Festspielsommer: Balanceakt auf der Klippe

Bundespräsident Van der Bellen, Kulturmister Babler und Historikerin Applebaum versuchen der versammelten gesellschaftlichen Elite Mut angesichts der Krisen zuzusprechen, das Vorhaben misslang. Von Lukas Frank
Van der Bellen will, dass sich die Eliten der Realität stellen: „In Zeiten multipler globaler Krisen, wachsender Ungleichheit und des schwindenden Vertrauens in Institutionen zeigt sich: Wir alle, die Verantwortungsträger in Politik, Wirtschaft, Medien, und auch in der Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur stehen auf dem Prüfstand.“
Es geht um „das Ganze“. Er fordert von den „Spitzen der Gesellschaft“ Einheit ein – nach innen und auch nach außen, wie er den „lieben Medienmanagern“ direkt mitteilt:
„Sie tragen eine besondere Verantwortung für die öffentliche Debatte. Wer nur laute Stimmen zitiert, Konflikte zuspitzt oder Meinung als Information verkauft, trägt zur Polarisierung bei.“
Für „das Ganze“ braucht es „den Mut, unbequem, notfalls auch unpopulär zu sein“, denn die „wirtschaftliche Situation erfordert Investitionen“, aber „Die Budgetlage allerdings erfordert Kürzungen.“
„Das Ganze“ führt er in Bregenz aus: Ein mächtiger europäischer Block „digital souverän und auch sicherheitspolitisch souverän“. Denn „wenn wir schon mehr in unsere Verteidigung investieren müssen, und das müssen wir, dann bitte doch kooperativ und großgedacht“.
Als zentrale Festrednerin ist Anne Applebaum geladen, eine getestete transatlantische Kriegshetzerin.
Ihre Rede widmete sie zur Hälfte Alexis de Tocqueville, den die Frage beschäftigte, wie die Tyrannei der Mehrheit in einer Demokratie verhindert werden könne. Vor allem das Internet ist ihr ein Graus, wo fernab des gesicherteren Rahmens der „zivilgesellschaftlichen Organisationen“, ein „Internet-Mob“ sein Unwesen treibe.
Wohl ohne die Ironie zu bemerken, war die andere Hälfte der Rede eine wirre Hetze gegen die Macht der Arbeiterklasse: Kommunismus, Lenin und die Bolschewiki.
Babler reflektierte in Bregenz die Krise der „liberalen Demokratie“
„Es geht darum, dass uns eine Gewissheit abhandengekommen ist. Die Gewissheit, dass die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft funktioniert, uns allen nützt. Dass wir gemeinsam nach vorne kommen. Dass der Erfolg Österreichs unser aller Erfolg ist.“
Er warnt vor diesem Erwachen: „Es ist eine schlechte Nachricht für unsere Demokratie, dass die Vermögensverteilung in den westlichen Industrieländern heute eher an das absolutistische Frankreich erinnert“
Aber auch wenn er „keine Ausführungen über die Notwendigkeiten eines Sparbudgets“ geben will, hat die Regierungsbeteiligung der SPÖ dem nichts entgegenzusetzen. Was er bieten kann:
„Unsere Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass in Österreich wieder groß geträumt werden kann. Die Zukunft unserer Demokratie hängt davon ab.“
In Salzburg führt er weiter aus, wie apokalyptische Zukunftsaussichten die Popkultur dominieren:
„Vor allem junge Menschen, fühlen sich heute wie Becketts Malone, der sagt: ‚Ich wurde in den Tod geboren.`“
Malone – der Dialog eines ans Bett gefesselten Sterbenden. Babler beschäftigt sich wohl nicht zufällig mit dem Werk, steht er doch an der Spitze einer Partei, die sich die unmögliche Aufgabe gestellt hat, den österreichischen Kapitalismus zu retten und die Arbeiterklasse dabei im Dämmerschlaf zu halten.
„Es scheint leichter zu sein, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende unserer Lebensweise [im Orginal des Kapitalismus]“, zitiert Babler weiter wehmütig Mark Fisher.
Schon am zweiten Tag wurde der dicke Dunst aus Selbstbeweihräucherung und Bemitleidung kurz durchschnitten. Palästinaaktivisten entrollten Banner gegen den Genozid. Besonders bitter für die „Spitzen der Gesellschaft“. Es waren Beschäftigte der Festspiele, die den Störern Zutritt verschafft hatten.
Keine fünf Minuten konnten die selbsternannten Verteidiger der Demokratie die drei Banner ertragen – die Aktivisten wurden vom Sicherheitspersonal weggeschleift. Babler, der ausführte, wie jede Stimme in der Demokratie zähle, zog bei der erstbesten Gelegenheit die Hand zurück, die er noch auf der Bühne zur Diskussion mit den Aktivisten ausstreckte. Van der Bellen, der direkt von den Transparenten adressiert wurde, gab Anschauungsunterricht, wie relativ der Wert eines Menschenlebens ist – je nachdem mit wem die europäischen Verteidiger der Menschenrechte verbündet sind:
„Ja, ich bin ein Freund Israels. Das bedeutet nicht, jede Maßnahme der israelischen Regierung gutzuheißen. Die Situation in Gaza ist niederschmetternd. Aber bitte. Vergesst auch nicht den Oktober 2023. Das schlimmste Pogrom der Nachkriegszeit“.
Der Auftritt der Palästinaaktivisten vervollständigt das Gesamtkunstwerk des Festspielsommers, in dessen Mittelpunkt die Verrottetheit, Ausweglosigkeit und Heuchelei unserer Herrschenden gestanden ist.