Während 99 Prozent der Menschheit für die schwerste Krise des Kapitalismus zur Kasse gebeten werden, häuft ein Prozent immer schneller noch mehr Reichtum an. Dieses besitzt mehr als die restlichen 99 Prozent zusammen. Unzählige Skandale und Korruption im Establishment entfremden Millionen von der traditionellen Politik. All das führt dazu, dass das herrschende System hinterfragt wird. Von Ben Gliniecki und Mario Wassilikos.
Wie könnte eine neue Gesellschaft funktionieren? Wie würde sich unser persönliches Leben verändern? Wie wird der Sozialismus – die Gesellschaft nach dem Kapitalismus – aussehen? MarxistInnen sind keine WahrsagerInnen. Wir können nicht sagen, wie der Sozialismus genau aussehen wird. Denn die Gesellschaft wird nicht von den Spekulationen vergangener Generationen gestaltet, sondern von Entscheidungen und Taten in der Gegenwart.
Dennoch ist es möglich, mittels der dialektisch-materialistischen Analyse der Entwicklung von Geschichte und Gesellschaft einige Schlussfolgerungen zu ziehen, wie der Sozialismus aussehen wird. Wir können uns auf Anhaltspunkte aus Vergangenheit und Gegenwart stützen, um Hypothesen über die Zukunft aufzustellen. Dies ist keine exakte Wissenschaft – genau wie ein Arzt nicht sagen kann, wann ein Patient sterben wird, so kann einE MarxistIn nicht exakt bestimmen, wann eine Revolution ausbrechen und welche spezifische Form sie annehmen wird. Aber wie man durch das Betrachten eines Kindes ungefähr sagen kann, was für eine Art Erwachsener es möglicherweise wird, können wir durch die Analyse der kapitalistischen Gesellschaft sehen, wie eine sozialistische aussehen wird.
Wirtschaft ohne Profit
Wirtschaftliche Entwicklung ist die materielle Voraussetzung für die Entwicklung aller anderen Bereiche der Gesellschaft. Ohne genügende Entwicklung der Produktivkräfte – Industrie, Landwirtschaft, Technik – wird eine Gesellschaft nicht über die nötigen materiellen Bedingungen verfügen, um in Wissenschaft, Kunst, Kultur, Philosophie etc. voranzukommen. Der Kapitalismus ist jedoch unfähig, die Kräfte der wirtschaftlichen Produktion in ihrem ganzen Potenzial zu entwickeln – was man aktuell seit dem Beginn seiner jetzigen schweren Krise im Jahr 2008 sehen kann.
Die Krise und die rasante Umverteilung zu den Reichen sind nicht durch individuelle Gier oder Ideologie verursacht, sondern durch die inhärenten Mechanismen des Kapitalismus selbst. Dem Wirtschaftseinbruch von 2008 folgte Stagnation der wirtschaftlichen Produktivkräfte auf globaler Ebene. Die Kapazitätsauslastung der Produktivkräfte in entwickelten Ländern liegt heute bei 70 bis 80 Prozent. Trotz der Tatsache, dass Leute auf der ganzen Welt dringend Essen, Unterkunft, Gesundheitsversorgung und andere grundlegende Güter benötigen, wird die Kapazität nicht ausgeschöpft. Tatsächlich sprechen viele bürgerliche Ökonomen heute von Überkapazität – das bedeutet, die Wirtschaft ist fähig, zu viel zu produzieren (aus der Sicht des Marktes).
Der Grund für diesen Widerspruch ist der Profit. Unter dem Kapitalismus wird die Wirtschaftskraft der Gesellschaft nur genutzt, um Güter zu produzieren, die für Profit verkauft werden können. Falls dies nicht getan werden kann, wird nichts produziert. Die EigentümerInnen der Produktionsmittel würden eher ihre Betriebe ungenutzt lassen, als mit Verlust zu produzieren, sogar wenn die Dinge, die man produzieren würde, gebraucht würden. Aus diesem Grund ist der Kapitalismus höchst ineffizient darin, den Bedarf der Gesellschaft zu decken. Uns wird oft gesagt, dass der Kapitalismus das effizienteste aller Wirtschaftssystem sei. Doch wenn das wahr ist, warum stehen dann Fabriken und Büros leer, obwohl sie eine Fülle von benötigten Gütern und Dienstleistungen produzieren könnten? Wenn der Profit aus der Gleichung entfernt würde, würde uns nichts davon abhalten, alle zur Verfügung stehenden Produktionsmittel in ihrem vollen Umfang zu nutzen. Das gibt uns einen ersten Eindruck davon, wie Sozialismus aussehen wird.
Kapitalismus = Armut inmitten von Überfluss
Statistiken von 2012 zeigen, dass 24 Prozent der Menschen in Großbritannien zwei Jobs haben, wovon 90 Prozent den zweiten Job brauchen, da das Einkommen von nur einem nicht ausreicht. Auch in Österreich waren laut der letzten EU-weiten Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) im Jahr 2016 insgesamt 313.000 Menschen zwar erwerbstätig, aber dennoch armutsgefährdet, also wirtschaftlich gezwungen, mehr als einen Job auszuüben. Das sind um 47.000 Erwerbstätige mehr als 2014! Mit Inflation, Nulllohnrunden und Niedriglöhnen ist dies ein Trend, der sich fortsetzen wird. Es ist ein eklatanter Widerspruch des Kapitalismus, dass manche Menschen gezwungen sind, mehr als einen Job auszuüben, während Millionen arbeitslos sind – die globale Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 200 Millionen! Diese Leute sind nicht ohne Beschäftigung, weil sie unfähig zu arbeiten sind oder es keine Arbeit gibt, die getan werden muss. Sie sind arbeitslos, weil es nicht profitabel ist, sie anzustellen. Ohne die Hürde des Profits könnte diesen Menschen ein produktiver Job gegeben werden. Jeder wäre imstande, zu besseren Bedingungen in nur einem Job zu arbeiten und genügend Menschen stünden zur Verfügung, um viele weitere Jobs zu erschaffen. Mit dieser zusätzlichen Arbeit ließe sich der wirtschaftliche Ertrag drastisch erhöhen.
Ein weiterer absurder Widerspruch: Expertenschätzungen zufolge sind in Österreich insgesamt rund 8.000 Menschen permanent obdachlos. Gleichzeitig dürften laut Schätzungen allein in Graz und Wien mindestens ca. 20.000 Wohnungen langfristig leer stehen. Warum gibt es Obdachlosigkeit neben leerem Wohnraum? Ganz einfach. Wohnraum wird nur an Menschen verkauft oder vermietet, die es sich leisten können, dafür zu bezahlen, unabhängig davon, ob sie einen Ort zum Leben brauchen. Für die KapitalistInnen ist das wie alles andere auch eine Frage des Profits, nicht des Bedarfs. Wohnraum dient ihnen als Anlage für Gewinn und nicht als Heim für Menschen.
Der Kapitalismus steht auch einer technologischen Entwicklung und dem globalen Einsatz von Maschinen im Weg. Maschinen kaufen keine Verbrauchsgüter. Deshalb muss die Bourgeoisie, wenn sie einen Markt für ihre Güter haben will, eine bestimmte Anzahl von Menschen als ArbeiterInnen anstellen. Im Kapitalismus führt die Einführung von Maschinen und Technologie dazu, dass Arbeit verlagert wird. So entstehen (technologisch bedingte) Massenarbeitslosigkeit und intensive Überarbeitung der übrig gebliebenen Beschäftigten. Ohne Profitzwang könnten Maschinen entwickelt werden, die gefährliche und dreckige Jobs erledigen, die niemand machen möchte. Diese Automatisierung würde es ermöglichen, sich mit anderen wirtschaftlich produktiven Tätigkeiten zu beschäftigen, die wöchentliche Arbeitszeit zu reduzieren und dadurch echte Freizeit – nicht die gezwungene Untätigkeit der Arbeitslosigkeit – zu generieren.
Der Profit steht ebenso einer ausreichenden Ernährung aller Menschen im Weg. Weltweit sterben täglich 20.000 Menschen an Hunger obwohl pro Jahr 1,3 Milliarden Tonnen Nahrung auf dem Müll landen. Warum? Weil im Kapitalismus nur jene Zugang zu Nahrungsmitteln haben, die dafür bezahlen können. Alle anderen müssen hungern. In diesem System wird es vorgezogen, Nahrungsmittel zu verschwenden oder zu vernichten, statt Menschen zu ernähren, die sie am dringendsten benötigen.
Planwirtschaft
Uns wird oft gesagt, dass der Wettbewerb effizient sei. In Wahrheit führt er aber zu hoher Verschwendung. So zwingt der Wettbewerb die Unternehmen, durch kostspielige Werbung Nachfrage für ihre Produkte zu erzeugen. Handelsgeheimnisse und Urheberrechte bedeuten, dass die besten Ideen und Innovationen nicht so weit entwickelt werden, wie sie könnten, und bringen teure Gerichtsverfahren wie die berüchtigten Apple-Samsung-Mobiltelefon-Fälle, die die Preise hochdrücken. Statt die weltbesten und klügsten Köpfe zusammenzubringen, um Dinge zu entwickeln, die die Gesellschaft braucht, werden WissenschaftlerInnen, IngenieurInnen und DesignerInnen auf verschiedene Unternehmen aufgeteilt und in Konkurrenz gesetzt, was zu völlig unnötiger Vervielfachung von Aufwand und Ressourcen führt.
Jedenfalls ist echter Wettbewerb im Zeitalter des Imperialismus, der höchsten Stufe des Kapitalismus, ein Mythos. Die Anwesenheit riesiger multinationaler Monopole in jeder Branche mit nur einer Handvoll Firmen, die den Markt dominieren, zeigt, wie sich der freie Wettbewerb in sein Gegenteil verkehrt, genau wegen der gesteigerten Produktivität und Effizienz, die durch das Produzieren in solchen Massen erreicht werden kann. Innerhalb jeder Firma gibt es ein hohes Level von Planung, Koordination und Kooperation, alles, um die Effizienz zu steigern, im Namen des großen Profits. Unterdessen bleibt zwischen den Firmen die Anarchie des Wettbewerbs bestehen, was zu enormer Ineffizienz und Verschwendung auf gesellschaftlicher Ebene führt.
Hier sehen wir den Keim einer neuen Gesellschaft innerhalb der alten. Eine sozialistische Gesellschaft würde die Möglichkeiten zur Planung der Wirtschaft begrüßen, jedoch im Interesse der Bedürfnisse von vielen statt des Profits von wenigen. Der erste Schritt in diese Richtung muss die Enteignung der Kommandohöhen der Wirtschaft sein – also der großen Banken und Unternehmen –, um die Produktionsmittel unter die demokratische Kontrolle der Lohnabhängigen zu stellen.
Das positive Resultat einer Planwirtschaft kann man anhand der Transformation Russlands von 1917, nach der Oktoberrevolution, bis 1963 trotz des enormen Entwicklungsbruchs den die stalinistische Bürokratie verursachte und trotz zweiter Kriege sehen. Die Industrieproduktion wurde 52-mal größer, verglichen mit 6-mal in den USA und 2-mal in Großbritannien. Die Arbeitsproduktivität stieg um 1310 Prozent, in den USA um 332 und Großbritannien um 73 Prozent.
Die Lebenserwartung verdoppelte sich, die Kindersterblichkeit schrumpfte um den Faktor neun. Das Land hatte mehr Ärzte pro 100.000 Einwohner als Italien, Österreich, BRD, USA, Großbritannien, Frankreich, Niederlande und Schweden. Das im Russland des 20. Jahrhunderts erreicht wurde, das vor der Revolution ein rückständiges, fast feudales Land war. Man stelle sich vor, was eine demokratisch geplante Wirtschaft in der wirtschaftlich hoch entwickelten Welt des 21. Jahrhunderts erreichen könnte!
Das Resultat solcher Planung, kombiniert mit rationeller Verteilung der Arbeit auf alle, die fähig sind zu arbeiten, würde die Verkürzung des Arbeitstages ohne Lohnverlust bedeuten. Hinweise darauf kann man in der besetzten Flasko-Fabrik in Brasilien finden. Seit 2003, als die Fabrik erstmals besetzt und die Arbeit demokratisch geplant wurde, wurden die Arbeitsstunden von 40 Stunden pro Woche auf 30 gekürzt, ohne Lohnverlust oder Produktivitätsrückgang. Mit der Entwicklung der Technologie, die immer mehr und mehr menschliche Arbeit durch Maschinen und digitalisierte Abläufe ersetzt, könnten die Arbeitsstunden sogar noch weiter gekürzt werden.
MarxistInnen werden oft gefragt, was in einer sozialistischen Gesellschaft der Anreiz zu arbeiten wäre. Der Anreiz zu arbeiten im Kapitalismus besteht in der Form, dass die Menschen arbeiten müssen, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken. Deshalb verlangen Menschen die Freiheit zu Arbeiten – um zu leben. Im Sozialismus geht es hingegen um die Freiheit von der Arbeit. In diesem System werden wir daran arbeiten, eine Gesellschaft zu errichten, in der wir frei von der Notwendigkeit zu arbeiten sind. Diese Freiheit könnte durch die gemeinsamen Leistungen aller erreicht werden, die Produktivkräfte so zu entwickeln, dass nur sehr wenig menschliche Arbeit nötig wäre, um die Gesellschaft am Laufen zu halten, was uns ermöglichen würde, so zu leben, wie wir möchten.
Staat
Ein echter sozialistischer Staat wird sich selbst überflüssig machen, weil die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und ihre Verwaltung durch die demokratische Kontrolle der ArbeiterInnen als Teil der Planwirtschaft die Klassenunterschiede eliminiert. Eine Klassengesellschaft ist eine Gesellschaft, die auf dem Unterschied von Besitzenden und Nichtbesitzenden basiert. Eine Gesellschaft, in der alle die Produktionsmittel besitzen und bewirtschaften, ist klassenlos. In einer solchen Gesellschaft wird ein Staatsapparat mit bewaffneten Institutionen (Polizei, Militär), die von den Unterdrückenden benutzt werden, die Unterdrückten in Schach zu halten, nicht länger benötigt. Allerdings muss das als Prozess verstanden werden. Denn unmittelbar nach der Revolution werden die entmachteten KapitalistInnen versuchen, die Massen weiterhin auszubeuten und zu unterdrücken, wie z. B. die Erfahrungen der Oktoberrevolution zeigen. Dagegen müssen sich die ehemaligen Unterdrückten wehren, um ihre gewonnene Freiheit zu behalten. Daher werden Polizei und Militär nicht von heute auf morgen abgeschafft, sondern so umgebaut, dass sie den Interessen der Massen dienen. Dazu wird die Kontrolle dieser Institutionen durch die demokratische Wahl von OffizierInnen und ihren Untergebenen, unter der Aufsicht der organisierten ArbeiterInnen, installiert.
Das Bild davon, wie der Staat im Sozialismus aussehen wird, hebt sich also scharf von dem ab, was in der UdSSR unter Stalin geschehen ist. Das bürokratische Monster, das die Planwirtschaft in diesem Land erwürgte, war kein gesunder Arbeiterstaat. Es fehlte die Arbeiterdemokratie – die fundamentale Institution zur Führung einer gesunden sozialistischen Wirtschaft. Wie Trotzki einst sagte: „Die Planwirtschaft braucht die Demokratie wie der menschliche Körper Sauerstoff.“
Dazu müssen Maßnahmen getroffen werden, z. B. das volle Recht auf Abwahl von gewählten FunktionärInnen, die außerdem nicht mehr als den Durchschnittslohn verdienen dürfen, sodass sie dieselben materiellen Interessen haben wie diejenigen, die sie repräsentieren. Wir sollen nicht fünf Jahre warten müssen, um VertreterInnen rauszuwerfen, die Entscheidungen treffen, die nicht im Interesse der Mehrheit sind. Lenin sprach in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit, alle in die Verwaltung der neuen Gesellschaft zu integrieren, sodass sich keine Schicht von BürokratInnen, abgetrennt vom Rest der Bevölkerung und über ihr stehend, entwickeln kann: Wenn alle BürokratInnen sind, ist niemand BürokratIn. Historische Vorbilder sind die Räte (Sowjets) der Russischen Revolution und die Pariser Kommune von 1871.
Nationalismus, Sexismus und Rassismus
Der kapitalistische Nationalstaat ist heute eine Fessel bei der Entwicklung der Produktivkräfte, weil er Protektionismus, Konkurrenzkampf zwischen Staaten und Einwanderungskontrollen befördert. Er stellt auch eine Fessel für die Entwicklung der menschlichen Kultur dar, indem er giftigen Nationalismus nährt, der Ideen fremder Kulturen bekämpft, und indem er die freie Bewegung der Menschen und die gegenseitige Befruchtung ihrer Kulturen beschränkt. Die Schaffung von Freihandelszonen wie der EU ist zwar die Anerkennung der Bourgeoisie, dass wirtschaftliche Entwicklung die Demontage der nationalen Grenzen benötigt. Die momentane Krise der Eurozone ist jedoch der Beweis, dass die Überwindung der Nationalstaaterei unter dem Kapitalismus unmöglich ist. Der Sozialismus ist hingegen ein System, das die Menschen über Grenzen hinweg vereinigt und nationale Grenzen und Konkurrenz zwischen Staaten niederreißt. Das bedeutet nicht die Zerstörung lokaler Unterschiede und Kulturen. Verschiedene Regionen unter einem sozialistischen Staat vereint zu haben, würde nicht ihre Individualität, sondern nur die künstlichen Steuer-, Migrations-, Staatsbürgerschafts- und andere Grenzen zwischen Menschen niederreißen.
Der Rassismus könnte in einem solchen System nicht überleben. Heute wird er von der herrschenden Klasse verwendet, um die Arbeiterklasse zu spalten, sodass die Bosse die ArbeiterInnen einfacher ausbeuten können, indem sich kein gemeinsamer Widerstand gegen sie formiert. Es ist kein Zufall, dass migrationsfeindliche und rassistische Rhetorik besonders in Zeiten der kapitalistischen Krise zum Vorschein kommt, wenn die Bourgeoisie es für nötig befindet, die Lebensstandards der ArbeiterInnen weiter hinunter zu drücken. So stellten die Freiheitlichen Arbeitnehmer beispielsweise letztens auf Facebook die Frage, ob es nicht unfair sei, Muslimen „Weihnachtsgeld“ zu zahlen. Im Sozialismus gibt es diese materielle Basis für Rassismus nicht mehr, da die Teilung der Menschen in Klassen verschwindet.
Auch andere Spaltungen zwischen Menschen würden in einem sozialistischen System zurückgehen, z. B. Vorurteile gegen Frauen. Engels erklärt, dass der Ursprung der Frauenunterdrückung im Privateigentum an Produktionsmitteln liegt. Der Sozialismus, der das abschafft, entfernt die materiellen Bedingungen für diese Unterdrückung. Ebenso die traditionelle Familie, die im Kapitalismus die Rolle der grundlegendsten Einheit der wirtschaftlichen Ausbeutung spielt. Im Sozialismus würde die Familie von bürgerlichen Zwängen befreit werden. Haushaltsaufgaben müssen vergesellschaftet werden, was die Last der unbezahlten Arbeit von den Schultern der Frauen nehmen und sie zur Verantwortung der Gesellschaft als Ganzes machen würde. Kochen, Putzen, Waschen, Kinder- und Altenbetreuung müssen als öffentliche Dienstleistung bereitgestellt werden.
Wissenschaft und Kultur
In Venezuela, einem Land, das unter Hugo Chavez einige Elemente des Sozialismus als Teil der bolivarischen Revolution verwirklichte, wurde ein enormes Bildungs- und Alphabetisierungsprogramm durchgeführt, das 1,5 Millionen Menschen lesen und schreiben lehrte und zu einem boomenden Literaturschaffen führte. Der Literaturkritiker Antonio Lopez Ortega beschreibt die venezolanische Belletristik als „das bestgehütete Geheimnis der Karibik“, während 2006 ein Venezolaner zum ersten Mal den prestigeträchtigen Herralde Novel Award gewann. Des Weiteren entschied sich Venezuela auf der Internationalen Buchmesse 2006 in La Paz, Bolivien, 25.000 Bücher an die BewohnerInnen von La Paz und die benachbarte Stadt El Alto gratis zu verteilen, statt sie an reiche internationale Gäste zu verkaufen, aus dem Verständnis für die Notwendigkeit heraus, den Zugang zu Kultur zu erweitern.
Solche Entwicklungen sind nur in einem Land möglich, das den Reichtum seiner natürlichen Ressourcen im Interesse aller einsetzt. Man stelle sich vor, was auf dieser Grundlage im Bereich der Kultur in einer voll entwickelten, gesunden sozialistischen Gesellschaft erreicht werden könnte! Der Sozialismus bietet den Menschen eine Zukunft voller Möglichkeiten, die, verglichen mit den düsteren Perspektiven unter dem Kapitalismus, Inspiration für große Fortschritte in Kunst und Philosophie bietet.
Umweltschutz
Wir benötigen einen international koordinierten Plan, um dem Klimawandel zu begegnen, einen Plan, in dem Profit und nationale Grenzen keine Hindernisse sind. Mit international geplanten wissenschaftlichen Anstrengungen, die Emissionen zu reduzieren und den Klimawandel abzuschwächen, könnten wir die Lösung eines der ernstesten Probleme angehen.
Die Technologie zur Nutzung der Energie von Wind, Wellen und Sonne existiert bereits. 1986 errechnete der deutsche Physiker Gerhard Knies, dass die Wüsten der Erde in sechs Stunden so viel Energie produzieren, wie die Menschheit in einem Jahr verbraucht, das bedeutet, ein Gebiet in der Sahara von der Größe von Wales würde für die Energieversorgung von ganz Europa ausreichen. Das würde alle Abhängigkeit von fossilen Energieträgern weitgehend beseitigen und dadurch die CO2-Emissionen drastisch senken. Allerdings wird das im Kapitalismus nicht realisiert, da es für die KapitalistInnen, die in große Ölfirmen investiert haben, unprofitabel wäre.
Der Kapitalismus ist also unfähig, für die Zukunft zu planen, da er nur auf kurzfristigen Gewinn ausgerichtet ist. Aus kapitalistischer Sicht ist die Zerstörung des Planeten ein akzeptabler Preis für höhere Profite, da es nicht zuletzt die ärmsten Menschen sind, die die Hauptlast der extremen Klimaveränderungen tragen (werden). Nur durch rationale, langfristige und demokratische Planung können wir tun, was für die Rettung von Mensch und Natur notwendig ist.
Das Ende und der Anfang
Sozialismus bedeutet das Ende einer Gesellschaft, in der Menschen andere Menschen unterdrücken und ausbeuten. Er bedeutet das Ende des Privateigentums an Produktionsmitteln, der Anarchie des freien Marktes und den Beginn einer bedürfnisorientierten Wirtschaft. Aber er ist nicht das unmittelbare Ende aller Probleme und die Erschaffung eines Paradieses, in dem alle für immer glücklich leben. Er ist auch nicht das Ende aller gesellschaftlichen Entwicklungen. Er ermöglicht jedoch, dass die Menschen tatsächlich Kontrolle über ihr eigenes Leben erlangen und ihre Geschichte mit vollem Bewusstsein selbst machen. Er verhindert, dass sie sich und ihren Lebensraum aufgrund ökonomischer Zwänge zerstören müssen. Oder wie es schon Friedrich Engels formulierte: „Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit.“