet sich von selbst – es ist nicht der Fall. Dies ist der Ansatzpunkt einer jeden Gewerkschaftspolitik, den wir entwickeln.
Auch wenn wir die Frage propagandistisch so aufwerfen, ist nicht in erster Linie eine subjektive (individuelle) Schwäche der Gewerkschaftsführer, sondern ihr Tun (oder Nicht-Tun) hat objektive Wurzeln in der gesellschaftlichen Rolle der reformistischen Bürokratie. Sie stützt sich materiell auf die Arbeiterklasse (und ist selbst eine spezifische, privilegierte Schicht der Arbeiterklasse), die Bürokratie ist aber organisch auf den Ausgleich der Klasseninteressen festgelegt. Trotzki beschreibt dies: „Der Monopolkapitalismus fußt nicht auf Privatinitiative und freier Konkurrenz, sondern auf zentralisiertem Kommando. Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben von ganz denselben Höhen wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. Ihrerseits finden sich die Gewerkschaften in den wichtigsten Zweigen der Industrie der Möglichkeit beraubt, die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmen auszunützen. Sie haben einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen. Für die Gewerkschaften – soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, das heißt soweit sie sich dem Privateigentum anpassen – entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm zu erstreben. Die Gewerkschaftsbürokratie sieht ihre Hauptaufgabe darin, den Staat aus der Umklammerung des Kapitalismus zu „befreien“, seine Abhängigkeit von den Trusts zu mildern und ihn auf ihre Seite zu ziehen. Diese Einstellung entspricht vollkommen der sozialen Lage der Arbeiteraristokratie und Arbeiterbürokratie, die beide um einen Abfallbrocken aus den Überprofiten des imperialistischen Kapitalismus kämpfen. Die Gewerkschaftsbürokraten leisten in Wort und Tat ihr Bestes, um dem „demokratischen“ Staat zu beweisen, wie verlässlich und unentbehrlich sie im Frieden und besonders im Kriege sind.“ (Trotzki, Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs)
Der österreichische Gewerkschaftsapparat ist durch und durch dadurch geprägt, eine „vernünftige“ Lohnpolitik im Sinne des Standorts zu machen. Wenn wir die Lohnabschüsse der Frühjahrs- und Herbstlohnrunde 2023 analysieren, sehen wir, dass genau das, was die Wirtschaftsforscher empfohlen haben, durchgesetzt wurde: ein Ausgleich der rollierenden Inflation mit Ausnahme der exportorientierten Metallindustrie und des kriselnden (Einzel-)Handels. Die Ergebnisse spiegeln also die festgelegte volkswirtschaftliche Notwendigkeit wider, nicht die Kampfkraft der Sektoren.
Diese stabilitätsorientierten Ergebnisse wurden auch dort erzielt, wo die Arbeiterklasse begonnen hat, die Gewerkschaftsführung systematisch herauszufordern: in der privaten Gesundheits- und Sozialversorgung (SWÖ). Obwohl hier eine systematisch arbeitende Opposition verankert ist, gelang es der Gewerkschaftsführung mit tausenden bürokratischen Manövern ihren „Kampfplan“ (der in Wirklichkeit ein Demobilisierungsplan war, um die Dynamik der Beschäftigten und der Opposition ins Leere laufen zu lassen) und damit ihre inhaltlichen Vorstellungen durchzusetzen. Der Funke argumentiert für die Bildung einer alternativen Gewerkschaftsführung, die den Machtanspruch im Sektor stellt („Für eine Gewerkschaftsopposition!“), indem sie auf die eigenständigen Kampfaktionen in den von ihr beeinflussten Betrieben stützt.
Im Metallbereich fanden 2023 die längsten Streiks seit 2011 statt. Wie schon 2011 endete der Streik einer schweren Niederlage. 2011 wurde der KV in fünf Einzelverträge aufgespalten, 2023 wurde unter der rollierenden Inflation abgeschlossen, die Laufzeit auf zwei Jahre verlängert und der KV „geöffnet“, sein Geltungsbereich also eingeschränkt und die Möglichkeit einer betrieblichen Lohnkürzung eingeräumt. In beiden großen Arbeitskämpfen war die Gewerkschaftsführung nicht bereit, die Kraft der Arbeiterklasse gegen den Willen den Unternehmer voll zu mobilisieren, sondern nahm lieber eine Verschlechterung der eigenen gesellschaftlichen Position als Arbeiterbürokratie an. Dies entspricht dem Wesen der Bürokratie.
2011 nahmen bis zu 200 Betriebe an der Streikbewegung der Metaller teil, diesmal bis zu 150. Die Streiktage waren nicht gebündelt, sondern über mehrere Tage gestreckt, sodass die einzelnen Betriebsstreiks eng vom Gewerkschaftsapparat geleitet werden konnten und die Arbeiter in ihrer Gesamtheit nicht wussten, an welchem Tag sie loslegen sollten. Damit wurde verhindert, dass die Streiks spontan von einem Betrieb zum anderen springen konnten, wie es 2011 etwa in der Obersteiermark und Kärnten der Fall war. Auch auf eine zentrale von den Gewerkschaften koordinierte Demonstration wurde verzichtet, man hielt die Streiks voneinander isoliert.
Die kleinere Anzahl an Betrieben spiegelt auch wider, dass ein langjähriger Verzicht auf Kämpfe die Kampfkraft schwächt. Das Band der Solidarität muss ständig geknüpft werden, sonst wird es spröde! In den Betrieben aller Branchen findet in diesen Monaten eine Kampagne gegen Betriebsräte (selbst gegen die sozialpartnerschaftlichen) und Betriebsversammlungen der Belegschaft statt. Derartige Berichte liegen uns vor: aus der Chemieindustrie (1: Betriebsversammlung untersagt), Metall (vier Entlassungen von BR), öffentlicher Dienst (1: BV eingeschränkt). Diese Kampagne der Bosse wird weitergehen und sich verstärken. Sie kam auch während der heurigen Streiks selbst zum Tragen: Beim Autozulieferer ZKW in Wieselburg organisierte das Management eine einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts, um den Arbeitskampf für illegal zu erklären. Anstatt diesen Angriff auf die Streikfreiheit mit doppelter Gewalt zurückzuschlagen (welches Gericht soll 2.600 streikende Arbeiter aufhalten können?) akzeptierte der Betriebsrat unter Anleitung der PRO-GE das Verbot und sagte den Arbeitskampf ab, um stattdessen in einen Gerichtsprozess zu ziehen. EVVA (Wien) schickte die Arbeiter in einen „Sonderurlaub“, um den Streik zu untergraben. Bei Knorr-Bremsen in Mödling sperrte der Unternehmer die streikende Belegschaft aus. In zahlreichen Handelsbetrieben kamen Streikbrecher zum Einsatz (bei Metro Salzburg aus Tschechien importiert),… der Klassenkampf wird härter und die revolutionären Kommunisten müssen diese neue Realität benennen, damit die Avantgarde der Klasse die notwenigen Schlussfolgerungen ziehen kann.
Die Gewerkschaftsführung vermeidet es, dieser Änderung in der Beziehung der Klassen eine bewusste Strategie entgegenzuhalten, ja sie zu thematisieren. Sie will stabile Beziehungen zur Bourgeoisie und die „Einzelprobleme“ durch ihre politische Teilhabe im Staat ausbügeln. Das ist eine hoffnungslose Strategie, das höchstens das Leben der Arbeiteraristokratie (temporär) stabilisieren kann.
Aus reformistischer Sicht ist dies gar nicht wenig. Denn „in the long run we are all dead“ wusste schon ihr Säulenheiliger J. M. Keynes. Die Arbeiterbürokratie, besonders die Betriebsräte sind überaltert und denken nicht daran, wie die Arbeiterklasse sich entwickeln kann, sondern vor allem wie sie selbst sich aus der immer schwierigeren Situation in die Pension retten können. Ein Beispiel: Das BR-Gremium einer großen Buchhandelskette besteht aus vier alten BR und acht jungen Arbeitern (vier davon ganz frisch im Gremium). Während alle neuen aktiv an der Streikbewegung arbeiten, die jungen ihn unterstützen, sind die Alten abwartend oder gegen den Streik, die Vorsitzende flüchtete sogar in den Krankenstand, wobei sie noch genug Kraft hatte, aus der Ferne eine Einzelvereinbarung mit dem Management zu schließen, das sie mittels eines Manövers durchsetzen wollte. Das verhinderte der Kommunist im Gremium. Dies lässt sich verallgemeinern: die Herausbildung von neuen Führungen in der Arbeiterklasse ist auch eine generationelle. Die große Mehrheit der alten sozialpartnerschaftlich geprägten Funktionäre und Mandatare schaffen es nicht, sich auf den Boden der neuen Realitäten der sich verhärtenden Beziehungen zwischen den Klassen zu stellen.
Der ökonomische Klassenkampf wird weiter zunehmen. Dafür gibt es viele Gründe: Die politische Ebene ist verschlossen, weil es keine Regierungskonstellation oder Partei gibt, die dem Klassenkampf politischen Ausdruck verleihen wird. Das Programm der kommenden Regierung steht bereits fest: soziale Angriffe. Die Beschäftigungslage ist relativ gut – bis ein tiefer Wirtschaftseinbruch kommt. Die Inflation bleibt hoch. Die Situation in vielen Sektoren ist haarsträubend und krankmachend, weil die Ausbeutung zu hoch ist, dies ist insbesondre in der Daseinsfürsorge (Pflege, Medizin, Kindergärten, soziale Einrichtungen, …) der Fall. (Ein Paradebeispiel dafür ist der Streik in den öffentlichen Kindergärten im Wien im Oktober dieses Jahres. Obwohl die Gewerkschaft younion ein politischer Arm der Stadtregierung ist und keinerlei oppositionelle Basisstrukturen existieren, sah sich die Gewerkschaft gezwungen, einen extrem bürokratischen Streik zu organisieren. Diesem Aufruf folgten trotzdem 15.000 Beschäftigte!) Die österreichischen Kapitalisten sind aufgrund der Lage des österreichischen Kapitalismus unter Druck und müssen die Lohnkosten senken, um ihre Profitmarge und ihre Weltmarktposition aufrecht zu erhalten. Die Gewerkschaft ist noch recht stark, ebenso das historisch gewachsene Betriebsratswesen, was bisher eine breite Abdeckung durch Kollektivverträge (99%) garantierte. Dies wollen sich die Unternehmer nicht mehr leisten, was in einigen Branchen (Metall, Handel, IT) von Unternehmerseite aktiv herausgefordert wird. Die Gewerkschaft wiederrum muss so handeln, dass ihre Organisation weiter politische und finanzielle Unterstützung aus der Klasse erfährt.
Das sind Laborbedingungen dafür, dass Neues entsteht. Weil die Bürokratie die Gewerkschaften und ihre Politik so fest kontrolliert, wird der Umschwung von außen und unten kommen. „Atypische“ Kämpfe wie jener der Krankenpfleger in Wien zur Optierung (2019), der Lehrer (2023), der Streik bei Ardo (2023), die Selbstorganisierungen im Sozialbereich bis hin zum wilden Streik etc. zeigen die Richtung an. Die Schwächung der Kollektivverträge wird dabei diese Dynamik auch in Sektoren, die bisher hochreguliert waren (wie die Metaller), anschieben. Die Arbeiter können nicht immer kämpfen, aber der ökonomische Klassenkampf wird zunehmen.
Schlussbemerkung
Die Arbeiterklasse wird in den Klassenkampf gedrängt und ihr Bewusstsein ist ständigen Hammerschlägen ausgesetzt. Da es keine Lösungen gibt, sehen wir alle möglichen Schwankungen von links nach rechts und zurück. Im nächsten Jahr wird sich die tiefe Politisierung in den Wahlen, Regierungsbildung und in ökonomischen Klassenkämpfen ausdrücken. Spontane Jugendbewegungen sind jederzeit angelegt. Die nächste Regierung wird eine weitere Krisenregierung. Die Arbeiterklasse und die Jugend werden ständig neue und viele Erfahrungen machen. Die wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Grundlagen für eine weltweite demokratische Planwirtschaft, die allen Menschen ein würdiges Leben ermöglichen wird, sind überreif. Weil die Arbeiterklasse, behindert durch die reformistischen Führungen, die Macht nicht ergreifen kann, setzt sich weltweit eine Tendenz zu „Fäulnis und Stagnation“, charakteristisch für imperialistische Epoche des Kapitalismus, durch. Dies stimmt für die Ökonomie, die Beziehungen zwischen und innerhalb von Staaten, Klassen und Menschen. Es ist innerhalb und durch diese Bedingungen, dass die soziale Revolution unausweichlich wird. Ihr Erfolg oder Misserfolg hängt davon ab, ob in der Arbeiterklasse eine revolutionäre Führung mit ausreichend Verankerung in der Arbeiterklasse existiert. Diese Aufgabe kann einzig und allein nur die österreichische Sektion der IMT leisten.