Tirol ist von der Coronakrise besonders stark betroffen. Die Verantwortung dafür tragen die wirtschaftlichen Eliten, allen voran aus der Tourismusbranche, und die allmächtige Tiroler ÖVP.
Das Coronavirus legt das öffentliche Leben in Österreich derzeit lahm. Die einzig triftigen Gründe für das Verlassen der Wohnung scheinen laut Regierung nur mehr der durch ökonomischen Druck erzwungene Gang zur Arbeit, und die Beschaffung von Grundnahrungsmitteln und Medikamenten zu sein. In Tirol sind die Ausgangsbeschränkungen seit der Verhängung der Quarantäne über das gesamte Bundesland noch schärfer als im Rest von Österreich. Sieht man sich die Berichterstattung der bürgerlichen Medien an, so besteht kein Zweifel mehr daran, dass die Behörden in Teilen Westösterreichs, speziell in Tirol, versagt haben. Das ist aber kein Zufall, sondern direktes Ergebnis des großen Einflusses der Wirtschaftseliten auf die im Land dominierende ÖVP, die gemeinsam und in trauter Eintracht mit den Grünen im Land regiert.
So wurde trotz der schon am 5. März eingegangenen Warnung der isländischen Behörden, welche den bekannten Tiroler Skiort Ischgl mit diesem Datum zum Risikogebiet erklärten, der Skibetrieb gemäß dem Wunsch der profitorientierten Tourismuslobby aufrechterhalten. Trotz dem Bekanntwerden der Corona-Erkrankung eines Barkeepers der Bar „Kitzloch“ wurde diese erst mehr als 24h später geschlossen – wie es sich für die ÖVP gehört mit dem Einverständnis des Betreibers. Erst am 13. März erfolgte schließlich die Verhängung der Quarantäne über das gesamte Paznauntal und den Skiort St. Anton. Der schier riesige Zeitraum zwischen der Einstufung Ischgls als Risikogebiet und der Verordnung der Quarantäne über diese Orte zeigt auf, wie extrem die Tiroler Behörden in Bezug auf Maßnahmen, welche die Wirtschaft beeinträchtigen könnten, befangen waren. Gleichzeitig zeigt dieses konkrete Beispiel, dass das kapitalistische System ein einziges, über jeder Vernunft stehendes Ziel hat: die Erwirtschaftung von Profiten um jeden Preis. Dass der Staat hierbei auch dann nicht eingreift, wenn es um die Gesundheit der Bevölkerung geht, sollte in Anbetracht der Herrschaftsverhältnisse in beinahe allen Ländern der Welt nicht überraschen. Und das Land Tirol hat diese Unterdrückung und Profitgier dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die Maßnahmen nicht nur viel zu lange hinausgezögert wurden (was direkt mit dem allgemeinen Einfluss der Wirtschaft auf die staatlichen Institutionen und die Politik, und in diesem Fall Tirol-spezifisch der extrem mächtigen Tourismuslobby zusammenhängt), sondern auch extrem löchrig waren. So war es etwa Touristen erlaubt, trotz der Quarantäne aus den Risikogebieten auszureisen, was dafür sorgte, dass hunderte potenziell Infizierte u.a. in Hotels in Innsbruck übernachteten. Zusätzlich dazu wurde der Tourismusverband vor Einführung der Maßnahmen unterrichtet, was (wie zu erwarten) dazu führte, dass Betriebe von einer Minute auf die andere ihre Mitarbeiter*innen zur Ausreise aufforderten bzw. auf die Straße setzten. Sogar die schwarze Arbeiterkammer Tirol sah sich in der Folge gezwungen, die „menschenverachtenden Zustände, für die man sich schämen müsste, öffenlich zu thematisieren.
Kommen wir nun zu den Gründen für die späte Einführung der Maßnahmen.
Dazu muss betont werden, dass es in Tirol eine Tourismuswirtschaft gibt, die de facto jeden Lebensbereich und jede Klasse kontrolliert. Diese Macht wird natürlich ausgenutzt. So sind etwa die Arbeitsbedingungen in Gastronomiebetrieben so schlecht, dass teilweise bereits Lehrlinge massive gesundheitliche Schäden, die direkt oder indirekt durch die Ausübung ihrer Arbeit entstehen, davontragen. Es ist beispielsweise nicht selten, dass bereits Lehrlinge im 2. oder 3. Lehrjahr, ja manchmal sogar im 1. Lehrjahr harte, chemisch hergestellte Drogen (Speed, Crystal Meth,..) zu sich nehmen, um den Stress in ihrem Beruf ertragen zu können, und ständig die von ihren Chefs geforderte Leistung zu erbringen. Arbeitszeiten von weit über 15 Stunden am Tag sind komplett normal, dass man dann mal angeschrien wird, wenn man nicht mehr kann, auch.
Bürgermeister und Gemeinderat. ? #amSchauplatz #Ischgl #Lieblingsszene pic.twitter.com/SnrPIgqYS8
— Peter E. (@Bezigoal) April 2, 2020
Welch enorme Macht die Tourismusindustrie hat, zeigt sich auch daran, dass sogar EPUs eine verpflichtende Tourismusabgabe zahlen müssen, die der Tourismusbranche, und damit meist den reichsten Hoteliers des Landes, zugute kommt.
Die Tourismuswirtschaft in Tirol ist also extrem mächtig und scheut sich auch nicht, ihre Macht auszunutzen. Besonders deutlich wird dies, wenn man das Verhalten des Seilbahn-Lobbyisten, Wirtschaftsbund-Obmannes und ÖVP-Nationalrates Franz Hörl in Betracht zieht: Dieser setzte sich bis zuletzt für eine Fortführung der Wintersaison in Tirol ein und drängte in einer privaten SMS den Wirt der Bar „Kitzloch“ dazu, sein Lokal zu schließen, um eben jene Wintersaison nicht zu gefährden. Die Tiroler Behörden kamen Hörls Wunsch so lange nach, bis die gesellschaftliche Lage zu kritisch wurde, und man nicht mehr wegschauen konnte.
Zusätzlich zum Ende der Wintersaison gab es eine Tirol-weite Quarantäne. Die Menschen durften ihr Heim bzw. ihre Heimatgemeinde nur mehr in absoluten Ausnahmefällen verlassen. Zu diesen Ausnahmefällen gehört unter anderem das Pendeln zur Arbeit, wenn man nicht im Homeoffice arbeiten kann. Daran lässt sich ein weiteres Merkmal des kapitalistischen Systems erkennen: Was legal, und was illegal ist, bestimmt stehts die herrschende Klasse. Würde man angesichts der dramatischen Folgen der Pandemie den gesundheitlichen Aspekt in den Vorrang stellen, so müsste man die gesellschaftlich nicht unbedingt notwendigen Wirtschaftsbereiche komplett stilllegen. Da dies der Wirtschaft allerdings einen dermaßen großen Schaden zufügen würde, müssen normale ArbeiterInnen zur Arbeit pendeln, und oftmals dicht nebeneinander gedrängt auf Baustellen, in Fabriken oder in Lagerhallen ihren Job verrichten, was die Ansteckungsgefahr natürlich extrem erhöht. Die Tiroler Industriebetriebe sind dabei auch sehr kreativ, wenn es darum geht, die Produktion in Gang zu halten. Kaum ein Firmenchef, der dieser Tage nicht ein Argument findet, warum seine Fabrik weiter im Betrieb ist und „systemrelevant“ sei. Vom Haller Röhrenwerk über die Jenbacher-Werke bis zum Werkzeug- und Maschinenhersteller Tyrolit in Schwaz läuft die Produktion weiter. Insgesamt ist der Industrieoutput in Tirol bislang nur um 10 Prozent niedriger als in Normalzeiten. Und der Präsident der Tiroler Industriellenvereinigung Christoph Swarovski fordert, dass es „bald in Richtung Normalität geht“. Im Swarovski-Werk in Wattens wird die alte Normalität aber nicht so schnell zurückkehren. Seit 1. April herrscht dort Kurzarbeit, und der Konzern, der schon länger wirtschaftliche Probleme hat, droht mit massivem Personalabbau und der Verlagerung von Produktionsbereichen nach Serbien.
Beim Profit hört sich das „Team Österreich“ schnell einmal auf. Der viel beschworene „nationale Schulterschluss“ soll uns vergessen lassen, wer die Verantwortlichen für das Ausmaß dieser Coronakrise sind. Die Arbeiterbewegung muss jetzt aber die Grundlagen schaffen, dass wir in der kommenden Krise, die auch vor Tirol nicht haltmachen wird, nicht die Rechnung für das Versagen der Bürgerlichen und ihres Systems zahlen müssen. Mit der Gründung des Funke Tirol haben wir uns genau das als Aufgabe gestellt. Ganz nach dem Motto:
„Bildet euch, denn wir brauchen all eure Klugheit.
Bewegt euch, denn wir brauchen eure ganze Begeisterung.
Organisiert euch, denn wir brauchen eure ganze Kraft.“