„Wir wagen zu prognostizieren: Der Korruptionssumpf wird sich weiter ausweiten, die juristische Verfolgung wird weiter überschaubar bleiben.“ (Funke Nr. 102, 2012). Emanuel Tomaselli über die ewige alpenländische Unschuldsvermutung.
Transparency International definiert Korruption als Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Vorteil. Mit dem Amtsantritt von Schwarz-Blau im Jahr 2000 wurde diese Praxis zunehmend zum Privileg des Bürgerblocks. Die Schamgrenzen der Bürgerlichen und ihrer politischen Hilfskräfte aus dem blauen Lager fielen umso schneller, je mehr die „Roten“ politisch zurückgedrängt werden konnten. Diese Leute, selbsternannte „Leistungsträger“, fühlen sich ideologisch legitimiert, am Umbau Österreichs im Sinne der Profitmaximierung auch selbst mitzuschneiden. Der wohl berühmteste (und hübscheste!) Finanzminister Österreichs kreierte sogar eine eigene Marke namens „K.H.G.“, der man durch Sponsoring beitreten konnte. Laut einem Gesprächsprotokoll der Firma „City Chambers“, die ausgestattet mit einem Budget von 8 Mio. € für die Eurofighter lobbyierte, wurden damals Besprechungen mit einem „K.H. Lasser“ Dr. Lüssel“, „J. Laider“ protokolliert. „Ich kenne Doktor Lüssel nicht“, sagte ExÖVP- Kanzler Schüssel in einem der drei folgenlosen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zu den Abfangjägern. Irgendwelche Verurteilungen? Fehlanzeige. Es kam nicht einmal zu Anklageschriften. Doch dazu später.
Privatisierungen und Aufträge
Das Verscherbeln des öffentlichen Eigentums in Österreich und den ehemaligen stalinistischen Staaten in Osteuropa hat hierzulande viele – oft politisch gut vernetzte – Menschen reich gemacht. Kein Geschäft, das nicht nach der Maxime „Verluste verstaatlichen – Gewinne privatisieren“ vollzogen worden wäre. In diesem Zusammenhang gibt es unzählige Verdachtsmomente von unlauteren Preisabsprachen und finanziellen Rückflüssen an Politiker (Stichwort: BUWOG-Privatisierung). Meistens sind es „normale Geschäfte“, die eben einige wenige Investoren (mit guten Kontakten) besonders reich machten. Der Kauf der bulgarischen Mobilkom durch die Telekom Austria im Jahr 2005 etwa erfolgte über Zwischenfirmen eines Ex-ÖVP-Politikers mit besten Beziehungen zum damaligen Kanzler Schüssel. Aus diesem 14-monatigen Investment lukrierte die Parteifreund-Firma einen Gewinn von 890 Mio. €. Bescheidener, aber durchaus lukrativ, sind Beraterverträge und Firmen- und Vereins-Konstrukte rund um öffentliche Verwaltungen und Firmen. Die SPÖ Wien hat hier noch einige Pfründe, steht allerdings politisch und medial schwer unter Druck. Inserate in den richtigen Medien sind für das rote Rathaus keine ausreichende Garantie mehr. Den kalten Wind des Bürgerblocks spürt man auch am Rathausplatz.
Bürgerblock, Parvenüs und Arbeiterbürokratie
Die Symbiose von Profit-Politik-Macht zur Perfektion getrieben – das haben in den letzten Jahren der Immo-Spekulant, Krone-Kurier- Eigentümer und Neo-Milliardär Rene Benko und sein Freund Sebastian Kurz. Die „serviceorientierte öffentliche Verwaltung“ von Kurz ermöglichte Benko etwa, eine Wiener Luxusimmobilie aus dem Pleiteunternehmen Kika-Leiner zu einem um 30 Mio. verbilligten Schnäppchenpreis zu erwerben. Kurz sorgte dafür, dass das Bezirksgericht an einem Schließtag exklusiv für Benko öffnete.
Auf dem Roten Teppich seines traditionellen Society-Events „Signa Törggelen“ im Park Hyatt in der Wiener City tummeln sich jedes Jahr SpitzenpolitikerInnen jeder Parteifarbe zum exklusiven Maroni- Essen. Dies zeigt ein weiteres Muster der Korruption: Während das große Geld – ganz egal ob legal oder illegal – fast ausschließlich Bürgerliche machen, fallen ein paar Maroni immer auch für politische Mitbewerber ab. Mit Christoph Chorherr (Immobilien) und Eva Glawischnig (Glücksspiel) sind diese Formen der mildtätigen Zuwendungen auch bei den Grünen dokumentiert, traditionell tauchen in solchen Zusammenhängen auch immer einige bekannte SozialdemokratInnen auf. Was diese angeblich oder tatsächlich einstreifen, ist allerdings vergleichsweise marginal. Es handelt sich sozusagen um kleine Zuwendungen, um die großen Geschäfte nach dem Motto „mitgehangen – mitgefangen“ politisch zu decken.
Besonders gern langten in den vergangenen 20 Jahren politische Abenteurer im Windschatten der FPÖ zu. Diese Leute sind kein organischer Teil des Staatsapparats und erfahren nur aus einem Schattensegment der Kapitalisten stabile Unterstützung (Glücksspiel, Waffenproduzenten und Ost-Investoren). Sobald diese Leute die Witterung des öffentlichen Futtertroges aufnehmen, trieft ihnen der Magensaft aus jeder Körperpore. Es genügt an dieser Stelle, an Ibiza zu erinnern, um die Mentalität dieser Parvenüs nachzuvollziehen. Die Bourgeoisie duldet ein solches Verhalten, solange sie ein williges Stimmvieh im Parlament hat, um die Profite ihrer Klasse zulasten der Arbeiterklasse zu vermehren. Einen tatsächlichen Zugang zum Staatsapparat verwehrte die ÖVP der FPÖ allerdings. Dieser soll der ÖVP vorbehalten bleiben. So wurde Herbert Kickl, der die Macht der ÖVP-Netzwerke im Innenministerium herausforderte, zur Knackfrage der Weiterführung der türkis-blauen Regierung.
Medien und Macht
Die oben genannten Medien, die von Benko und dem Raiffeisenkonzern kontrolliert werden, sind heute zentrale Pfeiler der Öffentlichkeitsstrategie von Sebastian Kurz. Um es an einem Beispiel festzumachen: In der Nacht auf den 8. Februar veröffentlichte der Kurier online einen anonymen Artikel, der von „roten Netzwerken“ in der Justiz sprach. Der Inhalt des Artikels ist weitgehend falsch, was schon vor Jahren gerichtlich festgestellt wurde. Es ist nicht etwa ein übereifriger Nachtredakteur, der diese Falschmeldung produzierte, sondern der Online- Chefredakteur Richard Grasl höchstpersönlich. Der schwer beschäftigte Grasl, er sitzt nebenbei auch als Aufsichtsrat in der Flughafen Wien AG, kommt aus der ÖVP Niederösterreich. Sebastian Kurz nutzte diese Falschmeldung in den darauffolgenden Tagen, um die aufkochenden ÖVP-Skandale als die Erfindung einer rot politisierenden Justiz umzudeuten. Der Redaktionsrat des Kuriers protestierte gegen den offenen Gebrauch des Medienunternehmens für politische Manöver – funktioniert hat es trotzdem.
Staatsapparat
In Wirklichkeit dominiert die ÖVP auch den Justizapparat und organisiert hier die letzte Verteidigungslinie für ihresgleichen. Mit Christoph Pilnacek hat sie hier im Justizministerium (BMJ) einen Aufpasser installiert, der gegenüber der Staatsanwaltschaftschaft die grobe und die feine Klinge als auch das Mittel der Schlamperei beherrscht: er lädt sie etwa zu Gesprächen, bei denen er ihnen unter Anwesenheit des Personalchefs auseinandersetzt, wie sie Dinge aufzufassen haben. Pilnacek bemühte sich etwa erfolgreich, Verfahren gegen verantwortliche Meindl-Pleite-Banker zu behindern, Hausdurchsuchungen und Festnahmen zu verhindern. Bekannt wurde er, als er Staatsanwälte ermunterte, die Eurofighter- Ermittlungen „zu derschlagen“. In den letzten Monaten interessiert sich Pilnacek insbesondere für die Casino-Affäre (Stichwort: Postenbesetzungen und firmenunübliche Luxusbezüge für die neue Casino- Chefin und Kurz-Freundin und ÖVP-Vize-Obfrau Bettina Glatz- Kremsner). Hier werden aktuell Ex-ÖVP-Chef Pröll und Raika-Mann Rothensteiner als Beschuldigte geführt. Pilnacek wurde hier im Ministerium und darüber hinaus aktiv. Er empfing die Verdächtigen etwa zu einem „Höflichkeitsgespräch“ im BMJ und traf sie dann erneut beim winterlichen „Sauschädelessen“ der Raiffeisenbank Niederösterreich.
Sebastian Kurz zieht sich aktuell auf die Position zurück, dass die Verfahren zu lange dauern würden. Die Dreistigkeit der Aussage liegt nicht in ihrem Inhalt, sondern darin, dass gewisse Verzögerungen oft politisch gewollt sind. Der Eurofighter-Hersteller Airbus hat gegenüber der US-Justiz nun 55 Mio. € deklarierte und geflossene „politische Zuwendungen“ offengelegt. Der von Verteidigungsminister Doskozil einst zur Anzeige gebrachte Verdacht liegt bei 183,4 Mio. verrechneten Zusatzkosten für politische Aufwendungen. Auf die kurze politische Aufregung in Österreich reagiert der Konzern gelassen: Name und Adressen seien den österreichischen Behörden seit Jahren bekannt. Der Grund warum Airbus so locker ist? Weil die Strafverfolgung durch den zuständigen Staatsanwalt jahrelang, extrem schlampig und zögerlich erfolgte.
Die liberale Hoffnung, dass die „Justiz“ die systematische Korruption bekämpfen könnte, wird durch die Praxis ständig widerlegt. Die Justiz schwebt nicht über der Gesellschaft, sondern ist integraler Bestandteil des Staatsapparates und damit der Herrschaftsausübung des Kapitals. Das System an sich ist abgrundtief korrupt. Ein sozialistischer Umbruch in der Arbeiterbewegung würde jene (Ex-)Funktionäre, die hier selbst die Finger im Spiel haben, über Bord werfen und die ÖVP – die Schaltzentrale der korrupten Kapitalherrschaft – frontal politisch angreifen.
(Funke Nr. 181, 25.2.2020)