ÖVP. Aschbachers Plagiate, das BVT-Versagen (siehe Funke Nr. 188), „Kaufhaus Österreich“ und das laufende Verfahren gegen Finanzminister Blümel, die türkise Truppe taumelt von Skandal zu Skandal. Willy Hämmerle wagt den Überblick, diesmal mit Schwerpunkt Österreichische Beteiligungs AG – ÖBAG – und ihrem Chef Thomas Schmid.
Es ist bezeichnend, dass sich die jüngsten Aufdeckungen im Zuge der Ermittlungen eigentlicher FPÖ-Skandale (Ibiza, Casinos-Austria) ergeben haben. Von blau zu türkis ist es nicht so weit. Der Unterschied: Während Strache abends von heißen Korruptionsgeschichten nur träumen durfte, hoben Kurz und seine Freunde die Kunst der Postenschacherei in neue Höhen. Von den blauen Emporkömmlingen trennt die türkisen Macher der freie Zugang zum Staatsapparat und ein (zumindest bis jetzt) tiefer Rückhalt im Bürgertum und dessen Medien.
Im Zentrum der Geschichte steht das Handy von Thomas Schmid, das bereits 2019 im Rahmen der Casinos-Ermittlungen beschlagnahmt wurde. Die insgesamt 300.000 sichergestellten Nachrichten liefern reichlich politischen Zündstoff und werfen ein kleines, aber aufschlussreiches Licht auf die Funktionsweise der türkisen Kernfamilie. Aber der Reihe nach.
Eine kleine Vorgeschichte
Im Büro Michael Spindeleggers formiert sich Anfang der 2010er Jahre die Gang um Kurz. Besonders gut verstehen sich Kurz, Blümel und Schmid (davor Büroleiter bei Wolfgang Schüssel). Alle drei legen eine Bilderbuchkarriere hin – Schmid macht den Generalsekretär im Finanzministerium, Blümel in der ÖVP. Kurz übernimmt als Außenminister. Im Hintergrund wird fleißig genetzwerkt und die spätere Machtübernahme in der ÖVP („Projekt Ballhausplatz“) penibel durchgeplant.
Schmids gute Freundin, die Eliten-Netzwerkerin Gabi Spiegelfeld, liefert dabei die Kontakte zur österreichischen Unternehmerschaft. Als Mitterlehner 2017 entnervt das Handtuch warf und den ÖVP-Parteivorsitz abgab, war sie maßgeblich dafür verantwortlich, Kurz im Schnelldurchlauf mit den Industriegranden des Landes bekannt zu machen. Der Rest ist Geschichte. Kurz wird Kanzler, Blümel Minister.
Schmid besetzt weiterhin die zweite Reihe im Finanzministerium hinter Minister Hartwig Löger, um den türkisen Grip aufs Finanzministerium sicherzustellen. Keine dankbare Aufgabe, Schmid hält Löger für eine „echte Niete“ und auf die Frage, wie man ihm beibringen kann, fleißig zu sein, winkt Schmid nur ab: „Gar nicht. Das ist ein 60-jähriger Mann.“
Kriegst eh alles, was du willst ? ? ?
Schmid schielt daher auf prestigeträchtigere Posten. Im Blick hat er die Österreichischen Bundesbeteiligungen (damals ÖBIB, jetzt ÖBAG). Kurz zögert noch („Sebastian will mich nicht gehen lassen“ und „Kurz scheißt sich voll an“), wenig später ist das Projekt „Schmid AG“ (so Blümel) aber eine ausgemachte Sache, auf eine vorzeitige Gratulationsnachricht antwortet er: „Danke Dir! Werde aber noch eine zeitlang erhalten bleiben. Den ÖBAG Job schreiben wir ja erst im Jänner aus :-))“ Und auch die Troubles mit Löger sind schnell vergessen: „Das ist nicht mehr mein Problem. Deins auch nicht. Müssen jetzt an uns denken, dort Büro aufbauen usw.“
Letzte Bedenken gibt es noch bei den Details der Stellenausschreibung („Ich bin aber nicht international erfahren“) und der Stelle selbst („bitte mach mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate. Das wäre ja wie Wiener Stadtrat ohne Portfolio“), Kurz gibt Entwarnung: „Kriegst eh alles, was du willst ? ? ?“ – Schmid: „Ich bin so glücklich :-))) Ich liebe meinen Kanzler. ? ? ? ? ? ? “
Wie sicher sich Schmid und Co in ihrem Spiel sind, beweist die Dreistigkeit, mit der sie mit den laufenden Ermittlungen umgehen. Blümels spazierengegangener Laptop ist schon legendär, aber auch Schmids SMS wurden von ihm eigentlich gelöscht, bevor er sein Handy an den Staatsanwalt abgeben musste. Möglich machte solch vorausschauendes Verhalten die Rückendeckung vom Generalsekretär Pilnacek im Justizministerium (wir berichteten, Funke Nr. 181). Zum Problem wurde Schmid und seinen Freunden allerdings nun ein beim Löschen vergessenes Backup.
Österreich hat also endlich wieder eine Buberlpartie! Mit Schmid – seine ersten politischen Erfahrungen machte er unter anderem als Pressesprecher von Karl-Heinz Grasser – zieht sich in gewisser Weise sogar ein roter Faden zurück zur Erstauflage.
Message Control?
Diese Affäre wurde selbst für Kurz, der solche Unannehmlichkeiten sonst mit ein, zwei gut platzierten Gegenoffensiven (oder Balkanrouten) durchtaucht, eine Spur zu heiß.
Die medialen Nebelgranaten werden gezündet: 10.04.: Kurz verortet Grünes Postenschachernetzwerk; 12.04.: Kurz verkündet Comebackplan und 500.000 zusätzliche Arbeitsplätze; 14.04.: Pfizer kann eine Million Impfdosen früher liefern, Kurz übernimmt die Verantwortung dafür. Der Kanzler strauchelt zum ersten Mal. Umfragen sehen leichte Verluste bei der ÖVP (33%), aber – für Kurz schlimmer – einen starken Einbruch beim persönlichen Vertrauen in den türkisen Chef.
Kurz setzt daher auch voll auf die Tränendrüse: In seiner ersten Rede nach Anschobers Rücktritt klagt der Kanzler über „Morddrohungen“, die „unglaubliche Belastung“ und auch „Einsamkeit“, die man als Spitzenpolitiker verspüre. Er wünscht sich anstatt der ständigen „Häme, Misstrauensanträge, Rücktrittsaufforderungen und der Herabwürdigung von Politikern ganz generell“ eine „neue politische Kultur“. (PK vom 14.04.) Er kolportiert Heirats- und Kinderwünsche (Heute, 17.04.) und lässt sich in der Kleinen Zeitung inszenieren („Ich war nie ein Wunderkind“, 18.04.)
Personalmangel
Es hilft nichts, dieses Mal bleiben Kratzer zurück. Selbst die zentralen bürgerlichen Sprachrohre müssen leise Kritik üben, um ihre Restglaubwürdigkeit in der Inseratengeld-Schwemme zu bewahren. Presse-Chef Nowak, seines Zeichen selbst Puzzlestein in der ÖBAG-Postenbesetzung, über Kurz: „Wenn das der neue Stil sein soll, dann ist dieser zynisch, brutal und angsteinflößend“ und die Vorarlberger Nachrichten titeln: „Türkis, blass, zittrig“.
Letztere stehen dabei für die Unzufriedenheit der schwarzen Landesverbände, die schon in den letzten Monaten immer häufiger gegen Kurz auftraten – insbesondere die Tiroler und Salzburger Schwarzen rebellierten offen gegen die Kurz‘sche Corona-Politik.
Der Funke analysierte im Februar:
„Es stellt sich heraus, dass man mit egozentrischer Selbstüberschätzung und guter PR („message control“) politische Effekte erzielen kann – dies aber nicht auf Dauer, besonders nicht inmitten einer globalen Krise. Das Kurz‘sche Selfperformer-Personal wird zur Belastung.“ (Funke Nr. 191)
Die „Schmid AG“ treibt diesen Prozess weiter voran. Nach vier Jahren devoter Unterordnung wird es allerdings nicht leicht sein, neues bürgerliches Personal aus dem Hut zu zaubern – noch dazu eines, das Wahlen gewinnen kann.
Und wer macht Opposition?
Dass Kurz überhaupt noch so fest im Sattel sitzt, liegt vor allem daran, dass er keine ernsthafte Opposition aus der Arbeiterbewegung fürchten muss. Während die FPÖ im Parlament sagt: „es braucht einen nationalen Schulterschluss zur Entfernung der ÖVP von der Macht“ (Hafenecker im Nationalrat am 9.04.), fordert Rendi-Wagner in derselben Sitzung einen „moralischen Neustart“ und bittet um „politischen Anstand“.
Für die SPÖ-Führung gilt Sozialpartnerschaft und Einbindung in den Staatsapparat noch immer als oberste Maxime, der Weg dahin ist das Buckeln vor der Regierung Kurz. Damit will man signalisieren, dass man jedenfalls für politische Stabilität im Sinne der herrschenden Klasse steht, auch wenn diese gerade Probleme mit dem Führungspersonal ihrer traditionell wichtigsten Partei (der ÖVP) hat. Eine Arbeiterpartei, die sich selbst ernst nimmt, würde die Offensive gegen Kurz und seine Clique nicht den Demagogen von der FPÖ überlassen, sondern selbst zum Sturmangriff blasen. Solange dies nicht geschieht, wird Kurz sich immer wieder stabilisieren.
(Funke Nr. 193/22.4.2021)