Im Bundesstaat Wisconsin hat der Gouverneur zum Generalangriff auf die öffentlich Bediensteten geblasen. Und die nehmen den Kampf auf – ein Vorgeschmack auf eine neue Klassenkampfwelle im ganzen Land.
Machtvoll schallt es schier unaufhörlich von den Wänden des Kapitols von Madison wider: „The people united will never be defeated“ – Das vereinte Volk kann niemals besiegt werden! LehrerInnen und andere öffentlich Bedienstete besetzten am 28. Februar den Regierungssitz des Bundesstaats Wisconsin im Norden der USA. Zuvor hatte die South Central Federation of Labor (SCFL), die Dachorganisation der Gewerkschaften im Süden Wisconsins, den Beschluss gefasst, einen Generalstreik am Tag der Beschlussfassung vorzubereiten.
Was war geschehen? Der republikanische Gouverneur Scott Walker hatte massive Budgetkürzungen angekündigt. Außerdem sollte den Gewerkschaften das Recht genommen werden, Kollektivvertragsverhandlungen zu führen.
Am 5. März gingen schließlich trotz Schneesturms rund 100.000 Menschen auf die Straße. Es sind nicht nur öffentlich Bedienstete, die hier marschieren – Mr. Walker hat die gesamte ArbeiterInnenklasse auf die Beine gebracht. Selbst die Polizeigewerkschaft marschiert unter dem Banner „Cops for Labour“ und hat sich öffentlich geweigert, die Besetzung aufzulösen. Die Studierenden und SchülerInnen werden sofort mitgerissen: „What’s disgusting? Union busting!“, skandieren sie – „Was ist widerwärtig? Gewerkschaften zu attackieren!“ Auch die Farmer, gebeutelt von der Wirtschaftskrise und in instinktiver Opposition gegen die Großkapitalisten hinter der Republikanischen Partei, sind mit dabei. In einer Tractorcade, einer riesigen Traktordemonstrationen, bekunden sie ihre Solidarität: „Walker hat einen schlafenden Riesen geweckt“ steht da auf einem Traktor. Auf den Landwirtschaftsmaschinen weht stolz die amerikanische Fahne.
Mit einem Paukenschlag ist die Gewerkschaftsbewegung wiedergeboren. Trotz eines landesweiten Medien-Blackouts ist Wisconsin zu einem Fokuspunkt der ArbeiterInnenbewegung geworden. In Hunderten, vielleicht Tausenden von Gewerkschaftsversammlungen von San Francisco im Westen bis New York an der Ostküste, vom Bundesstaat Washington im Nordwesten bis zur 3.000 Meilen entfernten Hauptstadt Washington DC diskutiert man die Situation im verschlafenen Wisconsin. Denn die Menschen wissen instinktiv: Hier wird die erste Schlacht des bevorstehenden großen Klassenkriegs geschlagen. Die Bewegung hat sich bereits Indianapolis ausgedehnt, einen Nachbarstaat Wisconsins. Dort gingen 25.000 Menschen auf die Straße und verhinderten erfolgreich die Einführung von Anti-Gewerkschaftsgesetzen.
Die Proteste in Nordafrika und im Mittleren Osten haben ihren Teil dazu beigetragen. Unzählige Transparentsprüche mit Verweis auf Ägypten zeigen es: Die Welle der Empörung hat sich ihren Weg ausgerechnet über Fox-News in die oftbelächelten US-Vorstadtwohnzimmer gebahnt und von dort bis in die Lehrerzimmer, die Universitäts-Buffets und die gläsernen Büropaläste.
Stürmische Zeiten stehen bevor. Die öffentliche Verschuldung ist ins Maßlose gestiegen, nachdem die Regierung nach dem Börsencrash das Finanzsystem durch Geldspritzen vor dem völligen Zusammenbruch gerettet hat. Doch jetzt stehen ganze Bundesstaaten vor dem Bankrott. Das Big Business weiß, wo noch etwas zu holen ist: bei den Gehältern und Pensionen der Angestellten des öffentlichen Diensts. Dabei sind die bei weitem keine privilegierte Kaste – berücksichtigt man Bildungsgrad und Beschäftigungsjahre, verdienen sie um 4-11 % weniger als ihre KollegInnen in der Privatwirtschaft. Steuererhöhung für Unternehmen und VermögensbesitzerInnen stehen natürlich nicht zur Debatte: „Ausgabenseitig“ heißt das Zauberwort – nicht nur bei uns in Österreich. Doch hier stehen die Gewerkschaften im Weg: Während in der Privatwirtschaft der Organisierungsgrad auf 7% zusammengeschrumpft ist, liegt er im Staatssektor stabil bei 36%. Die Zeitschrift „The Economist“, das furchtlose Organ des anglosächsischen Finanzkapitals, hatte deshalb bereits im Jänner getitelt: „Die Schlacht, die uns bevorsteht – Kampf gegen die Gewerkschaften des Öffentlichen Diensts“.
Die StrategInnen des Kapitals sind in der Frage der Umsetzung gespalten. Geht es nach der Republikanische Partei, müssen die Gewerkschaften weiter zurückgedrängt werden. Die AnhängerInnen der „Tea-Party“, dem äußerst rechten Flügel der Partei, wollen sie am liebsten überhaupt zerschlagen. Nicht umsonst ist der Kampf in Wisconsin eröffnet worden, wo mit Scott Walker ein Vertreter dieses Flügels regiert.
Dann gibt es da noch die Demokratische Partei: Auf den ersten Blick mag sie der ArbeiterInnenbewegung näher erscheinen. Sie bekommt großzügige Wahlkampfspenden von den Arbeitnehmerorganisationen. Einige demokratische Abgeordnete verließen sogar den Bundesstaat und verunmöglichten so zunächst den formellen Beschluss der neuen Gesetze. Entscheidend aber: Sie hüteten sich aber davor, die Gewerkschaften zu Kampfmaßnahmen aufzurufen. Nicht zufällig, denn die Demokraten repräsentieren jenen Teil des Big Business, der auf die Einbindung der Gewerkschaftsbürokratie setzt, um Verschlechterungen durchzubringen – die amerikanische Sozialpartnerschaft, sozusagen.
Ihr Gegenstück finden die Demokraten in der Gewerkschaftsführung. Kurz vor der Ankündigung der SCLF, den Generalstreik vorzubereiten, hatten die Führer der beiden größten Einzelgewerkschaften klar gemacht: Ja zu Gehalts- und Versorgungsleistungskürzungen, nur die KV-Verhandlungen müssen bleiben. Auf dieser Grundlage lässt sich kein Arbeitskampf gewinnen.
Und in der Tat: Am Tag der Beschlussfassung im Parlament von Wisconsin sagte der SCFL-Vorsitzende: „Viele Menschen sprechen über einen Generalstreik … Aber wir sind noch einige Schritte von der Planungsphase entfernt.“ Dies ganze 18 Tage, nachdem die SCFL den Beschluss gefasst hatte, einen Generalstreik vorzubereiten! Statt dessen beteiligt man sich an einer zivilgesellschaftlichen Unterschriftenaktion zur Abberufung der republikanischen Abgeordneten.
Die US-amerikanische ArbeiterInnenbewegung wird also erst lernen müssen, sich aus der tödlichen Umklammerung der Demokratischen Partei zu befreien und ihre eigene Partei zu schaffen. Es wird ein Lernprozess; der Weg wird kein geradliniger sein. Doch die Bewegung wird weiter angeheizt werden, dafür werden die KapitalistInnen und ihre PolitikerInnen ohne Zweifel sorgen.