Eine marxistische Analyse von Donald Trump

Ein Gespenst geht um in Europa. Ein schreckliches Phänomen, als wäre es durch schwarze Magie aus der finstersten Hölle heraufbeschworen worden und plötzlich aufgetaucht, um die guten Menschen auf dieser Erde zu plagen und zu martern, sie um den Schlaf zu bringen und ihre Albträume in Besitz zu nehmen. Von Alan Woods.
Das Schlimmste daran ist, dass es scheinbar niemand erklären kann. Es stellt sich dar wie eine unaufhaltsame, alles hinwegfegende Naturgewalt. In erstaunlich kurzer Zeit ist es ihm gelungen, das wohlhabendste und mächtigste Land der Erde unter seine Kontrolle zu bringen.
Die vereinten Kräfte des Großen und Schönen, all die Verteidiger der „regelbasierten Weltordnung“, die Schutzpatrone von Apfelkuchen und Mutterfreuden haben sich zum Sieg über dieses Ungeheuer der Ungerechtigkeit verbündet.
Unsere wunderbare freie Presse – jeder weiß, sie ist die größte Vorkämpferin der Meinungsfreiheit – zog wie ein Mann in den hehren Kampf um Demokratie, Freiheit, Recht und Ordnung.
Alle sind sie gescheitert.
Dieses Gespenst heißt Donald J. Trump.
Der völlige intellektuelle Bankrott der herrschenden Klasse offenbart sich in der gänzlichen Unfähigkeit der Kapitalstrategen, die gegenwärtige Lage zu begreifen, geschweige denn zufriedenstellend einzuschätzen, was in Zukunft passieren wird.
Dieser geistige Niedergang hat in den führenden Politikern Europas seinen Tiefpunkt erreicht. Sie haben diesen einst mächtigen Kontinent in den wirtschaftlichen, kulturellen und militärischen Sumpf getrieben und ihn völlig hilflos gemacht.
Nachdem sie über Jahrzehnte alles für den Vorteil des US-Imperialismus geopfert und sich an die Demütigung gewohnt hatten, Washingtons unterwürfige Lakaien zu sein, wurden sie nun von ihren ehemaligen Verbündeten im Stich gelassen und müssen selbst schauen, wo sie bleiben.
Die Niederlage in der Ukraine und der Zusammenbruch ihrer absurden Träumereien von einem vernichtenden Sieg über Russland haben ihre Dummheit nun völlig zur Schau gestellt. Jetzt sind sie mit einem mächtigen und erstarkten Russland konfrontiert, einer riesigen Armee, mit modernsten Waffen bis an die Zähne bewaffnet und durch jahrelange Kampferfahrung gestählt.
In dieser kritischen Situation hat die Macht sie verlassen, die sie verteidigen sollte. Wie kopflose Hühner laufen sie umher und überstürzen sich in der Hast, ihre unerschütterliche Unterstützung für Wolodymyr Selenskyj zu beteuern.
Sie schimpfen und wüten gegen den Mann im Weißen Haus, den sie allein für die Katastrophe verantwortlich machen, die sie plötzlich ereilt hat.
Doch diese ganze Hysterie drückt nur ihre Panik aus – und diese wiederum die tiefsitzende, nackte Angst. Hinter der trotzigen Fassade sind diese Führer vor Angst erstarrt wie Kaninchen im Scheinwerferlicht.
Wenn wir das Klagelied aus Empörung und Beschimpfungen kurz ausblenden und uns fragen, was das alles bedeutet, so zeichnen sich im dichten Nebel der Medienhysterie bald die verschwommenen Umrisse der Wahrheit ab.
Für jeden, der auch nur halbwegs bei Verstand ist, ist es offensichtlich, dass eine so gewaltige Krise nicht das Werk eines einzelnen Mensch sein kann, selbst wenn er über übermenschliche Kräfte verfügen würde. Diese „Erklärung“ erklärt nichts und gehört eher in das düstere Reich der Dämonologie als in eine politische Analyse.
In apokalyptischen Tönen beschwört uns der Guardian:
„Ob wir es wollen oder nicht, wird Trump die globale Agenda verändern. Der Kampf gegen den Klimawandel wird einen schweren Rückschlag erleiden, die internationalen Beziehungen werden kuhhändlerischer werden, der Kampf der Ukraine gegen den russischen Aggressor könnte verraten werden und Taiwan wird in den Lauf einer chinesische Waffe blicken. Überall werden liberale Demokratien, auch Großbritannien, von ihren eigenen Trump-Imitatoren unter Druck gesetzt werden, angetrieben von wahrheitsverachtenden sozialen Medien.
Die amerikanischen Wähler haben diese Woche etwas Schreckliches und Unverzeichliches getan. Scheuen wir uns nicht, zu sagen: Sie haben sich von der gemeinsamen Ethik und den Regeln abgewandt, die die Welt seit 1945 – im Großen und Ganzen – zum Besseren geprägt haben. Die Amerikaner sind zu dem Schluss gekommen, dass Trump nicht „weird“ ist, wie vorübergehend Mode war, zu behaupten, sondern Mainstream. Die Wähler sind am Dienstag zur Wahl gegangen und haben weird gewählt. Die Amerikaner müssen mit den Konsequenzen leben.“ (The Guardian, 6. November 2024)
Na, wenn das so ist. Der Guardian, jener abscheulichste, schamloseste Ausdruck liberaler Heuchelei, gibt den Amerikanern die Schuld – sie haben die unverzeihliche Sünde begangen, in einer freien und fairen Wahl für einen Kandidaten zu stimmen, der ihm nicht gefällt.
Und wie erklärt man diesen empörenden Regelverstoß? Der Guardian teilt uns völlig unironisch mit, dass es an der „Weirdness“ des amerikanischen Volkes liege. „Weird“, also komisch, ist anscheinend alles, was mit den Vorurteilen der Redaktion des Guardian nicht übereinstimmt.
Was sie wirklich meinen, ist, dass die amerikanischen Wähler – Millionen gewöhnlicher Arbeiterinnen und Arbeiter – eigentlich nicht befähigt sind, ihr Wahlrecht auszuüben, weil sie eben organisch „weird“ sind.
Das heißt einfach, dass alle Amerikaner von Natur aus zum Rassismus, zum Hass auf Minderheiten und zu einem unverständlichen Widerwillen gegen die Prinzipien des bürgerlichen Liberalismus neigen. Deswegen haben sie eine natürliche Abneigung gegen die Demokratie und eine Neigung zum Faschismus, den eben Donald Trump repräsentiert.
Aber woher kommt diese Weirdness? Waren dieselben amerikanischen Wähler auch „weird“, als sie für Joe Biden oder Obama stimmten? Offenbar waren sie damals absolut zurechnungsfähig. Was hat sich also geändert?
Das wirklich Komische ist hier nicht das Benehmen der amerikanischen Wähler, deren Entscheidungen durchaus rational und leicht nachvollziehbar sind, sondern die geistigen Verrenkungen dieser erbärmlichen, kleinbürgerlichen, liberalen Schmierfinkenbande, deren Bekenntnis zur Demokratie exakt an dem Punkt endet, wo die Wähler sich „falsch“ entscheiden.
Ihre Vorstellung von Demokratie – nämlich, dass Wahlen nur dann akzeptabel sind, wenn dabei Kandidaten herauskommen, die wir gut finden – erscheint mir dann doch eher „weird“. Sie wurde allerdings eindrucksvoll bestätigt, als vor Kurzem das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Rumänien anulliert wurde, weil die Behörden einfach unglücklich damit waren, dass in der ersten Wahlrunde ein Kandidat gewonnen hatte, mit dem sie unzufrieden waren: Călin Georgescu. Zur Sicherheit wurde ihm dann gleich verboten, an der Wahlwiederholung teilzunehmen, die im Mai stattfindet.
Diese Maßnahmen wurden von der EU-Führung in Brüssel vollständig unterstützt. Und es besteht kein Zweifel, dass The Guardian die Annullierung der Wahl mit Begeisterung gefeiert hat. Offenbar ist das die Methode, um Wahlsiege von Leuten wie Donald Trump zu verhindern!
Hurra! Dreifaches Hoch auf die Demokratie!
Von Anfang an starteten die Medien eine laute Kampagne, um Trump als Faschisten darzustellen. Hier ein paar zufällig ausgewählte Beispiele aus der Presse:
Le Monde: „Trumps erste Wochen als Präsident reichten aus, um dem Albtraum eines faschistischen Amerikas eine beängstigende Realität zu verleihen.“
New Statesman: „Können die Vereinigten Staaten dem Faschismus widerstehen?“
The New Yorker: „Was bedeutet es, dass Donald Trump ein Faschist ist?“
The Guardian: „Trumps Neofaschismus ist da. Hier sind zehn Dinge, die du tun kannst, um ihn zu bekämpfen.“
Auch allerlei Establishment-Figuren äußerten sich in ähnlicher Weise. Mark Milley, ein pensionierter US-Armeegeneral und ehemaliger Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs, gab eine düstere Warnung an die USA heraus: „Er ist der gefährlichste Mensch aller Zeiten. Ich hatte schon den Verdacht, als ich mit dir über seinen geistigen Verfall sprach, aber jetzt wird mir klar: Er ist ein totaler Faschist. Er ist jetzt die größte Bedrohung für dieses Land.“
Kamala Harris stimmte zu, dass Trump ein Faschist sei, während sich Joe Biden immerhin darauf beschränkte, ihn als „halbfaschistisch“ zu bezeichnen. Trotzdem hat er wiederholt gewarnt, dass Trump eine Gefahr für die Demokratie darstelle – eine Meinung, die viele teilen, darunter der Generalstaatsanwalt von Arizona, der zu dem Schluss kommt: „Wir stehen an der Schwelle einer Diktatur.“
Anthony Scaramucci, der kurze Zeit für Trump als Pressesprecher des Weißen Hauses arbeitete, brachte es noch direkter auf den Punkt: „Er ist ein verdammter Faschist. Der Fascho aller Faschos.“
Wie zu erwarten, haben sich auch zahlreiche prominente Figuren der „Linken“ diesem Chor angeschlossen. Alexandria Ocasio-Cortez (die oft als „sozialistische“ Demokratin präsentiert wird) klagt: „Wir stehen am Vorabend einer autoritären Regierung. So sieht der Faschismus des 21. Jahrhunderts aus.“
Und so setzt sich die ermüdende Litanei Tag für Tag endlos fort. Die Absicht ist offensichtlich: Durch ständige Wiederholung soll die Idee als Wahrheit etabliert werden. Diese gewaltigen Heißluftwolken erzeugen viel Hitze – aber kaum Licht.
Offensichtlich wird hier der Begriff „Faschismus“ nicht als wissenschaftliche Definition, sondern mehr als vulgäre Beschimpfung eingesetzt, als Ersatz für Wörter wie „Drecksack“ oder dergleichen.
Solche Beleidigungen mögen kurzfristig dabei helfen, Frust abzubauen. Man schimpft über eine Person, die einem nicht passt, fühlt sich danach erleichtert und geht zufrieden nach Hause, in dem Glauben, einen grandiosen politischen Schlag gegen den Feind gelandet und die Sache der Freiheit irgendwie weitergebracht zu haben.
Leider sind solche Siege praktisch ziemlich nutzlos. Dieser terminologische Radikalismus ist lediglich Ausdruck hilfloser Wut. Wenn man dem verhassten Feind in Wirklichkeit nichts anhaben kann, beglückwünscht man sich eben dafür, dass man ihn aus sicherer Entfernung beleidigt hat.
Wer echte Kämpfe gegen echte Feinde führen will, anstatt wie Don Quijote vor Windmühlen herumzufuchteln, braucht andere, ernstzunehmendere Mittel. Die erste Voraussetzung für einen Kommunisten ist eine präzise, wissenschaftliche Analysemethode.
Der Marxismus ist eine Wissenschaft. Und wie jede Wissenschaft hat er eine exakte Terminologie. Begriffe wie „Faschismus“ oder „Bonapartismus“ haben (für uns jedenfalls) eine klare Definition. Sie sind nicht einfach nur Schimpfwörter oder Etiketten, mit denen man beliebig jeden bekleben kann, der einem nicht passt.
Beginnen wir also mit einer präzisen Faschismusdefinition. Im marxistischen Sinne ist Faschismus eine konterrevolutionäre Massenbewegung, die sich vor allem aus dem Lumpenproletariat und dem wütenden Kleinbürgertum zusammensetzt. Er dient als Rammbock, um die Arbeiterklasse zu zerschlagen und zu vereinzeln und einen totalitären Staat zu errichten, in dem die Bourgeoisie die Staatsmacht an eine faschistische Bürokratie überträgt.
Das zentrale Merkmal eines faschistischen Staates ist eine extreme Zentralisierung der Macht. Die Banken und großen Konzerne bleiben unangetastet, stehen aber unter der Kontrolle eines mächtigen faschistischen Verwaltungsapparats. Im Porträt des Nationalsozialismus beschreibt Trotzki diesen Mechanismus so:
„Der deutsche wie der italienische Faschismus stiegen zur Macht über den Rücken des Kleinbürgertums, das sie zu einem Rammbock gegen die Arbeiterklasse und die Einrichtungen der Demokratie zusammenpreßten. Aber der Faschismus, einmal an der Macht, ist alles andere als eine Regierung des Kleinbürgertums. Im Gegenteil: Er ist die gnadenloseste Diktatur des Monopolkapitals.“
Das sind die Grundzüge des Faschismus. Und wie passt das zum Trump-Phänomen? Wir haben bereits eine komplette Trump-Regierung erlebt. Die Demokraten und das liberale Establishment warnten damals lautstark, dass er die Demokratie abschaffen werde. Das ist nicht passiert.
Es gab keine systematische Unterdrückung von Streiks oder Demonstrationen und erst recht keine Abschaffung der Gewerkschaften. Es fanden weiterhin reguläre Wahlen statt, und am Ende – wenn auch unter lautstarkem Protest – wurde Trump in einem Wahlprozess von Joe Biden abgelöst. Was auch immer man über Trumps erste Amtszeit sagen mag – mit Faschismus hatte sie nichts zu tun.
Der eigentliche Angriff auf die Demokratie kam vielmehr von Biden und den Demokraten, die mit allen Mitteln versuchten, Trump politisch zu erledigen. Der gesamte Jutizapparaat wurde mobilisiert, um ihn mit unzähligen Anklagen vor Gericht zu bringen, um ihm um jeden Preis einen Schuldspruch anzuhängen, ihn sicher hinter Gittern zu verwahren und ihn so davon abzuhalten, sich erneut um das Präsidentenamt zu bewerben.
Die gesamte Medienlandschaft wurde mobilisiert, um ihn systematisch zu diffamieren. Das erzeugte ein Klima, in dem mindestens zwei Mordanschläge auf ihn verübt wurden. Dass Trump nur knapp einem Attentat entgangen ist (und das typisch für ihn als „göttliche Fügung“ darstellte), war letztlich reiner Zufall.
Die Ideologie des Trumpismus – soweit sie überhaupt existiert – hat mit Faschismus herzlich wenig zu tun. Trump ist nicht für einen starken Staat, sondern träumt von einem entfesselten freien Markt, in dem der Staat keine oder nur eine minimale Rolle spielt.
Sein Programm ist der Versuch, zu den wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Roosevelt zurückzukehren – allerdings nicht zu Franklin Delano Roosevelt, dem Architekten des New Deal, sondern zu Theodore Roosevelt, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg Präsident war.
Am 10. Januar schrieb Le Monde:
„Es liegt ein Hauch von Déjà-vu in der Luft. Donald Trump schockierte seine Verbündeten am Dienstag, dem 7. Januar, indem er den Einsatz militärischer Gewalt zur Rückeroberung des Panamakanals oder den Kauf Grönlands nicht ausschloss. Mit diesem Bluff belebt der designierte Präsident die alte Tradition des US-Imperialismus zur Jahrhundertwende wieder.
Die ‚goldene Ära‘, die nach dem Bürgerkrieg begann, ist Trumps Traum: eine Zeit der Anhäufung kolossaler Vermögen, allgegenwärtiger Korruption und protektionistischer Zölle, die die amerikanische Industrie schützten – eine Zeit ohne Einkommenssteuer.
Vor allem aber war es eine Epoche des Imperialismus, um die US-Hegemonie über die westliche Hemisphäre zu sichern. In dieser Zeit kauften die USA Alaska von den Russen (1867), marschierten in Kuba, Puerto Rico und den Philippinen ein – 1898 ‚befreit‘ vom spanischen Kolonialismus – und begannen mit dem Bau des Panamakanals, der 1914 fertiggestellt wurde.“
Mit anderen Worten: Trump will die Uhr um hundert Jahre zurückdrehen, in eine imaginäre Vergangenheit, eine Amerika-Version von vor dem Ersten Weltkrieg. Ein Amerika, in dem ein ungebremster Kapitalismus florierte, Gewinne explodierten, freie Unternehmen ungestört expandierten und der Staat sich nicht einmischte. Eine Zeit, in der sich die USA nach Belieben in Mexiko, Panama und der gesamten westlichen Hemisphäre austoben konnten und den gebrechlichen spanischen Kolonialismus aus Kuba vertrieben, um es anschließend in eine amerikanische Kolonie zu verwandeln.
Davon kann man halten, was man will. Mit dem Faschismus hat dieses Ideal allerdings wenig zu tun. Und diese verklärte Geschichtsauffassung hat keinerlei reale Substanz oder Bezug zur Welt des 21. Jahrhunderts.
Die Ära von Teddy Roosevelt war eine Zeit, in der der Kapitalismus noch nicht sein gesamtes Potential als fortschrittliches Wirtschaftssystem erschöpft hatte. Die USA waren eine aufstrebende, frisch industrialisierte Macht, die in vielerlei Hinsicht bereits den alten europäischen Staaten überlegen war und gerade erst begann, sich als globale Kraft zu behaupten.
Doch seither ist eine ganze Epoche vergangen. Die USA stehen heute vor einem völlig veränderten internen und externen Kräfteverhältnis. Trumps Versuch, die Welt so wiederheruzstellen, wie sie in diesen längst vergangenen Tagen war, ist zum Scheitern verurteilt. Er wird an der veränderten Weltlage und am Kräfteverhältnis innerhalb der US-Klassengesellschaft zerschellen. Sein Programm ist letztlich eine reaktionäre Utopie.
Wir werden auf diese Punkte noch zurückkommen. Doch zunächst müssen wir mit den hysterischen und völlig falschen Versuchen abrechen, die sowohl von links als auch von rechts versuchen, das mysteriöse Phänomen Donald J. Trump zu erklären.
„Die enorme praktische Bedeutung einer korrekten theoretischen Orientierung zeigt sich am deutlichsten in Zeiten akuter sozialer Konflikte, rascher politischer Verschiebungen und abrupter Veränderungen der Situation … Gerade in solchen Perioden entstehen notwendigerweise alle möglichen Übergangs- und Zwischensituationen und -kombinationen. die gegen die gewohnten Schemata verstoßen und doppelte, scharfe theoretische Aufmerksamkeit erfordern. Kurz gesagt: Wenn man in einer ruhigen, ‚organischen‘ Phase (vor dem Krieg) von den Zinsen einiger fertiger Abstraktionen leben konnte, so bringt uns in unserer Zeit jedes neue Ereignis mit voller Wucht das wichtigste Gesetz der Dialektik bei: Die Wahrheit ist immer konkret.“
(Bonapartismus und Faschismus, Leo Trotzki, 1934)
Viel zu oft beobachte ich, dass Menschen auf der Linken, wenn sie mit einem neuen Phänomen konfrontiert werden – einem, das sich scheinbar allen bisherigen Normen und Definitionen entzieht –, reflexartig nach Etiketten suchen. Und sobald sie ein passendes Etikett gefunden haben, suchen sie sich die Fakten zusammen, die es bestätigen sollen.
Sie sagen: Ah, ich weiß, was das ist! Das ist Faschismus! Oder Bonapartismus! Oder irgendetwas anderes, das mir gerade einfällt. Das ist eine falsche Methode. Das ist das Gegenteil des dialektischen Materialismus. Und es führt nirgendwohin. Es ist ein Beispiel für bequemes Denken – die Suche nach einer simplen Antwort auf neue und komplexe Fragen.
Statt Klarheit zu schaffen, lenkt diese Methode nur von den eigentlichen Problemen ab. Sie führt zu endlosen und völlig sinnlosen Diskussionen über künstlich eingeführte Fragen, die am Ende nur für mehr Verwirrung sorgen, anstatt die wirklich wichtigen Fragen zu beantworten.
Lenin erklärte in seinen Philosophischen Heften, dass das grundlegende Gesetz der Dialektik die absolute Objektivität der Betrachtung sei: „Nicht Beispiele, nicht Abschweifungen, sondern das Ding an sich selbst.“
Das ist das Wesen der dialektischen Methode. Das Gegenteil der Dialektik ist die Gewohnheit, einer Sache einfach ein Label aufzukleben und sich einzubilden, damit hätte man sie verstanden.
Mein guter Freund John Peterson bemerkte kürzlich zu mir, dass Donald Trump „ein Phänomen“ sei. Ich denke, das trifft es ziemlich genau. Es besteht kein Grund, ihn mit historischen Figuren zu vergleichen. Wir müssen anerkennen, dass Donald Trump einfach Donald Trump ist. Und genau so sollten wir ihn betrachten: ein neues Phänomen, das wir anhand konkreter Fakten analysieren müssen – nicht durch Gemeinplätze.
Trotzkis Artikel Bonapartismus und Faschismus liefert eine präzise marxistische Definition von Bonapartismus: „Eine Regierung, die sich über die Nation erhebt, schwebt jedoch nicht in der Luft. Die wahre Achse der gegenwärtigen Regierung verläuft durch die Polizei, die Bürokratie und die militärische Clique. Es handelt sich um eine militärisch-polizeiliche Diktatur, noch leicht bedeckt mit den Dekorationen des Parlamentarismus. Doch eine Regierung des Säbels in der Eigenschaft des Schiedsrichter der Nation, das ist eben Bonapartismus.“
Das Wesen des Bonapartismus, der in vielen verschiedenen Gewändern auftreten kann, bleibt immer dieselbe: eine Militärdiktatur.
In Deutschland: Der einzige Weg erklärt Trotzki, wie der Bonapartismus entsteht: „Sobald der Kampf zweier sozialer Schichten – der Besitzenden und der Besitzlosen, der Ausbeuter und der Ausgebeuteten – seinen höchsten Spannungsgrad erreicht, sind die Bedingungen für die Herrschaft von Bürokratie, Polizei, Soldateska gegeben. Die Regierung wird ‚unabhängig‘ von der Gesellschaft.“
Das ist unmissverständlich. Aber wie passt das zur aktuellen Lage in den USA? Gar nicht. Machen wir uns nichts vor: Die herrschende Klasse greift nur in letzter Instanz zur Reaktion in der Form des Bonapartismus oder Faschismus. Ist das wirklich die aktuelle Lage? Ja, es gibt erhebliche Spannungen in der amerikanischen Gesellschaft, und sie destabilisieren die bestehende Ordnung ernsthaft.
Aber zu glauben, der Klassenkampf habe bereits die kritische Stufe erreicht, in der die Herrschaft des Kapitals kurz vor dem Sturz steht und der herrschenden Klasse nur noch die Lösung bleibt, einem bonapartistischen Regime die Macht zu übergeben, ist reine Fantasie. Diese Eskalationsstufe haben wir noch nicht einmal annähernd erreicht.
Natürlich kann man in der aktuellen Situation bestimmte Elemente des Bonapartismus ausmachen. Das mag zutreffen. Aber man könnte dasselbe über fast jedes moderne bürgerlich-demokratische Regime sagen.
Im „demokratischen“ Großbritannien unter Tony Blair verlagerte sich die Macht faktisch vom Parlament ins Kabinett – und von dort in die Hände einer kleinen Clique von nicht gewählten Beamten, Beratern und PR-Leuten. Es existierten zweifellos Elemente dessen, was man ein parlamentarisch-bonapartistisches Regime nennen könnte.
Aber das bloße Vorhandensein einzelner Elemente eines Phänomens bedeutet nicht, dass das Phänomen tatsächlich schon da ist. Man kann also argumentieren, dass es Elemente des Bonapartismus im Trumpismus gibt. Sicher. Aber Elemente allein machen noch kein vollständig entwickeltes Phänomen aus.
Hegel bemerkt in der Phänomenologie des Geistes: „Wo wir eine Eiche in der Kraft ihres Stammes und in der Ausbreitung ihrer Äste und den Massen ihrer Belaubung zu sehen wünschen, sind wir nicht zufrieden, wenn uns an Stelle dieser eine Eichel gezeigt wird.“
Diese falsche Methode führt zu endlosen Fehlern. Zuerst versucht man, ein Phänomen äußerlich zu definieren. Dann hält man um jeden Preis an der Definition fest und versucht, sie mit allen möglichen, an den Haaren herbeigezogenen, „klugen“ geschichtlichen Beispielen zu untermauern.
Unweigerlich taucht jemand anderes auf und sagt: „Nein, das ist kein Bonapartismus!“, bringt eigene, ebenso “kluge” Fakten ins Spiel und fängt an, dagegen zu argumentieren.
Beide haben gleichermaßen recht und unrecht. Wohin führt eine solch zirkuläre Debatte? Dorthin, wo ein Hund landet, wenn er seinem Schwanz nachjagt – nirgendwohin.
Korrekte historische Analogien können in manchen Fällen zwar hilfreich sein. Aber das gedankenlose und mechanische Aneinanderreihen oberflächlich ähnlicher, aber wesentlich unterschiedlicher Phänomene ist eine sichere Methode, um Verwirrung zu stiften.
Ein Beispiel für eine sinnvolle und angebrachte Analogie wäre meiner Meinung nach, Putins Regime als eine Form des bürgerlichen Bonapartismus zu bezeichnen. Das ist eine hilfreiche Analogie. Bei Trump hingegen ist die Sache komplizierter.
Das Problem ist, dass Bonapartismus ein extrem dehnbarer Begriff ist. Er umfasst eine ganze Bandbreite an Varianten, beginnend mit dem klassischen Bonapartismus, der im Kern nichts anderes als Herrschaft des Säbels ist.
Aber die gegenwärtige Trump-Regierung in Washington bleibt bei all ihren Eigentümlichkeiten eine bürgerliche Demokratie.
Gerade diese Eigenheiten müssen wir untersuchen und erklären. Und wenn wir – ganz ehrlich – nichts in der Geschichte des Altertums oder der Neuzeit finden können, das sich mit Trump auch nur vergleichen lässt, wenn wir keine fertige Definition haben, die perfekt passt, dann bleibt uns nur eine einzige Möglichkeit: Wir müssen anfangen, zu denken.
Der große Philosoph Spinoza sagte, dass die Aufgabe der Philosophie nicht darin bestehe, zu weinen oder zu lachen, sondern zu verstehen. Wenn wir Donald J. Trump begreifen wollen, müssen wir daher die Pseudowissenschaft der Dämonologie beiseitelassen und die Dinge beim Namen nennen.
Zunächst einmal ist Trump, was auch immer man sonst über ihn sagen mag, kein böser Geist mit übermenschlichen Kräften. Er ist ein gewöhnlicher Sterblicher – soweit man einen amerikanischen Milliardär als solchen bezeichnen kann. Und wie der Aufstieg jeder anderen historischen Figur ist auch der seine letztlich auf objektive gesellschaftliche Prozesse zurückzuführen.
Mit anderen Worten: Sein Aufstieg ist untrennbar mit der objektiven Weltlage in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts verbunden.
Der entscheidende Wendepunkt in der modernen Geschichte war die Krise von 2008, die das gesamte System ins Wanken brachte. Der Kapitalismus stand am Rande des Zusammenbruchs. Als Lehman Brothers pleite ging, erinnere ich mich noch genau daran, wie Banker öffentlich äußerten, sie hätten Angst, dass sie binnen weniger Monate von den Straßenlaternen hängen würden.
Diese Angst war keineswegs unbegründet. Tatsächlich waren alle objektiven Bedingungen für eine sozialistische Revolution vorhanden. Das einzige, was diese Entwicklung verhinderte, war die panische Intervention des Staates, der das Finanzsystem mit enormen Mengen an öffentlichen Geldern rettete.
Das stellte einen eklatanten Widerspruch zu all den Theorien dar, die die offiziellen bürgerlichen Ökonomen drei Jahrzehnte lang gepredigt hatten. Über Jahre wurde uns eingetrichtert, dass der Staat keine oder nur eine minimale Rolle in der Wirtschaft spielen dürfe. Der freie Markt würde alle Probleme lösen, wenn man ihn sich selbst überließ.
Doch im Moment der Wahrheit entlarvte sich diese Theorie als falsch. Das kapitalistische System wurde nur durch massives staatliches Eingreifen gerettet. Doch diese Rettung brachte neue Widersprüche mit sich: enorme, letztlich untragbare Schulden.
Seit 2008 steckt der Kapitalismus in seiner tiefsten Krise. Er taumelt von einer Katastrophe zur nächsten. Bei jedem Schritt griffen die Regierungen auf die gleiche, verantwortungslose Politik zurück: Staatsverschuldung und massives Gelddrucken, um kurzfristig die Löcher zu stopfen.
Die kurzsichtigen Strategen des Kapitals – dieser erbärmliche Haufen bürgerlicher Ökonomen und ihr nicht minder bankrottes politisches Establishment – glaubten allen Ernstes, das könne ewig so weitergehen: Unbegrenzte Geldmengen aus dem Nichts, endlose billige Kredite, niedrige Inflation, niedrige Zinsen. Doch sie haben sich geirrt.
Sie häuften lediglich Widersprüche auf und bereiteten damit die größte Krise aller Zeiten vor.
Wir sagten damals voraus, dass alle Versuche der Bourgeoisie, das wirtschaftliche Gleichgewicht wieder herzustellen, nur zur Zerstörung des gesellschaftlichen und politischen Gleichgewichts führen würden. So ist es auch gekommen.
Die objektiven Bedingungen für eine sozialistische Revolution waren eindeutig vorhanden. Warum kam es nicht dazu? Weil eine entscheidende Variable in dieser Gleichung fehlte: die revolutionäre Führung.
Über Jahre hinweg schlug das Pendel in Land um Land nach links aus. Das spiegelte sich im Aufstieg einer ganzen Reihe von radikal klingenden linken Bewegungen wider: Podemos in Spanien, Syriza in Griechenland, Bernie Sanders in den USA – und allen voran Corbyn in Großbritannien. Doch all das zeigte letztlich nur, wo die Grenzen des Linksreformismus liegen.
Man nehme das Beispiel Tsipras: Ganz Griechenland stand hinter ihm, als er sich gegen das Austeritätsdiktat aus Brüssel stellte. Doch er kapitulierte. Und das Ergebnis war ein Rechtsruck.
In Spanien verlief es ähnlich. Podemos gab sich anfangs ein ausgesprochen radikales Image. Doch die Führung beschloss, „verantwortungsvoll“ zu handeln – und ging eine Koalition mit den Sozialdemokraten ein, mit den erwartbaren Konsequenzen.
In den USA katapultierte sich Bernie Sanders aus dem Nichts heraus an die Spitze einer Massenbewegung, die unmissverständlich nach einer sozialistischen Alternative suchte. Er hatte jede Möglichkeit, eine ernsthafte linke Alternative zu den Demokraten und Republikanern aufzubauen. Aber was tat er? Er kapitulierte vor dem Establishment der Demokratischen Partei – und die Gelegenheit war vertan.
Am deutlichsten zeigte sich das in Großbritannien: Corbyn kam wie Sanders aus dem Nichts. Eine mächtige Bewegung nach Links katapultierte ihn an die Spitze der Labour Party. Diese Bewegung hatte nicht er geschaffen, aber sie machte ihn zu ihrem Bezugspunkt, zum Ausdruck des aufgestauten Zorns und der tiefen gesellschaftlichen Unzufriedenheit.
Das Ergebnis versetzte die herrschende Klasse in Panik und Verblüffung. Sie erklärte offen, dass sie die Kontrolle über Labour verloren hatte. Und so war es. Oder besser gesagt: Es hätte wahr sein sollen.
Doch im Moment der Wahrheit weigerte sich Corbyn, gegen die rechte Führung der Labour-Parlamentsfraktion vorzugehen, die mit der Unterstützung der bürgerlichen Medien eine brutale Kampagne gegen ihn organisierte.
Am Ende kapitulierte Corbyn vor den Rechten und bezahlte den Preis für seine Feigheit. Was sich hier zeigte, war nichts anderes als die organische Rückgratlosigkeit des linken Reformismus.
Hier zeigt sich ein krasser Kontrast zu Donald Trump. Auch er wurde vom Establishment angegriffen, sogar von der eigenen Parteiführung. Doch im Gegensatz zu Corbyn tat er, was Corbyn hätte tun müssen: Er mobilisierte seine Basis gegen die alte Führung der Republikaner und zwang sie zum Rückzug.
Das ändert natürlich nichts daran, dass Trump ein reaktionärer bürgerlicher Politiker blieb. Doch man muss schon zugeben, dass er den Mut und die Entschlossenheit hatte, die Corbyn offenkundig fehlten.
Trump scherte sich außerdem keinen Deut um politische Korrektheit und Identitätspolitik, während die linken Reformisten diese Ideologie leider blind geschluckt haben. Das spielte bei Corbyn eine absolut verheerende Rolle.
Als ihn die Parteirechte wegen angeblichen Antisemitismus angriff (ein völlig haltloser Vorwurf), knickte er sofort ein. Er wurde zur leichten Beute für die reaktionäre zionistische Lobby und die gesamte britische Bourgeoisie. In kürzester Zeit war er auf elende Unterwerfung reduziert – ein hilfloses Opfer seiner eigenen Fixierung auf reaktionäre Identitätspolitik.
Hätte Corbyn wie Trump gehandelt, hätte er sich der Antisemitismus-Kampagne direkt entgegengestellt, seine Basis gegen das rechte Establishment entfesselt und die Labour-Partei gründlich von diesen verfaulten Elementen gesäubert.
Hätte er das getan, hätte er ohne jeden Zweifel gewonnen. Doch er tat es nicht. Das ermöglichte dem rechten Labour-Flügel, in die Offensive zu gehen, die Linke aus der Partei zu werfen – einschließlich Corbyn selbst – und Labour von oben bis unten zu säubern. Das Ergebnis war der Sieg von Starmer – und das Experiment „Corbynismus“ endete in einem völligen Desaster.
Diese Erfahrung hat sich immer und immer wieder wiederholt. Und jedes Mal spielte die Führung der Linken eine absolut erbärmliche Rolle. Sie enttäuschten ihre Basis und übergaben die Macht kampflos an den rechten Flügel.
Genau das – nichts anderes – erklärt den aktuellen Rechtsruck. Er war unvermeidlich nach der feigen Kapitulation der Linken.
Sollen sich andere über Trump und rechte Demagogen beklagen. Unsere Antwort darauf ist Verachtung: Hört auf zu jammern. Ihr seid selbst schuld! Ihr habt einfach bekommen, was ihr verdient. Und jetzt müssen wir alle die Konsequenzen tragen.
Fangen wir mit dem Offensichtlichen an. Donald Trump ist ein reaktionärer bürgerlicher Politiker. Das lohnt sich kaum auszusprechen. Ebenso wenig muss man wiederholen, dass Kommunisten ihn in keiner Weise unterstützen.
Aber diese Feststellung allein bringt uns keinen Schritt weiter in der Analyse von Trump und Trumpismus. Ist es zum Beispiel korrekt zu sagen, dass es keinen Unterschied zwischen Trump und Biden gibt?
Ja, sie sind beide bürgerliche Politiker, die im Wesentlichen für die gleichen Klasseninteressen stehen. In diesem Sinne könnte man sagen, sie sind alle gleich. Doch selbst für die Blindesten unter den Blinden muss klar sein, dass es sehr ernste Unterschiede zwischen beiden gibt, ja ein Abgrund zwischen beiden klafft.
Denn nur weil zwei bürgerliche Politiker grundsätzlich dieselben Klasseninteressen vertreten, heißt das noch lange nicht, dass es innerhalb dieser Klasse keine scharfen Konflikte gibt. Solche Konflikte hat es tatsächlich immer gegeben.
Das zentrale Problem der Bourgeoisie ist, dass das Modell, das den Kapitalismus jahrzehntelang stabil gehalten hat, endgültig gescheitert ist.
Die Globalisierung, die es ihnen lange erlaubte, die Grenzen des Nationalmarktes zu überwinden, ist an ihre Grenzen gestoßen. An ihre Stelle tritt der Aufstieg des wirtschaftlichen Nationalismus. Überall setzt die Kapitalistenklasse nun ihre eigenen nationalen Interessen gegen die der anderen durch. Die Ära des Freihandels weicht einer Ära der Zölle und Handelskriege.
Die Nostalgiker des Liberalismus beklagen das Ende der alten Ordnung. Doch Donald Trump umarmt es mit der Inbrunst eines frisch Bekehrten. Und damit hat er die Weltordnung auf den Kopf gestellt – zum Entsetzen der schwächeren Nationen.
Donald Trump ruft sich damit den Zorn seiner früheren „Verbündeten“ in Europa herbei, die ihm für ihr ganzes Unglück die Schuld geben. Doch er hat diese Situation nicht erfunden. Er ist nur ihr schärfster und konsequentester Vertreter.
Seit vielen Jahren haben die herrschende Klasse und ihre politischen Vertreter im Westen systematisch ein pseudo-progressives Image gepflegt, um die Realität der Klassenherrschaft zu verschleiern. Sie haben die sogenannte Identitätspolitik geschickt als Waffe der Konterrevolution eingesetzt.
Und die „Linken“, denen jegliche belastbare ideologische Grundlage fehlt, haben diesen Unsinn komplett geschluckt. Das hat sie in den Augen der Arbeiterklasse nur noch weiter diskreditiert. Statt für die tatsächlichen Interessen von Arbeitern, Frauen und anderen unterdrückten Schichten zu kämpfen, streiten sie sich über Worte und wiederholen endlos die Phrasen der sogenannten politischen Korrektheit.
Wenn dann ein Donald Trump kommt und Identitätspolitik und politische Korrektheit anprangert, ist es wenig überraschend, dass er bei Millionen einfacher Menschen auf Resonanz stößt, deren Gehirne nicht völlig vom postmodernen Wahnsinn vernebelt sind.
Die Liberalen haben eine ziemlich merkwürdige Auffassung von Demokratie. Wie wir gesehen haben, sind sie für Wahlen – aber nur, wenn ihr bevorzugter Kandidat gewinnt. Fällt das Ergebnis nicht in ihrem Sinne aus, schreien sie sofort Betrug, werfen mit Anschuldigungen über Wahlfälschung um sich und spekulieren über alle möglichen fragwürdigen Machenschaften – meist ohne einen einzigen Beweis.
Das war nach Trumps Wahlsieg über Hillary Clinton 2016 zu beobachten. Trump war der erste US-Präsident der Geschichte, der weder ein öffentliches Amt noch eine militärische Laufbahn hatte. Er war ein Außenseiter, der nicht mit dem bestehenden Washingtoner Establishment verbandelt war, das seit Jahrzehnten das politische Monopol innehatte.
Sie sahen in ihm eine Bedrohung für ihr Monopol und handelten entsprechend, um die Demokratie zu untergraben und das Wahlergebnis rückgängig zu machen. Die Demokraten inszenierten den berüchtigten „Russiagate“-Skandal mit dem klaren Ziel, Trump aus dem Amt zu drängen.
Das könnte man mit Fug und Recht einen demokratischen Putschversuch nennen. Ein Verstoß gegen die Demokratie? Natürlich. Aber wenn es manchmal nötig ist, die Regeln der Demokratie zu brechen, um die Demokratie zu verteidigen, dann muss das eben so sein.
Anschließend gingen sie zu den absurdesten Mitteln über, um zu verhindern, dass Trump je wieder Präsident wird. Eine regelrechter Tsunami von Gerichtsverfahren wurde gegen ihn losgetreten, mit dem Ziel, ihn ins Gefängnis zu bringen.
Vier große Prozesse richteten sich direkt gegen ihn – angefangen mit der berüchtigten Stormy-Daniels-Affäre, über Wahlmanipulationsvorwürfe in Georgia bis hin zur Affäre um geheime Dokumente in Mar-a-Lago. Dazu kamen über 100 weitere Klagen gegen seine Regierung.
Die Massenmedien wurden vollständig mobilisiert, um diesen Angriff auszunutzen. Aber es ging völlig nach hinten los. Jedes dieser Verfahren führte nur dazu, dass seine Unterstützung in den Umfragen weiter wuchs. Das Endergebnis zeigte sich bei der Präsidentschaftswahl am 5. November 2024.
Mit der zweithöchsten Wahlbeteiligung seit 1900 (nach 2020) gewann Trump 77.284.118 oder 49,8 Prozent der Stimmen. Das war die zweithöchste Stimmenzahl in der US-Geschichte (nach Bidens Sieg 2020). Trump gewann alle sieben Swing States.
Das war nicht einfach nur ein Wahlsieg – es war ein triumphaler Durchmarsch. Es war eine totale Abfuhr für das liberale Establishment der Demokraten. Und eine schallende Ohrfeige für die korrupten Medien, die sich fast geschlossen hinter Harris gestellt hatten. Von den Tageszeitungen stellten sich 54 hinter Harris und nur 6 hinter Trump. Von den Wochenzeitungen waren 121 für Harris und nur 11 für Trump. Wie soll man das erklären?
Bemerkenswert ist der Unterschied in der Klassenzusammensetzung der Stimmen. Während die Mehrheit der Wähler mit einem Einkommen von über 100.000 Dollar für Harris stimmte, konnte Trump die Mehrheit der Wähler mit einem Einkommen unter 50.000 Dollar für sich gewinnen.
Daran ist überhaupt nichts Überraschendes oder “Weirdes”. Trumps Anziehungskraft auf die Arbeiterklasse hat eine materielle Grundlage. Seit den frühen 1980ern sind die Reallöhne der amerikanischen Arbeiterklasse entweder stagniert oder gesunken – insbesondere, weil Jobs in andere Länder ausgelagert wurden. Das Economic Policy Institute berichtet, dass die Einkommen der mittleren und unteren Klasse sich seit den späten 1970er Jahren kaum gestiegen sind, während die Lebenshaltungskosten kontinuierlich anstiegen.
In vielen US-Städten herrschen mittlerweile Zustände von Elend und Verwahrlosung, die den ärmsten Gegenden Lateinamerikas, Afrikas oder Asiens in nichts nachstehen. Und dieses Elend existiert neben der obszönsten Konzentration von Reichtum in wenigen Händen, die seit über 100 Jahren zu beobachten war.
Doch all das bleibt für die „progressiven“ Mittelschichtslinken offenbar unsichtbar. Das politische Establishment und seine gutbezahlte Journalisten- und Kommentatorenbande waren auf ihrer identitätspolitischen Vergiftung derart hängengeblieben, dass sie die wirklichen Probleme der Arbeiterklasse – egal ob schwarz oder weiß, männlich oder weiblich, hetero oder queer – konstant ignoriert haben.
Ein typisches Beispiel war die absurde Kampagne der politisch korrekten Dummköpfe, den Begriff „Latinx“ als genderneutrale Alternative zu „Latino“ zu etablieren. Doch laut Pew Research verwenden gerade mal vier Prozent der Hispanics diesen Begriff – 75 Prozent sagen, er solle überhaupt nicht benutzt werden.
Diese Ignoranz öffnete Demagogen wie Donald Trump Tür und Tor, um die aufgestaute Wut von Millionen Menschen aufzugreifen, die sich vom liberalen Establishment in Washington völlig ignoriert fühlten.
2024 konnte Trump deshalb seine Basis ausbauen, indem er gezielt schwarze und lateinamerikanische Arbeiterklasse-Milieus ansprach.
Das ist das direkte Ergebnis des Verrats der „Linken“ wie Sanders, die keinerlei klare Alternative zu den Liberalen aufzeigten und damit rechten Demagogen wie Trump Tür und Tor öffneten.
Tatsache ist, dass bis vor Kurzem selbst der Begriff Arbeiterklasse in der Wahlpropaganda der großen Parteien praktisch nicht mehr existierte. Noch die wagemutigsten Linken sprachen stattdessen von der Mittelschicht. Und so war die amerikanische Arbeiterklasse in der politischen Praxis schlichtweg ausradiert.
Natürlich gab es hier und da eine Ausnahme. Aber es ist wirklich keine Übertreibung zu sagen, dass ausgerechnet Donald Trump – ein milliardenschwerer, rechter Demagoge – der Einzige war, der in seinen Reden beanspruchte, für die Arbeiterklasse einzutreten. Man könnte fast sagen, dass er allein die Arbeiter wieder ins Zentrum der amerikanischen Politik gerückt hat.
Natürlich wissen wir, dass das bloße Demagogie ist – leere Rhetorik ohne Substanz. Natürlich sagt Trump solche Dinge nur für seine eigenen Zwecke, die zwangsläufig mit den Interessen der Klasse zusammenhängen, der er angehört.
Das ist uns völlig klar und es ist völlig belanglos. Die einfache Wahrheit ist, dass es den Millionen von Arbeitern, die ihn gewählt haben, eben nicht klar war. Diese Wahrheit ignorieren wir auf eigene Gefahr.
Die Antwort darauf ist eigentlich denkbar einfach. Wir sagen: Dieser Milliardär verteidigt die Interessen seiner Klasse. Alles, was er sagt, dient letztlich diesen Interessen – also den Interessen der Kapitalisten und Banker. Daraus folgt wie die Nacht auf den Tag, dass diese Interessen niemals mit denen der Arbeiterklasse übereinstimmen können.
Um die Unterstützung der Arbeiter zu gewinnen, wird er aber manchmal Dinge sagen, die für sie plausibel klingen. Wenn er über Jobs, sinkende Löhne oder steigende Preise spricht, dann kommt das natürlich an.
Und es kann sogar sein, dass die eine oder andere seiner Aussagen faktisch korrekt ist. Trump hat selbst zugegeben, dass er einige Ideen aus Sanders’ Reden verwendet hat, um Arbeiter für sich zu gewinnen.
Natürlich bleibt er trotzdem ein reaktionärer, bürgerlicher Politiker. Aber das heißt nicht, dass er dasselbe ist wie jeder andere reaktionäre, bürgerliche Politiker. Er hat seinen eigenen Blick auf die Dinge, seine eigene Sichtweise, Politik und Strategie, die sich in vielen grundlegenden Punkten von derjenigen von Joe Biden und seiner Clique unterscheidet.
In mancher Hinsicht scheinen seine Positionen sogar mit unseren übereinzustimmen – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Man denke an seine Haltung zum Ukraine-Krieg, an die Auflösung von USAID oder seine Ablehnung der sogenannten „Wokeness“. Dass es solche Überschneidungen zwischen dem, was bürgerliche Politiker sagen, und dem, was wir selbst vertreten, geben kann, ist nichts Neues. Trotzki hat das schon vor langer Zeit erklärt.
Im Mai 1938 schrieb er den Artikel Lernt denken – ein freundschaftlicher Rat an gewisse Ultralinke. Darin heißt es: „In neunzig von hundert Fällen setzen die Arbeiter tatsächlich ein Minuszeichen, wo die Bourgeoisie ein Pluszeichen setzt. In zehn Fällen hingegen sind sie gezwungen, dasselbe Zeichen zu setzen wie die Bourgeoisie – allerdings mit ihrem eigenen Stempel, der ihr Misstrauen gegenüber der Bourgeoisie ausdrückt. Die Politik des Proletariats ergibt sich keineswegs automatisch aus der Politik der Bourgeoisie, nur mit umgekehrtem Vorzeichen (dann wäre jeder Sektierer ein Meisterstratege). Nein, die revolutionäre Partei muß sich in jedem Falle, in der inneren wie in der äußeren Lage, unabhängig orientieren und die Entscheidungen treffen, die den Interessen des Proletariats am besten entsprechen. Diese Regel gilt für Kriegszeiten genauso wie für Friedenszeiten.“
Selbst wenn Trump also die Wahrheit sagt, tut er das immer aus der Perspektive seiner eigenen Klasseninteressen und zu reaktionären Zwecken, mit denen wir absolut nichts gemeinsam haben.
Der entscheidende Punkt ist: Wir müssen in jeder Frage die Klassenposition betonen. Deshalb wäre es absolut unzulässig, uns mit Trumps Politik zu identifizieren. Es wäre ein schwerer Fehler.
Doch es wäre ein noch weitaus größerer Fehler – ja, geradezu ein Verbrechen –, auch nur einen Moment lang an der Seite der sogenannten „liberalen“ und „demokratischen“ Bourgeoisie zu stehen, deren Angriffe auf Trump nichts anderes sind als ein Versuch des reaktionären bürgerlichen Establishments, das von Trump aktuell bekriegt wird.
Sobald man sich Zugeständnisse an Anschuldigungen wie „Faschismus“, „Bonapartismus“ oder die angebliche „Gefahr für die Demokratie“ macht, begibt man sich in Gefahr – und sei es nur unbewusst – auf die Position des kleineren Übels abzurutschen. Das ist aber zweifellos die größte Gefahr.
Ist es richtig zu sagen, dass das Biden-Regime gegenüber Trump fortschrittlich war? So wurde es uns verkauft. Und die sogenannte Linke hat das naiv geschluckt.
Sie versuchen zu argumentieren, Trump sei ein Feind der Demokratie. Doch wer sich das ungeheuerliche Verhalten der Biden-Clique ansieht, erkennt, dass sie bis zum letzten Moment nichts als Verachtung für die Demokratie zeigte.
Man nehme nur Bidens sogenannte „eiserne“ Unterstützung für Israels Angriff auf Gaza – die ihm den Spitznamen „Genocide Joe“ einbrachte. Oder die brutale Unterdrückung des Versammlungsrechts unter seiner „demokratischen“ Regierung, bei der hunderte Studierende zusammengeschlagen und 3.200 landesweit verhaftet wurden, nur weil sie sich friedlich mit Palästina solidarisierten.
Biden hatte versprochen, „der gewerkschaftsfreundlichste Präsident in der Geschichte der USA“ zu sein, doch er zerschlug das Streikrecht der Eisenbahner. Er hatte versprochen, die Abschiebungen unter Trump zu beenden – und deportierte am Ende sogar mehr Menschen ohne Papiere als sein Vorgänger. Und die Liste ließe sich fortsetzen.
Selbst als bereits offensichtlich war, dass er unfähig war, das Amt auszuüben, und er von seiner eigenen Partei als Präsidentschaftskandidat abgesetzt war, klammerte sich Biden weiter an sein Amt.
Selbst nachdem die überwältigende Mehrheit der Wählerschaft die Demokraten abgewählt hatte, nutzte er seine Macht als Präsident, um offen Sabotage gegen den demokratisch gewählten Kandidaten Trump zu betreiben, und die USA an den Rand eines Krieges mit Russland zu treiben.
Es wäre schwer, sich eine unverhohlenere Missachtung der Demokratie und des Willens der überwältigenden Mehrheit der US-Bevölkerung vorzustellen. Doch dieser Gangster und seine Clique gaben weiterhin vor, die Verteidiger der Demokratie gegen die angebliche Gefahr der Diktatur zu sein!
Auch vieles andere, was Biden und seine Gang taten, war unendlich konterrevolutionärer, desaströser und ungeheuerlicher als irgendetwas, von dem Trump je geträumt hat. Das ist die Wahrheit. Und es gibt trotzdem Linke, die behaupten, es wäre vorzuziehen, wenn man die Demokraten gegen Trump unterstützt, „um die Demokratie zu verteidigen“!
Unsere Aufgabe ist es nicht, uns an ein sinkendes Schiff zu klammern. Im Gegenteil – wir tun alles, um es zum Sinken zu bringen. Es ist nicht unsere Politik, Illusionen in die Liberalen und ihre sogenannte Demokratie zu säen, sondern sie als zynische Unwahrheit und Täuschung zu entlarven.
Trotzki machte in Wohin geht Frankreich? klar, dass die Politik des „kleineren Übels“ nichts als ein Verbrechen und ein Verrat an der Arbeiterklasse ist: „Die Arbeiterpartei soll sich nicht mit hoffnungslosen Versuchen abgeben, diese Partei von Bankrotteuren zu retten, sie muss im Gegenteil aus Leibeskräften den Prozess der Befreiung der Massen vom Einfluss der Radikalen fördern.“ [Die Radikalen waren eine liberale Partei, die in den 1930er Jahren in Frankreich an der Macht war.]
Das ist heute ein ebenso treffender Ratschlag. Im Kampf gegen die Trump-Reaktion dürfen wir uns in keiner Weise mit den bankrotten liberalen Demokraten assoziieren.
Übergangsperioden wie die, in der wir uns gerade befinden, führen zwangsläufig zu Verwirrung. Wir werden immer wieder mit vielerlei neuen und komplexen Phänomenen konfrontiert sein, für die es keine klaren historischen Präzedenzfälle gibt.
Um sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen, muss man sich jederzeit an den grundlegenden Prinzipien orientieren und darf sich nicht durch diese oder jene zufällige Entwicklung vom Kurs abbringen lassen. Das zentrale Element der gegenwärtigen Lage ist, dass die objektive Lage einerseits nach einer revolutionären Lösung schreit.
Das Potenzial ist vorhanden. Andererseits gibt es aktuell keine Kraft, die stark genug wäre, um dieses Potenzial zu verwirklichen. Daher bleibt es – zumindest vorerst – eben nur ein Potenzial.
Die Massen suchen verzweifelt nach einem Ausweg aus der Krise. Sie setzen einen Politiker nach dem anderen auf die Probe und decken rasch die Mängel aller bestehenden Organisationen auf. Das erklärt die allgemeine politische Instabilität, die sich in heftigen Schwankungen im Wahlverhalten ausdrückt – mal nach links, dann nach rechts, und wieder zurück.
In der Abwesenheit einer revolutionären Führung bleibt das Feld offen für die verschiedensten seltsamen Abweichungen und Demagogen à la Trump.
Solche Figuren können in kürzester Zeit aufsteigen und dem aufgestauten Zorn der Massen einen Ausdruck verleihen. Doch früher oder später scheitern sie an der Realität, und die Enttäuschung ebnet den Weg für eine neue Bewegung in die entgegengesetzte Richtung.
Wer das rein negativ betrachtet, hat den Prozess völlig missverstanden. Die Massen sind verzweifelt und brauchen schnell Lösungen für ihre Probleme. Figuren wie Trump scheinen ihnen genau das zu versprechen.
Wir müssen das verstehen und solche Bewegungen nicht einfach als “rechtsextrem” (ein ohnehin völlig nichtssagender Begriff) abtun. Natürlich gibt es in solchen Bewegungen immer reaktionäre Elemente. Aber die Tatsache, dass sie eine Massenbasis haben, bedeutet, dass sie auch innere Widersprüche enthalten.
Wenn wir einen Weg zu den Arbeitern finden wollen, egal in welchem Land, dann müssen wir sie nehmen, wie sie sind – nicht wie wir sie gerne hätten. Um einen Dialog mit den Arbeitern zu führen, müssen wir an ihrem aktuellen Bewusstseinsstand ansetzen. Jede andere Herangehensweise ist nichts als ein Rezept für Sterilität und Hilflosigkeit.
Wer ernsthaft mit einem Arbeiter sprechen will, der Illusionen in Trump hat, kann nicht mit schrillen Verdammungen oder Faschismus-Vorwürfen anfangen. Wenn wir ihm aber aufmerksam zuhören, können wir bei vielen Punkten anknüpfen, bei denen Übereinstimmung besteht, und dann mit geschickten Argumenten nach und nach Zweifel daran säen, dass die Interessen der Arbeiterklasse wirklich von einem milliardenschweren Geschäftsmann vertreten werden können.
Natürlich werden diese Argumente in der aktuellen Etappe nicht notwendigerweise Erfolg haben. Die Arbeiterklasse lernt im Allgemeinen nicht aus Diskussionen, sondern durch eigene Erfahrung. Und die Erfahrung mit einer neuen Trump-Regierung wird für viele Arbeiter eine äußerst schmerzhafte Lernkurve sein.
Deshalb müssen wir gegenüber Trump-Wählern freundlich auftreten, allem zustimmen, dem wir zustimmen können, und ihnen dann geschickt die Grenzen des Trumpismus aufzeigen und für den Sozialismus argumentieren.
Die Widersprüche werden früher oder später an die Oberfläche kommen. Trotzdem werden sich die Illusionen in Trump eine Weile halten.
Wer sich den vielen ehrlichen Arbeitern gegenüber, die aus völlig verständlichen Gründen jetzt Trump unterstützen, nur feindselig und aggressiv verhält, erreicht gar nichts. Eine solche Herangehensweise ist völlig steril und kontraproduktiv.
Die Geschichte kennt viele Beispiele von Arbeitern, die ihre ersten politischen Erfahrungen mit extrem rückständigen, ja sogar reaktionären Ansichten machten, nur um dann unter dem Einfluss der Ereignisse in die entgegengesetzte Richtung zu gehen.
Zu Beginn der Russischen Revolution 1905 waren die Marxisten eine kleine, isolierte Minderheit. Die große Mehrheit der russischen Arbeiter war rückständig, gläubig und hatte Illusionen in den Zaren.
Die überwältige Mehrheit der Arbeiter in St. Petersburg folgten anfangs dem Popen Gapon, der aktiv mit der Polizei zusammenarbeitete. Als die Marxisten Flugblätter verteilten, die den Zaren angriffen, wurden die Flugblätter oft zerrissen und die Revolutionäre oft von eben diesen Arbeitern zusammengeschlagen.
Doch nach dem Massaker des Blutsonntags am 9. Januar verwandelte sich all das in sein Gegenteil. Die gleichen Arbeiter, die zuvor die Flugblätter zerrissen hatten, kamen nun zu den Revolutionären gelaufen und verlangten Waffen, um den Zaren zu stürzen.
In den USA gab es ein weniger dramatisches, aber dennoch aufschlussreiches Beispiel: Farrell Dobbs. Dieser junge Arbeiter begann seine politische Laufbahn in den 1930er Jahren als überzeugter Republikaner.
Doch durch die Erfahrung des Klassenkampfes wechselte er direkt von der rechten Republikanischen Partei zum revolutionären Trotzkismus und wurde zu einer der zentralen Figuren der Teamster-Rebellion in Minneapolis.
In den kommenden stürmischen Klassenkämpfen in den USA werden wir viele solcher Beispiele sehen. Und einige der Arbeiter, die heute noch Trump oder ähnlichen Demagogen hinterherlaufen, können auf Grundlage der kommenden Ereignisse für das Banner der sozialistischen Revolution gewonnen werden.
An der Oberfläche wirkt die Trump-Bewegung stabil, ja unzerstörbar. Doch das ist eine optische Täuschung. In Wahrheit ist sie extrem heterogen und voller Widersprüche. Früher oder später werden sie aufbrechen.
Trumps liberale Feinde hoffen darauf, dass das Scheitern seiner Wirtschaftspolitik zu weit verbreiteter Enttäuschung führt und er seine Unterstützung verliert. So etwas vorherzusehen, ist keine Kunst. Die Zölle führen schon jetzt zu unvermeidbaren Gegenmaßnahmen. Diese müssen sich schließlich in Arbeitsplazverlusten und Werksschließungen in den betroffenen Branchen ausdrücken.
Doch Prognosen über einen baldigen Niedergang der Trump-Bewegung sind verfrüht. Trump hat enorme Erwartungen und Hoffnungen bei Millionen Menschen geweckt, die zuvor völlig perspektivlos waren. Solche Illusionen sitzen tief. Sie sind stark genug, um eine ganze Serie von Erschütterungen und vorübergehenden Enttäuschungen zu überstehen.
Es wird Zeit brauchen, bis der hypnotische Bann von Trumps Demagogie nachlässt. Doch früher oder später wird die Desillusionierung einsetzen – und je länger es dauert, bis die Arbeiterklasse erkennt, dass ihre Klasseninteressen nicht vertreten werden, desto heftiger wird die Reaktion ausfallen.
Trump ist schon sehr alt geworden. Selbst wenn er einem Attentat entgeht, wird früher oder später die Natur ihre eisernen Gesetze durchsetzen. So oder so ist es unwahrscheinlich, dass er noch einmal für das Präsidentenamt kandidiert – selbst wenn sich die Regeln zu seinen Gunsten ändern ließen.
Trumpismus ohne Donald J. Trump ist kaum vorstellbar. Gerade seine Persönlichkeit, sein unbestreitbares Talent als Massenführer und Meister der Demagogie ist der Kitt, der seine heterogene Bewegung zusammenhält. Ohne ihn werden die inneren Widersprüche, die in ihr schlummern, unweigerlich an die Oberfläche treten und zu internen Krisen und Spaltungen in der Führung führen.
J.D. Vance scheint der wahrscheinlichste Nachfolger von Trump zu sein, doch er besitzt weder dessen immense Autorität noch dessen Charisma. Er ist jedoch ein kluger Mann, der sich – je nach Verlauf der Ereignisse – in die unterschiedlichsten Richtungen entwickeln kann. Was dabei herauskommt, ist nicht vorhersehbar.
Ein bekanntes Gesetz der Mechanik besagt, dass jede Aktion eine gleich große und entgegengesetzte Reaktion erzeugt. Trump ist ein Meister der Übertreibung. Seine demagogischen Äußerungen kennen keine Grenzen. Alles ist „marvellous“, „tremendous“, „wonderful“, „enormous“ und so weiter. Und entsprechend wird die Enttäuschung, wenn sie kommt, ebenso gewaltig sein.
An einem bestimmten Punkt wird seine Bewegung beginnen, sich entlang von Klassenlinien aufzuspalten. Sobald die Arbeiter sich von ihm abwenden, werden sich die fanatisierten kleinbürgerlichen Elemente wahrscheinlich den Embryo einer neuen, tatsächlich faschistischen oder bonapartistischen Organisation bilden.
Aus diesem chaotischen Prozess heraus wird die Bewegung hin zu einer dritten Partei unaufhaltsam werden. Ihrer Natur nach wird sie zunächst widersprüchlich sein – keineswegs zwangsläufig links oder fortschrittlich. Doch die Ereignisse werden ihre eigene Logik entfalten.
Viele Arbeiter, die sich an Trumps Experiment die Finger verbrannt haben, werden nach einer neuen Banner suchen, das ihren Zorn und ihren tief verwurzelten Hass auf die Reichen und das Establishment klarer widerspiegelt, der selbst nichts anderes ist als ein unreifes, instinktives Aufbegehren gegen das kapitalistische System selbst. Das wird sie mit voller Wucht nach links treiben.
Es ist keineswegs abwegig anzunehmen, dass einige der kühnsten, engagiertesten und selbstlosesten Kämpfer der zukünftigen kommunistischen Bewegung in den USA genau aus jenen Arbeitern bestehen werden, die einst die Schule des Trumpismus durchlaufen haben und daraus die richtigen Lehren gezogen haben. Wie wir gesehen haben, gibt es für solche Entwicklungen zahlreiche historische Parallelen.
Zum Abschluss sei eines klargestellt: Was ich hier skizziert habe, ist keine ausgearbeitete Perspektive, geschweige denn eine detaillierte Vorhersage der Zukunft. Um das zu leisten, bräuchte man nicht die marxistische Methode, sondern eine Kristallkugel – die leider noch nicht erfunden wurde.
Auf der Grundlage aller mir verfügbaren Fakten habe ich eine vorläufige Einschätzung gegeben, die nicht mehr als eine begründete Annahme sein kann. Die gegenwärtige Situation ist eine extrem komplexe Gleichung mit vielen möglichen Lösungen. Erst die Zeit wird die Lücken füllen und uns die Antwort liefern.
Die Geschichte wird uns noch viele Überraschungen bereiten. Nicht alle werden schlecht sein.