Die Forderung nach einer Streichung der Staatsschulden ist ein wichtiger Eckpfeiler eines sozialistischen Programms gegen die Krise. Ein Beitrag zur Diskussion in der Sozialistischen Jugend von Manuel Reichetseder.
Neben der FSG haben vor allem die sozialdemokratischen Jugendorganisationen klar gegen die Schuldenbremse Position bezogen. Mit einem “Offenen Brief” und einer gemeinsamen Protestaktion haben SJ, VSStÖ und AKS sogar die SPÖ-Abgeordneten aufgerufen im Nationalrat mit Nein zu stimmen. Das ist der richtige Weg, um in der ArbeiterInnenbewegung den Widerstand gegen die drohenden Sparpakete zu formieren.
Damit wären wir aber auch bei der Frage der politischen Alternative zur Schuldenbremse, die uns die Bürgerlichen als unumgänglich verkaufen wollen. Die SJ-Spitze will darauf eine “realistische” Antwort geben, die in Wirklichkeit aber die tatsächliche Realität des heutigen Kapitalismus völlig verkennt.
Rolle der Staatsschuld
Die Schulden werden von der SJÖ, frei nach unternehmerischem “Hausverstand”, als notwendiges Mittel zur Ankurbelung der Wirtschaft gesehen, mit der in Zukunftsprojekte investiert werden kann, die sich in der Folge als gut für die Konjunktur, die Beschäftigungslage, die Steuereinnahmen und somit für den Staatshaushalt erweisen würden. Schade nur, dass alle Regierungen, die Ratingagenturen, die Anleger auf den Finanzmärkten und die WirtschaftsexpertInnen so unvernünftig sind bzw. ideologisch motiviert handeln, dass sie das nicht einsehen wollen.
Die massive Ausweitung der Staatsverschuldung stellt einen wichtigen Indikator für die Krise des Kapitalismus dar. Die Staatsschuld ist weniger ein Beweis für die Ineffizenz des öffentlichen Sektors sondern für die Unfähigkeit des Privatkapitals. Es zeigt die Grenzen der Privatinitiative im Kapitalismus, der sich längst in der Phase des Niedergangs befindet. Mit den Mitteln des Kredits, und somit der Staatsschuld, wird seit einem Jahrzehnt versucht die Grenzen des kapitalistischen Systems auszudehnen. Diese Politik zur Verhinderung oder Abfederung der Krise ist nun selbst an ihre Grenzen gestoßen. Diesen Mechanismus hat Marx bereits im “Kapital” erklärt. Schulden müssen samt Zinsen zurückbezahlt werden. Dies gilt für private Haushalte, Unternehmen und auch für Staaten. Wenn die Gläubiger das Gefühl haben, dass ein Schuldner das Geld nicht oder nur sehr schwer zurückzahlen kann, werden sie entweder keine Kredite mehr gewähren oder dafür mehr Zinsen (als Risikoaufschlag) verlangen. Die Rolle der Ratingagenturen ist es, den Gläubigern basierend auf der wirtschaftlichen Lage der Schuldner Empfehlungen zu geben.
Dabei wird oft übersehen, dass über den Weg der Staatsverschuldung in den letzten Jahren ein regelrechter Raubzug gegen die ArbeiterInnenklasse geführt wurde. Milliarden schwere Bankenrettungen und Unternehmenssubventionen sicherten den Banken und Konzernen trotz Krise ihre Gewinne, während die SteuerzahlerInnen jetzt für die Sanierung des Budgets herhalten sollen. So lange die Zinslast für aufgenommene Kredite zu einem ständigen Anwachsen der Gesamtschulden führt, ist eine Politik im Interesse der Mehrheit nicht möglich. Statt die immer weitere Ausdehnung der Schulden sollten wir die Streichung der Schulden fordern, die durch die Zinsen schon mehrfach bezahlt wurden. Das dann noch fehlende Geld für tatsächliche Strukturreformen im Gesundheits- und Bildungsbereich könnte dann tatsächlich durch eine substanzielle Vermögensbesteuerung hereinkommen.
Gretchenfrage
Um ein passendes Programm gegen die Krise entwickeln zu können, müssen wir zuerst die realen Bewegungsgesetze und die Machtverhältnisse im Kapitalismus erkennen. Die Vertrauenskrise auf den Märkten, die sich immer wieder schockartig entlädt, hat ihre reale Basis im gewaltigen Ausmaß der kapitalistischen Krise. Die Regierungen versuchen in ganz Europa mit Maßnahmen wie der Schuldenbremse das “Vertrauen der Märkte” wiederherzustellen, d.h. sie wollen den Banken und Finanzinvestoren damit signalisieren, dass sie zu harten Sparmaßnahmen bereit sind und dass sie dem europäischen Integrationsprozess eine stabilere politische Grundlage geben können. Die Märkte spielten in den letzten Monaten deshalb “verrückt”, weil sie immer weniger an die Lösungskompetenz der Regierungen glauben.
Von Tag zu Tag wird klarer, dass die Krise ein derartiges Ausmaß annimmt, dass homöopathische Mittelchen wie eine Vermögenssteuer nicht ausreichend sind und nur ein Programm zur Überwindung des Kapitalismus einen Ausweg aus der Barbarei weisen kann. Die Frage der Staatsschulden zählt dabei zu den “Gretchenfragen”.
Einwände
Die SJ-Spitze brachte bislang gegen die von der Funke-Strömung geforderte Schuldenstreichung den Einwand vor, dass man diese Forderung nicht umsetzen kann, weil nicht nur Banken Gläubiger des österreichischen Staates sind, sondern auch Pensionsfonds und kleine SparerInnen. Dieses Argument können wir nicht gelten lassen. Lohnabhängige, die mit windigen Versprechungen und der Angstmache im Zuge der handfesten Verschlechterungen im öffentlichen Pensionssystem dazu getrieben wurden, zur individuellen oder betrieblichen Pensionsvorsorge ihr Geld in Pensionsfonds anzulegen, haben durch die Krise massive Kürzungen und Verluste (bis zu 45 Prozent) hinnehmen müssen. Die Pensionsfonds haben sich als teure Mogelpackung erwiesen, und die ArbeiterInnenbewegung täte gut für das sofortige Aus dieses kapitalgedeckten Pensionssystems und die Überführung deren Mittel in die öffentliche Hand zu kämpfen. Wem das Interesse der Lohnabhängigen und der kleinen PensionistInnen ein Anliegen ist, der sollte erst recht für eine Streichung der Schulden eintreten. Diese Maßnahme würde auf einen Schlag dem öffentlichen Pensionssystem wieder Luft geben, weil staatliche Mittel nicht mehr für Zinszahlungen sondern für die sozialen Sicherungssysteme ausgegeben werden könnten. Auf keinen Fall darf aber die organisierte ArbeiterInnenbewegung ihr Programm davon abhängig machen, dass auch Teile der Lohnabhängigen ein (im Vergleich zu den Riesenvermögen der Superreichen ohnedies nur sehr bescheidenes) Vermögen haben. Damit würde sie jenen auf den Leim gehen, die gemeinsame Interessen zwischen der ArbeiterInnenklasse und der Bourgeoisie predigen, wo es in Wirklichkeit keine gibt.
Die Aufgabe der SJ und der anderen sozialdemokratischen Jugendorganisationen ist es vielmehr nach dem Beispiel der sozialen Bewegungen in Griechenland, Italien und Spanien die Einstellung des Schuldendienstes an die kapitalistischen Großgläubiger und einen allgemeinen Schuldenerlass zu fordern, wobei es Entschädigungen nur für kleine SparerInnen und bei erwiesener sozialer Bedürftigkeit geben soll.
Aber würde die Streichung der Staatsschulden nicht unkalkulierbare Folgen nach sich ziehen? Ein bisschen genaueres Nachfragen bei diesem Einwand ergibt dann im Grunde das Argument, dass damit dem Boden des jetzigen Systems, dem Kapitalismus, der Boden entzogen wäre. Warum dies für Leute, die mit erhobener Hand für die Abschaffung des Kapitalismus und die Schaffung einer demokratischen Planwirtschaft eintreten (wie dies die GenossInnen an der Spitze der SJ durchaus tun), ein Argument gegen diese Forderung ist, kann nur unter Ausschaltung der logischen Prinzipien erklärt werden. Oder aber dadurch, dass sich diese GenossInnen zwar eine innige Liebe zur abstrakten Idee des Sozialismus haben, aber jede Forderung ablehnen, die einen Übergang zum Sozialismus durch härteste Interessenskollision auf gesellschaftlicher Ebene wirklich auf die Tagesordnung bringt. Der Vergleich mit der Situation in der Russischen Revolution 1917 drängt sich unwillkürlich auf: Jahre-, jahrzehntelang hatten die Vorläufer der heutigen ReformistInnen, die Menschewiki ihre Liebe zum Frieden und ihre Ablehnung von Krieg beschworen. In einer Situation aber, wo diese Forderung zu einer tatsächlich relevanten gesellschaftlichen Frage wurde, konnten sie den Krieg – obwohl formal (in einer Koaltion mit den Bürgerlichen) an der Macht – nicht beenden, weil dies nur durch die härteste Konfrontation mit dem Kapital möglich gewesen wäre. Also verschoben sie die Frage nach der Kriegsbeendigung auf einen späteren Zeitpunkt – „wenn sich das System geändert hätte“. Erinnert das nicht sehr an die Argumentation der SJ-Führung?
Tatsächlich aber war die Kriegsbeendigung damals und ist die Schuldenstreichung heute nicht bloß eine gute Idee der Linken in der ArbeiterInnenbewegung, sondern entspringt den materiellen Lebensbedürfnissen der übergroßen Mehrzahl der Menschen. Während 1917 dem Morden auf dem Schlachtfeld und dem Hunger ein Ende gemacht werden musste, ist heute die Verteidigung der Errungenschaften der letzten Jahrzehnte das Ziel der ArbeiterInnenklasse (will sie nicht wieder auf den Schlachtfeldern und in den Suppenküchen enden). Wer verhindern will, dass es im Rest von Europa so kommt wie in Griechenland, der muss mit dem Alpdruck des Milliardenstroms an Zinsen an die privaten Kapitaleigner brechen. Das sind Milliarden, die für Gesundheit, Bildung, Pensionen ausgegeben werden könnten, die aber nun bei uns eingespart werden.
Ein solcher Schritt würde unverblümt die Machtfrage in der Gesellschaft stellen: Sollen die gesellschaftlichen Produktionsmittel weiterhin im Interesse des Profits und anhand der „unsichtbaren Hand“ des Marktes, die die Mehrheit nicht kontrollieren kann, funktionieren; oder sollten die Banken und Unternehmen, die durch einen Schuldenschnitt ins Trudeln kommen würden, vergesellschaftet und unter der Kontrolle der ArbeiterInnenklasse im Sinne der Allgemeinheit geführt werden. Die Umsetzung der Forderung würde daher die Frage, welche Klasse die Kontrolle über die Schalthebel der Wirtschaft in den Händen hält, stellen: die herrschende Klasse oder die ArbeiterInnenklasse?
„Der Funke“ wird dafür eintreten, dass die Frage auch von den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, beginnend mit ihren Jugendorganisationen gestellt wird.
Factbox: Schuldendienst
Für Zinszahlungen musste der Bund im Jahr 2010 mit 6,9 Mrd. € bereits an die 10 % seines Gesamtbudgets aufwenden. Fast die Hälfte des Budgetdefizits entfallen auf diesen Ausgabenposten. Bei Verlust des AAA-Ratings würde der Schuldendienst massiv zunehmen. 10 % des Budgets werden aber selbst unter günstigsten Bedingungen jedes Jahr an die Gläubiger des österreichischen Staates umverteilt.
Wer sind nun diese Gläubiger? 15 % der Staatsanleihen gehen nach Übersee, 55 % in die Eurozone (vor allem an deutsche und französische Banken, Versicherungen, Pensionsfonds). Nur ein Viertel der Anleihen halten heimische Gläubiger, lediglich ein Bruchteil davon sind kleine SparerInnen. Bis 2015 hat Österreich einen Finanzierungsbedarf von mindestens 105 Mrd. € für Neuverschuldung und Schuldentilgung (Refinanzierung). Diese Rechnung ist optimistisch und blendet die Risken der chaotischen ökonomischen Entwicklung aus. Ein Kollaps etwa der ungarischen Staatsfinanzen oder des Forints würde die österreichische Bankenwelt, die 34 Mrd. € (exkl. der BA) allein in diesem Land ausstehend hat, in den Ruin treiben. Wer unter dem aktuellen gesellschaftlichen Kräfteverhältnis dafür gerade stehen wird, ist klar: die österreichischen Lohnabhängigen, die angehalten werden die Aktionäre der österreichischen Banken raus zu schlagen. Die Abhängigkeit von den großen Playern auf den Finanzmärkten ist offensichtlich.