USA. Warum die bürgerliche Presse zum Angriff gegen ein Subreddit bläst und wie die Arbeiterklasse um eine neue Führung kämpft, berichtet Christoph Pechtl.
Seit Beginn der Pandemie schoss die Mitgliederzahl eines Internetforums auf der Seite Reddit in die Höhe: Das Unterforum (Subreddit) „r/Antiwork“ wuchs von knapp 100.000 auf 1.8 Mio. BenutzerInnen an.
„Das sind doch nur Faulenzer, die nicht mehr arbeiten wollen”, erklärt uns die bürgerliche Presse und zitiert die Beschreibung der Plattform: „Arbeitslosigkeit für alle, nicht nur für die Reichen”. Doch schon längst ist das Forum über die utopischen Vorstellungen der ursprünglichen Forumsgründer hinausgewachsen. Der überwiegende Teil der Beiträge dreht sich um miserable Arbeitsbedingungen, untragbare Überstunden, Personalmangel und Löhne, von denen man nicht leben kann – ein Sammelbecken von aufgestauter Wut über die tagtäglichen Torturen im Kapitalismus. Schnell wird klar: Hier geht es nicht um die Ablehnung von Arbeit per se, sondern um die ausbeuterische Form, die Arbeit in unserer Gesellschaft annimmt.
Als Lösung wird jedoch die Flucht aus dem Beruf propagiert. Mangels einer klassenkämpferischen Perspektive wird stets darauf gesetzt, individuell seinen Problemen am Arbeitsplatz zu entkommen. Ein Teil der Online-Community hat die Hoffnung, der Personalmangel sei ein hinreichendes Druckmittel, um die Unternehmen dazu zu zwingen, Arbeitsrechte anzuerkennen und bessere Arbeitsbedingungen zu etablieren.
Doch selbst auf Reddit gab es Gegenwind: Was sollen ArbeiterInnen machen, die nicht einfach kündigen und schnell genug einen neuen Job finden können? Wird der neue Job nicht dieselben Probleme mit sich bringen? Und was passiert mit meinen KollegInnen, die sowieso unter Unterbesetzung leiden, wenn ich auch noch kündige?
In den USA kündigten viele aufgrund der schlechten Bedingungen ihren Job.
Als im Oktober eine Streikwelle unterschiedlichste Sektoren der USA erfasste, mehrten sich die Posts über kollektive Arbeitskämpfe. Ob die Streiks bei John Deere oder die Gründung von Gewerkschaften bei Starbucks, alles wurde euphorisch geteilt und diskutiert. Immer mehr UserInnen drängten auf konkrete Aktionen. Als die Konzernführung von Kellogg‘s streikende ArbeiterInnen entlassen wollte, um sie durch StreikbrecherInnen zu ersetzen, begannen Reddit-UserInnen den Kampf zu unterstützen. In kürzester Zeit legten tausende Fake-Bewerbungen die Kellogg’s-Seite lahm.
In den Kommentarspalten erwachen dabei Fragen wieder zum Leben, die so alt sind wie die Arbeiterbewegung selbst. Wieso braucht es Gewerkschaften? Wie organisiert man einen Streik? Der Aufruf, sich gewerkschaftlich zu organisieren, geistert seitdem durch die Online-Foren.
Dies spiegelt die allgemeine Stimmung in den USA wider. Nach einer aktuellen Umfrage ist die Unterstützung für Gewerkschaften so hoch wie zuletzt 1965. Eine neue Schicht kämpferischer ArbeiterInnen tritt den Gewerkschaften bei und kommt immer öfter in Konflikt mit der alteingesessenen Bürokratie.
Seit Jahrzehnten beschränkt sich die Führung der Gewerkschaften auf Klassenkollaboration und verpulvert dabei jährlich mehrere Millionen an Dollar an die Demokratische Partei. Dabei werden jegliche Kritik und der Kampf für eine Demokratisierung der Gewerkschaften hart unterdrückt. Es wird mit Ausschlüssen von kritischen Stimmen gedroht und kämpferische Gewerkschaftsführungen werden ausgetauscht.
Doch immer öfter setzt sich die militante Basis gegen die Bürokratie zur Wehr. Die Beschäftigten von John Deere lehnten mehrmals ein von der Gewerkschaft verhandeltes Angebot ab und setzten ihren Streik fort, wodurch sie einen deutlich besseren Vertrag erkämpfen konnten. Nur wenige Wochen danach gewannen die Mitglieder derselben Gewerkschaft eine Jahrzehnte alte Auseinandersetzung gegen den Willen ihrer Führung: In einer historischen Wahl errangen sie das Recht, ihre Vertreter direkt zu wählen.
In der Baugewerkschaft in Seattle wiederum geriet die Basis in Konflikt mit der Gewerkschaftsführung, indem sie vier miese Verträge zurückwies. Kurzerhand entzog die Gewerkschaftsführung einigen Betrieben die „Streik-Legitimation”, was die kämpferischen Arbeiter nicht davon abhielt, weiter zu streiken.
Ganz zu schweigen von den Starbucks-MitarbeiterInnen, die von den Gewerkschaftsspitzen als ohnehin unorganisierbar angesehen wurden. Die ersten Filialen beweisen nun das Gegenteil, und Dutzende andere sind auf dem Weg zur Organisierung.
Die Kampfbereitschaft der US-amerikanischen Arbeiterklasse wächst durch diese Erfolge weiter an. Sie ist dabei, ihre Gewerkschaften zurückzuerobern und zu dem kämpferischen Werkzeug umzuformen, das die Arbeiterklasse braucht.
(Funke Nr. 201/23.2.2022)