Regierung abgewählt – FPÖ kanalisiert Unzufriedenheit – Arbeiterbewegung in politischer Sackgasse – Klassenkampf unvermeidlich.
Das Wahlergebnis übertraf die zuletzt vorhergesagten Tendenzen: Die ÖVP stürzte ab, die FPÖ ist jetzt erstmals stärkste Partei, und die SPÖ stagniert auf dem historisch schwächsten Ergebnis. Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zur NR-Wahl 2019 um voraussichtlich 2,4 % oder 160.000 Wähler gestiegen.
Die Regierungsparteien verloren massiv. Nur noch 1,29 Mio. Wahlberechtigte bzw. 26,3 % wählten noch die ÖVP, was bedeutet, dass die ÖVP gut eine halbe Million Wähler verloren hat. Und dies obwohl die Kernkompetenz der ÖVP – (korruptionsverdächtiges) Agieren zum Wohl der „eigenen Leute“ – defacto ganz aus dem Wahlkampf herausgehalten wurde. 408.000 Wahlberechtigte (8,2 %) haben noch die Grünen gewählt – das sind 250.000 weniger als 2019. Insgesamt 750.000 Wähler oder fast 17 % kehrten den Regierungsparteien damit den Rücken. Das ist keine leichte Verschiebung, sondern eine Generalabrechnung mit einer gescheiterten Regierungspolitik.
Die größte Oppositionspartei SPÖ konnte davon nicht profitieren. Sie erreichte 1,03 Million Stimmen bzw. 21,1 %, einige tausend Stimmen mehr als beim bisher historisch schlechtesten Ergebnis 2019, was aufgrund der gestiegenen Wahlbeteiligung trotzdem ein leichtes Minus im Stimmanteil ergibt. Die NEOS konnten 60.000 Stimmen dazugewinnen und 450.000 Stimmen bzw. 9,1 % erreichen. Mit 133.000 Stimmen verdreieinhalbfachte die KPÖ ihre Wählerschaft auf 2,4 % Wähleranteil, was aber deutlich unter der 4-Prozent-Hürde zum Einzug ins Parlament liegt. In absoluten Stimmen gewann die KPÖ damit aber mehr neue Wähler als die sich als „einer von zwei Wahlsiegern“ deklarierenden NEOS. Der einzige wirkliche Wahlsieger der Nationalratswahl 2024 ist damit die FPÖ, denen 1,43 Mio. Wähler, knapp 29 %, ihre Stimmen gaben, das sind 640.000 mehr als 2019. Weil keine der anderen Parteien eine Regierung unter der Führung der FPÖ akzeptieren will, bedeutet dieses Wahlergebnis, dass sich die politische Krise Österreichs vertiefen wird.
Proteststimmung ist in der FPÖ zuhause
Die vergangen fünf Jahre sind eine Abfolge von Krisen: Pandemie, fallendes Pro-Kopfeinkommen, Teuerung, Krieg in der Ukraine und Nahost, Unwetterkatastrophen und jetzt wieder Massenentlassungen. Die FPÖ nimmt dazu eigenständige demagogische Positionen ein und organisierte vereinzelt auch Protest (Corona). Damit baute sie politisches Vertrauen bei Menschen in allen Schichten und Klassen der Gesellschaft auf. Die FPÖ stilisiert gleichzeitig seit Jahren verlogenerweise (muslimische) Migranten als zentrales gesellschaftliches Problem hoch, im vergangenen Jahr (nach dem 7. Oktober) folgten ihr alle anderen Parteien auf den Fuß, zuletzt die liberalen NEOS. Damit erlangte die FPÖ eine politische Führerschaft. Sowohl bäuerlich geprägte Landgemeinden als auch rote Industriehochburgen färbten sich blau ein.
Wir analysierten zu Beginn des Jahres: „Ihre Wählerschaft bezieht sie aus allen Klassen und Schichten. Diese Popularität hat sie unter der Führung von Kickl wieder erarbeitet, weil sie sich als einzige Partei demagogisch ‚gegen die Eliten‘ stellt. Dieses Vertrauen hat sie sich insbesondere in der Corona-Bewegung erarbeitet, wo sie sich als einzige Partei gegen die gescheiterte Impfpflicht (die von allen anderen Parteien unterstützt wurde) gestellt hat. FPÖ-Chef Herbert Kickl stellte sich auch persönlich vor echte und angebliche Corona-Leugner und nahm diese vor der Regierung und der schneidenden Arroganz der Liberalen in Schutz. Die FPÖ spricht sich weiter, als einzige Parlamentspartei, gegen die westliche Unterstützung der Ukraine aus, ist gegen die Russland-Sanktionen und betont ihre positive Haltung zur populären ‚Neutralität‘.“
Spezifisch zur Unterstützung der FPÖ in der Arbeiterklasse hielten wir fest: „Damit hat sie sich auch in der (wahlberechtigten) Arbeiterklasse eine breite Wählerbasis erarbeitet. Immer mehr zornige Arbeiter (dabei politisch etwas rückständig und vorurteilsbeladen) treten in der Kollegenschaft offen als FPÖler auf. Nach unserer Beobachtung sind es in der Arbeiterklasse nicht die Streikbrecher, sondern vielmehr die Kritiker der Sozialpartnerschaft, die sich auf Wahlebene mit der FPÖ identifizieren. (…) Wir Kommunisten bekämpfen den Einfluss der FPÖ in der Arbeiterbewegung, weil sie eine reaktionäre, organisch bürgerliche Partei ist, die die Arbeiter nur demagogisch anspricht, um sie im nächsten Moment eiskalt zu verraten. Sie schwächt die Arbeiterklasse durch ihre systemische rassistische, homo- und transphobe Spaltungsrhetorik und ihre Heimattümelei.“
Diese Analyse wurde durch die Wahlergebnisse vollauf bestätigt. Wir fügen auch hier nochmals hinzu: Die FPÖ stilisiert sich als „neue Arbeiterpartei“. Dies ist eine politisch falsche (die FPÖ ist und bleibt eine reaktionäre bürgerliche Partei) und empirisch einseitige Darstellung: 31 % der Industriearbeiterschaft darf gar nicht wählen, weil sie keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Tatsächlich ist die Zahl der Wahlberechtigten seit 2019 gesamthaft um fast 51.000 Wähler gesunken. Die Farce der bürgerlichen Demokratie, die eine immer größer werdende Schicht an hier lebenden Menschen vom demokratischen Prozess gänzlich ausschließt, wird mit dem demographischen Wandel von Jahr zu Jahr deutlicher. Bei einer nicht-repräsentativen „Pass egal Wahl“-Simulation von SOS Mitmensch landete die SPÖ auf Platz 1, die KPÖ erhielt über 10 % der Stimmen. Vor allem aber muss man festhalten: Wahlen sind nur ein Feld der politischen Auseinandersetzung, und zwar eines, das die Arbeiterklasse auch mittels des diskriminierenden Staatsbürgerschaftsrechts systematisch benachteiligt.
Scheitern des Reformismus
Der Rechtsruck, der sich bei den Nationalratswahlen 2024 manifestiert, ist nicht zufällig, sondern eine neue Etappe der tiefen politischen Polarisierung. Nervöse Pendelausschläge, insbesondere der Mittelschichten und von Kleinbürgern von links nach rechts und zurück sind in Krisenzeiten normal. Der Reformismus verliert dabei jegliche Spannkraft. Der Hauptverlust der SPÖ ging nicht zur FPÖ (65.000 wechselten in diese Richtung), sondern zu den Nichtwählern (180.000). Gewonnen hat die SPÖ hingegen in liberal orientierten Mittelschichten. Dies äußert sich im Wechsel von 150.000 ehemaligen Grünwählern zur SPÖ, und geographisch durch den höchsten Zugewinn der Partei mit 9 % Plus im innerstädtischen Wahlbezirk Wien Innen-West, wo der liberale Niki Kowall als Spitzenkandidat antrat.
Viele Linke interpretieren das Wahlergebnis als eine Abfuhr für „progressive Politik“ und ziehen daraus pessimistische Schlüsse. Immerhin wurde Andi Babler nicht müde, seinen Aufstieg vom Arbeiterkind zum SPÖ-Chef zu erzählen, Rechte der Armen zu betonen und Reichensteuern einzufordern. Aber eine solche Politik kann die herrschende Proteststimmung gegen die Regierenden gar nicht aufnehmen. Die Glaubwürdigkeit der „Expertenkonzepte“ für eine bessere Welt nach Andi Babler wurde selbst von den Machtzentren der eigenen Partei offen in Frage gestellt.
Ähnlich erging es der KPÖ, für die wir eine kritische Wahlempfehlung aussprachen, welche in der vergangenen Woche eine breite mediale Resonanz erfuhr. Wir merkten im Vorfeld der Wahl an, dass es der KPÖ-Spitze an Mut fehlt, die heißen Eisen der gesellschaftlichen Debatte anzugreifen und kommunistisch zu beantworten: Krieg, Unterdrückung, Rassismus, die Krise des Kapitalismus, die unweigerlich kommenden sozialen Angriffe, gegen die man sich zum Kampf organisieren muss. Über all das schwieg die Partei. Die Parteispitze hielt eisern an der Wahltaktik fest, sich als Partei der karitativen Wohn- und Alltagsprofis zu inszenieren. Dieser Opportunismus gegenüber den liberalen Medien schwächte die Wahlchancen der Partei. So konnte man einen deutlich geringeren Wähleranteil als noch bei den EU-Wahlen ansprechen, als man zumindest den Zusammenhang von Aufrüstung und der sozialen Frage plakatierte.
Wie richtig das Misstrauen der Arbeiter gegen „schöne“ Wahlversprechen ist, zeigte sich schon in den ersten Nachwahlinterviews von Andi Babler. Er diente sich dem gerade abgestraften und abgewählten Bundeskanzler wiederholt und merkbar panisch als parlamentarischer Mehrheitsbeschaffer an. Aufmerksame TV-Zuseher konnten auch hören, dass der SP-Chef Nehammer sogar daran erinnerte, dass Sondierungsgespräche ja sogar schon vorab vereinbart wurden.
Arbeiter sind nicht dumm, sie wissen, dass Politik ein prinzipienloses Geben und Nehmen ist und sich die Probleme der Welt auch nicht durch das Einhalten einzelner Wahlversprechen auflösen werden. Es ist heute ein allgemeines Wissen, dass der Kapitalismus ein verschlissenes System ist, das immer die gleichen Sieger und immer die gleichen Verlierer hervorbringt. Dass man kämpfen muss, um etwas zu bekommen, entspricht der historischen Erfahrung der Arbeiterbewegung und auch der Alltagserfahrung. An diesem Verständnis knüpft der Reformismus nicht an und kann so keinen Enthusiasmus für die Arbeiterparteien, insbesondere die SPÖ entwickeln. Das nostalgische Beschwören der besseren Zeiten für den Reformismus (Kreisky etc.) ist an der Realität der kapitalistischen Krise zerschellt.
Auftritt: Van der Bellen
Es ist unüblich, dass der Bundespräsident schon vor Ende der Auszählung am Wahlabend vor die Kamera tritt und sich als zentrale verfassungsmäßige politische Instanz der Regierungsbildung inszeniert. Der Bundespräsident beruft sich darauf, dass er persönlich den Bundeskanzler und seine Minister ernennt. Aber eine Regierung braucht eben vor allem auch eine parlamentarische Mehrheit. Dass diese Quintessenz der bürgerlichen Demokratie an einem Wahlabend zur staatsoberhauptlichen Nebensächlichkeit bagatellisiert wird, zeigt wie tief die politische Krise Österreichs tatsächlich ist. Vier Bundeskanzler in den vergangen fünf Jahren zeigen, wie zerrüttet die Regierungsgeschäfte waren.
Eine Regierung ohne FPÖ, so lautet die Vorgabe aus der Hofburg. Aber in der ÖVP und der SPÖ herrschen durch die Wahlergebnisse unklare Verhältnisse. Van der Bellen will darauf achten „dass bei der Regierungsbildung die Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie respektiert werden“, gemeint sind: „etwa Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft“. Der liberale Standard (selbst immer Gewehr bei Fuß, wenn es darum geht Völkermord als „legitime Selbstverteidigung“ darzustellen, wenn es um US-Interessen geht) ist sich sicher: „Die FPÖ erfüllt keines der vom Bundespräsidenten vorgegebenen Kriterien.“
Eine österreichische Regierung ohne Abgleitflächen zum Kriegsgegner des Westens, Putin, ist das lange vorab unmissverständlich deponierte Interesse des europäischen (und amerikanischen) Finanzkapitals. Der liberale Van der Bellen fühlt sich dieser Linie verpflichtet. Ein immer drängenderer Faktor ist die schlechte Wirtschaftslage, Österreich befindet sich im dritten Jahr mit fallender Wirtschaftskraft. Besonders die Industrie steckt in der Krise, die durch hohe Energiepreise und fallenden Export angeschoben wird. Damit spitzt sich auch die Krise der Staatsfinanzen für den österreichischen Kapitalismus zu. Wirtschaftsexperten wie Fiskalratschef Badelt, Sprachrohre des Finanzkapitals, bereiten seit geraumer Zeit die Öffentlichkeit unmissverständlich darauf vor, dass in Österreich massives Sparen und Raubbau von sozialen Rechten angesagt sind. Während des Wahlkampfes thematisierten nur die NEOS die Notwendigkeit von Pensionsraub und anderen Einschnitten, andere Parteien schwiegen darüber. Doch schon am Wahlabend selbst änderte sich das grundlegend, wie wir vorhergesagt hatten. Es ist sonnenklar: Die kommende Regierung wird eine Regierung der massiven sozialen Angriffe, der Budgetsanierung und der Stärkung des Militarismus sein.
Aus Sicht des Kapitals ist eine Regierung unter Führung der FPÖ zu unkontrollierbar, nach ihrem historischen Wahlsieg ist eine Unterordnung unter die ÖVP aber höchst unwahrscheinlich. Die wahrscheinlichste Option ist daher eine Regierung der Wahlverlierer aus ÖVP, SPÖ und vermutlich NEOS. Doch in der tiefen politischen Krise braucht es Zeit und Fingerspitzengefühl, um diese in der Praxis zusammenzuschustern. Aus Sicht des Kapitals soll sie schließlich weitreichende soziale Angriffe umsetzen, wird dafür den Rassismus weiter staatlich institutionalisieren, das Land militarisieren und soll dabei noch Aufbruch und Zuversicht ausstrahlen!
Kein Vertrauen in die Liberalen – Für Klassenkampf
Jugendliche und klassenbewusste Arbeiter müssen nach den Wahlen noch viel mehr als vorher eine eigenständige politische und ideologische Position einnehmen. Keinesfalls dürfen wir die Einladung akzeptieren, dass wir eine Sparregierung der Kriegstreiber und Wahlverlierer ideologisch unterstützen, dies wäre nur ein nächster Schritt der Unterordnung der Arbeiterbewegung unter das Kapital. Unausweichlich wird dadurch die FPÖ nicht schwächer, sondern stärker. Wir müssen verstehen, dass die FPÖ nicht institutionell, sondern nur politisch besiegt werden kann – durch Klassenkampf. Dass dieser auf der Tagesordnung steht, ist klar und unvermeidlich.
Wir müssen aber anerkennen, dass die Arbeiterbewegung durch die Reformisten in eine Sackgasse geführt wird. Die SPÖ und die Gewerkschaftsspitzen verschreiben sich nun voll der Logik der „Rettung der Demokratie“, der „Ankurbelung der Wirtschaft“ und auch „der Sanierung des Budgets“. Die KPÖ-Politik definiert den „Gebrauchswert ihrer Partei“ weiterhin darin eine „helfende Partei“ zu sein und hat diesen Kurs auch nach der Wahl bestätigt. Das hindert sie daran, die Krise der SPÖ voll auszunützen.
Was die Arbeiterbewegung braucht, ist eine kämpfende Partei, die die Wahrheit ausspricht. Wir haben uns entschieden eine solche zu gründen, die Revolutionäre Kommunistische Partei (RKP). Wir sind zu klein um unmittelbar die Kampfbedingungen der Klasse zu verbessern. Aber wir schaffen ein ehrliches politisches Angebot an die fortgeschrittensten Teil der Jugend und der Klasse, sich jetzt bei uns zu organisieren. Wer statt Verrat und Klein-Klein an der Perspektive der Überwindung des Kapitalismus arbeiten will: Kämpf mit uns und tritt uns bei!