Im EU-Wahlkampf hat Julia Herr, die rote Jugendkandidatin, die Initiative für einen „Green New Deal“ gestartet. Sandro Tsipouras hat sich angeschaut, ob dieses Programm umsetzbar ist und ob es mit den politischen Grundsätzen der Sozialistischen Jugend (SJ) in Einklang steht.
Die SJ hat eine eindeutige Position zur EU: „Die EU ist ein Wirtschaftsbündnis, das die Interessen der Banken und Konzerne vertritt und das Reichtum von unten nach oben verteilt.“ Diese Positionierung lässt nicht viel Raum für die Vorstellung, man könnte die EU zum Positiven verändern. Doch genau darauf zielt der EU-Wahlkampf von Julia Herr ab. Mit dem Konzept für einen „Green New Deal“ wird dieser Ansatz ganz deutlich.
Damit bezieht sich die SJ bewusst auf das gleichnamige Programm von Alexandria Ocasio-Cortez an, Kongressabgeordnete und Aushängeschild der Demokratischen SozialistInnen in den USA. Ocasio-Cortez ihrerseits knüpft damit an den „New Deal“ unter Franklin Delano Roosevelt an – ein Paket von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und öffentlichen Investitionen, mit dem der US-amerikanische Kapitalismus in den Jahren 1933 bis 1936 aus der Krise geführt werden sollte.
Wer soll das bezahlen?
Grundsätzlich ist die Strategie des „Green New Deal“ darauf ausgelegt, durch massive Staatsausgaben zwei Dinge zu erreichen: Erstens die Verbreitung umweltschonender Technologien (thermische Sanierung aller Wohnungen, Aufbau eines europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes) und zweitens einen gutbezahlten (1.700 € Nettogehalt!) Arbeitsplatz für alle, die in der Privatwirtschaft keinen Job finden – das sogenannte „Recht auf Arbeit“.
Zur Frage, wie das finanziert werden soll, schreibt die Verbandsführung der SJ: „Der Staat ist der Schöpfer der Währung. Die Europäische Zentralbank (EZB) kann kostenlos und unbegrenzt auf den von ihr verwalteten Konten von Banken und staatlichen Institutionen Geld aufbuchen. Diese Möglichkeit planen wir für den Green New Deal zu nutzen.“
Einfach ausgedrückt bedeutet das: Die SJ-Führung will ihr Programm finanzieren, indem Geld gedruckt wird.
Wundersame Geldvermehrung
Diesem Konzept liegt die sogenannte „Modern Monetary Theory“ (MMT) zugrunde, die auch von Alexandria Ocasio-Cortez als Prinzip der Finanzierung ihrer Reformvorschläge vertreten wird. Die „Modern Monetary Theory“ ist eine relativ junge Schule der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre, die unter dem Eindruck der Finanzkrise von 2008 und ihrer Folgen in bürgerlichen Kreisen an Einfluss gewonnen hat. Diese Strömung erkennt an, dass das technologische und wirtschaftliche Potential für ein glückliches und nachhaltiges Leben für alle Menschen vorhanden ist. Aber es fehlt – ihnen sowohl als auch dem Staat – das Geld dazu. Dies wird als das Kernproblem betrachtet. Die Lösung: Der Staat schafft Geld zu dem Zweck, dass alle Menschen nach ihren Bedürfnissen auf den gesellschaftlichen Reichtum zugreifen können. Dieses Konzept ist auch unter den Namen „Magic Money Tree“ oder „Helicopter Money“ bekannt geworden – nach dem sarkastischen Vorschlag, man könne zur Belebung der Wirtschaft einfach Geld an die Leute bringen, indem man es aus Hubschraubern abwirft.
Seit es den Kapitalismus gibt, ist das Drucken von Geld eine verlockende Option gewesen, um dem Staat aus finanziellen Engpässen herauszuhelfen. Scheinbar ohne den Kapitalisten auf die Füße zu treten, lassen sich alle Finanzierungsengpässe lösen. Doch wenn Geld drucken die „eierlegende Wollmilchsau“ ist, warum macht das dann nicht einfach jede Regierung jetzt schon? Die Erfahrung zeigt deutlich, dass massenweise neu geschaffenes Geld eine von zwei Auswirkungen hat. Entweder kommt es nicht bei den Menschen an und verbleibt in der Finanzwirtschaft, wo es riesige Spekulationsblasen füllt, die die Weltwirtschaft mit heftigen Erschütterungen bedrohen – das erleben wir gerade aufgrund der Geldpolitik der USA und der EU. Oder es kommt bei den ArbeiterInnen, in der „Realwirtschaft“ an und löst dort eine horrende Inflation, also explosive Preissteigerungen, aus, die die Kaufkraft des Geldes zunichtemachen.
Die Grenzen der Steuerpolitik
Die VertreterInnen der „Modern Monetary Theory“ behaupten, der Staat könne eine Inflation eindämmen, indem er über Steuern das „überschüssige“ Geld wieder zu sich zurückholt. Im „Green New Deal“ lesen wir: „Der Staat soll dabei helfen, Preisstabilität zu erzeugen: Wenn der Staat seine Preissteigerungen moderater ausfallen lässt und die Kapazitäten der Wirtschaft erhöht, dann senkt er bei stabilem Lohnwachstum die Inflationsrate.“
Es ist nicht ganz klar, was für Preissteigerungen hier gemeint sind. Die mit Abstand größte direkte Einwirkung auf Preise hat der Staat im Kapitalismus jedenfalls durch Steuern.
Will man diese Preissteigerungen „moderater“ ausfallen lassen, dann wird man Steuern senken müssen. Das erhöht allerdings die „Kapazitäten der Wirtschaft“ – wenn darunter die Geldbeutel der KapitalistInnen verstanden werden. Die Inflation lässt sich dadurch jedoch kaum bekämpfen, denn die KapitalistInnen sind nicht gezwungen, ihre Produkte billiger zu machen, nur weil sie weniger Steuern bezahlen müssen – vielmehr werden sie diese Gelegenheit nutzen, um ihre Gewinnspanne zu erhöhen. Gleichzeitig reißen Steuersenkungen weitere Löcher ins Staatsbudget, die durch weiteres Gelddrucken gestopft werden müssten – also lösen sie nichts.
Bei Steuererhöhungen hingegen werden die Kapitalisten keinen Einschnitt in ihre Profite einfach so dulden, sondern immer versuchen, die Kosten auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, indem Lohnkosten gedrückt oder Preise erhöht werden. Steigende Steuern hingegen führen also fast immer direkt zu Preissteigerungen – und damit einer höheren Inflation.
Wir sehen: Es ist unmöglich, über Steuern etwas daran zu ändern, dass die KapitalistInnen die herrschende Klasse sind und damit die Wirtschaft kontrollieren, sich den größten Teil des gesellschaftlichen Reichtums privat aneignen und dass die Arbeiterklasse am Ende den Kürzeren zieht. Dass das alles von der „Modern Monetary Theory“ nicht verstanden wird, liegt einfach daran, dass man sich weigert, bei der Analyse einen Klassenstandpunkt einzunehmen und den Klassenkampf in der Gesellschaft zur Kenntnis zu nehmen. Für die bürgerliche Ökonomie ist das typisch. Als MarxistInnen sollten wir einen Schritt weiter sein!
Wir sind der Auffassung, dass der Staat zur Lösung dieser Aufgaben nicht Geld aus dem Nichts erschaffen, sondern dafür sorgen sollte, dass der in der Gesellschaft bereits vorhandene Reichtum – in Form von Produktionsanlagen, Fabriken, Forschungsabteilungen der Unternehmen usw. – zielführend eingesetzt wird. Dazu muss man ihn aber den Leuten, die ihn jetzt besitzen, erst einmal wegnehmen und unter demokratische Kontrolle stellen. Das aber bedeutet, den Kapitalismus abzuschaffen und den Sozialismus aufzubauen.
Der Versuch, eine Alternative zu formulieren, ohne diese Tatsache klar auszusprechen, führt dazu, dass Tatsachen ausgeklammert werden, die für SozialistInnen eigentlich offensichtlich sind: Der größte Teil der Emissionen – 55% in Österreich – stammt aus den Sektoren Energie, Industrie und Landwirtschaft, also aus der Privatwirtschaft. Weltweit sind 100 Unternehmen für 70% der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die kapitalistische Produktionsweise der Profitmaximierung ist die zentrale Ursache für den Klimawandel, die im „Green New Deal“ aber gar keine Erwähnung findet.
Sozialistische Perspektive
Das Wort „Kapitalismus“ kommt ebenso wie „Sozialismus“ im Programm gar nicht vor. Stattdessen wird argumentiert: „Der Markt alleine kann die Probleme unserer Zeit nicht lösen“. Oder: Das Manifest „soll an die österreichische Erfolgsgeschichte der Vergangenheit anknüpfen und Österreich fit für die Zukunft machen.“
Eine vom Verbandsvorstand der SJ Mitte Februar mehrheitlich beschlossene Resolution hatte klargemacht, dass „nur die Überwindung des Kapitalismus und der Kampf um eine sozialistische Gesellschaft den Klimawandel aufhalten kann“. Damals wurde beschlossen, dass das in den Materialien und Wahlslogans der SJ auch so argumentiert wird. Wir müssen festhalten: Das ist nicht passiert. Das Programm der Verbandsführung der SJ ist kein sozialistisches Programm, das eine Überwindung des Kapitalismus anstrebt, sondern ein keynesianistisches Programm, das versucht, die Probleme zu lösen, ohne den Kapitalismus anzugreifen.
Damit wird die einzige reale Möglichkeit vergeben, die eine Kandidatur zum besonders zahnlosen EU-Parlament für Linke bieten würde. Notwendig wäre es, diesen Wahlkampf als Bühne zu benutzen, um den hunderttausenden Jugendlichen und vom Rechtskurs der Sozialdemokratie abgestoßen ArbeiterInnen darzulegen, dass eine sozialistische Umwälzung der Gesellschaft notwendig und möglich ist. So würde das Bewusstsein gehoben werden und der Kampf gegen den Kapitalismus tatsächlich einen Schritt nach vorne gebracht.