Im Vietnamkrieg musste der US-Imperialismus erstmals eine militärische Niederlage einstecken. Ein entscheidender Faktor waren die Antikriegsproteste, die ihren Ausgangspunkt an den Universitäten hatten. Letztendlich war es aber die US-amerikanische Arbeiterklasse – teils in Uniform –, die den Ausschlag gab. Von Valentin Iser
Schon ab den 1950ern intervenierten die USA in Vietnam und stützten ein autoritäres Marionettenregime im Südvietnam gegen die kommunistische Befreiungsbewegung (Vietcong). 1963 begann die direkte militärische Intervention von Seiten der USA, um zu verhindern, dass der Süden „in die Hände der Kommunisten fällt“.
Was eine schnelle, saubere Militäraktion hätte sein sollen, erwies sich bald schon als ein blutiger Krieg, in den die USA immer tiefer hineingezogen wurden. Die Zahl der in Vietnam stationierten US-Soldaten stieg von 23.300 (1963) auf 184.000 (1966) und erreichte seinen Höhepunkt 1969 mit 442.000 Mann.
Studierende und die Jugend im Allgemeinen waren schon immer ein gesellschaftliches Stimmungsbarometer und Vorbote zukünftiger Bewegungen der Arbeiterklasse. Die Bewegung gegen den Vietnamkrieg in den USA ist ein gutes Beispiel dafür. Die Studierenden beteiligten sich früh an Antikriegsdemonstrationen, organisierten Sit-ins, besetzte Universitäten; einige Studentenorganisationen trafen sogar Vertreter der Vietcong. Über 100 Colleges in den USA mussten vorübergehend geschlossen werden und teilweise sogar das Militär intervenieren – etwas, was wir auch 2024 wieder beobachten können! Damals wie heute wurde daraus eine internationale Bewegung, die weltweit eine ganze Generation radikalisierte und zu Revolutionären machte.
Dabei waren die Studenten damals meist gar nicht selbst von der Wehrpflicht betroffen. Jugendliche aus wohlhabenderem Hause konnten der Wehrpflicht meist entgehen. Wer in den Krieg eingezogen wurde, war ganz klar anhand von Klassenlinien entschieden, und die Wehrpflicht betraf vor allem die unterdrücktesten Teile der Gesellschaft: junge Arbeiter und überproportional die schwarze Bevölkerung. So ist es auch kein Zufall, dass es in der Bürgerrechtsbewegung in jenen Jahren zu einer Radikalisierung der Jugend kam, was in der revolutionären Bewegung rund um die Black Panther Party kulminierte.
So waren es letztendlich weder die Studenten noch die kleinbürgerlichen Intellektuellen, die diesen Krieg beendeten. 1968 wurde die Haltung der US-Arbeiterklasse zum Krieg nachhaltig erschüttert, als die zerstörerischen Ausmaße und die Kriegsverbrechen der USA rund um die Tet-Offensive für große Teile der Bevölkerung offensichtlich wurden. In einer Umfrage aus dem Jahr 1971 befürworteten nur 60% der Befragten mit Uni-Abschluss (College) einen Rückzug aus Vietnam, allerdings 75% der Schul-Absolventen und 80% der Befragten, die keinerlei Sekundarbildung hatten. Diese Kriegsopposition der Arbeiterklasse war das Resultat ihrer unmittelbaren Erfahrungen. Proletarier erlebten diesen grausamen Krieg entweder selbst oder in ihrem persönlichen Umfeld, und wollten nicht, dass ihre Kinder für eine Sache sterben mussten, an deren Richtigkeit sie nicht glaubten.
Bereits Mitte der 1960er sprachen sich immer mehr Gewerkschaften offen gegen den Krieg aus. In den 1970ern kam es zu immer mehr Streiks, 1971 gingen in Washington über 500.000 Menschen auf die Straße.
Doch die größte Gefahr kam aus dem Staatsapparat selbst: durch die extreme Demoralisierung der Soldaten brachen in der US-Army in Vietnam selbst immer mehr Meutereien aus. Regelmäßig warfen einfache Soldaten beim Vorbeigehen Granaten in die Quartiere von Vorgesetzten. Es gab über 600 nachgewiesene Fälle, wo Offiziere der US-Army von ihren eigenen Soldaten getötet wurden und weit mehr, wo dies vermutet wurde. Ein amerikanischer General meinte, es gebe nur eine historische Analogie für den Zustand der US-Truppen: die Petrograder Garnison 1917, also die Hochburg der Kommunisten in der Russischen Revolution. Auch wenn der Krieg die Wirtschaft zu einem gewissen Grad belastete, hätten die USA noch viele weitere Jahre in Vietnam bleiben können. Aber die Verweigerung der Arbeiterklasse, in diesem Krieg zu kämpfen, machte das letztendlich völlig unmöglich.
Alan Woods schreibt in Marxism and the USA:
„Hätte es zu der Zeit eine revolutionäre Partei in den USA gegeben, wäre das Land am Scheidepunkt einer sozialen Revolution gestanden. Das ist keine Übertreibung. Eine präsidentielle Kommission wurde beauftragt das Kent-State-Massaker [wo Soldaten der Nationalgarde 1970 mehrere unbewaffnete Studenten erschossen, Anm.] zu untersuchen und schloss folgendes: ‚Die Krise hat ihre Wurzeln in einer Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, die so tief ist, wie keine andere seit dem Bürgerkrieg. Ein Staat, der dazu getrieben wird, die Waffen des Krieges gegen seine Jugend einzusetzen, ist ein Staat am Rande des Chaos.‘ Das Wort ‚Chaos‘ müssen wir an dieser Stelle als Synonym für Revolution verstehen.“
In Abwesenheit der revolutionären Partei schaffte es die US-Arbeiterklasse zwar, die Truppen heimzuholen, allerdings konnte der US-Kriegsmaschinerie kein Ende bereitet werden. Das ist die Aufgabe der Arbeiterklasse und der Jugend heute, die aus den Erfahrungen und Fehlern der Vergangenheit gelernt hat! Dafür kämpfen unsere Genossinnen und Genossen in den USA.
(Funke Nr. 224/30.05.2024)