„Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“. Diese Phrase wird von der Europäischen Zentralbank (EZB), Kanzler und Finanzminister unisono heruntergebetet. Man setze alles daran die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Dazu wurden die bisherigen Maßnahmen erweitert. Das neue Covid-19-Gesetzespaket, das am Freitag beschlossen wurde, lässt die Räder der Wirtschaft aber weiterlaufen und gefährdet damit weiterhin die Gesundheit der arbeitenden Menschen. Von Julia Brandstätter.
„Rot-weiß-roter Schutzschirm“
Am 14. März wurde ein Krisenbewältigungsfonds in der Höhe von 4 Milliarden Euro errichtet. Der Fonds wurde nun auf 38 Milliarden Euro aufgestockt, womit er fast 10 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht. Diese enorme Summe wird ein tiefes Loch ins Budget reißen. Damit wird Österreich – wie zuletzt infolge der Krise 2008 – die 3 Prozent Maastricht-Haushaltsdefizitgrenze überschreiten.
In seiner Erklärung zur aktuellen finanziellen Situation in Österreich am Freitag, den 20. März, versicherte Finanzminister Blümel der österreichischen Bevölkerung, dass die Krisenfolgen auf Gesundheit und Wirtschaft bestmöglich abgefedert würden – „koste es, was es wolle“:
„Es ist ein Budget der Krise. … Entscheidend ist nicht, welche Zahl am Ende des Jahres im Rechnungsabschluss steht, entscheidend wird einzig sein, wie viele Menschenleben wir gerettet haben, wie viele Arbeitsplätze wir gesichert haben und wie viele Unternehmen wir vor der Insolvenz bewahrt haben.“
Das sind leere Worte, solange sich die Menschen an ihren Arbeitsplätzen einem wachsenden Infektionsrisiko aussetzen müssen.
Auch die Verteilung der Gelder offenbart die wahre Prioritätensetzung der Regierung. Benachteiligt werden weiterhin die „Kleinen“ (Kleinstunternehmen, Selbständige und Non-Profit-Organisationen), die nicht auf große Rücklagen zurückgreifen können. Ihr eigens errichteter „Härtefallfonds“ ist mit einer Milliarde Euro gedeckelt. Obwohl die kleinsten Unternehmen fast 20 Prozent der arbeitenden Menschen beschäftigen, bekommen sie nur etwa 8 Prozent der Hilfeleistungen. NGOs und gemeinnützige Vereine schauen überhaupt durch die Finger. Der Antrag der SPÖ, ein Maßnahmenpaket für gemeinnützige Einrichtungen zu schnüren, wurde abgelehnt.
Arbeitslosigkeit vs. Kurzarbeit
Die Kündigungswelle der ersten fünf Tage riss knapp 100.000 Personen in die Arbeitslosigkeit. Um die drohende Massenarbeitslosigkeit zu verhindern, appellieren Regierung und Opposition an die Unternehmen, ihre Beschäftigten in Kurzarbeit zu schicken. (Das gilt mittlerweile auch für Lehrlinge.) Dafür sind nach wie vor 400 Millionen Euro vorgesehen.
Experten gehen davon aus, dass diese Summe viel zu klein ist. Die SPÖ wollte Unterstützungsleistungen für Unternehmen an eine Jobgarantie knüpfen. Dieser Vorschlag der SPÖ geht zwar in die richtige Richtung, greift aber nach der „Logik des Machbaren“ viel zu kurz. In der jetzigen Situation bräuchte es stattdessen ein allgemeines Kündigungsverbot.
So oder so wurde der diesbezügliche Antrag durch die Stimmen von ÖVP, Grünen und NEOS abgelehnt, die so offen zeigen, dass es ihnen bei den Maßnahmen nicht etwa um die Erhaltung von Jobs, sondern um die Erhaltung der Profite geht.
Ein weiterer Antrag der SPÖ forderte „klare Vorgaben und Maßnahmen durch Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 auf Baustellen“, aber wiederum keine generelle Schließung aller Baustellen, die nicht etwa mit der Errichtung von Krankenhäusern beschäftigt sind und damit selbst der Bekämpfung der Krankheit dienen. Trotzdem wurde auch dieser Antrag abgelehnt.
Die Unternehmen werden nicht in allen Fällen ihre Beschäftigten freiwillig in Kurzarbeit schicken. Auch in Branchen, die zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur überhaupt nicht notwendig sind, dürfen die Beschäftigten oft nicht zu Hause bleiben. Das unterminiert die Bemühungen zur Abflachung der Steigerungskurve an Neuansteckungen – und schürt den Zorn der Belegschaften, die in vielen Ländern, auch in Österreich, begonnen haben, Kampfmaßnahmen zu ergreifen und mit Streiks die vorübergehende Schließung ihrer Betriebe erzwingen wollen.
Doch die Kurzarbeit ist ganz und gar kein „Allheilmittel“, sondern letztendlich eine gewaltige Subvention an Unternehmen (wir werden speziell diese Maßnahme in den nächsten Wochen tiefgehender behandeln). Die Zeche wird aber früher oder später gezahlt werden müssen. Nur der NEOS-Abgeordnete Schellhorn hat sich in der Debatte an die Frage der Gegenfinanzierung der jetzigen Maßnahmen herangewagt:
„Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wer eines Tages die Zeche bezahlen wird. Die jetzigen Hilfen, die wir jetzt bereitstellen, wer zahlt diese Zeche?“
Wer zahlt also die Zeche? Die gesamte Schuldenlast wird einmal mehr auf dem Rücken der arbeitenden Menschen, der Armen und Schwächsten, der Arbeitslosen, Kranken, Alten und Behinderten abgeladen.
Neuerungen auf einen Blick
In behördlich gesperrten Betrieben besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung der Beschäftigten. In diesen Fällen können die ArbeitgeberInnen nun auf Basis einer Einigung der Sozialpartner von ihren Beschäftigten verlangen, dass diese bis zu zwei Wochen Urlaubs- und Zeitguthaben aus dem laufenden Urlaubsanspruch verbrauchen können; insgesamt dürfen nicht mehr als acht Wochen Urlaub aufgenötigt werden.
Mit dieser Neuregelung können die Chefs zwangsweise und einseitig Urlaub verordnen. Das hebelt die bisher geltende beidseitige Vereinbarungspflicht aus – und wälzt die Krisenlast einmal mehr auf die Beschäftigten ab. Für die Unternehmen entstehen keine zusätzlichen Kosten, während die ArbeiterInnen nach der Krise ihren diesjährigen Urlaubsanspruch nicht mehr geltend machen können. Im Bereich des öffentlichen Dienstes können MitarbeiterInnen außerdem dazu gezwungen werden, ihren Resturlaub aus den Vorjahren aufzubrauchen.
Eine Idee hat die Regierung auch für die Arbeitslosen, die den Personalmangel in der Erntehilfe und der Lebensmittelproduktion ausgleichen sollen. Auf einer Online-Plattform können Betriebe ihren Bedarf anmelden. Der gekündigte Koch soll in der Fleischproduktion aushelfen, die arbeitslose Kellnerin am Feld. Betriebe, deren Arbeitskräfte nicht vollständig ausgelastet sind, können ihre Beschäftigten außerdem für andere Betriebe „verfügbar machen“.
In der Pflege und im Sanitätsdienst drohen Personalengpässe – einerseits werden Pflegekräfte erkranken, andererseits verunmöglicht Ungarn mit der Grenzschließung die Einreise von Pflegekräften aus dem Ausland. Deshalb sollen Zivildiener aushelfen. Sie werden aber nicht nur zur Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur eingesetzt, sondern auch in gewinnorientierten Unternehmen; in diesem Fall ist eine volle Kostenerstattung an den Bund vorgesehen, wobei noch unklar ist, auf welcher Grundlage der Lohn für die Zivis berechnet wird und ob also das Unternehmen Kostenvorteile erhält. Rund 4.500 Zivis wurden zur Verlängerung verpflichtet, ehemalige Zivis können sich freiwillig melden. Auch im medizinischen Bereich bekommen Sanitäter, Turnusärzte, pensionierte und ausländische ÄrztInnen außerordentliche Befugnisse.
Weitgehende Sonderregelungen gelten auch für die Justiz. Dazu zählen etwa die Einschränkung des Gerichtsbetriebs und des Besuchsrechts in Haftanstalten, die Hemmung von Fristen und die Pausierung von Verfahren. Eine verlängerte Anfechtungsmöglichkeit gibt es auch im Fall von Kündigungen. Wer eine Kündigung anfechten will, hat bis zum 30. April Zeit. Diese Frist könnte durch Verordnung auch noch weiter verlängert werden.
Obwohl die Kritik der Opposition diesmal strenger ausfiel, wurde das Gesetzespaket am Freitag, den 20. März einstimmig beschlossen, auch mit den Stimmen der SPÖ. Die Opposition verlangte vor allem „Klarheit“, eindeutige Verantwortlichkeiten und einheitliche Maßnahmen.
An der „Team Österreich“-Ideologie rüttelt aber niemand. Allfällige „Fehler“, die jetzt passieren, würden erst nach der Krise „untersucht“. Das bedeutet nichts anderes, als dass die arbeitenden Menschen in Österreich jetzt, während dieser Krise, allein dastehen und Hunderttausende als „Schlachtvieh“ auf dem Altar der Profite geopfert werden.
(23.3.2020)