Warum das System Pröll nichts anderes als die Ausübung der Herrschaft der besitzenden
Klasse ist, es aber dennoch eigene Charakteristika aufweist, analysiert Stefan Wagner.
Wir schreiben den 17. Jänner 2017. Das ganze Land (Niederösterreich) hält scheinbar den Atem an, denn der Landesvater Erwin Pröll hat zu einer kurzfristigen Pressekonferenz gerufen – so kurzfristig, dass nicht einmal alle JournalistInnen aus Wien rechtzeitig erscheinen. Die anwesenden JournalistInnen kommen jedoch voll auf ihre Rechnung. Nach 37 Jahren in der Politik und fast 25 Jahren als Landeshauptmann tritt Pröll mit Ende März 2017 zurück. Sofort nach Bekanntgabe des Rücktritts begann ein lange nicht gesehenes „Informieren“ über die Leistungen des Erwin P. in allen österreichischen Medien. Wenn man Kritik lesen und hören wollte, musste man sich an ausländische Medien wenden – in Österreich scheint es so, als ob der Kaiser gestorben wäre.
Erwin Pröll gehört(e) zu der alten großkoalitionären Politikersorte, die sich in „ihr“ Bundesland nicht dreinreden lässt, bei jeder größeren bundesweiten parteiinternen Entscheidung mitredet bzw. sogar den endgültigen Sanktus gibt. Diese Machtfülle in den Händen einer Person vermittelt das gute alte Hofverständnis der Bevölkerung, in dem man nur BittstellerIn bei der Obrigkeit ist. Und wenn man den medialen Lobreden glauben schenkt, so wurde der Hofstaat gut geführt. Pröll habe das Land Niederösterreich vom Rande Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ins Herz Europas geführt und es infrastrukturell und sozial zu einer Modellregion gemacht. Nüchtern betrachtet, trifft jedoch gar nichts davon zu. Zwar liegt Niederösterreich im oberen Mittelfeld Österreichs, was Einkommen und Vermögen betrifft, jedoch ist dies nur eine statistische Momentaufnahme. Niederösterreich profitiert vom Wiener Speckgürtel, also den wohlhabenderen Personen, die in Wien arbeiten, sich aber in kleineren Städten rund um Wien ansiedeln. Wenn man sich Waldviertel, die nördlichen Gebiete des Weinviertels und ehemalige Industriegebiete im Süden ansieht, ist man weit entfernt von einer sozialen und infrastrukturellen Modellregion.
In Niederösterreich wurde seit Jahrzehnten nur Symbolpolitik betrieben. Neben Pilotprojekten wie dem Ausbau der Mariazellerbahn, der Subventionierung einiger kultureller Einrichtungen (Nitsch-Museum, Grafenegger Advent…), der Einrichtung privater Universitätslehrgänge (die großteils öffentlich finanziert sind!) oder des Krebsforschungszentrums MedAustron steht ein Scherbenhaufen. In den letzten Jahren wurden 27 von 28 Klein- und Nebenbahnen nach dem Kauf Niederösterreichs (mit Unterstützung von Bundesgeldern!) geschlossen, einzelne wichtige Gesundheitseinrichtungen am Land wie die Geburtenstation in Waidhofen/Thaya wurden ebenfalls eingestellt. Die Einkommensschere zwischen Mann und Frau ist in Niederösterreich eine der höchsten im Bundesländervergleich, die meisten einkommensschwächsten Gemeinden Österreichs befinden sich ebenfalls in diesem Bundesland, ebenso ist dort die Pro-Kopf-Verschuldung noch höher als im „Pleite-Land“ Kärnten.
Apropos Kärnten: Auch in Niederösterreich krankt man an einer Hypo (wir berichteten). Das konnte nur mit viel machtpolitischem Geschick aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden, da es zwischen ÖVP und SPÖ nach der letzten Wahl eine Art Waffenstillstand gab. Der letzte soziale Kahlschlag betraf die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Diese Kürzung betrifft vor allem Kinder und/oder AlleinerzieherInnen. Und obwohl immer wieder die finanziellen Aspekte bei diesen Einsparungen in den Vordergrund gerückt werden, so sind diese Peanuts im Vergleich zu den Verlusten bei den Spekulationen mit Wohnbaugeldern (sic!) und den „Mehrausgaben“, zum Beispiel bei der Gartenschau in Tulln (21 statt 5 Millionen Euro!).
Vor Kurzem ist ein weiteres Millionengrab aufgetaucht – die Dr.-Erwin-Pröll-Stiftung. Diese hat natürlich überhaupt nichts mit dem Rücktritt Prölls zu tun! Bei KritikerInnen kommt immer wieder der Vergleich mit dem Römischen Reich und der Politik von Brot und Spielen auf, um das System Pröll zu beschreiben.
Dies greift jedoch zu kurz. In der heutigen schweren Krise des Kapitalismus gehört Korruption zum System, was vor allem die Reaktion auf die Enthüllungen beweist: Zuerst wird der Bote diffamiert. Nachdem die Enthüllung sich jedoch bewahrheitet hat, wird sofort versichert, dass alles legal (gewesen) sei. Die herrschende Klasse schämt sich überhaupt nicht, die Menschen zu bestehlen, sie macht sich ihre Gesetze ja ohnehin selbst.
Und der geliebte Landesvater Pröll ist nicht die Ausnahme davon, sondern ihr bester Vertreter. Während sie bei den Ärmsten der Armen kürzt, stopft sie sich selbst die Taschen voll.