Die nächste Runde internationaler Schulstreiks gegen den Klimawandel steht für morgen ins Haus. Eine Analyse zum Zustand der Bewegung der Funke-Redaktion.
Spätestens, nachdem am 15. März Millionen Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt in den Streik getreten sind und demonstriert hatten, ist die Frage des Kampfes gegen den Klimawandel nicht mehr nur eine Frage einer kleinen Handvoll Aktivistinnen und Aktivisten, sondern ein mindestens europaweites Massenphänomen. Es ist daher an der Zeit, eine Bilanz der bisherigen Bewegung zu ziehen.
Druck und Appelle an „die Politik“?
Der erste Klimastreik wie auch der Kommende werden in Wien unter dem Motto „Wir streiken bis ihr handelt“ stattfinden. Am 15.3.2019 wurden Petitionen an die verschiedenen Ministerien übergeben. Und eine zentrale Forderung der „Fridays for Future“ international ist die Ausrufung eines „Klimanotstandes“ durch die jeweiligen Regierungen.
In Großbritannien etwa wurde die Forderung nach einem Klimanotstand nicht nur von Fridays for Future erhoben, sondern auch in einer sehr mutigen Kampagne des zivilen Ungehorsams von „Extinction Rebellion“ eingefordert. In ihrer wochenlangen Kampagne kam es nach Blockaden zu über 1100 Verhaftungen. Was war konkret bisher das Ergebnis davon? Nach einem Antrag der Labour-Opposition wurde durch das britische Parlament tatsächlich der Klimanotstand ausgerufen. Auch in Irland passierte das, in vielen einzelnen Städten und Regionen weltweit waren ähnliche Initiativen ebenfalls erfolgreich. Doch selbst bürgerliche Zeitungen bescheinigen diesen Initiativen, reine Symbolpolitik zu sein – praktische Maßnahmen fließen daraus keine.
Die Europawahl
Diese Orientierung vom „Druck auf die Politik“ drückt sich vor allem auch im Datum des nächsten internationalen Streiktages aus. Dieser findet zwei Tage bevor in den meisten Ländern der EU die Wahlen zum europäischen Parlament abgehalten werden statt. Das Datum ist kein Zufall, sondern bewusst gewählt. So schreiben Fridays for Future Vienna etwa: „Am 24.05. gehen erneut Millionen weltweit auf die Straße und nehmen die Politik in die Pflicht. Zusammen werden wir alle Wahlberechtigten auffordern, bei der Europawahl für unsere Zukunft zu wählen“.
Doch abgesehen davon, dass das EU-Parlament selbst auf dem Papier nur sehr eingeschränkte Rechte hat. Der Kern der oben gestellten Frage, „wer hat die Macht in der Gesellschaft“, die Macht die Umwelt zu zerstören, oder die Umweltzerstörung eben aufzuhalten, ist nicht damit beantwortet, dass alle Wahlberechtigten aufgefordert werden, „bei der Europawahl für unsere Zukunft zu wählen“. Was heißt das konkret? Welche Parteien vertreten nach Meinung der FfF Vienna-Führung diese Zukunft? Dass diese Frage mit der Ausrichtung der FfF-Führung nicht beantwortet werden kann, zeigt sich insbesondere an deren Reaktion auf die Regierungskrise mitsamt Neuwahlen im Herbst.
Dazu schreibt FfF Vienna:
„❗️Gestern wurde bekannt, dass neben der Europawahl auch #Neuwahlen in Österreich stattfinden. Das ist DIE Chance, die Forderung nach ambitionierter Klimaschutzpolitik in den Mittelpunkt zu stellen und zur obersten Priorität zu erklären! ?
Es sind dringend beispiellose Maßnahmen nötig, um die drohende Klimakatastrophe zu verhindern. Dabei sind alle Parteien dazu aufgefordert, entsprechend dem Stand der Wissenschaft gemeinsam Lösungen zu erarbeiten und endlich zu HANDELN. ✊
Uns läuft die Zeit davon. Damit die Entscheidungsträger*innen das begreifen, müssen wir weiter streiken, noch mehr werden und lauter sein als jemals zuvor. Die Sicherung unserer Lebensgrundlagen und unserer Zukunft muss bei jeder Wahl, sowohl auf lokaler, regionaler, nationaler als auch auf EU-Ebene, Vorrang haben! ?
Zeigen wir der Politik, was wir wollen: #ClimateJustice – NOW!“
Dieses Statement sagt viel – aber in Wirklichkeit gar nichts. Es gibt keine Positionierung zu den im Moment heiß diskutierten politischen Fragen: Was bedeutet es für den Kampf gegen den Klimawandel, wenn Konzerne, wie im Ibiza-Video offensichtlich geworden, die Politik kaufen können? Ist die Regierungskrise aus Sicht der FfF-Führung eine gute oder eine schlechte Entwicklung? Ist Kanzler Kurz ein Verbündeter oder ein Gegner im Kampf gegen den Klimawandel – soll er also Kanzler bleiben? Zu allen diesen Fragen gibt es keine Antwort – dass der klimawandelleugnende Vizekanzler Strache den Hut nehmen musste, wird nicht einmal erwähnt! Die Orientierung, einen abstrakten Appell an „die Politik“ im Allgemeinen, ohne Unterscheidung der Positionierung zu richten, führt also in der Praxis nicht zu einer „überpolitischen“, sondern zu einer extrem unpolitischen Haltung.
Eine politische Positionierung für die Klimastreikbewegung
So gut wie alle Parteien, von den Grünen, liberalen bis konservativen bürgerlichen Parteien als auch die Sozialdemokratie und die Linke erkennen den Klimawandel an. Das tun sie seit Jahren oder Jahrzehnten. Selbst die schwarz-blaue Bundesregierung in Österreich hat sich auf dem Papier zum Pariser Klimaabkommen bekannt. Lediglich die „europakritischen“ Rechtsparteien leugnen teilweise den Klimawandel.
Doch trotz aller Lippenbekenntnisse müssen wir feststellen, dass von Rot-Grün im Deutschland der frühen 2000er bis schwarz-blau in Österreich jetzt von allen Regierungen rein gar nichts gegen den Klimawandel unternommen wurde. Im jetzigen System ist der Umweltschutz (wie auch die Gesundheit und Löhne der Arbeiterinnen und Arbeiter) nur ein Kostenfaktor. Alle diese Regierungen haben sich auf die eine oder andere Weise die Bewahrung des Kapitalismus auf die Fahnen geschrieben – und müssen daher zwangsweise nach seinen Regeln spielen.
Das zentrale Problem mit der Orientierung „wir streiken, bis ihr handelt“, das offen ausgesprochen werden muss ist, dass die Regierungen in unserem System nicht gezwungen werden KÖNNEN, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Wir müssen selbst handeln, um den Klimawandel zu stoppen – aber nicht individuell und vereinzelt durch eine Umstellung unserer Lebensgewohnheiten, sondern kollektiv, durch den politischen Kampf, den Kampf für ein neues System.
Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine Machtfrage. Er ist letztendlich zu reduzieren auf die Frage: Wer regiert und kontrolliert die Welt? Eine marxistische Analyse zeigt, dass nur eine Umwälzung der Art und Weise, WIE in der Gesellschaft produziert wird und WER die Kontrolle über die Produktion hat, eine Umstellung auf umweltfreundliche Produktion möglich machen wird. So lange eine kleine Schicht an superreichen KapitalistInnen die Wirtschaft kontrolliert, die ein Interesse daran haben, möglichst viel privaten Profit aus der Produktion, dem Austausch und Handel, dem Transport, dem Wohnen und letztendlich unser aller Leben zu ziehen; so lange wird der Umweltschutz (wie auch die Gesundheit und Löhne der Arbeiterinnen und Arbeiter) nur ein Kostenfaktor sein. In unserer kapitalistischen Gesellschaft steuern wir offenen Auges auf die Katastrophe zu.
Für Klimaschutz heißt gegen Kapitalismus sein!
Das heißt, dass der Kampf gegen den Klimawandel bedeutet, in allen Ländern für eine ANDERE Regierung und Regierungsform und GEGEN die jetzigen Herrschenden zu kämpfen. Notwendig wären Regierungen mit sozialistischem Programm, die die Enteignung der großen Banken und Konzerne vorantreiben und eine Planung der Wirtschaft möglich machen, die die Bedürfnisse der Menschen und die Rettung unseres Planeten zum Zweck der Produktion machen könnte, anstatt die Jagd nach dem Profit. Dass in Deutschland die Debatte um eine mögliche Enteignung von Konzernen wie BMW, die vom JUSO-Vorsitzenden Kühnert angestoßen wurde, so ein breites Echo ausgelöst hat zeigt, welches Potential ein mutiger Kampf um so einer Programmatik hat.
Unsere Verbündeten in diesem Kampf sind die Arbeiterinnen und Arbeiter, die durch das gleiche kapitalistische System ausgebeutet werden, das die Umwelt zerstört. Die meisten unserer Eltern, Geschwister, und auch unsere Lehrerinnen und Lehrer haben als ArbeiterInnen durch Streiks die Macht, die ganze Wirtschaft zum Stillstand zu bringen. Sie haben die wahre Macht in der Gesellschaft – und daher haben die Besitzer der großen Konzerne auch vor nichts mehr Angst, als dass den ArbeiterInnen bewusst wird, dass die Chefs zwar sie brauchen, wir aber nicht die Chefs.
Statt Appelle an die Regierung zu richten, muss die Klimastreikbewegung daher Verbindungen mit den ArbeiterInnen suchen – insbesondere mit den in Gewerkschaften organisierten. Wie das Erfolg haben kann, zeigt sich am deutlichsten bei den Lehrerinnen und Lehrern. Viele stehen den Schülerstreiks extrem positiv gegenüber – werden aber durch Regierungen und Direktionen gezwungen, Fehlstunden einzutragen, Streiks zu verbieten oder zu verhindern. Die Lehrergewerkschaften hätten die Möglichkeit, Streiks zu organisieren, um die Klimastreiks zu unterstützen, und damit die Bewegung ungemein zu stärken. Doch das gleiche gilt letztendlich für alle Bereiche der Wirtschaft: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!
So ein Appell kann aber nur Erfolg haben, wenn sich die Bewegung gegen den Klimawandel offensiv den Kampf für die soziale Verbesserung des Lebens der Jugendlichen und ArbeiterInnen und gegen die Ausbeutung und Unterdrückung in jeder Form auf die Fahnen schreibt.
In Österreich bedeutet das im Moment konkret auch, den Klimastreik einzubetten in den Kampf gegen die Regierung Kurz. Der Kanzler ist stark geschwächt, und könnte am Montag in einem Misstrauensantrag im Parlament gestürzt werden. Wir müssen festhalten: Dieser Konzernkanzler ist ein Feind im Kampf gegen den Klimawandel und muss daher gestürzt werden.
Eine solche Orientierung der Klimastreikbewegung auf die Arbeiterklasse ist aber auch völlig unvereinbar mit jeder liberal-grünen Programmatik, die die Verantwortung für den Klimawandel auf den Rücken der Einzelnen abwälzen möchte, während die Großkonzerne weiter munter die Luft verpesten und die Arbeiter ausbeuten dürfen. Insbesondere neue Steuern zu Lasten der arbeitenden Menschen (CO2-Steuern), die Konsumgüter teurer machen, müssen daher mit aller Kraft durch eine Bewegung gegen den Klimawandel bekämpft werden – sie ändern nicht nur nichts, wie Jahrzehnte der „Ökosteuern“ (unter anderem in Deutschland) zeigen, sondern führen direkt dazu, dass viele arbeitende Menschen die Bewegung gegen den Klimawandel als ihnen feindlich wahrnehmen.
Transparenz und Demokratie?
Antikapitalismus auf der einen Seite und Liberalismus in all seinen Schattierungen und Abstufungen auf der anderen Seite stehen sich objektiv gesehen innerhalb der Bewegung gegen den Klimawandel unversöhnlich gegenüber, weil die Interessen zweier gegensätzlicher Klassen in der Gesellschaft hinter ihnen stehen. Das spiegelt sich bis zu einem gewissen Grad auch jetzt schon in der Bewegung wider. Die große Masse der SchülerInnen, die auf die Straße gehen, ist sich über diese Unterschiede noch nicht im Klaren. Doch viele sind sehr aufgeschlossen für antikapitalistische Ideen.
Der Teil der Führung von FfF, der die Bewegung unter allen Umständen in den Bahnen der Akzeptanz des kapitalistischen Systems halten möchte, bedient sich daher trotz aller Beteuerungen der Transparenz und Demokratie höchst untransparenten und undemokratischen Mitteln.
In einigen europäischen Ländern hat sich dieser Widerspruch in einer Reihe von Konferenzen und nationalen Treffen von Fridays for Future schon deutlich gezeigt. In Italien, wo es eine lange Tradition von Schülerbewegungen und nationaler Koordination dieser gibt, gab es eine nationale Konferenz von FfF am 13. April in Mailand. Bei dieser wurde ein Antrag gestellt, der die Gewerkschaften zur Organisierung eines Generalstreiks am nächsten internationalen Streiktag, den 24. Mai aufforderte. Nachdem sich in der Diskussion zeigte, dass dieser Antrag viel Unterstützung bei den anwesenden AktivistInnen bekam, manövrierte eine Schicht von selbsternannten Sitzungsleitern die Diskussion um diese Frage herum – obwohl etwa 50 AktivistInnen reden wollten, kam es zu keiner weiteren Diskussion oder Abstimmung in dieser Frage!
In der Schweiz wurde ein Antrag zu einem antikapitalistischen Programm für Fridays for Future, den UnterstützerInnen des Funke einbrachten, erst gar nicht behandelt. Stattdessen wurde in Arbeitsgruppen nur über die Struktur der Organisation diskutiert. Auch in Österreich machten wir die Erfahrung, dass UnterstützerInnen des Funke davon abgehalten wurden, mit unseren politischen Materialien aufzutreten, in denen wir die Verbindung von Kapitalismus und Klimawandel erklärten – mit der Begründung, dass wir mit unserem Auftreten gegen Rassismus und Kapitalismus konservative Klimawandelgegner abschrecken würden. Immer wieder wird gegen die „Vereinnahmung von politischen Gruppen“ argumentiert.
In Wirklichkeit droht hier die ursprüngliche Stärke der Bewegung, ihre Spontanität und Unkontrollierbarkeit, ins Gegenteil umzuschlagen. Vor der Demonstration am 15.03. wurde von OrdnerInnen mehrmals durch Megaphone durchgesagt, dass RegierungsvertreterInnen nicht ausgepfiffen werden sollen und keine Slogans gegen die Regierung gerufen werden sollen – genau die gleiche Regierung, die nach der Demonstration deutlich machte, dass Schulstreiks für das Klima kein Entschuldigungsgrund sind und daher in der Realität im Wiederholungsfall durch Geldstrafen oder Schulverweise bestraft werden können! Der Versuch, eine kontroverse Diskussion auf den Demonstrationen und innerhalb der Bewegung allgemein zu verhindern, führt daher in Wirklichkeit auf direktem Weg zur Entwaffnung der Bewegung vor den Regierungen.
Eine demokratische und transparente Bewegung heißt, dass jede Einzelperson und jede Gruppe, die mit den grundsätzlichen Zielen der Bewegung, den Klimawandel übereinstimmt, das Recht und in Wirklichkeit auch die Pflicht haben muss, offen zu präsentieren, welche Lösungen sie vorschlagen, um den Klimawandel aufzuhalten. Auf dieser Basis müssen in demokratischen Abstimmungen Beschlüsse gefasst werden und eine verantwortliche Führung gewählt werden, die für jeden klar ersichtlich ist und jederzeitig abwählbar ist.
Wir rufen alle Leserinnen und Leser dazu auf, sich am 24.05. wieder zahlreich an den angekündigten Demonstrationen zu beteiligen und, sofern sie SchülerInnen sind, auch ihre Klassen und Schulen dafür zu mobilisieren. Auf diesen Demonstrationen werden wir genau diese Notwendigkeit argumentieren, den Kapitalismus zu bekämpfen, um den Klimawandel aufhalten zu können.
- Stopp dem Klimawandel!
- Weg mit der Regierung Kurz, weg mit den Regierungen der Reichen, weg mit dem Kapitalismus!
- Für die Enteignung der großen, umweltzerstörenden Konzerne!
- Für eine demokratisch geplante, sozialistische Wirtschaft!
Wien, 23.5.2019