Auch in Frankreich ruft die brutale militärische Kollektivbestrafung und Hungerblockade Gazas nach den Angriffen der Hamas die Empörung von Millionen Jugendlichen und ArbeiterInnen hervor. Doch die Regierung Macron verfügt, dass diese Empörung inakzeptabel sei und zum Schweigen gebracht werden müsse. Von Manuel Lins.
Demos in Solidarität mit den PalästinenserInnen in Gaza wurden von der Regierung verboten und anschließend gewaltsam unterdrückt. Am 10.10. gab Innenminister Gérald Darmanin bekannt, dass gegen die „Neue Antikapitalistische Partei“ (NPA) eine „Untersuchung wegen Befürwortung von Terrorismus“ eingeleitet wurde. Am Vortag hatte er gedroht, gegen jede Organisation, die „zu Hass, Intifada und Terrorismus aufruft“, „ein Auflösungsverfahren einzuleiten“. Ein von der NPA organisiertes Bündnistreffen, welches die Lage des seit über 40 Jahren unrechtmäßig inhaftierten palästinensischen Aktivisten George Abdallah diskutieren sollte, wurde behördlich untersagt, da „antisemitische Äußerungen“ zu erwarten wären. Jegliche Kritik am Umgang mit politischen AktivistInnen ist sichtlich unerwünscht. In Toulouse verlangte der Bürgermeister, ein Parteimann von Präsident Macron, die Absage einer Solidaritätsveranstaltung für Palästina, die in den Räumlichkeiten der CGT (der größten Gewerkschaft) stattfinden sollte, wobei er sogar erklärte, bei einer Weigerung den Polizeipräfekten einschalten zu wollen.
Die Spitze der Linkspartei „La France Insoumise“ (LFI) wiederum wird trotz ihrer sehr zurückhaltenden Position beschuldigt, Terrorismus und Antisemitismus zu schüren oder sogar selbst „verdeckt“ antisemitisch zu sein. Das NUPES-Bündnis aus La France Insoumise, der Sozialistischen Partei (PS), der Kommunistischen Partei (PCF) und den Grünen (Les Verts), das gemeinsam bei den Parlamentswahlen 2022 antrat, zerbrach anhand der Frage, ob man sich mit Palästina solidarisieren solle. Während sich LFI solidarisch gegenüber den PalästinenserInnen zeigt, sind alle anderen Parteien auf die Politik der nationalen Einheit eingeschwenkt. Der Vorsitzende der KP Fabien Roussel hat innerhalb weniger Stunden die langjährige Position seiner Partei fallengelassen, indem er den Angriff der Hamas und die israelische Reaktion gleichgesetzt hat. Der bekannte „linke“ Journalist und Politiker François Ruffin tut dasselbe. Genausowenig unterscheiden sich die Positionen der CGT und der Sozialistischen Partei signifikant von jener der Regierung. Es ist gerade diese Kapitulation vor der „öffentlichen Meinung“, vor den Positionen des Imperialismus, die es der Regierung erlaubt, all jenen, die sich mit dem palästinensischen Volk solidarisch zeigen, zu drohen.
Nichts davon ist jedoch wirklich neu, da der französische Imperialismus seit Jahrzehnten ein fester Verbündeter Israels ist. Der Vorwurf des Antisemitismus wird regelmäßig jedem ins Gesicht geschleudert, der es wagt, die reaktionäre Politik des israelischen Staates zu kritisieren. Doch vor dem Hintergrund der tiefen Krise des französischen Kapitalismus und der extremen Schwäche der Regierung Macron stellt die Unterdrückung der derzeitigen Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Volk einen Wendepunkt dar. Die französische Arbeiterbewegung hat die Pflicht, zu reagieren – nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Die Drohungen gegen linke Parteien und Gewerkschaften und Verbotsversuche dürfen nicht unbeantwortet bleiben.
Alle linken AktivistInnen müssen diese Situation im Zusammenhang mit der allgemeinen polizeilichen und rechtlichen Repression gegen Jugendliche und ArbeiterInnen in Frankreich sehen. Demoverbote unter absolut unzulässigen Vorwänden haben sich in den letzten Jahren vervielfacht. Zudem knüpft der Versuch, die NPA zu verbieten, nahtlos an die gerichtliche Repression gegen jene Gewerkschafter, die in die Proteste gegen die Pensionsreform involviert sind, an.
Wie in diversen anderen europäischen Ländern geht der angebliche Kampf gegen Antisemitismus mit rassistischer Hetze gegen muslimische MigrantInnen und Angriffen auf das Demonstrationsrecht einher. Hinzukommen noch Drohungen mit dem Verbot oder der gerichtlichen Verfolgung von linken Organisationen wie der NPA. Trotz des enormen politischen Drucks wächst die Unterstützung für solidarische Positionen, da die Massaker an tausenden Palästinensern Millionen Jugendliche und ArbeiterInnen in Frankreich radikalisieren und die Empörung sich immer mehr Bahn bricht.
Wie die französischen GenossInnen der IMT erklären, sind alle AktivistInnen der Arbeiterbewegung gefordert, auf diese Angriffe zu reagieren. Sie sollten von ihren Führungen verlangen, den Widerstand gegen die Unterdrückung der Solidaritätsbewegung mit Palästina zu organisieren und sich mit aller Kraft an dieser Bewegung aktiv zu beteiligen. Auf die erste große von LFI und der CGT organisierte Solidaritätsdemo mit Palästina am 22.10. müssen weitere folgen und eine Verbindung zwischen der Palästina-Bewegung und den Kämpfen der französischen Arbeiterklasse hergestellt werden. Gegen die Aggression in Gaza, gegen die Heuchelei der französischen und europäischen Imperialisten und für eine neue und siegreiche Intifada!
(Funke Nr. 218/25.10.2023)