Der Nationalratswahlkampf 2019 dreht sich ganz um die Klimafrage. Alle Parteien zaubern jetzt ihre „Lösungen“ für den Klimawandel hervor. Die heißest debattierte Forderung ist jene der CO2-Steuer, die von den Grünen, NEOS, der Liste Jetzt! und der Sozialistischen Jugend verteidigt wird. Von Yola Kipcak.
Die CO2-Steuer wird in den bürgerlichen Medien als die weitreichendste und effizienteste Maßnahme zum Klimaschutz präsentiert. Der Hauptgrund ist, dass innerhalb des Kapitalismus die wirklich notwendigen, großen Maßnahmen nicht durchsetzbar sind, weil sie dem Profitinteresse der Industrie, der „Wettbewerbsfähigkeit“ der Unternehmen und der „Sicherung des Wirtschaftsstandorts“ in den jeweiligen Nationalstaaten widersprechen. Daher ist die Forderung der CO2-Steuer so praktisch, denn sie basiert auf der Argumentation, dass „wir alle“, die ArbeiterInnen wie die KapitalistInnen, die Schuld an der Umweltverschmutzung haben.
Greg Mankiv, Wirtschaftsberater unter US-Präsident George W. Bush, schwärmt: „Es ist die Antwort des freien Marktes auf die Klimakrise“ (FT, 17.1.2019) Auch Top-Manager sind begeistert: „Dann können sich Konsumenten und Unternehmen in ihrem Verhalten anpassen und gezielt in Anlagen investieren, die den Ausstoß von CO2 begrenzen“ (Chef der Deutschen Post in focus, 12.7.2019). Selbst Vertreter von großen Öl- und Energiekonzernen wie Shell, BP, und ExxonMobil sind für eine CO2-Steuer: Sie sind Gründungsmitglieder des „Climate Leadership Council“, das damit wirbt „die konservativen Prinzipien des freien Marktes und des schlanken Staats“ mit der Steuer zu verwirklichen (WSJ, 20.6.2017). Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass diese Damen und Herren die CO2-Steuer nicht als Gefahr für ihr Profitstreben sehen.
Die Forderung nach der CO2-Steuer verschleiert, dass die große Industrie der Hauptverschmutzer ist – und, dass der Otto-Normalverbraucher sich eben nicht aussuchen kann, wie die Produkte, die er zum täglichen Leben braucht, produziert werden – wenn man von der sehr begrenzten Entscheidungsfreiheit absieht, erheblich mehr zahlen zu „dürfen“, um etwa „Bio-Produkte“ zu kaufen. Die allermeisten Menschen können nicht bestimmen, wie das Haus, in dem sie ihre Wohnung mieten, beheizt wird, ob es „klimaneutral“ erbaut oder saniert wurde, ob es gratis und gut ausgebaute Öffi-Alternativen gibt, oder in welche Industriesparten investiert wird. Kurz: Der Fokus verschiebt sich von der Kontrolle über die Produktion in unserer Gesellschaft auf die individuelle Konsumentscheidungen der Massen. Und für diese soll das Leben durch die CO2-Steuer verteuert werden.
Einerseits wird jedeR Einzelne von der Steuer betroffen sein, wenn er/sie heizt oder Autofahren muss. Doch noch mehr: „Firmen, die von fossilen Brennstoffen abhängig sind, würden vermutlich ihre Mehrkosten an die Verbraucher weitergeben. Dieser Effekt ist gewünscht: Viele Produkte, deren Herstellung viel CO2 verursacht, würden teurer. Für die Konsumenten ein Anreiz, klimafreundliche Produkte zu bevorzugen.“ (Die Zeit, 5.9.2017)
Diese offensichtliche Ungerechtigkeit war nebenbei erwähnt letzten Spätherbst der Auslöser für die Gelbwestenbewegung. Dort wollte Präsident Macron den Klimazuschlag erhöhen und gleichzeitig Verschlechterungen im Sozialsystem einführen sowie die Vermögenssteuer abschaffen.
Massensteuer und Steuergeschenke fürs Kapital
Nun entgegnen die VerfechterInnen der CO2-Steuer, dass man ja die Belastung der Massen „abfedern“ könne, indem die Einnahmen der CO2-Steuer wieder an sie zurückerstattet oder durch andere Steuererleichterungen ausgeglichen werden.
Nimmt man die CO2-Steuer genauer unter die Lupe wird jedoch klar, dass mit „den Massen zurückgeben“ tatsächlich Steuergeschenke an die Unternehmen gemeint sind.
Konkret schlagen beispielsweise die NEOS vor, zunächst Diesel und Benzin zu verteuern (um 36 bzw. 15 Cent/Liter), und erst zuletzt – und nur wenn andere Länder es auch tun – die Industrie besteuert wird. 3,9 Mrd. € sollen durch Steuererleichterungen den „Verbrauchern“ ausgeglichen werden. Ein größerer Teil soll allerdings beim „Faktor Arbeit“ und den „Lohnnebenkosten“ gespart werden. Dies sind Schlagwörter, die die Bürgerlichen üblicherweise verwenden, um Steuererleichterungen für KapitalistInnen oder Einsparungen im Sozialsystem gut versteckt zu argumentieren. So auch hier: 4,8 Mrd. € sollen durch die Abschaffung der Kommunalsteuer (=Unternehmenssteuer an Gemeinden) sowie des Wohnbauförderungsbeitrags „zurückgegeben“ werden.
In die gleiche Kerbe schlägt der Vorschlag der Grünen: Zunächst wollen sie Diesel, Flugreisen und Strom verteuern. Doch was passiert mit dem Geld, dass sie so von den Massen kassieren? 55% davon sollen dazu dienen, die „Lohnnebenkosten“ in Form der Sozialversicherungsbeiträge zu senken. Zu 35% sollen Unternehmen dann weniger ins Sozialsystem oder an Gemeinden zahlen. Die restlichen 10% fließen in einen Fonds für soziale Härtefälle, sowie in die „Steigerung der Energieeffizienz“.
Zusammengefasst: Die Steuer, die die Massen zahlen sollen, sind zu 55% Umschichtung der Steuerbelastung, zu 35% direkte Geschenke an die UnternehmerInnen – und nur weniger als 10% würden in „Energieeffizienz“ fließen. Zusätzlich soll die bereits existierende „Rückvergütungsregelung für energieintensive Unternehmen“ weiter bestehen bleiben. Diese besagt, dass Unternehmen, die Energie für die Produktion brauchen, nicht mehr als 0,5% ihres Nettoproduktionswerts für Energieabgaben zahlen müssen.
Dass die KapitalistInnen bei der CO2-Steuer gut aussteigen, zeigt die Praxis in allen Ländern. In Kanada gibt es eine spezielle Ausnahme für Unternehmen, die starkem internationalem Wettbewerb ausgesetzt sind, insbesondere für die Zement-, Stahl-, und Düngerindustrie, während einer der größten Ölkonzerne Kanadas, Cenovus Energy Inc., beruhigt festgestellt hat, dass das Gesetz genauso geschrieben ist, dass er zufälligerweise den Steuern entgehen kann.
In der Schweiz hat das CO2-Abgabengesetz etliche Schlupflöcher, sodass sie ihre Steuern zurückerstattet bekommen, wenn sie entweder an dem Emissionshandelssystem (EHS) der EU teilnehmen, oder sich nicht näher definiert „verpflichten“ ihre Treibhausgas-Emissionen zu „vermindern“. Im „Vorzeigeland“ Schweden wurden im Gegenzug für CO2-Steuern Vermögenssteuern, Kapitalsteuern und Ertragssteuern abgeschafft. Und auch dort gibt es eine Ausnahme für alle Unternehmen, die Teil des EHS sind – einen Ansatz, den auch die österreichischen Grünen unterstützen.
Das EHS ist der weltweit größtangelegte Versuch, Treibhausgase zu reduzieren, indem Unternehmen „Zertifikate“ kaufen müssen, wenn sie umweltschädigend produzieren. Ausgenommen ist allerdings der Verkehr. In der Praxis sind die Zertifikate so billig, dass sie de facto wirkungslos sind. Zudem gab es eine ganze Reihe von Korruptionsskandalen, in denen aufgedeckt wurde, dass die EHS-Zertifikate für Steuerflucht missbraucht wurden.
Neben direkten Steuererleichterung, die Unternehmen zu so gut wie nichts verpflichten, sollen CO2-Steuern jetzt auch als direkt imperialistisches Instrument im Handelskrieg herhalten: Die sogenannte „Carbon Border Tax“, eine CO2-Steuer die alle Güter, die von „Klimasünder-Ländern“ in die EU importiert werden, besteuern soll. So wollen sich europäische Konzerne vor billigen Produkten aus China und den USA schützen. Der Vorsitzende von ArcelorMittal, einer der weltweit größten Stahlproduzenten, der pro Tonne produziertem Stahl bis zu zwei Tonnen CO2 ausstößt, sagte in einem Gastkommentar in den Financial Times mit dem scheinheiligen Titel „Eine Carbon Border Tax ist die beste Antwort auf den Klimawandel“ ganz unverblümt: „Wir glauben, dass Europa die Einführung von Grenzzöllen für CO2 erwägen sollte, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu schützen.“ (FT 12.2.2017)
CO2-Steuern für Konzerne?
Als „linke“ CO2-Steuervariante gibt es auch das Konzept der „CO2-Steuer für Konzerne“, das von der Sozialistischen Jugend vertreten wird. Demnach sollen in erster Linie Unternehmen, die umweltschädlich produzieren, sowie Warentransporte und Flugzeuge stärker besteuert werden, während das leistbare Autofahren für PendlerInnen erhalten bleiben müsse. Ziel ist, dass nicht die Massen, sondern die Konzerne die CO2-Steuer zahlen.
Um zu verhindern, dass die KapitalistInnen ihre Steuerlast wieder direkt an die ArbeiterInnen weitergeben, soll der Staatsapparat in die Bresche springen: Er soll staatlich finanzierte Arbeitsplätze schaffen, wenn Unternehmen schließen oder abwandern und soll die Preise der Grundnahrungsmittel sowie für Energie „stabilisieren“.
Was auf den ersten Blick schön klingt, hat jedoch mehrere Haken: Zunächst ändern Steuern gar nichts an der wirtschaftlichen Produktionsweise. ArbeiterInnen werden weiterhin von KapitalistInnen ausgebeutet, die sich den erarbeiteten Mehrwert aneignen. Über die Illusion, mit Steuern die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zu beseitigen, machte sich schon Marx im Bezug auf Grundrenten (der Pachtzins, den Unternehmer für Grund und Boden zahlen) lustig. Er schrieb:
„Alle diese ‚Sozialisten‘ … haben das gemein, daß sie die Lohnarbeit, also auch die kapitalistische Produktion bestehn lassen, indem sie sich oder der Welt vorgaukeln wollen, daß durch Verwandlung der Grundrente in Steuer an den Staat alle Mißstände der kapitalistischen Produktion von selbst verschwinden müssen. Es ist das Ganze also nur ein sozialistisch verbrämter Versuch, die Kapitalistenherrschaft zu retten und in der Tat auf noch weiterer Basis als der jetzigen neu zu begründen.” (Marx an F.A. Sorge, 20.6.1881)
Wenn nun der Staat Geld in die Hand nehmen soll, um die Missstände des Kapitalismus abzumildern, muss er dieses Geld auch irgendwo hernehmen. Die Haupteinnahmequelle des Staates ist jedoch … Steuern. Das heißt: Die Frage „Wer zahlt?“ ist dadurch nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben.
Der bürgerliche Staat ist zudem keine neutrale, unabhängige Instanz. Er ist durch tausend Fäden mit der Bourgeoisie verbunden und ihr verpflichtet. Es ist eine gefährliche Illusion, anzunehmen, dass man die Staatsmaschinerie dazu bewegen kann, die eigene Bourgeoisie substanziell anzugreifen. Große soziale Errungenschaften wie der Sozialstaat wurden der Bourgeoisie nur durch Klassenkämpfe oder die Angst vor solchen abgerungen. Der Staatsapparat kann den Klassenkampf nicht neutralisieren, denn er ist selbst Werkzeug für die Bourgeoisie. Und die ist gerade jetzt, wo sie sich vor der nächsten Krise fürchtet, nicht bereit, Zugeständnisse zu machen. Das Mantra der Bourgeoisie, dass man keine Staatsschulden schaffen soll, ein Nulldefizit braucht etc. sind nur eine Vorbereitung auf die nächste Krise, in der sie in die Tasche greifen werden, um Banken – nicht die Umwelt – zu retten. „Wer unter solchen Umständen wirklich glaubt, dass der europäische Steuerzahler ‚nie mehr‘ für Bankenpleiten wird haften müssen – dem kann man wirklich viel erzählen“, schrieb die „Presse“ erst kürzlich (31.7.2019).
Der Druck der KapitalistInnen ist bereits jetzt in der Wahlkampfzeit spürbar. In den Medien wird im Zusammenhang mit der SJ nicht von einer „CO2-Steuer für Konzerne“ berichtet, sondern lediglich von einer „CO2-Steuer“. Und während die SJ-Kandidatin Julia Herr in einem Interview mit oe24 noch von einer CO2-Steuer für Konzerne sprach, fiel der Zusatz „für Konzerne“ in einem späteren Interview unter den Tisch, wenn sie erklärt: „Auch Autofahrer und Autofahrerinnen haben ein Recht auf eine intakte Umwelt und sehen wahrscheinlich selbst den Sinn dahinter, wenn man beginnt, CO2-Emissionen zu reduzieren.“ (Ö1 Mittagsjournal, 21.8.2019)
Gegen Massensteuern – gegen den Kapitalismus!
Als MarxistInnen müssen wir uns immer vor Augen halten, dass 1) Steuern die Funktionsweise des Kapitalismus nicht verändern und 2) der Staat, welcher die Steuereinnahmen verwaltet, seinen Apparat an Beamten, Polizei, Armee usw. damit bezahlt, ein bürgerlicher Staat ist, der die Interessen der KapitalistInnen schützt. Heißt das, dass MarxistInnen prinzipiell keine Steuerforderungen erheben? Marx schrieb dazu:
„a) Keine Änderung der Form der Besteuerung kann zu einer wesentlichen Veränderung in den Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital führen.
b) Wenn man nichtsdestoweniger zwischen zwei Steuersystem zu wählen hat, empfehlen wir die völlige Abschaffung der indirekten Steuern und ihre allgemeine Ersetzung durch direkte Steuern;
weil indirekte Steuern die Warenpreise erhöhen, schlagen die Händler auf diese Preise nicht nur den Betrag der indirekten Steuer auf, sondern auch die Zinsen und den Profit auf das von ihnen vorgeschossene Kapital; weil indirekte Steuern dem einzelnen verbergen, was er an den Staat zahlt, während eine direkte Steuer unverhüllt und einfach ist und auch vom Ungebildetsten verstanden werden kann.“ (aus: Instruktionen für die Delegierten des Zentralrats)
Mit „direkten Steuern“ meinten Marx und Engels solche, die den KapitalistInnen direkt an die Tasche gehen und nicht über komplizierte Konstrukte ihren Klassengehalt verschleiern. Bereits im Kommunistischen Manifest legen sie ihre Methode offen dar, indem sie schrieben:
„Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren. Es kann dies natürlich zunächst nur geschehen vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind.“
Das heißt, Forderungen nach direkten – nicht indirekten – Steuern können nur Beiwerk zu einem Programm sein, das die Arbeiterklasse in ihrem Kampf voranbringt und letztendlich das Ziel hat, das Privateigentum an Produktionsmitteln abzuschaffen. Denn wir können nicht kontrollieren, was uns nicht gehört. Um die Klimakatastrophe abzuwenden, ist es utopisch, auf die „Vernunft“ der KapitalistInnen zu vertrauen, gegen ihre ureigenen Profitinteressen zu agieren. Die CO2-Steuer ist nichts als ein Versuch, bürgerliche Politik mit grünem Anstrich „populärer“ zu machen, indem man ihren wahren Charakter verschleiert. Sie ist der Versuch, die Massen für die Klimakatastrophe zahlen zu lassen, ohne dabei die tatsächliche Ursache der Umweltzerstörung – die profitgetriebene Produktionsweise des Kapitalismus – anzutasten. Daher stehen wir:
★Gegen Massensteuern – gegen die CO2-Steuer
★Gegen profitgetriebene Infrastrukturprojekte, die der Umwelt schaden, wie die dritte Flughafenpiste
★Für eine umweltfreundliche Sanierung des Wohnraums auf Kosten der Vermieter
★Für Gratis Öffis und großangelegte Investitionen in erneuerbare Energien und Aufforstungsprogramme
★Für die Enteignung der Großindustrie und Banken unter Kontrolle der Beschäftigten – für eine demokratische Planwirtschaft
(Funke Nr. 176/28.8.2019)