Die Gewerkschaft vida rief und über 800 Kollegen und Kolleginnen kamen zur Betriebsrätekonferenz am 20. Juni in Wien. Die Veranstaltung elektrisierte. Von Emanuel Tomaselli.
Die eilig improvisierte Zusammenkunft war auf den letzten Platz gefüllt und viele KollegInnen mussten sich mit einem Stehplatz begnügen. Die Veranstaltung spannte den Bogen von der generellen Einschätzung der politischen Lage, über das brennende Thema des 12-Stunden-Tages bis hin zu spezifischen Themen wie der Lage um die Krankenkasse der Eisenbahner, die ebenfalls im Visier der Regierung steht. Höhepunkt der Veranstaltung war zweifellos die Rede des Gewerkschaftsvorsitzenden Roman Hebenstreit, dessen Ansagen von einer standing ovation unterbrochen wurde. Tosender Applaus übertönte auch viele Passagen des Kollegen in der Eisenbahner und Bergarbeiter Krankenkassa, der betonte, dass alle sozialen Rechte der Versicherten auf Biegen und Brechen verteidigt werden würden.
„Die Realität ist offen und gestaltbar“
Ein Talk mit dem Politologe Thomas Hofer eröffnete den Reigen. Hofer betonte, dass in Österreich ein Systemumbruch stattfinde, weg von der Konsens zur Konfliktdemokratie, und dass wir erst am Anfang dieses Prozesses stünden. Er erklärte, dass die Stärke der Regierung Kurz darin bestehe, dass er den stark ausgeprägten Willen nach Veränderung in der Bevölkerung wahrgenommen und instrumentalisiert habe. Die Sozialpartnerschaft sei schon seit 2000 mit Antritt der Regierung unrund geworden, und jetzt würden die Beziehungen zwischen den Interessensgruppen und der Regierung „grundlegenden Änderungen unterworfen“. Er vertrat die Position, dass die Notwendigkeit einer grundlegenden langfristigen strategischen Neuausrichtung der Gewerkschaftspolitik besteht, sofern diese ihre gesellschaftliche Relevanz beibehalten wolle. Damit beschrieb er einige richtige Punkte, wenngleich eine schlüssige Erklärung für all diese Phänomene sowie die Rolle der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie in diesem Prozess ausblieb.
Eine seiner Analysen war sehr zutreffend: Er betonte, dass vorerst nur die Regierung in Form eines Gesetzes ihren Willen bekundet habe die Arbeitszeit zu verlängern, dies bedeute jedoch nicht, dass es beschlossene Sache sei. Man könne jetzt darum streiten, denn eine Willensbekundung bedeute nicht automatisch die Durchsetzung dieses Wunsches: „die Realität ist offen und gestaltbar“. Und genau darum geht es dieser Tage und Wochen. Die Industriellen haben eine Regierung, doch ohne unsere freundliche Zustimmung dreht sich in diesem Land kein einziges Rad.
Wolfgang Katzian betonte in seiner darauffolgenden Rede, dass der 12-Stundentag „ein Angriff auf die Gesundheit, die Familie und das Gehalt der Beschäftigten ist, und die undiskutierte Anordnung dieses Gesetzes eine Sauerei ist.“ Der soziale Inhalt der Reform (die Zerstörung des Lebens der ArbeiterInnen) und die Form seiner Umsetzung (überfallsartige Durchsetzung des Gesetzes) werden wie von Katzian dieser Tage oft in einem Atemzug genannt. Es ist richtig: In beiden Fällen zeigt die Regierung, aus welchem Holz sie geschnitzt ist. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Der parlamentarische Überfall ist das Mittel, der soziale Angriff aber der Zweck. Eine Festlegung, dass wir gegen jede einzelne soziale Verschlechterung kämpfen, egal mit welchem Mittel sie vorgetragen wird, ist daher notwendig. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Regierung der Gewerkschaftsführung auf einmal einen roten Teppich ausrollen und die Sozialpartnerschaft in Worten auferstehen lassen würde, um im selben Atemzug eine „einvernehmliche“ Kürzung durchzuführen, wenn ihr das notwendig erscheint. Zugespitzt formuliert: Die Sozialpartnerschaft werden diese Regierung und das Kapital im Allgemeinen nur in einer Form akzeptieren: In einer Unterordnung in der Sache, wenn die Spitze der Arbeiterbewegung die Angriffe mitverwaltet, anstatt sie mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Letztendlich ist daher die einzig realistische Perspektive bezüglich dieser Regierung: Wir oder sie. Und diese Regierung ist schwächer, als sie vielleicht selbst glauben will – ihre ganze Existenz ist auf Lügen gegenüber den Arbeitern aufgebaut. Das Ziel muss daher lauten – für den Sturz der Regierung durch die mobilisierte Arbeiterbewegung!
Mobilisierung gegen die Regierung der Bosse
Zur Zeit ist dies allerdings keine Gefahr, da Regierung und die Industrie klar und deutlich sagen, dass die „Politik“ diese Frage klärt, sprich sie an keinerlei Einbindung der Gewerkschaft interessiert sind. Daher liegt die Betonung momentan völlig darauf, den Kolleginnen und Kollegen die Ernsthaftigkeit der Situation zu schildern und sie für die Idee des Kampfes um die sozialen Interessen zu mobilisieren.
Ein Meister dieses Faches ist der Vorsitzende der vida, Kollege Roman Hebenstreit. Wortgewaltig und mit Wortwitz bannte er die Zuhörerschaft, die seine elektrisierenden Ansagen wiederholt mit tosendem Applaus begleitete.
Er charakterisierte die Regierung als eine Regierung der Bosse, die bestellt habe und geliefert bekomme, in Wirklichkeit sei dies Korruption auf höchstem Niveau. Kollege Hebenstreit unterstrich, dass sie uns beginnen zu verknechten und zu versklaven, denn ArbeiterInnen ohne den Schutz von Betriebsräten sind Freiwild. Den Kanzler selbst nannte er eine 30jährige Rotzpipen, die noch nie in ihrem Leben gearbeitet habe, seine Leute sind Arschlöcher, denen es zu zeigen gilt, was wir von ihnen halten.
Er betonte, dass wir im Kriegsmodus sind und mehrere Schlachten gewinnen müssen. Es ist ihm auch völlig beizustimmen, wenn er die Perspektive zeichnet, dass sich das Heer unserer Bewegung in dieser Auseinandersetzung stärken und vergrößern wird. Er rief die Betriebsräte auf, jede Routine abzulegen und aktiv auf die KollegInnen zuzugehen, sie aufzuklären und aktiv in die Reihen der Gewerkschaft einzureihen. „Widerstand wo es nur geht, denn es gibt genug für alle, aber nicht für die Gier der Industriellenvereinigung“ – begleitet wurde seine Rede von wildem Applaus samt standing ovations.
Dies war ein guter Start der Gewerkschaft vida in die kommenden Schlachten. Die Moral der KämpferInnen ist ein zentrales Element in jeder Auseinandersetzung, und es war spürbar, dass der Funke des Vorsitzenden auf die versammelten Betriebsräte übergesprungen ist.
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