In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit den Schulstreiks vom 26. Jänner 2022.
- Warum waren die Streiks – trotz guter Stimmung – nicht größer?
- Warum braucht es breitere und radikalere Forderungen?
- Wie muss ein Kampfplan aussehen?
- Und was ist die Rolle von Selbstorganisierung von Schülern?
- Schickt uns gerne Berichte über die Stimmung an eurer Schule, Erfahrungen vom gestrigen Streik und eure Meinung zu den Vorschlägen und Positionen im Artikel: Kontakt oder per Mail an: redaktion@derfunke.at !
Eine Analyse der Funke-Redaktion.
An den Schulen brodelte es. Die Ankündigung der Regierung, nach zwei Jahren Pandemie eine – fast – normale Matura abhalten zu wollen (wir berichteten), war der Startschuss für eine Welle der Proteste und Streiks an Schulen in ganz Österreich. Gestern sollte die Bewegung mit einem von der AKS (Aktion kritischer Schüler_innen) ausgerufenen bundesweiten Schulstreik ihren Höhepunkt finden.
Wütende Stimmung, Demos in ganz Österreich
Letztendlich fanden gestern tatsächlich in Wien, Linz, Bregenz, Innsbruck, Klagenfurt, Salzburg und Graz Demonstrationen und Kundgebungen statt, zusätzlich gab es kleinere Kundgebungen und Fotoaktionen vor einzelnen Schulen und in kleineren Orten darüber hinaus. Am meisten SchülerInnen gingen in Wien auf die Straße, wo nicht ganz 1000 sich an einer Demonstration durch den ersten Bezirk beteiligten und enthusiastisch und lautstark ihre Wut über die Regierung und die Situation an den Schulen herausschrien.
Bezeichnend für die wütende Stimmung und die politische Radikalität ist, dass die Aussage eines Redners in Wien bei der Anfangskundgebung, wir seien alle nur „Rädchen im System des Kapitalismus“ die erste war, die tosenden Beifall fand. In den restlichen Städten beteiligten sich an den Kundgebungen und Demonstrationen jeweils meist zwischen 70 und 100 SchülerInnen, in Graz weniger.
Der Streik-Demozug in Wien.
Der Ablauf in den verschiedenen Bundesländern war recht unterschiedlich. In Wien war z.B. der Treffpunkt der Schulen für um 9.00 Uhr am Stephansplatz angesetzt, was die Möglichkeit bot, dass Schüler gar nicht erst in die Schulen reingehen mussten. Gemeinsam mit Linz, wo eine Demo um 10 Uhr angekündigt wurde, waren das die beiden Standorte mit einem ausgeprägterem Streikcharakter. Die restlichen Demos fanden alle um die Mittags-/Nachmittagszeit statt, mehr oder weniger nach Schulschluss, was die Mobilisierung weiter erschwerte.
Man muss insgesamt aber klar sagen: Gerade angesichts der wütenden Stimmung an den Schulen waren die Streiks gestern klein, wenn man Vergleiche zu den vergangenen Schulstreikbewegungen zieht, an denen sich z.B. 2009, 2013 und bei den Klimastreiks 10.000e SchülerInnen in ganz Österreich beteiligten.
Die krisengeschüttelte Bundesregierung wird durch die gestrigen Streiks alleine keine schlaflosen Nächte bekommen, eine Ausweitung der Bewegung ist unbedingt notwendig. Denn der Unmut an den Schulen ist ungebrochen, und er wird auch nicht so schnell verschwinden.
Daher ist es nicht angebracht, in Pessimismus zu verfallen. Ganz im Gegenteil: Wenn wir die richtigen Schlussfolgerungen aus den gestrigen Streiks ziehen, ist das Potential voll und ganz da, um einen Schritt vorwärts zu machen und bei zukünftigen Streiks tatsächlich die Massen an SchülerInnen zu mobilisieren. Und das ist nötig, um zu gewinnen.
Breitere und radikalere Forderungen – größere Bewegung
Wir haben das Chaos an den Schulen sowie den immer weiter steigenden Leistungsdruck auf die Jugend immer wieder beschrieben, und mittlerweile ist die Diskussion darüber auch in der bürgerlichen Presse angekommen.
Doch das heißt nicht, dass deswegen eine Bewegung automatisch zu einer Massenbewegung wird. Gerade unter diesen Bedingungen des steigenden Druckes werden es sich viele zweimal überlegen, ob sie möglicherweise zusätzliche Fehlstunden riskieren wollen für Forderungen, die nur eine sehr begrenzte Erleichterung schaffen würden. Der zentrale Hebel, wie eine breite Beteiligung an der Bewegung gewährleistet werden kann ist, dass sich der Kampf auch wirklich lohnt. Bertold Brecht fasste das einfach zusammen mit seinem Ausspruch: „Man muss so radikal sein wie die Wirklichkeit“.
Der Funke am Schulstreik in Linz.
Das zentrale Hindernis für eine Massenmobilisierung gestern war daher, dass sich die Forderungen der AKS in der öffentlichen Diskussion schnell auf die „freiwillige mündliche Matura für dieses Jahr“ konzentrierten. Doch das reicht einfach nicht, um die gesamte Schülerschaft zu mobilisieren – die Forderung betrifft unmittelbar nur eine Schulstufe. An einer Schule in Wien drückte sich das sogar darin aus, dass der Schulsprecher unteren Klassen verbieten wollte, an den „Warnstreiks“ am 18.01. teilzunehmen. Doch selbst abgesehen davon ist klar, dass die Mobilisierung der Jüngeren so nur schwer gelingen kann.
Und selbst im Maturajahrgang herrscht Uneinigkeit, wie viel Erleichterung die Freiwilligkeit der mündlichen Matura tatsächlich bringen würde – sind es doch die schriftlichen Prüfungen, die nach Jahren des Pandemiechaos für das meiste Kopfzerbrechen sorgen. Schließlich gibt es Fälle von gut ausgestatten Schulen, die einigermaßen gut auf die Coronasituation regiert haben. Leistungsdruck, Zukunftsangst und Wut existieren hier natürlich auch, aber die aktuelle zentrale Forderung nach einer freiwilligen mündlichen Matura läuft da ins Leere.
Zwar kursierten zu Beginn auch andere Forderungen (einzelne spezifische Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, mehr SchulpsychologInnen etc.), aber sie rückten schnell in den Hintergrund und waren zu spezifisch und klein, als dass sie einen Unterschied hätten machen können.
Eine Schülerin aus Niederösterreich, die auf der Demo in Wien redete, fasste die Situation gut zusammen: „Die Regierung sagt uns, dass wir mit den Prüfungen wieder zur Normalität zurückkehren sollten, aber die Situation an den Schulen ist alles andere als normal“ und fügte hinzu, dass „normale“ Prüfungen dann OK seien, wenn es eine „normale“ Situation geben würde. Das ist absolut richtig und sollte in eine Forderung gefasst werden:
- KEINE Maturaprüfungen, zumindest bis die Pandemie beendet ist – und Erleichterungen für alle zukünftigen Jahrgänge, die unter diesem Versagen der Regierung in der Pandemiebekämpfung und Planung leiden müssen!
Das System ist das Problem
Doch es reicht nicht, hier stehen zu bleiben. Keine leichten Zugeständnisse zu machen, ist für die schwarz-grüne Regierung, die Regierung der Reichen, „systemrelevant“: Die „Fabrik Schule“ ist in der Pandemie ins Stocken geraten und produziert immer schlechter die Arbeiter von morgen. Doch Geld, mit dem die Schule coronafit gemacht werden würde, wäre Geld, dass in den Taschen der Kapitalisten fehlt.
Die Lösung ist in ihren Augen einfach: den Druck auf die Schüler erhöhen, sodass diese zu Lasten ihrer eigenen mentalen und körperlichen Gesundheit die Qualitätslücke individuell beheben. Die Matura dieses Jahr wieder zu verschärfen, ist eine praktische Folge davon. Daher ist der ständige höhere Druck auf SchülerInnen (und LehrerInnen!) nichts, was einfach durch das Drehen von ein paar kleinen Schrauben gelöst werden könnte. Die kapitalistische Logik der Profitmaximierung muss daher im Bildungssystem durchbrochen werden.
Schulstreik in Vorarlberg.
Das bietet auch die Möglichkeit, an die LehrerInnen zu appellieren, sich der Bewegung anzuschließen. Sie leiden unter denselben Problemen wie die Schülerschaft und wären der erste Schritt, den Kampf auf eine breitere gesellschaftliche Basis in der Arbeiterklasse zu stellen. Daher:
- SchülerInnen und LehrerInnen gemeinsam: Geld für Bildung statt für Banken – für massive Investitionen in das öffentliche Bildungssystem, und keinen Cent mehr für die Kapitalisten, die sich in der Krise auch durch Milliarden an Staatshilfen eine goldene Nase verdient haben!
Selbstorganisierung mit klarem Ziel
Aus diesem Grund ist aber auch klar, warum es wenig Entgegenkommen der schwarz-grünen Regierung der Reichen geben wird: Eine Schülerschaft, die mit einem erfolgreichen Maturastreik sehen würde, dass man Angriffe kollektiv abwehren kann, würde die Durchführung weiterer zukünftiger Verschärfungen erheblich erschweren.
Dementsprechend wurde im Vorhinein auf Schulleitungen und Direktionen Druck gemacht, diese Streiks mit allen Mitteln zu verhindern. In einer Schule in Wien wurde kurzfristig die Schulordnung geändert, dass Schüler unter 16 Jahren das Schulgelände am Vormittag nicht verlassen dürfen (!). In einer anderen Schule in Tirol wurden SchülerInnen, die sich am Warnstreik am 18.01. beteiligt hatten, einzeln zum Direktor bestellt.
Dem massiven Druck von oben kann nur die entschlossene Organisierung von unten etwas entgegensetzen. Hierfür war aber das erklärte Ziel der AKS-Führung, durch den Streik zurück an den Verhandlungstisch mit dem Bildungsminister kommen zu können, ein Hindernis.
Diese Herangehensweise, Verhandlungen als das Ziel einer Bewegung zu formulieren, ist in der Tradition der österreichischen Arbeiterbewegung und der „Sozialpartnerschaft“ tief verankert, aber letztendlich ein gewichtiges Hindernis für eine Ausweitung der Bewegung:
Letztendlich heißt die „Verhandlungslogik“, dass einige wenige Leute an der Spitze entscheiden können, was passiert (und was nicht): Welche Forderungen stellt man? Akzeptiert man ein etwaiges Angebot von der Regierung oder will man weiterkämpfen? Was sind die nächsten Schritte? Der Druck auf diese Verhandler seitens der Regierung und der Direktionen wird außerdem sehr hoch sein. Daher ist die Selbstorganisation von Schülern so wichtig: Sie verbreitern die Bewegung, weil man direkt mitbestimmt, geben allen Entscheidungen Legitimität und können dem Druck „von oben“ entgegnen.
Doch viele der Probleme an den Schulen, von den realitätsfremden Lehrplänen und Prüfungen bis hin zum Pandemie-Chaos lassen sich nicht durch dieses oder jenes erzwungene Zugeständnis von der Regierung lösen, sondern nur dann, wenn die SchülerInnen, zusammen mit den LehrerInnen, selbst die Kontrolle an den Schulen übernehmen. Daher:
- Gegen die Regierung der Reichen! Für die vollständige demokratische Kontrolle von Lehrplänen und Prüfungsinhalten durch die SchülerInnen und LehrerInnen!
Mobilisierung auf breite Füße stellen
Ein konkretes Hindernis für den Streik am 26.1. war auch, dass es lange dauerte, bis die tatsächlichen Aktionen und selbst der Termin eines bundesweite Streiktages klar waren. Schon am Dienstag den 18.1. gab es „Warnstreiks“, an denen sich eine Reihe an Schulen mit einstündigen Treffen im Pausenhof und Fotoaktionen beteiligten. Hier wurde dann – teilweise – auch der 26.1., der bis dahin nur als Gerücht kursierte, durch die AKS als gemeinsamer Kampftag bekanntgegeben. Doch Fragen wie Ort, Uhrzeit und ob es gemeinsame oder wieder einzelne Aktionen geben wird, blieben lange offen. Diese wurden teilweise erst am Wochenende vor dem Streik bekanntgegeben.
Kämpferischen SchülerInnen blieben also gerade mal 2 Schultage dafür Zeit, um ihre Schule für den Streik zu mobilisieren. Eine Reihe von Schulen hatte dabei bis heute nichts von diesem Schulstreik gehört oder nur am Rande davon mitbekommen.
Dabei zeigte sich, dass die offiziellen SchulsprecherInnen, die der wichtigste Hebel für die AKS-Führung zur Organisierung der Streiks waren, ein zweischneidiges Schwert sind. Während sie an einigen Schulen eine sehr positive und kämpferische Rolle spielten und die Führung dabei übernahmen, die breitere Schülerschaft zu organisieren, war an anderen Schulen genau das Gegenteil der Fall. In mindestens einem Fall in Wien beschloss die Schülervertretung, ohne davor die eigenen Schüler zu fragen, dass die „Schule nicht am Streik teilnehmen“ würde. In einem anderen Fall informierte der Schulsprecher auf Nachfrage eines Schülers, dass er sich erst mit seinem Direktor absprechen wolle, bevor er Schüler zu einem Streik „auffordere“. Eine Schülervertreterin in Vorarlberg argumentierte sogar direkt gegen den Streik, da „der Direktor das nicht wolle“.
Daher ist der Schlüssel zu einem Erfolg der Bewegung der direkte Appell an alle SchülerInnen, die kämpfen wollen, sich an den Schulen in Form eines Schülerkomitees zusammenzuschließen und die Bewegung anzuführen. Best Practice Beispiele wie diese Vorbereitung stattfindet, sollen auf Social Media etc. verbreitet werden, um als Inspiration zu dienen.
Schulstreik in Innsbruck.
Umgelegt auf regionale oder Bundesebene kann das die Dynamik der Bewegung enorm stärken: Wenn die einzelnen Schülerkomitees, die die kämpferischsten Teile der Schule repräsentieren, aus ihrer Mitte VertreterInnen wählen, die sich auf Stadtebene und darüber hinaus in Streikkonferenzen treffen, bekommt die Bewegung so eine demokratische Legitimation, die immer mehr SchülerInnen überzeugen wird, dass wir gewinnen können.
Letztendlich können solche VertreterInnen von Vollversammlungen an den Schulen gewählt werden und sich zu einem tatsächlichem, demokratischen bundesweitem Streikparlament zusammenschließen, das die weitere Vorgehensweise koordinieren und dem Druck der Regierung auf einzelne VertreterInnen viel mehr entgegensetzen könnte. So können wir gewinnen!
Die geringe Beteiligung am 26.1. sollte uns also nicht demotivieren und vor allem nicht zur Schlussfolgerung verleiten, dass unsere restlichen Schulkollegen apathisch seien und alles hinnehmen wollen.
Eher zeugt es vom Gegenteil, dass trotz eingeschränkter Mobilisierungen, sehr spezifischen Forderungen und Drucks durch Schulleitungen viele kleinere, aber kämpferische Gruppen von vielen unterschiedlichen Schulen gekommen sind. In Wirklichkeit wäre diese Breite der Bewegung eine gute Basis, um Schritte nach vorne zu machen.
Der Funke beim Schulstreik
Mit diesem politischen Ausblick, die Bewegung mit den richtigen Methoden zu einem Sieg zu führen, intervenierten Funke-AktivistInnen von Anfang energisch in der Maturastreik-Bewegung.
Als der 26.1. nur als vager möglicher Termin zirkulierte, griffen wir diesen in Flugblättern auf, die wir an insgesamt 17 Schulen in ganz Österreich verteilten. Funke-Aktivisten an verschiedenen Schulen machten sich daran, Streikkomitees aufzubauen oder diese zu unterstützen, entsprechende Erfahrungen werden wir in der kommenden Zeit als Artikel veröffentlichen. Auf 5 der angekündigten Demos waren wir auf dieser Basis mit lautstarken, eigenen Demoblöcken vertreten.
Wir rufen alle SchülerInnen dazu auf, uns Berichte von der Vorbereitung der Streiks und auch den Problemen dabei zu schicken, um sie einem breiteren Publikum zur Verfügung stellen zu können.
Wir müssen uns bewusst sein: Die Matura in Corona-Zeiten und das Schulsystem als Ganzes ist nur eine von vielen Auswüchsen des Kapitalismus, mit denen wir uns rumschlagen müssen.
Eine große Jugendbewegung, um dagegen anzukämpfen ist also angelegt und falls es nicht heute die Matura sein sollte, dann wird es morgen etwas anderes sein.
Was es daher braucht, ist eine über einzelne Schulen hinweg sichtbare revolutionäre Organisation, nicht nur um die Kämpfe zu effektiv wie möglich zu führen, sondern sie zu ihrer logischen Konsequenz, dem Sturz des kapitalistischen Systems zu verknüpfen.
Hilf mit, so eine Organisation aufzubauen! Kämpf mit uns! Werde beim Funke aktiv!