Den Straßenblockaden der „Letzten Generation“ folgen scharfe Debatten. Vorstöße von ÖVP und Regierung, die Lippenbekenntnisse zum Klimawandel liefern, aber harte Strafen für Aktivisten fordern, sind scharf zurückzuweisen. Trotzdem sind die isolierten, individualisierten Stunts eine Sackgasse. Von Lukas Frank.
Mit 9.1. startete die Letzte Generation (LG) ihre Aktionswoche, die vor allem darin bestand, den morgendlichen Berufsverkehr zu stören, indem sich eine Handvoll Aktivisten auf die Fahrbahn klebte. Sie fordern Tempo 100 auf der Autobahn und ein Versprechen, in Zukunft kein österreichisches Fracking zu betreiben.
Krokodilstränen der ÖVP
ÖVP, Boulevardmedien und Regierung melden sich vor allem mit dem Wunsch nach härteren Strafen. Argumentiert wird, dass diese Aktionen die Sicherheit der Bevölkerung gefährden. Die NÖ Landeshauptfrau Mikl-Leitner veranstaltete dafür eine groteske Pressekonferenz mit Blaulichtorganisationen, die darüber schwadronierten, dass wegen den Klebeaktionen Schlaganfallpatienten nicht rechtzeitig im Spital behandelt werden könnten. ÖVP Jugendstaatssekretärin Plakolm führte außerdem die Kosten der Polizeieinsätze für die Steuerzahler ins Rennen.
Dass diese Argumente von der ÖVP kommen, die mit dutzenden Korruptionsskandalen konfrontiert ist und gemeinsam mit den Grünen in der Regierung das Gesundheitssystem finanziell am Rande des Zusammenbruchs balanciert, zeigt die Substanz dieser Argumente. Dahinter stecken einerseits Wahlkampf-Kalkül einer angeschlagenen ÖVP, aber auch die Notwendigkeit, in der Krise des Kapitalismus den Staatsapparat zu stärken – mehr Durchgriffsrechte für Polizei, härtere Strafen für Aktivisten etc. stehen schon seit Jahren auf der Wunschliste der Bürgerlichen. Als guter bürgerlicher Koalitionspartner schauen die Grünen hier wohlwollend passiv zu.
Falsche Lehren aus Fridays for Future
In der ZIB 2 legte LG-Mitbegründerin Martha Krumpeck den Zweck ihrer Aktionen dar:
„Es ist eine Schande, dass es notwendig ist, so weit zu gehen, dass sich Menschen an die Straße kleben, damit diese Bevölkerung endlich aufwacht und realisiert, in was für eine unvorstellbare Katastrophe wir schlittern.“
„Wir wollen, dass man an uns nicht vorbeigeht, dass man uns nicht ignorieren kann so wie die Wissenschaft über 30 Jahre ignoriert wurde, wie Fridays for Future vier Jahre ignoriert wurde“
„Viele Menschen alleine reichen nicht. Fridays for Future hat sehr große Demos dazu gemacht, wird aber weiter ignoriert. Wir greifen zu den wenigen Mitteln, die uns noch bleiben.“
Um „Fridays for Future“ (FfF) gingen weltweit Millionen Menschen auf die Straße, auf dem Höhepunkt über hunderttausend in Österreich. Die Welt steuert jedoch nach wie vor auf die Klimakatastrophe zu. Die LG zieht daraus zwei zentrale Schlussfolgerungen: Zu wenige interessieren sich für den Klimawandel und Massenaktionen der Arbeiterklasse und Jugend scheinen wirkungslos zu sein.
Doch das ist genau die falsche Schlussfolgerung aus FfF: Massenaktionen sind wirksam. Der Fehler der Führung von FfF war die Hoffnung, die Klimakatastrophe könnte im Kapitalismus und von dieser herrschenden Klasse aufgehalten werden. Doch der Kapitalismus ist grundlegend unfähig, die Klimakrise zu lösen. Er muss gestürzt werden.
So hat die LG alle Schwächen, aber keine der Stärken von FfF geerbt. Ihre Schlussfolgerung ist die gleiche Politik des Appells an die Herrschenden, aber ohne die Rolle der Massen anzuerkennen, sondern durch Aktionen und Methoden, die mit aufsehenerregenden Stunts von einer Handvoll mit Kleber oder Tomatensoße bewaffneten Aktivisten das Thema in die mediale Aufmerksamkeit rücken.
Arbeiterklasse oder „Zivilgesellschaft“?
In breiteren Teilen der Arbeiterklasse können diese Aktionen nicht auf großen Widerhall stoßen. Die tagtägliche Erfahrung der Arbeiterklasse ist, dass der einzelne Arbeiter nur ein austauschbares Rädchen in einer großen Maschine ist. Keine Presse, keine Regierung interessiert sich dafür, was er als Individuum zu sagen hat oder will. Ihre Macht wird nur im Kollektiv sichtbar, denn schließlich ist es die Arbeiterklasse, die mit ihrer gemeinsamen Arbeit die Gesellschaft am Laufen hält. Die Idee, sich allein auf eine Straße zu setzen, kann hier nur Verwunderung auslösen. Selbst sympathisierenden Arbeitern bleibt eigentlich nur übrig, ein gutes Wort für die Klimaaktivisten bei den Kollegen in der Arbeitspause einzulegen.
Aktiven Rückhalt findet die LG in der sogenannten Zivilgesellschaft. Die Redaktion vom „Standard“, wo laufend über die Aktionen berichtet wird, 50 renommierte Wissenschaftler, die sich öffentlich solidarisieren, Regisseure, Musiker, NGOs etc. Allesamt Menschen, die es gewohnt sind, dass ihren individuellen Meinungen in irgendeiner Form Gehör geschenkt wird und die sich im Dunstkreis des Staatsapparates, der Mächtigen und der Reichen bewegen.
Letztendlich muss sich eine Forderung an irgendeine Kraft in der Gesellschaft richten. Wenn es nicht die Arbeiterklasse ist, dann ist es eben die herrschende Klasse – die Kapitalisten und ihr Staatsapparat. Dass die Forderungen so verzweifelt niedrig angesetzt sind (viel niedriger als noch von FfF!), zeigt, wohin die Hoffnung auf die herrschende Klasse führt.
Arbeiterklasse und Klimabewegung
In den Niederlanden hinderten ein paar Aktivisten für einige Stunden den Abflug von Privatjets, was zurecht auf viel Sympathie stieß. Doch wer befüllt die Jets, fliegt diese, erteilt die Flugerlaubnis? Die Arbeiterklasse. Sie hat die Macht, die Privatjets nie mehr aufsteigen zu lassen.
Der Streik der Eisenbahner im Herbst zeigte, wie groß die potenzielle Macht der Arbeiterklasse auch in Österreich ist. 24 Stunden lang war der gesamte Bahnverkehr, der für eine Verkehrswende so eine zentrale Rolle spielen könnte, lahmgelegt. Doch insgesamt organisiert die reformistische Führung der Arbeiterklasse in den Spitzen von Gewerkschaften und Sozialdemokratie diese kollektive Macht nicht. Wie die LG, hofft sie auf die „Vernunft“ der Herrschenden.
Die Jugend in der Klimabewegung könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, diese Betondecke zu durchbrechen – und so auch den Kampf gegen den Klimawandel auf eine neue Ebene heben. Entscheidend dafür ist der entschlossene Bruch mit individualistischen Methoden und vor allem mit der Illusion, dass irgendeines der zentralen Probleme im Kapitalismus gelöst werden könnte. Wenn das gelingt, sind wir nicht die letzte Generation, sondern die Generation der Überwindung des Kapitalismus, die Generation Revolution!
(Funke Nr. 210/19.1.2023)