Wir veröffentlichen hier das politische Leitpapier, das bei dem bundesweiten Online-Treffen von UnterstützerInnen der Funke-Strömung am 29. November 2020 diskutiert und angenommen wurde. Es liefert eine Analyse der Welt-, EU und österreichischen Situation und der Perspektive für die Revolution.
- Die Covid-Krise
- Produktivität, Überproduktion und Verschuldung
- Europäische Union in der Krise
- Österreichs Wirtschaft
- Die Zeit des türkis-grünen Regenbogenkapitalismus ist angezählt
- COVID-Leugner und die schwachen Kräfte der Reaktion
- Die Krise der Menschheit ist die Krise der Führung der Arbeiterbewegung
- Die SPÖ und der Alternativreformismus von links
- Schluss
Wir stehen am Beginn der turbulentesten Perioden des modernen Kapitalismus. Das Privateigentum an Produktionsmitteln und der Nationalstaat bilden robuste Barrieren gegen die weitere Entwicklung der Menschheit. Gleichzeitig sind das Privateigentum und der private Profit Quell der Privilegien einer nunmehr nur noch parasitären Gesellschaftsklasse, die einem immer größeren Anteil des von der Arbeiterklasse geschaffen gesellschaftlichen Reichtums in einer immer kleineren Handvoll Superreichen konzentriert. Der Nationalstaat ist dabei die politische Organisationseinheit der Kapitalistenklasse, in dessen Rahmen die Ausbeutung der Arbeiterklasse und das Niederringen des Konkurrenzkapitals anderer Nationen organisiert wird. Gleichzeitig hat die Produktion längst einen vollständig globalen Charakter. Diese Widersprüche bereiten unaufhörlich die Bedingungen der kommenden sozialistischen Revolution vor.
Die objektiven, materiellen Voraussetzungen für die sozialistische Revolution sind heute global gesehen vollständig entwickelt. Der Kapitalismus ist heute auf Weltebene unfähig die Produktivkräfte weiterzuentwickeln. Daraus resultieren eine Reihe von Krisen auf allen Ebenen (Wirtschaftskrisen, politische und militärische Krisen, die Gesundheitskrise rund um die COVID-19-Pandemie, die Bedrohung des Klimawandels etc…). Die Instabilität auf allen Ebenen nimmt zu. Schon im vergangenen Jahr haben wir in vielen Ländern revolutionäre Massenbewegungen gesehen.
Das Auftreten des Corona-Virus und die Pandemie ist ein Zufall, der die Notwendigkeit zum Ausdruck bringt. Die aktuelle Krise ist Beschleuniger und Zuspitzer aller der dem Kapitalismus innewohnenden Widersprüche.
Doch noch keine herrschende Klasse der Geschichte ist freiwillig abgetreten. Sie muss gestürzt werden. Lenin erklärt 1915:
„Für den Marxisten unterliegt es keinem Zweifel, dass die Revolution unmöglich ist ohne revolutionäre Situation, wobei allerdings nicht jede revolutionäre Situation zur Revolution führt. Welches sind, allgemein gesprochen, die Anzeichen einer revolutionären Situation? Wir machen uns sicherlich keines Irrtums schuldig, wenn wir auf folgende drei Hauptmerkmale hinweisen: 1. Unmöglichkeit für die herrschenden Klassen, ihre Herrschaft in unveränderter Form aufrechtzuerhalten; diese oder jene Krise der ‚Spitzen‘, Krise der Politik der herrschenden Klasse, dadurch Erzeugung eines Risses, durch den die Unzufriedenheit und Empörung der unterdrückten Klassen durchbricht. Für den Ausbruch einer Revolution genügt es gewöhnlich nicht, dass ‚die Unterschichten nicht mehr den Willen haben‘, sondern es ist auch noch erforderlich, dass ‚die Oberschichten nicht mehr die Fähigkeit haben‘, es in der alten Weise weiter zu treiben. 2. Verschärfung der Not und des Elends der unterdrückten Klassen über das gewohnte Maß hinaus. 3. Beträchtliche – aus den angeführten Ursachen sich herleitende – Steigerung der Aktivität der Massen, die sich in einer ‚friedlichen‘ Epoche wohl ruhig ausplündern lassen, in stürmischen Zeiten aber durch die Gesamtheit der Krisen Verhältnisse, ebenso aber auch durch die ‚Spitzen‘ selbst zu selbständigem historischen Auftreten angetrieben werden. Ohne diese objektiven Veränderungen, die nicht nur vom Willen einzelner Gruppen und Parteien, sondern auch vom Willen einzelner Klassen unabhängig sind, ist eine Revolution – der allgemeinen Regel nach – unmöglich.“ (eigene Hervorhebungen)
Doch Lenin erklärt weiter:
„Die Gesamtheit dieser objektiven Veränderungen heißt eben revolutionäre Situation. Eine solche revolutionäre Situation lag in Russland 1905 vor, sie lag in allen Revolutionsepochen in Westeuropa vor; sie lag aber ebenso auch in Deutschland in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor und in Russland in den Jahren 1859-1861 und 1879/80, obwohl es in allen Fällen eine Revolution nicht gab. Warum? Weil nicht aus jeder revolutionären Situation eine Revolution entsteht, sondern nur aus einer Situation, in der zu den oben auf gezählten objektiven Wandlungen noch eine subjektive hinzukommt, nämlich: die Fähigkeit der revolutionären Klasse zu revolutionären Massenaktionen, genügend stark, um die alte Regierungsgewalt zu zerschmettern (oder zu erschüttern), – sie, die niemals, selbst in der Epoche der Krisen nicht, ‚fällt‘, wenn man sie nicht ‚fallen lässt‘. (Unsere Hervorhebungen) (Lenin, Der Zusammenbruch der II.Internationale)
Zu dieser vierten Bedingung, dem subjektiven Faktor, gehört auch die Führung – die revolutionäre Partei. Die Aktion der Massen braucht eine Führung mit einem Zug zum Tor, dem Sturz der Bourgeoisie. Fehlt eine solche Führung, sahen wir an zahlreichen Beispielen der letzten Jahre wieder bestätigt, wie Massenbewegungen in faulen Kompromissen mit der Bourgeoisie abgewürgt werden, abebben und oftmals den Weg zur direkten Konterrevolution eröffnen.
Die positive Beantwortung der Führungsfrage liegt auf den Schultern der MarxistInnen, die genau zu diesem Zweck die Geschichte studieren, Kader bilden und eine Verankerung in der Arbeiterklasse erarbeiten. Schaffen wir es zeitnah den Embryo dieser Partei zu entwickeln, dann ist in weiterer Folge eine siegreiche Revolution möglich. Mittels der Enteignung der herrschenden Klasse und der Zerschlagung ihres Unterdrückungsapparates ist es auf Basis der heutigen Technologie, des allgemeinen Kulturniveaus und der Stärke des globalen Proletariats möglich durch einen globalen Plan alle materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschheit vollständig zu befriedigen und neue Horizonte der menschlichen Entwicklung anzustreben.
Die Revolution ist ein weltweiter Prozess. Ein bürgerlicher Kolumnist schrieb kürzlich im Bloomberg Magazine treffend:
„Soziale Unruhen waren bereits vor SARS-CoV-2 weltweit im Anstieg begriffen. Nach einer Zählung, gab es seit 2017 ungefähr 100 große Anti-Regierungsproteste, von den Gelbwesten in reichen Ländern wie in Frankreich bis hin zu Demonstrationen gegen starke Männer in armen Ländern wie im Sudan und Bolivien. Ungefähr 20 dieser Aufstände haben Regierungen gestürzt, während gleichzeitig viele durch massive Unterdrückung abgeblockt wurden und viele andere in den Schlummerzustand zurückgefahren sind, um bis zum nächsten Ausbruch dahinzuschlummern. (…) In diesem Kontext wäre es naiv zu denken, dass jedes einzelne Land, wenn der medizinische Ausnahmezustand einmal beendet ist, weitermachen kann wie zuvor. Zorn und Verbitterung werden neue Ventile finden. (…) Diese Leidenschaften könnten mit der Zeit neue populistische oder radikale Bewegungen hervorbringen und intendieren jedes ancien régime das sie als feindlich definieren hinwegzufegen. Die große Pandemie des Jahres 2020 ist daher ein Ultimatum an all jene von uns, die dem Populismus feindlich gegenüberstehen.“
Die politische Entwicklung der Jugend ist das beste Barometer dafür, dass wir tatsächlich in das Zeitalter der Weltrevolution eingetreten sind. Eine ganze Generation an SchülerInnen, StudentInnen und jungen ArbeiterInnen hat weltweit keine Erinnerungen an eine „gute“ Zeit eines Kapitalismus mit Reformen und einer gewissen internationalen Stabilität (zumindest innerhalb des „freien Westens“). Sie kennt nur noch den Kapitalismus in der Krise, der brutalen Sparpakete und wachsender Unterdrückung sozialer Bewegungen durch den Staatsapparat, der Auseinandersetzung zwischen den Nationalstaaten und ständiger Kriege und Bürgerkriege. Gleichzeitig ist sie damit freier vom Druck vergangener Niederlagen sowie den demoralisierenden Erfahrungen und Traditionen von Stalinismus und Reformismus.
Damit ist die Jugend am schnellsten für radikale politische Schlussfolgerungen offen und ist die wichtigste Basis für spontane Massenbewegungen, die in dieser Situation jederzeit ausbrechen können. Der politische Horizont von großen Schichten der Jugend ist dabei die weltweite soziale, gesellschaftliche und politische Entwicklung. Der Kapitalismus wird immer häufiger als gesamthaftes Problem verstanden. Sozialistische Ideen finden ein breites Echo, und eine wachsende Minderheit versteht sich sogar als Kommunisten.
Diese Situation findet sich in all seinen Grundzügen auch in Österreich wieder. Der sichtbarste Ausdruck dafür im vergangenen Jahr ist sicherlich das Überschwappen der Black-Lives-Matter- Bewegung Anfang Juni, wo alleine in Wien 50.000 Menschen, der größte Teil davon Jugendliche, auf die Straße gingen. Damit fanden die lange aufgestaute Wut über den Rassismus in Österreich, der weiterhin ein wichtiges Mittel zur Spaltung der Arbeiterklasse und Jugend bleibt, aber auch die generelle Unzufriedenheit einen Ausdruck über eine internationale Massenbewegung. Auch für das kommende Jahr sind solche spontanen, radikalen Massenbewegungen der Jugend angelegt.
Die objektive Situation zwingt die Massen, revolutionäre Schlussfolgerungen zu ziehen – und die Jugend ist am offensten dafür, das auch zu tun. Den Schlüssel der sozialistischen Revolution hält aber die Arbeiterklasse als Ganzes in der Hand. Es ist daher die Aufgabe der MarxistInnen, die besten Teile der Jugend für die Perspektive der sozialistischen Revolution zu gewinnen und auf die Arbeiterklasse und die Arbeiterbewegung zu orientieren. Zusammen mit den radikalsten Schichten der ArbeiterInnen selbst wird so die subjektive Voraussetzung für die Organisierung der kommenden Weltrevolution geschaffen.
Gelingt es der Arbeiterklasse in nur einem bedeutenden Land eine Situation der Doppelmacht zu erringen oder die Macht zu übernehmen, bedeutet dieses eine weltweite Dynamisierung des Klassenkampfes. In diesem Sinne ist es die Aufgabe der österreichischen MarxistInnen, konkret jene vorgefunden objektiven Bedingungen zu diskutieren, in deren Rahmen wir es schaffen werden, die nächsten zwei, dreihundert GenossInnen zu organisieren und auszubilden. Vom Gelingen dieses Vorhabens ist das Schicksal der kommenden Revolution abhängig.
Die COVID-Krise
Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat sich als das Zünglein an der Waage herausgestellt das all die Widersprüche der Weltwirtschaft, die sich seit dem Abebben der letzten weltweiten Rezession im Jahr 2009 aufgetürmt hatten, mit einem Mal zur neuerlichen Zuspitzung brachte. Quantität ist wieder in Qualität umgeschlagen.
Der unmittelbare Auslöser für den Absturz der Wirtschaft war der der Lockdown, der im März überall in Europa – in anderen Weltteilen etwas früher oder später – verhängt wurde. Die Aktienmärkte reagierten auf diese Perspektive mit einem Kurssturz, der am 20. Februar begann.
Im letztjährigen ÖP-Dokument stellten wir fest:
„Die Wirtschaft ist durchzogen von Risikopotenzialen. Die schwächliche ‚Erholung‘ hat bereits begonnen in mehreren führenden Ländern einer nächsten Rezession zu weichen. Die Symptome des Abschwungs sind weltweit sichtbar… Die letzte Rezession [2008-9] hat sich weitgehend indirekt, vermittelt über den Zusammenbruch der Finanzwirtschaft, auf das Leben der Menschen ausgewirkt, die normalerweise natürlich nicht über Aktien oder Wertpapiere verfügen, sondern eben ihre Arbeitskraft für Lohn verkaufen. Die neue Rezession greift direkt ihren Job und ihren Lohn an. Sie wird für die Arbeiterklasse sehr viel plötzlicher und härter spürbar werden.“
Tatsächlich bekommt die Arbeiterklasse die neue Rezession mit außerordentlicher Heftigkeit zu spüren. Die ILO errechnet für das 2. Quartal 2020 einen Verlust von 400 Millionen Jobs weltweit, nachdem sie für 2019 eine Anzahl von 188 Millionen Arbeitslosen weltweit angegeben hatte (das bedeutet also eine mehr als Verdreifachung der weltweiten Arbeitslosigkeit).
Auf alle „Übriggebliebenen“ wird der Druck am Arbeitsplatz und auf die Löhne extrem erhöht. Zusätzlich sind 430 Millionen im informellen Sektor (meist arme Bauern, Handwerker, Straßenhändler etc. in den ex-kolonialen Ländern) von Bankrott bedroht. 45 Millionen LateinamerikanerInnen werden heuer in die „absolute Armut“ gestoßen. Diese Krise vernichtet die Lebensgrundlagen von hunderten Millionen und wir sind erst am Anfang dieser sozialen Katastrophe.
Die schlimmste permanente Seuche des Kapitalismus, der weltweite Hunger, wird noch einmal enorm verschärft. Schon in „normalen“ Zeiten ist es eine Absurdität des Kapitalismus, dass trotz mehr als ausreichender Nahrungsmittelproduktion immer noch Menschen hungern und verhungern. Doch in den letzten Monaten hat sich diese Tragödie noch einmal zugespitzt: Insgesamt leiden derzeit insgesamt etwa 820 Mio. Menschen an Hunger. Und laut dem schon zitierten Oxfam-Bericht stehen davon dieses Jahr bis zu 265 Millionen Menschen tatsächlich am Rand des Hungertodes. Im Vergleich zum letzten Jahr hat sich diese Zahl fast verdoppelt. Im reichsten Land der Welt, den USA, werden dieses Jahr 54 Mio. Menschen von Unterernährung bedroht sein.
Die Entlassungswelle zieht sich durch alle Branchen: BP entlässt 10.000 Mitarbeiter, British Airways 12.000, Renault und Airbus jeweils 15.000, die Lufthansa 22.000, Disney 28.000, VW 9.500 Stellen, die UniCredit-Mutter HVB 8.000.
Der Welthandel, dessen Expansion über Jahrzehnte zentraler Motor des Wirtschaftswachstums war, ist seit Jahren unter Druck. Es herrschen Handelskriege zwischen den großen Wirtschaftsblöcken USA, China und EU. Die World Trade Organisation (WTO), in deren Rahmen die Liberalisierung des Welthandels seit den 1990iger vorangetrieben wurde, ist heute eine tote, handlungsunfähige Organisation. Auch die weltweite Zunahme geopolitischer Spannungen, regionaler Kriege und gegenseitiger imperialistischer Provokationen und Stellvertreterkriege (Kaukasus, östliches Mittelmeer, Ukraine, Nordafrika, mehrere Konflikte am indischen Subkontinent) sind Ausdruck klassischer imperialistischer Konflikte um Einflussgebiete und Märkte. Der Ausgang der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen wird an dieser Perspektive nichts Grundlegendes ändern.
Im Jahr 2020 wird sie Weltwirtschaft um 4,4%, der Welthandel um prognostizierte 9,2 % einbrechen, und auch 2021 nicht das alte Niveau erreichen. Dies ist die tiefste simultane Krise des Kapitalismus.
Die COVID-Krise verschärft die Entglobalisierung durch eine Politik des „Reshorings“ – also die Zurückholung von Produktion in den unmittelbaren politischen Einflussbereich der jeweiligen Bourgeoisie. Umgekehrt formuliert: jede Bourgeoisie versucht die Arbeitslosigkeit zu exportieren. Gleichzeitig will sie für das eigene Kapital im Inland die Arbeit verbilligen. Wie tief diese Idee sitzt gab jüngst der Chefökonom der österreichischen Industriellenvereinigung zu Protokoll, als er jüngst die Exportwirtschaft als einzige „produktive Wirtschaft“ definierte: „Wir müssen Menschen produktiv beschäftigen, also dort, wo Exportchancen winken.“ Geld verdienen im Lager der fremden Bourgeoisie, dies denken sich alle herrschenden Klassen der Welt.
Die Reaktion der bürgerlichen Staaten auf die explosionsartig neueingetretene Situation war weltweit identisch: staatliches Geld hineinballern, als gäbe es kein Morgen. Sie wollen durch massive Unterstützung durch staatliche Gelder Unternehmenspleiten verhindern, um den noch größeren Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern. Das Problem damit ist zum einen, dass dabei die Staatsschulden auf ungesehene Höhen gesteigert werden. Auch wenn alle Regierungen derzeit so tun, als wäre es nicht der Fall: dieses Geld muss irgendwann wieder zurückgezahlt werden – aus Sicht der Kapitalisten wird das selbstverständlich die Arbeiterklasse tun. Zum anderen lösen diese staatlichen Interventionen nicht das Grundproblem der Krise: Die Überproduktion.
Weltweit wurden bisher über 12.000 Mrd. $ an „stimulus responses“ (Angaben IWF September), also Konjunkturmaßnahmen, die aus den Staatsbudgets bezahlt werden, ausgegeben. In jedem Land werden dabei die Ausgaben, mit denen der Krise 2008 begegnet wurde, um ein Vielfaches – bis um das Zehnfache – übertroffen. Die durchschnittliche Staatsverschuldung wird weltweit damit auf 100% des BIP klettern. Ärmere Staaten können sich diese aber Politik in nur viel geringerem Ausmaß leisten. Obwohl die Volumina an Staatsgelder in Ländern wie Argentinien, Brasilien, Türkei etc. viel spärlicher als in den imperialistischen Ländern fließen, sind diese ehemaligen „emerging markets“ dennoch die ersten KandiatInnen für „sub-merging-markets“ [absteigende Märkte], inklusive Zusammenbruch der Staatsfinanzen und der Währungen.
Gleichzeitig wird in den imperialistischen Ländern das sogenannte Quantitative Easing (QE), also das Fluten der Finanzmärkte mit frischem Geld der Zentralbanken, weiter intensiviert. Die Hoffnung war, dass die Unternehmen mit billigem Geld wieder in die Wirtschaft investieren, so Jobs schaffen usw. Das Problem ist jedoch, dass an einem übersättigten Markt (= Überproduktion) niemand investieren will.
Das Geld floss und fließt überproportional in die Aktienspekulation. Die Börsen sind inzwischen von diesem „billigen Geld“ komplett abhängig. Das erklärt, warum beim tiefsten Wirtschaftseinbruch, bei Produktion, Handel und Service Sektor, gleichzeitig auf den Börsen Aktienbesitzer Extremgewinne erzielen. Was als kurzzeitige Krisenpolitik gedacht war, wird zu einem permanenten Zustand der Geldpolitik, aus der man sogar während der vorangegangenen Phase der Hochkonjunktur nicht aussteigen konnte.
Mit der COVID-Krise kommt es nun zu einer Explosion der Zentralbankenbilanzen: die Bilanzsumme der EZB beträgt nunmehr 63,6% des BIP der Eurozone, jene der FED 36,3% und jene der Bank of Japan 135,3% des BIP. Das sogenannte „Pandemic Emergency Purchase Programme” (PEPP) der EZB hat ein Volumen von 1.500 Mrd. €, das innerhalb kürzester Zeit in die Finanzmärkte (Staatsanleihen, Aktien, Firmenkredite) gepresst wird. Aus technischen (es gibt zu wenige qualitätsvolle Papiere am Markt) und politischen Gründen (Stabilisierung der Staatsschulden in den südlichen Euroländern) wurde die Bonitätskriterien von Firmen-Bonds und die nationale Parität beim Einkauf der Staats-bonds aufgeweicht. Das heißt, dass auch eigentlich nicht-vertrauenswürdige (d.h. z.B. von Pleite bedrohte) Staaten und Firmen sich Geld leihen können.
Auf die Frage: „Aber was wäre die Lösung?“ auf diese Politik der ständigen Geldausweitung, antwortet der Ex-Chefvolkswirt der Deutsche Bank Thomas Mayer im Presseinterview:
„Es gibt keine. Der Punkt, an dem es ein Zurück gab, ist überschritten. Die US-Notenbank Fed hatte vor der Coronakrise versucht, die Zinsen anzuheben. Als dann der Aktienmarkt krachte, ruderte Gouverneur Jerome Powell wieder zurück. Jetzt geht die Geschichte ihren Gang. Bei der Finanzkrise hieß es, keiner habe sie kommen sehen. Das lag an der Blindheit der ökonomischen Modelle, die weiterhin von Zentralbankern benutzt werden. Diese Geschichte muss sich voll entfalten. Erst dann kommt es zum Systemwechsel.“
Zusammengefasst befinden wir uns in einer klassischen kapitalistischen Überproduktionskrise: es gibt zu viele Werte, die am Markt nicht profitabel abgesetzt werden können. Darum wollen die Kapitalisten auch nicht investieren und so die „Wirtschaft ankurbeln“, wie es sich bürgerliche Ökonomen erhoffen. Stattdessen bekämpfen sich die verschiedenen Bourgeoisien um die bestehenden Marktanteile, was zur zunehmenden Eskalation von (Handels-)kriegen führt.
Indes machen die politischen Repräsentanten der Bourgeoisie den Kapitalisten massive Geldgeschenke mit Staatsgeldern, um einen völligen Kollaps der Wirtschaft zu verhindern und erhöhen weiter die Geldmenge.
Doch das führt – eben aufgrund der Überproduktion – nicht zu Investitionen. Das billige Geld fließt vor allem in den Aktienmarkt, wo sich ein kleiner Sektor von Aktionären mit Spekulation bereichert, und in Firmenaufkäufe (was die Monopolisierung des Kapitals noch weiter verstärkt). Die Last dieses Wettkampfes der konkurrierenden Kapitalisten trägt die Arbeiterklasse, die von Werkschließungen, Verlagerung der Produktionsstätten und Massenentlassungen bedroht ist.
Produktivität, Überproduktion und Verschuldung
Seit 2008 ist die Arbeitsproduktivität weltweit stagnierend – um genau zu sein hat sie sich von dem Einbruch des Jahres 2008 bis jetzt nicht erholt. Grund dafür ist der sogenannte „Investitionsstau“: angesichts unsicherer Absatzmärkte investieren die Mehrzahl der Kapitalisten seit Jahren wenig in die technologische Basis ihrer Unternehmen, sondern leben von ihrer Substanz herunter. Unterstützt wird das Überleben dieser Firmen durch billige Kredite (QE).
QE wirkt so wie ein starkes Schmerzmittel, das durch langfristigen Gebrauch selbst zum destabilisierenden Risikofaktor wird: Bereits 45% aller Firmenschulden der EU gelten heute als „hoch riskant“ (sogenannte Zombies), das traditionelle Geschäftsmodell der Banken (Spareinlagen vs. Kreditvergaben) ist aufgrund der Null-Zins-Politik unprofitabel. In weiterer Perspektive drohen Inflation, eine Ausweitung der Krise auf den Bankensektor und eine Destabilisierung der Währungen selbst.
Gleichzeitig steigt die Reichtums-Konzentration im Topsegment der Bourgeoisie. Dies ist ein Effekt der immer höheren Ausbeutung der Arbeitskraft, und zweitens ein Effekt der Preissteigerung von Finanzvermögen – insbesondere von Aktien und Immobilien. Dieser Preisauftrieb wird durch die Politik der Zentralbanken (QE) aktiv gefördert.
Die oberste Schicht der Kapitalisten findet in dieser Krise tatsächlich schlagartig verbesserte Bedingungen vor. In den Jahren 2018, 2019 und in den ersten sieben Monaten des heurigen Jahres konnten Tech-Milliardäre ihr Vermögen um 42,5 Prozent auf 1,8 Billionen Dollar steigern. Milliardäre aus dem Gesundheitswesen erhöhten ihr Vermögen um die Hälfte. Seit 2009 hat sich die Zahl der Milliardäre verdoppelt, ihr Gesamtvermögen verdreifacht. Jeff Bezos wurde am 20. Juli 2020 an einem einzigen Tag um 13 Mrd. $ reicher.
Logistik-Unternehmen wie Amazon, Software- und Internetausrüster befeuern aktuell die Phantasie der Finanzmärkte, weil sie in der aktuellen Krise ein enormes Produktivitäts-Reservoir aufzeigen. Ein globalisierter internetbasierter Arbeitsmarkt ohne gesetzliche Arbeitsschutzbestimmungen, Zurückdrängung von Gewerkschaften durch Vereinzelung, Verbilligung der Reproduktionsarbeit durch zeitgleiche Kombination von Kinderbetreuung und Homeoffice, etc. scheint nunmehr realisierbar. Der Chefökonom der Industriellenvereinigung Helmenstein fasst zusammen:
„Die überraschendste Erkenntnis aus der Pandemie ist, dass man offenbar auch mit der Hälfte der Belegschaft der Unternehmen imstande ist, 84 Prozent der Wirtschaftsleistung zu generieren.‘ Die durch den Lockdown erzwungenen Maßnahmen hätten in Österreich ungewollt ‚gigantische Rationalisierungseffekte aufgezeigt“.
Der neoliberale Think-Tank „Agenda Austria“ rechnet, dass ein Drittel der Arbeitsplätze in Österreich ins unregulierte Homeoffice wandern könnten. Konzerne wie die österreichische Post AG reduzieren dementsprechend ihre Büroflächen.
Theoretisch bieten Automatisierung und Digitalisierung eine immense Chance für die Menschheit, an Arbeitsproduktivität zu gewinnen, und die notwendige Arbeitszeit zu reduzieren. Dieses Potenzial kann allerdings nur unter der Bedingung, dass die Profitproduktion überwunden ist, zu unseren Gunsten genützt werden.
Unter kapitalistischen Bedingungen bedeutet Automatisierung und Digitalisierung die Vermehrung der Verelendung der Arbeiterklasse durch Jobverluste und unregulierte und intensivierte Arbeitsbedingungen. Der Konkurrenzkampf der Arbeiterinnen wird weltweit angeheizt werden und die kapitalistische Ausbeutung nimmt die indirekte Form der Selbstausbeutung an.
Selbst eine (teilweise) Verwirklichung dieser Effizienz-Potentiale bedeuten dabei jedoch nicht das Ende der Arbeiterbewegung, wie postmoderne IdeologInnen argumentieren („es gibt keine Arbeiter mehr“). Einzig und allein die menschliche Arbeit erschafft Mehrwert, und der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit findet dabei immer neue, der Produktion und dem kulturellen Stand entsprechende, Formen. Die zunehmende Anwendung von Automatisierung würde zudem neue massenhafte (Produktions-)hallen und zentralisierte Logistik erfordern – mächtige Burgen eines hyperausgebeuteten Proletariats.
Doch abgesehen davon ist es fraglich, wieviel dieser Effizienz-Potentiale durch den Einsatz von neuen Technologien in dieser Senilitätsphase des Kapitalismus tatsächlich gehoben werden können. Es bleibt das Problem der Überproduktion, die Störung des Welthandles durch gegenseitigen Protektionismus und eine zunehmend ungleiche Verteilung von Reichtum und Marktmacht auch innerhalb der besitzenden Klasse selbst. Selbst wichtige Ideologen des Kapitalismus (wie die FT, Economist, IWF,…) sehen im Auseinandergehen der Reichtumsschere (selbst innerhalb der besitzenden Klasse selbst, durch die Dominanz einiger Riesenmonopole) eine bedeutende Gefahr für die Entwicklungsfähigkeit und politische Stabilität des Kapitalismus. Die FT fordert den Wandel vom „Shareholder“ zum „Stakeholder“ Kapitalismus, doch Selbstversicherungen haben noch niemanden gerettet.
Einmal mehr springen daher die Staaten ein, um mittels direkter Subventionen die Umstellung der Ökonomie auf die neuen Technologien zu finanzieren. In Österreich veranschlagt die Regierung zwei Milliarden € für eine „Investitionsprämie“, die den Unternehmen bis zu 14% ihrer Investitionen finanzieren, v.a. wenn sie in „Digitalisierung“ und „Ökologisierung“ investieren. „Sollten noch zusätzliche Mittel benötigt werden, werden wir aufstocken“, versichert Wirtschaftsministerin Schramböck (ÖVP). Indes kämpft Blümel in der EU dafür, dass der staatliche Fixkostenzuschuss für Unternehmen gesetzlich nicht auf, aus seiner Sicht viel zu niedrige, 800.000€ pro Unternehmen limitiert wird. Wie die IWF Präsidentin Georgieva zur FT sagte: „Jetzt gilt es, viel Geld auszugeben. Aber die Rechnung müssen wir aufbewahren.“ Präsentiert wird diese Rechnung der Arbeiterklasse werden.
Während eine immer kleinere Gang von Kapitalisten einen Reichtum anhäuft, der auch für sie selbst absolut unvorstellbar sein muss, wird der Rest der Menschheit an die Wand gedrückt. Ein ökonomischer Ausdruck dieses Prozesses ist der stets wachsenden Schuldenberg. Im ersten Quartal 2020 stieg die globale Verschuldung (Privat, Firmen, Staaten) um über 10% an und erreichte 331% des Welt-BIP bzw. 258 Bio. U$. Im zweiten Quartal kamen noch 12,5 Bio. $ dazu – der durchschnittliche Zuwachs pro Quartal hatte 2019 nur 5,5 Bio. U$ betragen. Seit Jahren betonen wir in unseren Weltperspektiven, dass die kolossale Verschuldung Ausdruck der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus ist.
Schulden können grundsätzlich nur dann zurückgezahlt werden, wenn das Produktivitätswachstum mit dem Schuldenwachstum mithält, sprich, wenn durch menschliche Arbeit reale Werte produziert werden. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Verschuldung von 331% des Welt-BIP bedeutet, dass die Menschheit den Kreditgebern so viel schuldet, wie sie in drei Jahren und vier Monaten produziert. Das kann sie aber nicht liefern, weil sie auch überleben muss, und durch die Stagnation der Arbeitsproduktivität ist ausgeschlossen, dass sie diesem Schuldenberg jemals hinterherkommt.
„In seiner Eigenschaft als zinstragendes Kapital gehört dem Kapital aller Reichtum, der überhaupt je produziert werden kann, und alles, was es bisher erhalten hat, ist nur Abschlagszahlung an seinen all-engrossing Appetit. Nach seinen eingebornen Gesetzen gehört ihm alle Surplusarbeit, die das Menschengeschlecht je liefern kann. Moloch.“ (Das Kapital. Dritter Band. MEW 25,410)
Es muss betont werden, dass kein Mensch auf der Welt weiß, was mit diesen gigantischen neuen Schulden passieren wird. Sicher ist nur: Zurückgezahlt werden sie nicht. Die Illusion mancher „linken“ Keynesianer, dass Schulden unendlich erhöht werden können und durch die Inflation „von selbst“ verschwinden, ist falsch. Neue Sparpakete, Staatsschuldenkrisen, Währungsinstabilität, Bankenkrisen, Inflation sind unausweichlich. Es ist wahrscheinlich, dass diese Krisen zuerst in den sogenannten „Emerging Markets“ ausbrechen, die weniger Reserven und Marktmacht haben und zudem von internationalen Finanzströmen abhängig sind. Aber schon knapp hinter dieser Staatengruppe folgen die Länder der Euro-Zone.
Europäische Union in der Krise
Die unterschiedlichen Dynamiken der EU-Nationalstaaten haben sich im vergangen Krisenjahrzehnt vergrößert. Große Volkswirtschaften wie Italien, Spanien aber auch Frankreich sind gegenüber Deutschland dabei weiter in den Rückstand geraten. Für die gesamte EU wird ein Rückgang des BIP um über 8% im Jahr 2020 prognostiziert – doppelt so viel wie 2009.
„Wenn wir schon untergehen, dann so spät wie möglich, und dafür bleiben wir jetzt noch zusammen“ – so lauten in Kurzfassung der Geist der vereinbarten Maßnahmen der EU zur gemeinsamen Bekämpfung der Wirtschaftskrise und ihrer destabilisierenden politischen Folgen. Während die Politiker nach außen die „EU-Solidarität“ feiern, die es geschafft hat, einige Hilfspakete zu schnüren, wird bei genauerem Blick klar, dass die Höhe dieser Hilfen läppische Summen sind im Vergleich zu den national beschlossenen Hilfsgeldern.
Das zeigt, dass die europäische Einigkeit äußerst fragil ist und jedem EU-Land das eigene Hemd näher ist als der europäische Rock. Die materielle Feuerkraft der EU-Hilfen beträgt insgesamt 1290 Mrd. €, wovon 750 Mrd. € erstmals durch EURO-Bonds (also EU-Verschuldung, statt Verschuldung der einzelnen Mitgliedsstaaten) vorfinanziert werden.
Noch steht die Aufteilung der EU-Gelder auf die einzelnen Mitgliedsstaaten nicht fest, die Financial Times zitiert aber Berechnungen, dass Italien der größte Nutznießer der Hilfsgelder sein wird, gefolgt von Spanien und Frankreich.
Um diese Summen einzuordnen: Deutschland (mit 80 Millionen Einwohnern) hat in nationalen Programmen mehr als die Hälfte der gesamten Nothilfen Europas für seine eigene Wirtschaft mobilisiert (1173 Mrd.€), während etwa Spanien (mit 50 Millionen Einwohnern) nur 4% des gesamteuropäischen Volumens aus eigener Kraft aufbringen kann.
Die EU-Hilfszahlungen sind dabei bei etwa 1% der jährlichen Wirtschaftsleistung des jeweiligen Empfängerlandes gedeckelt. Angesichts von nationalen Budgetdefiziten, die heuer quer durch die Eurozone an die 10% des BIP betragen, sieht man, dass die EU-Hilfen nicht annährend an die nationalen Anstrengungen heranreichen. Das EU-Hilfsprogramm kann das Auseinanderdriften der Volkswirtschaften der EURO-Zone nicht stoppen.
Die deutschen Staatsschulden steigen dabei heuer um etwa 16 Prozentpunkte auf ca. 76 % des BIP. In Spanien hingegen dürften die Schulden heuer um 30 Prozentpunkte auf knapp 127% steigen. Besonders dramatisch die Entwicklung in Italien, das am Ende des Jahres einen Staatschuldenstand von fast 160% seines BIP erreicht haben wird.
Was Liberale und Reformisten als „Sieg der europäischen Solidarität“ feiern ist in Wirklichkeit nur Ausdruck der tiefen Sackgasse des europäischen Kapitalismus im zweiten Krisenjahrzehnt. Die Positionsänderung der deutschen Bundesregierung hin zu „mehr EU-Rettungsgelder“ – Deutschland hatte das früher immer verweigert, da es als reichstes EU-Land für diese Gelder maßgeblich aufkommen muss – ermöglichte eine temporäre Wiederherstellung der Achse Paris-Berlin.
Diese Positionsänderung Berlins wurde von Frankreichs Präsident Macron über Monate mittels offener Drohungen und einer Blockbildung von neuen Staaten gegen die deutsche Position erzwungen. In einem viertägigen Gipfel der Staats- und Regierungschefs setzten Deutschland und Frankreich Mitte Juli dann gemeinsam die Auflösung eines monatelangen politischen Patts in der Union durch.
Die Staatengruppe der „sparsamen Vier“ (Niederlande, Schweden, Dänemark, Österreich) verhandelten sich bei dem „EU-Deal“ dabei ebenso wie die „Souveränisten“ (Ungarn und Polen) dafür jeweils einige nationalstaatliche Zugeständnisse heraus: einerseits hat ein Land das Recht, EU-Hilfszahlungen an Mitgliedsstaaten zu blockieren, wenn es Zweifel an der Wirtschaftspolitik eines Empfängerlandes hat. Andererseits ist die Nicht-Einhaltung rechtsstaatlicher Kriterien kein Grund EU-Gelder zurückzuhalten. In Perspektive werden diese Zusatzregeln die EU weiter destabilisieren.
Die Alternative zu den jetzigen Hilfen wäre ein unmittelbares „zweites Griechenland“ gewesen, also der Staatsbankrott eines EURO-Landes und alle damit verbunden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verwerfungen, die die EU bereits 2015 an den Rande des Auseinanderbrechens getrieben haben. Damals rettete der Verrat der linken SYRIZA-Regierung die EU (sie akzeptierten die Sparpolitik und brachen den Widerstand der Arbeiter). Heute gilt es für die Kapitalisten, Zeit zu gewinnen in der falschen Hoffnung, dass das Anspringen der Wirtschaft ein Aufbrechen aller Widersprüche verhindern könnte.
Diese Krise führt unausweichlich in einen Prozess von Revolutionen und Konterrevolution am europäischen Kontinent. Weder ein nationalstaatlicher Kapitalismus, noch ein EU-Kapitalismus kann diese Widersprüche im Sinne der Arbeiterklasse auflösen – das kann nur der Sturz des Kapitalismus. Eine siegreiche Revolution in einem Land Europas wird nicht isoliert bleiben, sondern den Klassenkampf am Kontinent auf eine neue Stufe heben und die Grundlage für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas legen.
Österreichs Wirtschaft
Die österreichische Wirtschaft ist im zweiten Quartal um 10,7% geschrumpft. Die Wertschöpfung in den Bereichen Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz, Verkehr, Beherbergung und Gastronomie sei laut Wifo um 27,8% gegenüber dem Vorjahr abgesackt und mit -5,4% für die Hälfte des BIP-Rückganges verantwortlich gewesen. In den Bereichen Sport-, Kultur und Unterhaltungseinrichtungen sowie persönliche Dienstleistungen haben die Wertschöpfungseinbußen 32% betragen, in den Sektoren Bergbau, Warenherstellung, Energie- und Wasserversorgung, Abfallentsorgung 20,9% .
In Österreich budgetierte der Staat für 2020 insgesamt 38 Mrd. Euro für die Unterstützung der nationalen Bourgeoisie in der Coronakrise.
„So wurden mit Stand Ende September 25,103 Milliarden Euro an Stundungen genehmigt, an staatlichen Garantien übernommen und an direkter Finanzhilfe ausbezahlt.“ (Die Presse, 08.10.2020)
Das Budgetdefizit (Überschuss von Ausgaben über Einnahmen des Staatshaushaltes) für das Jahr 2020 wird voraussichtlich 9,4% des BIP (35 Mrd. Euro) betragen. Für sein am 14. Oktober vorgelegtes Budget 2021 rechnet Gernot Blümel mit 6,3% (21 Mrd. Euro), 2022 sollen es 3,5% (12,4 Mrd.) sein. An die EU-Höchstgrenze für Budgetdefizite („Maastricht-Grenze“) denkt kein Mensch mehr.
Die Staatsschulden sollen heuer auf 84% des BIP ansteigen, auf diesem Niveau verbleiben, und erst ab 2023 wieder leicht sinken. Grundlage des Budgets ist die WIFO-Prognose, die nach den -6,8% Rezession im Jahr 2020 für 2021 wieder ein Wirtschaftswachstum von 4,4% vorsieht.
Für die Bewältigung der Coronakrise sollen in den Jahren 2020 und 2021 insgesamt 50 Mrd. Euro ausgegeben werden. Davon setzen sich ca. 13 Mrd. Euro aus Steuerstundungen und Haftungen zusammen. 12 Mrd. fließen in ein Konjunkturpaket – hier wird die ominöse „grüne Handschrift“ an Investitionen in den Ökokapitalismus sichtbar – und 24,7 Mrd. in den „Krisenbewältigungsfonds“.
Aus dem „Krisenbewältigungsfonds“ finanzieren sich verschiedene Zuschüsse (von Fixkostenzuschüssen an Kapitalisten bis zu Mietzuschüssen oder den 450 Euro für Arbeitslose). Hierunter fallen auch die Kosten der Kurzarbeit, die sich 2020 auf 6,8 Mrd. Euro belaufen sollen. Im kommenden Jahr sollen hierfür nur mehr 1,5 Mrd. Euro ausgegeben werden. Gewichtiger sind aber 700 Mio. Euro für eine Arbeitsstiftung, die der Bourgeoisie helfen soll, aus dem großen Pool der Arbeitskräfte diejenigen herauszupicken, die sie für ihr „Fachkräftemangel“-Problem am leichtesten verwerten kann.
Daneben werden vom neuen Budget vor allem die Ministerien für Justiz, Inneres, Verteidigung, Verkehr und Umwelt, Gesundheit sowie Bildung gefördert. Neben Alibimaßnahmen für die Grünen (von der „ökosozialen Steuerreform“ fehlt natürlich nach wie vor jede Spur) sehen wir also vor allem eine Stärkung des staatlichen Gewaltapparats – eine „Personaloffensive“ und die Beschaffung „moderner Ausrüstung für die Polizistinnen und Polizisten“ sind bitter nötig für die kommenden Zeiten.
Mitte September meldete das AMS in Österreich etwas über 400.000 Arbeitslose, nachdem es Mitte April einen historischen Arbeitslosenrekord von 588.000 Personen ohne Job gab. Die Anzahl der Beschäftigten in Kurzarbeit ist von einem Höhepunkt von 1,3 Mio. Menschen im Mai auf knapp über 300.000 gefallen. Für die Wintermonate ist mit einem Wiederanstieg der Arbeitslosigkeit auf über eine halbe Million Arbeitslose sicher.
Tourismus und Handel werden massiv gedrückt und die Welle der Massenkündigungen und Standortschließungen in der Produktion wird nicht zum Stehen kommen.
Massenentlassungen, und der Kampf gegen die Auswirkungen der „Diktatur der leeren Kassen“ (=Sparmaßnahmen) werden zentrale Klassenauseinandersetzungen der kommenden Jahre sein. Ein Sinken der Massenarbeitslosigkeit auf das vor-2020-Krisen-Niveau ist ausgeschlossen.
Auch nach der Krise 2009 pendelte sich die Sockelarbeitslosigkeit auf einem Niveau von plus 100.000 im Vergleich zum Vorkrisenniveau ein. Nach dem Einbruch der Produktion kommt ein nur langsamer und unsicherer Anstieg. Nach dem Auslaufen der Kreditstundungen (d.h. dass Kreditrückzahlungen verschoben werden) und der Fixkostenübernahmen für Unternehmen durch Staatsgelder werden wir zudem eine Welle von Pleiten erleben.
Die Zeit des Türkis-grünen Regenbogenkapitalismus ist angezählt
Als die türkis-grüne Regierung im Jänner 2020 angelobt wurde, war die Welt für die österreichische Bourgeoisie in Ordnung. Der Wiederaufstieg der Grünen bei den Wahlen im Oktober 2019 bedeutete eine Frischzellenkur für das politische Projekt des Bürgerblockes – wie es die MarxistInnen über Monate argumentierten.
Das Vorspiel ist rasch erklärt: es dauerte nur 15 Monate bis die FPÖ an der Regierung implodierte. Die FPÖ schaffte es nicht, durch die Regierungsbeteiligung ein integraler Bestandteil des Staatsapparates zu werden und sich dadurch als „respektable“ politische Formation der Bourgeoisie zu etablieren. Eine Kombination aus massivem Widerstand der ÖVP in der Frage der Kontrolle des Sicherheitsapparates (BVT, …) und der gierigen Selbstbereicherung der kleinbürgerlichen Parvenüs in der FPÖ führte zum Scheitern und zur Spaltung der FPÖ. Doch das Kapital konnte wieder eine stabile Regierung durchsetzen, ohne die Sozialdemokratie abermals in die Regierungsgeschäfte einzubinden. In den Vorstandsetagen knallten die Sektkorken.
Die Grundlage dafür bildete die Rückkehr der Grünen ins Parlament. Dies geschah auf Basis einer andauernden Krise in der Sozialdemokratie, und v.a., weil sich in der Klimabewegung (allen voran Fridays for Future) der Antikapitalismus nicht durchsetzen konnte. Auf dieser Basis wurden die Grünen die Profiteure der Bewegung. Im Zuge der Fridays for Future Proteste bildete sich schnell eine bürokratische Führung, die der politischen Ausrichtung der Bewegung einen NGO-ähnlichen Charakter verlieh. Single-issue-Bewegungen, bei denen die Frage des Gesamtsystems und die Rolle der Arbeiterklasse nicht angesprochen wird, sind der Sauerstoff für eine Fraktion der Bourgeoisie. Türkis-Grün versprach also eine stabile Regierung.
Das Regierungsprogramm ist völlig im Einklang mit dem Kapital, die „grüne Wirtschaftswende“ bedeutete Investitionsprogramme für Kapital und auch das Kleinbürgertum, das über Energie- und regionale Wirtschaftskreisläufe materiell mitbedacht wurde. Die ÖVP darf weiter rassistische Politik machen, die Grünen identitätspolitische Projekte und NGOs fördern. Auf europäischer Ebene steht die Regierung für eine stärkeren EU-Zusammenhalt gegenüber anderen Machtblöcken, den man mittels Klima-Protektionismus-Steuern gegen China absichert.
Sigi Maurer, die frischgebackene Grüne Clubobfrau, sah die Bäume schon in den Himmel wachsen: die Grünen würden nun die Sozialdemokratie als progressive Leitpartei ablösen! In den Augen dieser Menschen ist die Klassenfrage gelöst, die Klimafrage lösen nun die Grünen in der multilateralen Klima-Volksfront.
Der philosophische Idealismus ist zu einem allgegenwärtigen Phänomen der Selbstidentifikationen, Identitätspolitiken, Narrativen und Ent-Wissenschaftlichung des Verständnisses von natürlicher Welt und Gesellschaft geworden. Der Durchmarsch von Subjektivismus und Idealismus in der Interpretation der Welt hindert die materiellen Bedingungen jedoch nicht daran, sich als letztendlich entscheidender Faktor der Entwicklung durchzusetzen. Die Entfaltung der Corona-Krise wird dieses politische Projekt also nur früher in die Krise schicken.
Die Regierung befindet sich durch die Pandemie in einem nicht zu lösenden Widerspruch. Entweder das Gesundheitssystem oder die Wirtschaft kollabiert. Die warnenden Worte des Vorsitzenden der Industriellenvereinigung Knill: „Einen zweiten Lockdown halten wir nicht aus“, wurden solange befolgt, bis die Neuinfektionen und damit die Bettenbelegung in den Spitälern explodierten.
Der Charakter der Lockdowns ist jedoch ein bürgerlicher. Die Menschen sollen weiterhin täglich in die Arbeit gehen (Homeoffice wird nur empfohlen) und weiter in Geschäften konsumieren. Das Privatleben soll jedoch bis auf ein Minimum reduziert werden. Die ArbeiterInnen werden auf ihre Mehrwertproduktion reduziert. Die Regierung argumentiert dies mit der gescheiterten „Strategie“ der Eigenverantwortung.
Die Bürgerlichen in Österreich haben keine adäquate Antwort auf die Pandemie und geben dem Individuum die Schuld für die unkontrollierte Ausbreitung des Virus. Erst als eine Situation wie in Bergamo sich abzeichnete wurde ein härterer Lockdown umgesetzt, der allerdings immer noch den Großteil der Ökonomie unangetastet ließ, auch in absolut nicht essentiellen Sparten.
Die Massen merken dabei längst, dass die Herrschenden versagen und die Zustimmung der Regierung sinkt mit jedem Tag. Während Kurz noch im März 80% Unterstützung erhielt, sind es laut Gallup Institut sechs Monate später nur noch 41%. Diese Tendenz zieht sich durch alle Regierungsmitglieder. Die Pandemie zeigt offen, dass die kapitalistischen Widersprüche eine zu große Hürde sind, die Menschen vor der Infektionskrankheit zu schützen.
COVID-Leugner und die schwachen Kräfte der Reaktion
Am Anfang einer Krise geben die Menschen den Herrschenden einen Vertrauensvorschuss, weil sie sich von ihnen eine Lösung der Situation erwarten oder erhoffen. Doch dies entpuppt sich als Trugschluss. Weder bringt die Politik den Virus weg, noch kann sie das Leid, das diese Krise bringt mildern. Vielmehr begreift die Gesellschaft zunehmend, dass die Politik keinen Plan hat und ein Ausweg aus der Krise nicht eindeutig vorgezeichnet ist. Die Masse begreift, dass die Politik nicht die Umsetzung von vernünftigen Maßnahmen, sondern der Kampf von unterschiedlichen, teilweise widersprüchlichen Interessen ist.
Ein Ausdruck davon ist die Gefahr des Corona-Virus zu relativieren. International, wie auch in Österreich sind es reaktionäre Ärzte die sich dabei an die Spitze der Corona-Skeptiker stellen. Unter ihre Anhängerschaft mischen sich Kleinunternehmer und Selbstständige, die wirtschaftlich massiv unter Krise leiden und drohen, in die Arbeiterklasse oder die Armut hinunteruntergedrückt zu werden. Dies ist das Milieu, in dem Verschwörungstheorien gedeihen wie auf einer sattgedüngten Sumpfdotterwiese.
In der Zwischenkriegszeit hätte diese Szene die Ausgangsbasis für den Faschismus bilden können. Heute ist dies nicht möglich, weil das Kleinbürgertum als gesellschaftliche Kraft bereits dezimiert und unfähig zu wirkungsvollem Handeln ist. Die Bauern sind eine kleine Minderheit, LehrerInnen, AkademikerInnen, Staatsbeamte, KrankenpflegerInnen (die historisch ideologisch nah am Staatsapparat standen) sind heute keine der Arbeiterklasse entgegengesetzte Kraft mehr, sondern oft ein vorwärtstreibender Teil des Klassenkampfes der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse ist eine solch erdrückende Mehrheit der Gesellschaft, dass es schon wieder leicht ist, sie ideologisch als eigenständige Klasse mit gemeinsamen Ideen zu verleugnen.
Die COVID-SkeptikerInnen sagen, dass seine Bekämpfung mehr Schaden als Nutzen anrichtet. In dieser Denkweise wiederholen sich ständig drei Elemente: der Virus sei mit der Grippe vergleichbar, alles was getan wird sei daher völlig überschießend, die Tests(-strategie) sei manipulativ, die Maske sei nutzlos oder gar schädlich (v.a. für Embryos und Kinder). Diese Aussagen werden mit krudestem (leicht widerlegbarem) Empirismus untermauert und mit der Aufforderung sich im Internet „selbst zu informieren“. Den Regiereden unterstellen sie mit dem Virus einen bewussten Plan der Entdemokratisierung zu verfolgen.
Eine passive Unterstützung hat das beschriebene Ideen-Set aber auch in der Arbeiterklasse. Hier sind diese Ideologieversatzstücke das Echo der Schutzlosigkeit und Vereinzelung, denen jedeR Einzelne in der Gesellschaft ausgesetzt ist. Verschwörungstheorien sind Ausdruck des Misstrauens und der Wut gegen die herrschenden Verhältnisse und die Herrschenden, und sind gleichzeitig eine mächtige ideologische Bremse, da sie zu Passivität verleiten.
Falsche Ideen können den Klassenkampf verzögern, aber nicht ewig hinhalten. Sobald einmal der Klassenkampf ausbricht, indem z.B. eine Belegschaft die eigene Geschäftsführung konfrontiert – durch Streiks, Besetzungen etc. – verblasen diese passivierenden Ideen ins Nichts. Denn materiell haben sie keinerlei Nützlichkeit für die Arbeiterklasse.
Um in eine direkte Auseinandersetzung mit dem Kapital zu treten, muss man natürlich zuerst die Betonmauer des Reformismus, der Arbeiteraristokratie etc. in Form von kompromisslerischen Betriebsräten, Gewerkschaften und Arbeiterparteien überwinden. Aber auch dies sind Fragen, die sich in der realen Welt der Arbeiterklasse tagtäglich stellen und schlussendlich in der Praxis beantwortet werden.
Mit unserem Verständnis der materiellen Welt und der Einordnung von Nutzen und Schaden falscher Ideen ist aber auch klar: In der derzeitigen historischen Periode ist es weitaus wahrscheinlicher, dass die Arbeiterklasse eine zunehmend verwirrte und dahinschwächelnde Bourgeoisie zum Sturz bringt, als dass umgekehrt die Bourgeoisie mit Schocktrupps von verwirrten KleinbürgerInnen eine Form von solidem reaktionärem Regime errichten könnte. Die konkreten Bedingungen, wie es um die Macht des Reformismus über die Arbeiterklasse steht, diskutieren wir in den kommenden Paragraphen.
Die Krise der Menschheit ist die Krise der Führung der Arbeiterbewegung
In der Wirtschaftskrise finden Gewerkschaften und Betriebsräte neue Voraussetzungen für ihre Stellvertreterpolitik vor. Die Gewerkschaftsspitzen und die meisten Betriebsräte träumen immer noch von der alten „Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe“, in denen Gewerkschaftsvertreter friedlich mit den Bossen akzeptable Lohnerhöhungen ausverhandeln, wobei die Arbeiterklasse nur manchmal wie ein Wasserhahn von der Gewerkschaftsspitze aufgedreht wird, um eine milde Drohkulisse gegenüber den Bossen zu bilden, die dann ein, zwei Prozent mehr Lohn rausspringen lassen.
Doch die Massenarbeitslosigkeit schwächt die Position der Arbeiterklasse objektiv – die „Reservearmee“ der Arbeitslosen steigert die Konkurrenz unter Arbeitern. Der Wirtschaftseinbruch lässt die übliche gewerkschaftliche Formel, bei der gute Profite mit leichten Verbesserungen für die ArbeiterInnen einhergehen, nicht aufgehen. Die politische Orientierung der Gewerkschaftsspitzen, die dennoch auf unbedingte Zusammenarbeit mit dem Kapital und dem Staat aus sind, und keinen Kampf gegen die Angriffe der Bosse führen, ist der wichtigste politische Grund, warum die Arbeiterklasse aktuell so unter Druck ist.
Von Seiten des Kapitals bleibt die Zurückdrängung des Kollektivvertragswesens, der gesetzlichen Regulierungen zum Arbeitsschutz, die Schwächung der Gewerkschaften etc. das zentrale Anliegen. Das Kapital will so seine Profitabilität steigern, um im internationalen Standortwettbewerb zu bestehen.
Aber die Ankündigung und der spätere Ausbruch der tiefen Wirtschaftskrise zwang die Bourgeoisie, von der Zurückdrängung der Organisationen der Arbeiterklasse vorerst Abstand nehmen zu müssen. Schon mit der Bildung der schwarz-grünen Regierung hatte sich das angedeutet, indem die „Sozialpartnerschaft“ in Worten wieder anerkannt wurde.
Mit dem Wirtschaftseinbruch im März erfolgte dann tatsächlich die rasche Re-Etablierung der „Sozialpartnerschaft“ und damit ein abrupter Wechsel der momentanen Taktik der Bürgerlichen: weg von der Konfrontation der Gewerkschaften hin zur Einbindung der Apparate in die Krisenbewältigung. Die politische Vorbedingung der Bourgeoisie war die Einstellung einer jeden Klassenauseinandersetzung durch die Apparate: Die Gewerkschaften sollen sozialen Frieden im Betrieb garantieren, dafür dürfen sie die Verschlechterungen für die ArbeiterInnen mitverhandeln.
Das zeigt plastisch, dass die Bourgeoisie in Österreich die derzeitige Krise nicht durch die Unterdrückung oder gar Zerstörung der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen löst oder lösen kann. Es droht derzeit kein bonapartistisches oder gar faschistisches Regime, wie es manche Linke (und Liberale) seit Jahren herbeischreiben und -schreien. Es stimmt: Die Bourgeoisie weltweit wird immer öfter dazu gezwungen, den Staatsapparat direkt gegen soziale Bewegungen einzusetzen. Das ist ein Ergebnis des Kapitalismus in der Krise und ein Zeichen dafür, dass selbst das „demokratischste“ Regime im Kapitalismus nichts anderes ist, als die schlecht verhüllte Diktatur des Kapitals.
Doch die Bourgeoisie in Österreich (und darüber hinaus) weiß, dass der beste und letztendlich einzige Garant für die Aufrechterhaltung seiner Herrschaft und auch nur möglichst stabiler Ausbeutungsbedingungen in der Krise die passive und aktive Unterstützung durch die Bürokratie in der Arbeiterbewegung, d.h. in den Gewerkschaften und (in geringerem Ausmaß in der SPÖ) ist – nicht die Zerstörung dieser Organisationen durch ein Gewaltregime.
Die Regierung entschied sich zu dieser Änderung der politischen Taktik, da die Lage in den chaotischen Wochen der ersten Corona-Welle außer Kontrolle zu geraten drohte. Denn die erste Reaktion der Arbeiterklasse war international sichere Arbeitsbedingungen durch Arbeitskämpfe durchzusetzen oder daheim zu bleiben. Dies entlud sich in einer Welle spontaner Streiks und Kämpfe (Italien, Spanien und vielen anderen Ländern …).
Die soziale Verankerung der Betriebsräte in Österreich wurde vom Kapital genutzt, um die Produktion und Gesundheitsvorsorge um jeden Preis gegen die schwankende Unsicherheit in der Klasse aufrechtzuerhalten. Die Arbeiterbürokratie verschrieb sich völlig der Aufgabe einen von den ArbeiterInnen durch Streiks und Fernbleiben von der Arbeit erzwungenen Lockdown der Wirtschaft zu verhindern.
Dabei waren nur kleine Brüche im Gewerkschaftsapparat sichtbar, die aber durch die Initiative der Gewerkschaftsspitzen, die entschieden „pro-Produktion“ intervenierten, rasch überwunden wurden. Um die Arbeiterklasse dabei ab der Stange zu halten wurden (meist fadenscheinige) „Sicherheitsprotokolle“ umgesetzt, sowie „Corona-Prämien“ versprochen. Besonders die Bau-Holz und die Pro-Ge taten sich hier als stabilisierende Faktoren hervor. So kam es im März nur zu vereinzelten Arbeitsniederlegungen in Oberösterreich, die in einem Fall durch den Betriebsrat aufgelöst wurde.
In weiterer Folge nutzt die Regierung die Expertise der Gewerkschaftsapparate und seiner ihm angegliederter staatlichen Institutionen (AMS, AK, …), um die staatlichen Hilfsprogramme für die Unternehmen aufzusetzen. Insbesondere die Umsetzung der Kurzarbeit würde ohne diese Zusammenarbeit nicht so glatt verlaufen, wie die Probleme bei der Auszahlung bei anderen Töpfen zeigen.
Als Gegenleistung zur Wiedereinbindung in die Regierungs- und Staatsgeschäfte haben Arbeiterbürokratien jeden unabhängigen Klassenstandpunkt aufgegeben, ja, freudig über Bord geworfen. Dies manifestierte sich in allen Kollektivverträgen die heuer abgeschlossen wurden materiell: die Verhandlungen waren extrem kurz, und schlossen mit der Inflationsrate ab.
Die Metaller-„Verhandlungen“ gaben dabei einen Einblick in die Politik der Bourgeoisie. Während die Chefverhandler der Metaller (Knill) zuerst ankündigten, heuer gar keinen Kollektivvertrag zu verhandeln („nichts zu verteilen außer Sorgen“), schwenkten sie innert wenigen Tagen auf die Gesamtlinie der Bourgeoisie ein, die eben lautet die Arbeiterbürokratie in die Krisenbewältigung miteinzubinden. In Rekordzeit wurde mit 1,45% (vor Steuerabzug) abgeschlossen. Dies entsprach genau dem Ergebnis, das die PGO-GE in den Wochen zuvor intern kolportierte – ein weiterer Hinweis auf den markant ausgeprägten „Realitätssinn“ der Spitzen der Arbeiterbewegung.
Am Beginn dieser Phase der Einbindung stand der Ausverkauf des jahrelangen Arbeitskampfes in der „Sozialwirtschaft Österreich“ (SWÖ Kollektivvertrag). Dieser Bereich ist in den letzten Jahren durch eine zunehmende Mobilisierung und Kampffähigkeit geprägt, und soll daher hier ausführlich analysiert werden.
Demonstrationen und Streiks waren ständige Begleiter in den letzten drei Jahren (sowohl im KV, als auch in einzelnen Betriebskämpfen), eine Gewerkschaftslinke bildete sich heraus. Diese Mobilisierungen stellte die Gewerkschaftspolitik der Spitzen in der Praxis auf die Probe und führte zu einer Differenzierung unter den Betriebsräten: Beim KV-Abschluss im Frühjahr 2019 stimmte ein Drittel der Betriebsräte des großen Verhandlungsteams gegen das erzielte Verhandlungsergebnis, mit der Perspektive, dass ein weiterer Streiktag möglich und nötig sei.
Im Herbst 2019 wurde dieses Verhandlungsteam von der Gewerkschaft neu bestellt, zahlreiche Betriebsräte im Verhandlungsteam wurden ausgewechselt. Die Gewerkschaftsbürokratie verhielt sich über Monate zurückhaltend und agierte nur im Hintergrund – um dann im entscheidenden Moment das Haft entschieden in die Hand zu nehmen.
Ein Teil der Gewerkschaftslinken ließ sich in die Politik der Gewerkschaftsspitze kooptieren, nachdem sie ein Zugeständnis erreicht hat: im KV 2020 soll die 35h-Woche erkämpft werden. Ein anderer Teil der Gewerkschaftslinken hielt still, konkret gesagt, hielt sich an die Spielregeln: man sagt was, kämpft aber nicht darum, in und durch Abstimmungen andere Maßnahmen einzuleiten und dann durchzusetzen. Das Ergebnis der Konstellation war, dass der Kampf um die 35 Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich auf einer fragwürdigen Betriebsrätekonferenz im November 2019 mit knapper Mehrheit zum alleinigen Ziel der Verhandlungen im Jänner 2020 erhoben wurde.
Diese Forderung war politischer Natur, da die Mehrheit der Beschäftigten im Sektor Teilzeit arbeitet und eigentlich andere Probleme, insbesondere niedere Löhne, geteilte Dienste, hohe Belastungen etc. hat. Die Forderung fand dennoch breite Unterstützung, und ermöglichte eine kämpferische Dynamik rund um die 35-Stundenwoche. Es kam zu neuen Mobilisierungen, und der am häufigsten skandierte Slogan war: „Arbeitszeit runter, Löhne rauf“. Das wichtigste Element der Mobilisierung war nicht die politische Forderung der 35-h Woche, sondern ein allgemeiner Kampfeswille gegen die ständige Erosion der Arbeitsbedingungen im Sektor. Die Streiks nahmen im Vergleich zu den Vorjahren im Umfang und Ausdehnung weiter zu.
Die größte Demo in Wien wurde von Betriebsräten der Gewerkschaftslinken organisiert und zum Gesundheitsministerium geführt, wo man sich mit dem Grünen Sozial- und Gesundheitsminister Anschober die beste Ansprechstelle in der neuen Regierung für höhere staatliche Finanzierungen für den privatwirtschaftlich organisierten Bereich erwartete. Dies entsprach sowohl der Orientierung der Gewerkschaftsspitze (Gesprächsebene mit der Regierung), als auch den Betriebsräten, für die es einfacher ist, für mehr öffentliches Geld zu argumentieren, als den eignen Geschäftsführungen entgegenzutreten.
Eine dritte Demo wurde von den Gewerkschaften für den 13. März organisiert und im vorauseilenden Gehorsam des kommenden Lockdowns von der Gewerkschaftsführung abgesagt. Die so geschaffene Atempause in dieser langjährigen Klassenauseinandersetzung nutze die Gewerkschaftsführung nun, um die über Jahre zunehmende Dynamik durch einen drei-Jahresabschluss mit den Arbeitgebern zu beenden. In dieser Zeit soll eine „grundlegende Überarbeitung des Kollektivvertrages“ vollzogen werden – ganz ohne Druck der Belegschaften. Die Gewerkschaftsspitze belegte ihren Apparat mit harten Auflagen, diesen Abschluss nicht zu kritisieren, sondern als Erfolg darzustellen.
Die tatsächliche Stimmung unter den Belegschaften zeigte sich in den selbstorganisierten Urabstimmungen, die auf den Aufruf der revolutionären MarxistInnen hin in 10 Betrieben Wiens durchgeführt wurde. Diese Initiative wurde mit dem Appell, eine Gewerkschaftsopposition zu gründen, verknüpft, was einige Unterstützung erreichte, aber schließlich in der generellen Dynamik der Niederlage und der Vereinzelung in Corona-Problemen.
Wer den Kapitalismus akzeptiert, muss auch seine Spielregeln akzeptieren. In Zeiten der Krise bedeutet dies, dass die Gewerkschaftsspitzen sich voll auf den Staatsapparat orientieren und versuchen organischer Teil desselben zu werden.
Trotzki analysierte 1940:
„Es gibt in der Entwicklung, oder besser, in der Degeneration der gegenwärtigen Gewerkschaftsorganisationen der ganzen Welt einen allen gemeinsamen Zug: die Annäherung an die Staatsgewalt und das Verschmelzen mit ihr. (…)
Der Monopolkapitalismus fußt nicht auf Privatinitiative und freier Konkurrenz, sondern auf zentralisiertem Kommando. Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben von ganz denselben Höhen wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. Ihrerseits finden sich die Gewerkschaften in den wichtigsten Zweigen der Industrie der Möglichkeit beraubt, die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmen auszunützen. Sie haben einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen. Für die Gewerkschaften – soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, das heißt soweit sie sich dem Privateigentum anpassen – entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm zu erstreben. Die Gewerkschaftsbürokratie sieht ihre Hauptaufgabe darin, den Staat aus der Umklammerung des Kapitalismus zu „befreien“, seine Abhängigkeit von den Trusts zu mildern und ihn auf ihre Seite zu ziehen. Diese Einstellung entspricht vollkommen der sozialen Lage der Arbeiteraristokratie und Arbeiterbürokratie, die beide um einen Abfallbrocken aus den Überprofiten des imperialistischen Kapitalismus kämpfen. Die Gewerkschaftsbürokraten leisten in Wort und Tat ihr Bestes, um dem „demokratischen“ Staat zu beweisen, wie verlässlich und unentbehrlich sie im Frieden und besonders im Kriege sind.“ (Trotzki, Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs)
Die Conclusio dazu heißt, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen die klassenmäßige Unabhängigkeit der Gewerkschaften hinsichtlich des bürgerlichen Staates nur durch eine vollkommen revolutionäre Führung gesichert werden kann.
„Diese Führung kann und muß natürlich den Gewerkschaften das Höchstmaß der unter den augenblicklichen konkreten Bedingungen vorstellbaren Demokratie sichern.“
Die Vorstellung des Reformismus ist es, dass diese Neuauflage der Einbindung in die Staatsgeschäfte von Dauer sein wird. Sie interpretieren die aktuellen Mega-Staatsausgaben als Ende des Neoliberalismus, womöglich der Rückkehr zum Keynesianismus und der „aktiven Arbeitsmarktpolitik“. Dabei halten die Gewerkschaftsapparate eisern am Privateigentum fest. Ihre Forderungen zielen allesamt darauf ab, Arbeitsplätze durch staatliche Subventionierung des Privatprofits zu erhalten. Betriebe sollen sowohl direkt subventioniert werden, als auch durch öffentliches Geld Aufträge erhalten.
In diesem Sinne argumentieren sie für die Fortsetzung der Kurzarbeit über März 2021 hinaus, einen Lehrlingsförderungsfonds zur Förderung von Lehrplätzen in privaten Unternehmen, spezielle Wirtschaftsförderungsprogramme für besonders betroffene Sektoren wie die Stadthotellerie. Die Altersteilzeit soll ausgeweitet werden um den Arbeitsmarkt zu entlasten. Der ÖGB tritt weiters dafür ein, dass die öffentliche Hand mehr investiert, um für Nachfrage zu sorgen: Gesundheit, Pflege, Schulen, Uni, Öffentlicher Verkehr etc. werden genannt: „Da brauchts viel Geld und es wäre der richtige Zeitpunkt das jetzt zu tun.“, so ÖGB-Präsident Katzian.
Auf der dringenden Suche nach politischen Ansprechpartnern im Staatsapparat biedert sich die Gewerkschaftsspitze an die soziale Basis der Grünen an. Der ÖGB macht heute Werbung für Fair-Trade und regionale Wirtschaftskreisläufe („Lokale Händler statt Amazon“) ungeachtet der Arbeitsbedingungen und der gewerkschaftlichen Vertretung in solchen Betrieben. Im weiteren Sinne strebt die Bürokratie der Arbeiterbewegung hier einen gesellschaftlichen Block mit dem anti-globalistischen Kleinbürgertum an. Die Klammer zum Großkapital bildet hier das Drängen auf Schutzzölle insbesondere gegen China, aber auch zunehmenden Protektionismus gegen die USA („Digitalsteuer“).
Doch dieser Ideenwelt der Arbeiterbürokratie steht der reale Krisenprozess des Kapitalismus entgegen. MarxistInnen setzen ihre Politik insbesondere an diesen materiellen Bruchlinien an. Wie wir es in den letzten Jahren analysiert haben, schlägt die nächste (also die aktuelle) Krise voll auf die Arbeiterklasse durch. Massenentlassungen, Kurzarbeit, die Verdichtung der Arbeitszeit bestimmen die neue Realität. Wenn auch die Gewerkschaften und mit ihr die privilegierten Schichten der Klasse versuchen eine Feuermauer zwischen den sozialen Interessen der Arbeiterklasse und der Politik der Gewerkschaften zu errichten, so lasst sich dieser Widerspruch in Massenorganisationen der Klasse nicht auf Dauer durch bürokratische Abschottung und falsche politische Orientierungen aufrechterhalten.
ATB (Spielberg, minus 360), FACC (OÖ, minus 650), DOKA (Amstetten, minus 300), MAN (Steyr, Komplettstillegung, minus 2300, plus nochmal so viele Zulieferarbeitsplätze), Hotel Sacher (minus 140), ARCOTEL, Casino Austria (mehrere Hundert an allen Standorten), Mayr-Melnhof (Hirschwang a. d. Rax in Niederösterreich minus 130 Jobs), BWT (Mondsee, minus 60), Mahle, voestalpine (Kindberg minus 250, Kapfenberg minus 150-300), Andritz, Swarovski (Wattens: aktuell 1000, später mehr), Agrana Zucker (Leopoldsdorf, Komplettschließung), Schaeffler, AUA… jede Woche werden neue Massenentlassungen und Standortschließungen angekündigt.
Gleichzeitig bereiten sich auch Unternehmen, die weniger stark von der Krise betroffen sind, schon auf die kommenden Krisen-Monate vor durch „Rationalisierungen“: Personal wird schrittweise gekündigt oder zum selbstständigen Kündigen motiviert, wo dies für das Unternehmen finanziell attraktiver ist (Abfertigung alt). Die Vereinzelung der Kündigungen macht Kampfmaßnahmen schwieriger. Aufgrund des erhöhten Arbeitsdrucks und der Unsicherheit kann aber auch in dieser Situation Stimmung in der Belegschaft kippen.
In dieser Situation kann der staatlich gesegnete Klassenfrieden nicht auf Dauer aufrechterhalten werden. Der wahrscheinlichste Prozess ist, dass in einem dieser betrieblichen Auseinandersetzungen der vom Kapital gewollte und von der Arbeiterbürokratie durchgesetzte „soziale Frieden“ aufbricht.
Eine andere potenzielle Sollbruchstelle im Klassenkampf ist der öffentliche Gesundheits- und Bildungssektor. International sehen wir, dass die ArbeiterInnen in diesen Bereichen in sehr kämpferische Klassenauseinandersetzungen treten: In Frankreich, wo sich PflegerInnen Schlachten mit der Polizei lieferten, in den USA, Israel, Belgien, Deutschland … Der erhöhte Arbeits- und Spardruck in den Spitälern und an Schulen führt zu wachsendem Unmut, der auch in Österreich in den Spitälern spürbar ist und ab einem gewissen Punkt in offenen Widerstand aufbrechen kann.
Jeder praktische Arbeitskampf – wenn auch die meisten in der Niederlage enden werden – ist ein Schritt nach vorne, der die politische Klarheit in der Arbeiterklasse befördert. Bei der ATB etwa wurden schon einige Ideen abgetestet:
- starke Sprüche („wir werden uns an die Maschinen anketten“ BRV Leitner) helfen gar nichts, man muss tatsächlich den Betrieb besetzen und die Demontage der Maschinen blockieren.
- Die Hoffnungen auf „rot-weiß-rote Investoren“ sind eine Lüge, um die Kampfbereitschaft zu dämpfen.
- Eine von den Gewerkschaften organisierte Demo ist zu wenig: tatsächlich setzte sich die Gewerkschaft auf eine regionale Dynamik (mit zwei lokal organisierten Demos) um die Kontrolle über den Arbeitskampf fest abzusichern.
Nach dieser Demo folgte eine Betriebsversammlung, wo Gewerkschaft und AK nur noch individuelle Sozialpläne diskutierte. Die Version des linkeren Reformismus (KPÖ Stmk), die zwar die richtige Forderung nach „Verstaatlichung“ erhoben, sie aber mit keinerlei Praxis – der Aktivierung der Belegschaft und der weiteren Arbeiterklasse – verknüpften, sondern nur als kommunalpolitische Positionierung vorbrachten wurde.
Der politischen Ausrichtung des Reformismus entsprechend lautete im Frühherbst 2020 die wichtigste Forderung die die Gewerkschaften und der Betriebsratskaiser, dass „die Regierung sich der Arbeitslosigkeit“ annehmen soll. Bundeskanzler Kurz folgt diesem Ruf, der für sich genommen noch keinerlei Klasseninhalt hat, Anfang Oktober.
Tatsächlich ist die aktuelle Massenarbeitslosigkeit aus der Sicht der Bourgeoisie und des Kapitals nicht wünschenswert. Für die Bourgeoisie bedeutet Massenarbeitslosigkeit abnehmende politische Unterstützung für ihre Regierung, mit der Perspektive des Aufkommens eines destabilisierenden politischen „Populismus“. Für das Kapital geht das jetzige Ausmaß der Arbeitslosigkeit über das Maß einer angestrebten „industriellen Reservearmee“ hinaus.
Falls einzelne „österreichische Lösungen“, d.h. Rettung von Unternehmen durch österreichische Investoren oder gar den Staat, durchgesetzt würden, würde sich zeigen, dass dies die allgemeine soziale Lage der Arbeiterklasse nicht verbessern, sondern sogar verschlechtern würde. Wir werden sehen, dass jedenfalls Massenentlassungen stattfinden, und der Rest der Belegschaft und dauerhaft schlechteren Bedingungen und Löhnen weiterarbeiten würde. Dies ist bereits bei den staatlichen Rettungspaketen für die Flugindustrie deutlich sichtbar: Der österreichische Staat garantierte der AUA ein 450 Mio. Hilfspaket; den Beschäftigten wird’s mit 20% Einsparungen bei Personalkosten gedankt.
MarxistInnen argumentieren im Falle von Massenentlassungen und Schließungen für harte Arbeitskämpfe mit Streiks und Betriebsbesetzungen mit dem politischen Kampfziel der Verstaatlichung und Arbeiterkontrolle. Wir sollten nicht überrascht sein, wenn wir im weiteren Verlauf der Krise in einem Fall Akteure in einem Betrieb für diese Forderungen finden.
Der Konflikt um die Schließung von MAN wird von großer Bedeutung sein. Das Werk mit 2400 Arbeitern ist eine Hochburg der regionalen Gewerkschaftsbewegung. Mit dem Ende dieses Betriebes wird wohl auch der Kollektivvertrag „Fahrzeugindustrie“ nicht mehr zu halten sein. Zudem besteht eine tiefgehende innergewerkschaftliche Konkurrenz zwischen der voestalpine Linz (deren Betriebsräte der Auflösung des Metaller-KVs durch die Bosse neutral gegenüberstanden, weil sie sich erhofften in ihren gut laufenden Betrieben alleine bessere ‚Deals‘ rausverhandeln zu können) und der Großbetrieben in Steyr (MAN, SKF und BMW), die treu zum gemeinsamen KV standen, und jetzt für gleich lautende Abschlüsse der aufgespaltenen KVs stehen.
Die Gewerkschaftsbürokratie der PRO-GE muss hier aus Eigeninteresse handeln. Die zeitliche Perspektive eines zweijährigen Schließungsprozesses erlaubt es der regionalen Arbeiterbewegung praktische und politische Schlussfolgerungen zu ziehen, was die Grundlage dafür ist, die Beschränktheit der Parolen der Betriebskaiser und der Gewerkschaftsapparate in der Praxis zu überwinden.
Die SPÖ und der Alternativreformismus von Links
„Die österreichische Sozialdemokratie ist tief in der Arbeiterklasse verankert. Sie kontrolliert die Gewerkschaften mit ihren 1,2 Mio. Mitgliedern und kann sich auf das Betriebsrätewesen stützen. Sie zählt viele Teilorganisationen, die spezifische soziale Bedürfnisse organisieren und artikulieren: Kinderfreunde, Volkshilfe, Mieterschutzorganisationen, Naturfreunde, Sportvereine… Sie kontrolliert mit der Arbeiterkammer ein Teil des Staatsapparates, der alle Lohnabhängigen erfasst. Kurz: eine Revolution in Österreich ist nicht vorstellbar ohne einen massenhaften Bruch in dieser Tradition.“ (ÖP2019)
Diese Organisationen nehmen die soziale Wirklichkeit wahr und werden hier politisch aktiv. Im Herbst 2020 ist etwa die Arbeitslosigkeit das zentrale politische Thema der Sozialdemokratie. Ebenso kampagnisieren AK und Gewerkschaften die unhaltbaren Zustände in den Spitälern etc.
Dabei wird deutlich, dass die politischen Lösungsvorschläge danach ausgerichtet sind, die Profitbedingungen des Kapitals nicht zu verschlechtern. Meist wird sogar ausdrücklich argumentiert, dass sozialdemokratische Politik der Wirtschaft Vorteile bringen würde. Die sozialdemokratische Zauberformel bei der Arbeitslosigkeit lautet tatsächlich: Arbeitszeitverkürzung, die zu einem Teil durch Lohnverzicht der Arbeiter, zum Teil durch staatliche Subventionen ausgeglichen wird.
Solche „Reformvorschläge“ sind die Bestätigung dafür, dass der Reformismus tatsächlich keine Verbesserung der Lebensbedingungen mehr erwirken kann. Der Krisenkapitalismus gibt das nicht mehr her, die letzte Zuflucht die die Reformisten finden, ist die Staatsverschuldung, dahinter die Sintflut; beziehungsweise Träumereien in Form von „heterodoxen Ökonomie“-Theorien – akademische Luftschlösser die besagen, dass man Geld und Reichtum letztlich aus der Luft schneidern könne.
Die Realität ist: In der kapitalistischen Krise stößt jede Reform automatisch an die Grenzen des Systems. Die soziale Revolution, also die Enteignung der Bourgeoisie, ist heute die Vorbedingung für sozialen Fortschritt.
„Diese Schicht der verbürgerten Arbeiter oder der ‚Arbeiteraristokratie‘, in ihrer Lebensweise, nach ihrem Einkommen, durch ihre ganze Weltanschauung vollkommen verspießert, ist die Hauptstütze der II. Internationale und in unseren Tagen die soziale (nicht militärische) Hauptstütze der Bourgeoisie. Denn sie sind wirkliche Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung, Arbeiterkommissare der Kapitalistenklasse (labor lieutenants of the capitalist class), wirkliche Schrittmacher des Reformismus und Chauvinismus. Im Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie stellen sie sich in nicht geringer Zahl unweigerlich auf die Seite der Bourgeoisie, auf die Seite der ‚Versailler‘ gegen die ‚Kommunarden‘.“
So fasst Lenin die reformistische Bürokratie in seinem Vorwort zum „Imperialismus“.
Lenins Einschätzung ist auch der Schlüssel zum Verständnis der Rolle der reformistischen Bürokratie in der österreichischen Arbeiterbewegung seit dem Ersten Weltkrieg und der Revolution 1918/19. Seither hat sich, auf Basis eines jahrzehntelangen Wirtschaftsaufschwunges nach dem Zweiten Weltkrieg, der „Sozialpartnerschaft“ und der Integration der Spitzen der Arbeiterklasse in den Staatsapparat, das Kräfteverhältnis in diesen Organisationen nochmals zugunsten der Bourgeoisie entwickelt. Der Griff dieser Apparate auf die Arbeiterklasse ist das größte Hindernis für die Entfaltung des Klassenkampfes von unten. Umgekehrt formuliert: diese Apparate sind die wichtigsten sozialen Stützen der Kapitalherrschaft.
Die Führer aller Sozialdemokratischen Parteien europaweit sind KarrierepolitikerInnen mit Universitätsabschluss, mit einem bürgerlichen Ausblick auf ihr Leben und die Gesellschaft. Pamela Rendi Wagner steht hier archetypisch für diesen Typus an PolitikerInnen, die keine Verhaftung in der Arbeiterklasse haben. PRW hat den zusätzlichen Nachteil, dass ihr jedes politische Gespür für die Klasse zu fehlen scheint, und sie in ihrem bürgerlichen Politikverständnis nicht mal konsequent die sozialen Interessen der Arbeiterbürokratie vertritt. Zuletzt forderte sie etwa einen wirtschaftspolitischen Beirat für die Regierung, der exklusiv aus ManagerInnen österreichischer Konzerne (jedoch ohne Gewerkschaftsfunktionäre) zusammengesetzt ist.
Jene Teile der SP-Führung, die näher an der sozialen und Basis und politisch noch hungriger sind, sind völlig in die Parteiapparate und deren Logik eingebunden, so dass es ihnen nicht möglich ist, anders als demagogisch auf der Seite der ArbeiterInnen oder anderer sozialer Bewegungen sein.
Sehr deutlich wurde dies bei ATB, wo sie sich engagiert haben, ohne eine einzige sinnvolle Forderung erheben zu können, ja im Gegenteil, einen wichtigen Beitrag zur programmatischen Vorbereitung der Niederlage der Beschäftigten geleistet haben (siehe Funke 187). In Wirklichkeit nehmen sie in keiner für die politische Praxis relevanten Frage eine andere Perspektive ein als die Partei- und Gewerkschaftsführung. Dies trifft auch für die Führung der Sozialistischen Jugend zu.
ProtagonistInnen der „linken“-Sozialdemokratie sind mittlerweile ein Bündnis mit dem burgenländischen Landeshauptmann Doskozil eingegangen. Auch in Wien haben sie sich vollkommen der Führung unter Bürgermeister Ludwig und dem Kreis der Vertrauten von Ex-Parteivorsitzendem Faymann untergeordnet.
In Wien feierte Bürgermeister Ludwig einen „Wahlsieg“, der real einen Stimmverlust von 20.000 WählerInnen beinhaltet, was allein durch die Implosion der FPÖ (minus 200.000 Stimmen) verschleiert wurde. Nun arbeitet Ludwig an einer Koalition mit den NEOS, die dezidiert für eine asoziale Anti-Arbeiter- und Privatisierungspolitik steht. Diese wird von vielen Basisfunktionären abgelehnt, die eine Fortführung der rot-grünen Koalition wollen, doch offen sagen tut dies niemand.
Allein ex-Bürgermeister Häupl wurde vorgeschickt, um hier eine Gegenposition einzunehmen. Die politische Debatte und Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie ist auf einem Tiefststand.
Alle Gruppierungen eint das Bedürfnis Teil des Staatsapparats zu bleiben. Die „Partei“ wird systematisch an diese Perspektive gewohnt, dass es um gar nichts anderes geht, als eben Regierungen zu stellen. Dafür sind die Führer der Partei bereit den Namen und/oder die Farbe der Partei aufzugeben. Nach der „Liste Doskozil“, sah man die gelbfarbige Formation „Team Bregenz“, dann kam die Betonung des „Ludwig 2020“, und man kann schon gespannt sein was sich andere Lokalkaiser weiter einfallen lassen werden.
Diese Teams sehen ihre vermeintlichen Erfolge als eine Bestätigung, dass sie ohne den lästigen Anhang der Partei Wahlen gewinnen kann. Die Politik der SPÖ-Führung führt unweigerlich zu Niederlagen und „Wahlsiege” können schon mit einer oberflächlichen Distanzierung davon errungen werden. Dieser Prozess ist schädlich, weil er den Zerfall der Organisation der Arbeiterbewegung, als das politische Werkzeug der Lohnabhängigen vorantreibt. So vereinzeln sich die Gruppen innerhalb der SPÖ und die Partei zerbröselt ohne den Konflikt auf politischer Ebene auszutragen.
Der Zustand der Sozialdemokratie führt zu einem Vakuum, das bei Wahlen durch alternative Parteien und Projekte gefüllt werden kann. Nachdem es seit Jahren das Spezifikum der KP Steiermark gibt, hat nun auch in Wien mit „Links“ eine Wahlorganisation links der SPÖ die Chance zu einem politischen Akteur zu werden. Das Projekt der Mosaiklinken gemeinsam mit der KPÖ Wien gewann 15.000 (beziehungsweise 19.500 (2,45%) auf Bezirksebene) Wählerstimmen, was im Vergleich zum Vorgängerprojekt „Wien andas“ ein Plus von knapp 8000 Stimmen (auf Bezirksebene) bedeutet.
Die reale Gestaltungskraft in den Bezirksräten ist minimal, allerdings ist damit aus Sicht der LINKS-FührerInnen die materielle Basis für weitere linke Arbeit in Wien geschaffen: „Wir haben in den nächsten Jahren viel mehr Ressourcen und viele Köpfe und Hände um linke Politik zu machen, um Grätzlzentren aufzubauen, um Aktionen und Kampagnen zu machen, um nützlich zu sein, um zu wachsen!“, formulierte es eine LINKS-Spitzenkandidatin.
Mit diesem Geld (es handelt sich um hunderttausende Euros pro Jahr) wird das Projekt einen sichtbaren Faktor in allen kommenden Kämpfen und Demonstrationen darstellen.
Der Linksreformismus kostet der Sozialdemokratie bei Wahlen Stimmen, fordert ihn jedoch politisch nicht heraus. Dies wird sich durch die korrumpierende Wirkung der Staatsgelder zementiert. Ihren opportunistischen Zugang zur Gewerkschaftsbürokratie haben wir etwa in der Herbstlohnrunde 2018 beschrieben, wo die Wiener Donnerstagsdemo (deren Organisatoren „LINKS“ gründeten) das Potemkin’sche Dorf für die Metaller-Bürokratie darbot: Sie führten eine Demo zur Wirtschaftskammer (wo die Verhandlungen stattfanden), ohne soziale oder politische Forderungen an die Gewerkschafter zu stellen, ihre undemokratische und defensive Verhandlungsstrategie also nicht herausforderte.
Beispiel ATB: Auf Initiative der KPÖ wurde im Gemeinderat von Spielberg ein Antrag angenommen, in dem die Übernahme der ATB durch den Staat, sowie weitere staatliche Maßnahmen zur Rettung der Elektroindustrie in der Region, gefordert werden. Dies ist inhaltlich ein Schritt nach vorne. Doch zur Umsetzung dieses Programms orientierte auch die KPÖ auf einen „Schulterschluss aller politischen Kräfte unserer Region“. So detailliert ihr Programm für die ATB auch war, einen konkreten Kampfplan für die ATB-Belegschaft und die gesamte Arbeiterbewegung der Region konnte oder wollte die KPÖ weder entwickeln noch verbreiten.
Wir bringen geduldig und klar unsere Kritik an allen Schattierungen des Reformismus vor und müssen eine revolutionäre Perspektive und Praxis argumentieren und vorleben. Ohne eine solche führt der Weg direkt in eine politische Sackgasse für die kommenden Bewegungen.
Schluss
Es herrscht weltweit, aber auch in Österreich eine völlig neue Situation, auf die sich Revolutionäre auch psychologisch einstellen müssen. In den vergangenen Jahrzehnten nach den Zweiten Weltkrieg sind politische und soziale Prozesse in Österreich in der Regel langsam, gemächlich und unter fester Kontrolle der Bourgeoisie und Bürokratie der Arbeiterbewegung von Statten gegangen.
Doch die materielle Grundlage dieses Klassenfriedens schmilzt ab wie der Schnee in der Frühlingssonne. Alle Prozesse beschleunigen sich und werden chaotisch. Harte Klassenkämpfe und Massenbewegungen sind in dieser Periode unausweichlich. In diesen Kämpfen machen die Arbeiterklasse und die Jugend wichtige praktische politische Erfahrungen. Parteien und Massenorganisationen werden getestet und in heftige Krise kommen. Große Erschütterungen und schnelle Wendungen sind in dieser objektiven Situation überall angelegt.
Eine Voraussetzung zur positiven Lösung dieser gesellschaftlichen Krise ist, dass die revolutionäre Alternative für die Avantgarde der Arbeiterklasse und der Jugend sicht- und greifbar ist.
Die Krise alles Alten schreitet unaufhaltsam voran, doch nur die revolutionären Ideen und Methoden bieten einen Ausweg aus dem kapitalistischen Horror. Eine alternative Führung der Arbeiterbewegung kann nicht in der Hitze des Klassenkampfes improvisiert werden.
Unsere Aufgabe ist es, den Sieg der sozialistischen Revolution vorzubereiten.
29.11.2020