Welche Rolle Sebastian Kurz zur Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse spielt und warum er in seiner Funktion als Außenminister als innenpolitischer Rettungsanker agieren kann, erklärt Stefan Wagner.
Sebastian Kurz schwebt in seinem Amt als Außenminister auf einer Welle der medialen Zuneigung. Er gilt als einzige Rettung für die höchst unpopuläre ÖVP, die ohne Kurz wahrscheinlich deutlich unter 20 Prozent fallen würde.
Kurz ist Bummelstudent der Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Nebenbei bekleidete er auch Führungspositionen in der Jungen ÖVP (JVP) und war von 2010 bis 2011 Abgeordneter zum Wiener Gemeinderat und Landtag. Sein damaliger Wahlkampf („schwarz ist geil“) versuchte am Lebensgefühl der Goldenen Jugend der bürgerlichen Vorstädte anzusetzen. Auffallend war bereits damals der materielle Aufwand (gratis Discos und Nobelkarossen) hinter Kurz‘ für sich genommen lächerlicher Kampagne. Im Juni 2011 kam der große politische Durchbruch, als er im Rahmen einer Kabinettsumbildung als neuer Staatssekretär für Integration im Innenministerium vorgestellt wurde. Vergleicht man seine damaligen Aussagen mit den heutigen, so erkennt man noch eine bürgerlich-liberale Herangehensweise an die Integrationsthematik unter dem Stichwort „Integration durch Leistung“. Kurz konnte sich mit dieser teuer in Boulevard-Medien platzierten Kampagne ein Netzwerk von gut ausgebildeten MigrantInnen aufbauen. Dieses Netzwerken zur maximalen Ausdehnung seines politischen Einflussbereichs ist eine Konstante in seiner politischen Vita.
Nach der Nationalratswahl 2013 ging es für Kurz noch weiter die Leiter hinauf. Er übernahm das Außenministerium, im März 2014 wurde ihm der Bereich „Integration“ zugeschanzt. Im November 2014 präsentierte er als gemeinsame Kampagne des Außenministeriums mit dem vom Ministerium finanzierten Österreichischen Integrationsfonds, ZUSAMMEN:ÖSTERREICH, den Hashtag #stolzdrauf. ÖsterreicherIn zu sein, konnte man sich vor drei Jahren durch individuelle Bemühungen noch erarbeiten. Heute setzten die Bürgerlichen auf einen Staatsbürgerschaftsrassismus (siehe die Debatte um BürgerInnen mit Doppelstaatsbürgerschaft), der zunehmend mit einem angeblichen Unterschied im Kulturniveau („keine Zuwanderung aus sehr kulturfernen Regionen“ so Kurz) begründet wird.
Anfang 2017 übernahm Außenminister Kurz den Vorsitz für Österreich in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Gleich am Anfang stand ein Besuch des EU-Russland-Kriegsgebietes in der Ost-Ukraine auf dem Programm. Dabei wollte Kurz im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen gegen Russland eine Duftmarke setzen, indem er vorschlug, dass eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen im Gegenzug für Fortschritte im Ukraine-Konflikt denkbar sei. Dies entspricht der Position des österreichischen Kapitals, das aufgrund der österreichischen Kapitalinvestitionen und der Energieabhängigkeit um einen Ausgleich mit Russland bemüht ist.
Der Syrien-Konflikt und damit die Flüchtlingsthematik brachten ihm öffentliche Aufmerksamkeit. In der Zeit der medial inszenierten Flüchtlingskrise konnte dem Vorstadt-Schnösel ein Image des Machers und Durchgreifers zugeschrieben werden. Obwohl nicht von ihm erfunden, wurde ihm die Schließung der Balkan-Route für Flüchtlinge durch neue Eiserne Vorhänge an den Gürtel geheftet.
Ein weiteres Markenzeichen seiner Politik ist der permanente Schaukampf mit der Regierung Erdogan. Dies erfolgt zu beiderlei Nutzen. Für die tausenden Toten im Mittelmeer macht er NGOs verantwortlich, die Ertrinkende retten. Weiter dienen Attacken gegen „Zuwanderer ins Sozialsystem“ (Kürzung der Kinderbeihilfe und Ausschluss von Mindestsicherung und Arbeitslosenversicherung) als weiteres Asset der permanenten Inszenierung als rot-weiß-roter Macher. Dass die sogenannte Zuwanderung ins Sozialsystem ein absolutes Marginalpänomen von wenigen dutzenden Fällen (etwa bei der Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld in Österreich, das durch Ansprüche aus anderen EU-Ländern begründet ist) ist, tut der wohlwollenden Schlagzeile keinen Abbruch.
Diese Stilisierung von Sebastian Kurz als jungen, pragmatischen Politiker, der mit ruhiger Hand die Geschicke national, europaweit, ja sogar global lenkt, dient der Stabilisierung des bürgerlichen Lagers. Kurz ist eine Inszenierung des Mediaprint-Konzerns (Kurier, Krone, profil, News), des größten privaten Medienkonzerns in Österreich. Dieser wird politisch von der führenden Kapitalgruppe Österreichs, dem Raiffeisenimperium, dominiert. Kurz und der Raika-Sektor arbeiten personell und ideologisch höchst erfolgreich nach Innen und Außen. Sie machen Rassismus und Nationalismus zur Grundlage der Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse. Es gilt, ein Alternativ-Projekt zur Großen Koalition zu entwickeln, für die das Kapital keine Liebe mehr hat.
Rund um Sebastian Kurz wurde ein Netzwerk von Bewunderern bzw. Abhängigen aufgebaut. Parteiübergreifende Caféhausgespräche mit politischen Eliten benutzt er dazu, eine höhere Hebelwirkung im komplizierten inneren Machtgefüge der ÖVP zu erzielen. Öffentlich ruchbar wurden dabei das noch offene Match um die ehemalige unabhängige Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss zwischen den NEOS und Kurz. Kurz lädt außerdem regelmäßig zu informellen Gesprächen mit Wirtschaftstreibenden. Ergebnis dieser Bemühungen ist die Medienkampagne gegen Arbeitsschutzgesetze, für die er die Waxing-Lady Katja Wagner rekrutierte (wir berichteten). Wagner hat ihre Anteile an der Beauty-Kette mittlerweile verkauft und dockte als „loses Parteimitglied“ bei einem neuen Wirtschaftsprojekt der Volkspartei an. Dabei sollen neue Reformansätze für Betriebe und Standorte erarbeitet werden.
Dass der Raiffeisen-Konzern Kurz nicht nur aus strategischen Gründen, sondern auch aus unmittelbarem Geschäftsinteresse unterstützt, liegt auf der Hand. Die Austrian Development Agency (ADA), die eigentlich Entwicklungsprogramme verwalten soll, wird dazu benutzt, Hilfsgelder für Shrimps- und Zuckerunternehmen des Raiffeisen-Konzerns zu lukrieren (vgl. Kontrast-Blog vom 5.4.2017). Die ADA dient aber nicht nur als Melkkuh, sondern auch als Restpostenbörse für ehemalige Kurz-Leute aus der ÖVP. So hat er drei seiner engsten Mitarbeiter direkt aus seinem Kabinett auf Leitungsfunktionen im Ausland gehievt (Kurier vom 9. 4. 2017). Das Ziel: eine gute Versorgung der eigenen Mitarbeiter, um sich ihre politische Loyalität zu sichern. Auch interne Planungsstellen im Ministerium wurden mit einer frisierten Ausschreibung passend gemacht (vgl. Kontrast-Blog vom 15. 3. 2017). Kurz kommt da seine politische Vorarbeit in der JVP, deren Obmann er seit 2009 ist, gerade recht. Zahlreiche Verbündete, die wichtige Jobs besetzen, kommen aus ihr. Die offiziell 100.000 Mitglieder zählende Organisation wurde vom Wurmfortsatz zu einem wichtigen Player innerhalb der ÖVP-Parteihierarchie. Die wichtigsten Köpfe sind dabei bewusst stolz darauf, welchen Einfluss sie haben bzw. sie mit z. B. dem neu gegründeten „Club35“ verstärkt einnehmen wollen.
Kurz und seine Verbündeten lassen keine Gelegenheit aus, die Stabilisierung des politischen Systems der Ausbeutung der Arbeiterklasse sicherzustellen. Kurz‘ Stärke liegt einzig und allein in der Schwäche der Führung der Arbeiterbewegung begründet, die keine politische Alternative zu seiner Demagogie aufzuzeigen vermag. Seine Inszenierung dient dabei nur einem Zweck: die ÖVP zu einem schlagkräftigen Instrument zum Angriff auf die demokratischen und sozialen Rechte der österreichischen Arbeiterklasse zu machen.