Die 200. Ausgabe unserer Zeitschrift nutzen wir für eine Standortbestimmung. Welche Perspektiven haben wir vor uns im Kampf für eine bessere Welt, und welche Aufgaben ergeben sich daraus für MarxistInnen?
Als wir, eine Handvoll Schüler aus Vorarlberg und Niederösterreich, 1992 die erste Ausgabe des „Funke“ herausgaben, stand es um die Sache des Sozialismus denkbar schlecht. Der „wind of change“ nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion blies allen kalt ins Gesicht, die an einer sozialistischen Perspektive festhielten. Unter dem Druck der ideologischen Offensive der Bürgerlichen war die Linke fast ausnahmslos eingeknickt, die Kommunistischen Parteien begaben sich in die Selbstauflösung, die Sozialdemokratie übernahm nun offen die Marktideologie.
Die Bedeutung revolutionärer Theorie
In dieser Phase ein marxistisches Zeitungsprojekt zu starten, um damit ein Instrument zum Aufbau einer revolutionären Kampforganisation zu schmieden, war ein gewagtes Unterfangen. Das Schwimmen gegen den Strom erfordert viel Energie und Ausdauer. Diese schöpfte der erste Kern unserer UnterstützerInnen vor allem aus der Auseinandersetzung mit marxistischer Theorie und der Geschichte der österreichischen und internationalen Arbeiterbewegung. Die Schriften von Leo Trotzki und des britischen Marxisten Ted Grant lieferten uns eine schlüssige Analyse für das Scheitern des Stalinismus und das nötige Rüstzeug für Debatten mit all jenen, die den Sozialismus für eine schöne, aber unrealisierbare Utopie hielten.
Von Anfang an verstanden wir uns in erster Linie als InternationalistInnen und nur als Bestandteil der International Marxist Tendency (IMT) war es uns möglich, eine ernstzunehmende Organisation aufzubauen. Unsere winzige Gruppe konnte so auf dem Erbe, den Ideen und Methoden und der praktischen Erfahrungen von MarxistInnen aus aller Welt aufbauen. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit marxistischer Philosophie (und der Herausgabe des Buches „Aufstand der Vernunft“ im Jahr 2002) ermöglicht es uns wiederholt an modischen ideologischen Sackgassen vorbeizugehen und die Freiheit zu haben, einen allumfassenden unabhängigen Standpunkt der Arbeiterklasse einzunehmen. Die Methode des dialektischen Materialismus erlaubt es, die Welt zu verstehen, Perspektiven zu entwickeln und daraus eine konkrete Praxis für den Aufbau einer revolutionären Organisation zu entwickeln. Daher werden wir heuer den Schwerpunkt unserer Theoriearbeit auf das Studium der Philosophie legen und dazu im März ein neues Buch veröffentlichen.
Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Bewegung geben. Eine revolutionäre Praxis zu entwickeln war aber stets Absicht des „Funke“. Prägend für unsere Methode und unser Selbstverständnis war und ist folgende Stelle aus dem „Kommunistischen Manifest“: „Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen. Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.“
Wir gingen damals von der Analyse aus, dass sich der Klassenkampf in erster Linie über die traditionellen Massenorganisationen der Arbeiterbewegung des jeweiligen Landes ausdrücken wird. Aus diesem Grund organisierten wir uns auch als marxistische Strömung in der Sozialistischen Jugend. Dabei begnügten wir uns nie mit der Routine der Gremienarbeit und hielten uns dem Zirkelwesen in den roten Jugendorganisationen fern, weil das immer schon ein guter Nährboden für die Herausbildung von KarrierepolitikerInnen war. Wir nutzten aber alle Spielräume in der SJ, um die besten Traditionen der Arbeiterjugendbewegung mit Leben zu füllen und den Marxismus wieder mehrheitsfähig zu machen. Die Resultate spiegeln sich im „Grundsatzprogramm“ der SJÖ von 2004, dem linksten Programm einer traditionellen Arbeiterorganisation in Jahrzehnten, wider. Gleichzeitig verbreiteten wir die Idee von Aktionskomitees an Schulen und führten ab 1998 regelmäßig bundesweite Schülerstreiks an.
Anfang der 2000er Jahre entstanden erstmals Bedingungen, die es den MarxistInnen erlaubten, als marxistische Strömung in der SJ Wirkung zu erzielen. Viele neue Jugendliche politisierten sich im Widerstand gegen den schwarz-blauen Bürgerblock, wurden in der SJ aktiv und suchten eine linke Alternative zum Reformismus. Und der „Funke“ war mittlerweile so selbstbewusst geworden, dass er etwas bewegen konnte, und diese Entwicklung sogar mitvorbereitete. Die Besetzung der SPÖ-Löwelstraße 1996, unsere Kandidatur zum SJÖ Vorsitz am SJ-Verbandstag 1998 und die von der SJÖ auf unsere Initiative erhobene Forderung nach einer SPÖ-Minderheitsregierung im Jahr 2006 waren Ausdruck dieser Entwicklung. Zusätzlichen Rückenwind lieferte die Revolution in Venezuela, die international große Beachtung fand und die wir von Anfang an solidarisch unterstützten. Unsere intensive Solidaritätsarbeit mit der bolivarischen Bewegung durch die Kampagne „Hände weg von Venezuela“ versetzte uns in die Lage, beim Wienbesuch von Hugo Chávez in der Arena eine riesige Solidaritätsveranstaltung (die größte außerhalb Lateinamerikas) mit mehreren tausend TeilnehmerInnen zu organisieren.
Neue Epoche
Mit der Krise von 2008 und der neuerlichen festen Einbindung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaft in die Staatsgeschäfte entstanden neue, ungünstige politische Rahmenbedingungen. Über Jahre erodierte die Basis in diesen traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung und das politische Leben außerhalb der Kontrolle der Bürokratie starb ab. Auch die SJ ist zusehends Teil dieser Entwicklung. Um diese Entpolitisierung aktiv voranzutreiben, ist man gegen die Funke-Strömung mit bürokratischen Hexenjagden und wiederholten Ausschlüssen vorgegangen (zuletzt 2021 in Tirol).
Während SPÖ und ÖGB sich offen kapitulierend dem Kapitalismus und seinen Regierungen andienen, wächst eine neue Generation mit den Folgen von Wirtschaftskrisen, Klimakatastrophen und Pandemie auf. Diese junge Generation stellt das herrschende System zusehends in Frage, weil es ihr keine Zukunftsperspektiven bieten kann. Von der Sozialdemokratie fühlen sich diese Jugendlichen kaum angesprochen. Und je mehr sich die Krisen des Kapitalismus konkret manifestieren, desto weniger werden sie sich mit linker Symbolpolitik zufriedenstellen lassen. Marx meinte einmal, es genüge nicht, „dass der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muss sich selbst zum Gedanken drängen.“ Wir stehen am Beginn einer neuen historischen Epoche, wo wir genau das erleben – und zwar weltweit, in zunehmendem Maße auch in Österreich, das keine Sonderstellung mehr einnimmt im globalen Krisenkapitalismus.
Die Bewegungen gegen eine rassistische Asylpolitik, die Klimastreikbewegung sind genauso Ausdruck dieses Prozesses wie auch erste linke Wahlerfolge, allen voran der Wahlsieg der KPÖ in Graz. Massenhafte soziale Kämpfe werden auch in Österreich ausbrechen. Der lange Zeit in der Gesellschaft herrschende Antikommunismus hat seine politische Wirkung weitgehend verloren. Erstmals seit Jahrzehnten könnte links von der SPÖ wieder eine sichtbare Kraft entstehen. Ob dieses Potential eine konkrete Form annehmen kann und tatsächlich ein Werkzeug des Klassenkampfes entsteht, wird nicht zuletzt davon abhängen, welche Ideen sich in der Linken durchsetzen. In Wirklichkeit dominiert in der KPÖ ein nicht zeitgemäßer Reformismus, der jenem der sozialdemokratischen Linken sehr ähnlich ist. Anstatt das eigene marxistische Erbe von allen stalinistischen Deformationen freizumachen und anknüpfend an die historische Erfahrung der Oktoberrevolution eine revolutionäre Praxis zu entwickeln, konzentriert man sich auf die Ebene der Kommunalpolitik, wo man den Menschen in Alltagsfragen „zu Diensten“ sein möchte und wieder „Vertrauen gewinnen“ will. Diese Orientierung führt aber zwangsläufig dazu, dass man als Organisation einen sehr eingeschränkten Horizont entwickelt und sich eine reformistische Logik der kleinen Schritte und Räume festsetzt, die angesichts der Tiefe der Krise unzureichend ist.
In den letzten Jahrzehnten hat sich außerdem in der Linken die sogenannte „Identitätspolitik“ breitgemacht, die stets betont, was die ArbeiterInnen voneinander trennt (Geschlecht, Sprache, nationale Herkunft, Religion usw.) und nicht, was sie verbindet. Diese Ideologie steht aber einem erfolgreichen Kampf gegen Unterdrückung diametral entgegen, und ist damit ein relevanter Hemmschuh für die Entwicklung von Bewegungen gegen Rassismus und Frauenunterdrückung, deren Bedeutung in den letzten Jahren massiv gewachsen ist. Dieser Ideologie stellen wir die Idee entgegen, dass die vereinte Arbeiterklasse eine zentrale Rolle im Kampf gegen jede Form von Unterdrückung hat, da sie aufgrund ihrer besonderen Stellung in Wirtschaft und der Gesellschaft die Möglichkeit hat, diese Probleme an ihrer Wurzel zu bekämpfen. Umgekehrt wissen wir, dass die Arbeiterklasse den Kapitalismus nur stürzen wird können, wenn sie im Zuge von Klassenkämpfen die Spaltung durch die herrschende Klasse überwindet.
Wir befürworten jede Bewegung und jede Organisationsform, die der Arbeiterklasse und der Jugend helfen, ihre sozialen, politischen und ideologischen Interessen unabhängig vom Druck des herrschenden Systems zu formulieren. Wir halten an der Notwendigkeit einer Arbeiterpartei, die einen unabhängigen Klassenstandpunk vertritt, d.h. einem politischen Kampfinstrument der Arbeiterklasse, fest. Die Verwirklichung dessen ist nicht unmittelbar greifbar, aber dieses politische Vakuum wird in den kommenden Klassenkämpfen gefüllt werden müssen. Wir werden uns auf fester theoretischer Grundlage, basierend auf den Ideen des Marxismus und bereichert durch unsere praktischen Erfahrungen in den Klassenauseinandersetzungen, mit voller Energie in diese kommenden Entwicklungen einbringen.
Unser Ziel als MarxistInnen ist die Bildung des Proletariats zur bewussten Klasse, die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und der Sturz des Kapitalismus. Dies erfordert einen revolutionären Bruch mit der alten Ordnung, dabei kann aber auch die Arbeit in den Parlamenten eine Rolle spielen. Teil einer marxistischen Internationale zu sein hilft uns dabei, über den Tellerrand zu blicken und dabei das große Ganze und die Perspektive der sozialen Revolution nicht aus den Augen zu verlieren. Auf eine solche Revolution bereiten wir uns vor, indem wir die geschichtlichen Erfahrungen früherer Bewegungen studieren und indem wir eine Organisation aufbauen, die ähnlich wie die Bolschewiki in Russland die Revolution zum Sieg führen kann. Dieser großen historischen Aufgabe haben wir uns verschrieben, denn wir haben eine Welt zu gewinnen. Zögere nicht, mit uns in Diskussion zu treten!
(Funke Nr. 200/20.1.2022)