Kurz nach Verabschiedung des neuen Regierungsübereinkommens übermittelt Innenminister Sobotka einen Gesetzesvorschlag, der die Abhaltung von Demonstrationen in Zukunft massiv behindern soll. Von Emanuel Tomaselli.
Der Inhalt kurz zusammengefasst: Demos sollen an gewissen Plätzen oder Straßenzügen bis zu 876 Stunden pro Jahr gänzlich untersagt werden können. Kurzfristige Demos aufgrund aktueller Ereignisse sollen illegal werden. Demos sollen nicht mehr bis 24 Stunden, sondern mindestens 72 Stunden vorher angemeldet werden.
Der Innenminister will, dass Personen, die Demos anmelden oder bei Demos „vorangehen“, für „die Wahrung der Ordnung in der Versammlung“ sorgen müssen. Er hat „Gesetzesverstößen sofort entgegenzuwirken und die Versammlung aufzulösen, wenn seinen Anordnungen nicht Folge geleistet wird“. Kommt es bei einer Versammlung „zu mehreren gerichtlich strafbaren Handlungen oder zu einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung, kann der Leiter bei schuldhaftem Verhalten mit bis zu 10.000 Euro pönalisiert werden.“ Ist kein Leiter auszumachen, sollen Menschen, die „zur gemeinsamen Willensbildung beitragen“ oder „durch Voranschreiten die Route bestimmen“, haftbar gemacht werden können.
Demos und Gegendemos sollen durch mindestens 150 Meter getrennt werden. Das Nichtverlassen des Versammlungsorts nach einer Auflösung der Versammlung oder einer Wegweisung wird unter Strafe gestellt. „Öffentliche Belustigungen“ sollen dem Veranstaltungs- und nicht dem Demonstrationsrecht unterliegen.„Versammlungsteilnehmer dürfen auch keine Gegenstände bei sich haben, die geeignet sind, im Falle des erforderlich werdenden Einsatzes von Zwangsmaßnahmen“ diese abzuwehren oder unwirksam zu machen.
Sekundiert wird dieser Angriff auf die Demokratie aus den Kommentarspalten der führenden Medienkonzerne. Im Kurier etwa wird argumentiert: „Innenminister Sobotka hat nun eine heikle Debatte vom Zaun gebrochen: Er will die Demonstrationsfreiheit beschränken, wenn Geschäftsinteressen bedroht sind. Natürlich rührt das an den Grundrechten einer Demokratie. Dennoch darf man die Frage stellen, ob dieses heilige Gut nicht überstrapaziert wird“ (4.2.2017). Als überflüssig genannt werden „kurdische Folklore und türkische Gegendemos“, die Demo gegen das Kopftuchverbot und die Anti-Akademikerball-Demo, deren man doch ebenso „sympathisch gelassen“ entgegentreten solle wie der frischgekürte Bundespräsident, der das Motto ausgab: „lasst sie doch tanzen“.
Der Präsident der Wiener Wirtschaftskammer, Walter Ruck, sieht die Lösung in einer Zoo-ähnlichen Demozone: „Es geht um ein Miteinander aller Betroffenen. Eine Demozone, welche zentral gelegen ist, über eine für Veranstaltungen notwendige technische Infrastruktur verfügt und für ausreichend öffentliche Wahrnehmung und Sichtbarkeit sorgt, berücksichtigt die Interessen aller. Jeder Vorstoß, der dieses Miteinander sicherstellt, ist zu begrüßen.“
Autoritärer Krisenbewältigungsstaat
Sobotkas Initiativen sind nicht allein seiner besonderen reaktionären Einstellung geschuldet. Der Abbau demokratischer Rechte ist ein internationales Phänomen.
Im Juli 2015 trat in Spanien das sogenannte „Ley Mordaza” in Kraft. Darin werden zahlreiche neue Verbote und Tatbestände geschaffen, um den sozialen Protest zu unterbinden. Vor Parlamenten darf nicht mehr demonstriert werden, polizeiliche Aktionen dürfen nicht fotografiert werden, Aufforderungen der Polizei, etwa die Auflösung einer Versammlung, sind unbedingt Gehorsam zu leisten. Widerstand gegen Delogierungen wird ebenso kriminalisiert, wie das Besteigen von Gebäuden. Das Gesetz sieht Geldstrafen von bis zu 600.000€ vor.
Besonders weit vorangetrieben wurde die Aussetzung kollektiver und individueller demokratischer Rechte durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes seitens der „sozialistischen“ Regierung Frankreichs. Die Bewegung gegen die Arbeitsmarktreform 2016 wurde massiv juristisch und polizeilich verfolgt. Die letzte Großdemonstration im Juni 2016 in Paris wurde in einer hermetisch von der Öffentlichkeit abgeriegelten Demoschleife durchgeführt.
Das Ziel dieser Maßnahmen ist die Vorbereitung auf scharfe Klassenauseinandersetzungen, in denen das Kapital handfestere Argumente als bisher braucht und einsetzt, um seine Herrschaft zu sichern. In allen oben genannten Ländern konnten die Bürgerlichen auf die aktive Unterstützung oder die passive Duldung der Führungen der großen Arbeiterorganisationen zählen. Dass zumindest letztere auch in Österreich gegeben sein wird, darf bereits jetzt mit Sicherheit vorausgesetzt werden.
Dem Unmut gegenüber diesem anti-demokratischen Vorstoß Rechnung tragend, hat die Spitze der SPÖ eine in Worten oppositionelle Haltung eingenommen. Doch weit von einer offenen Auseinandersetzung oder gar einem Bruch mit der ÖVP entfernt, kommt aus der SPÖ- und Gewerkschaftsspitze nach „kernigen“ Gesten nicht viel.
Wolfgang Katzian, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen GewerkschafterInnen (FSG), drückt seine Ablehnung beispielsweise in Form eines Apelles an die ÖVP aus: „Das Demonstrationsrecht ist genau wie die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht oder das Koalitionsrecht Grundpfeiler jeder Demokratie.“ Wie gedenkt der FSG-Vorsitzende diesen Generalangriff auf demokratische Rechte abzuwehren? Katzian: „Ich erwarte mir, dass die ÖVP ihren Innenminister einbremst.“
Und auch die SPÖ-Fraktion in der Regierung beschränkt sich auf einen Verweis auf die Verfassung und deutet, ihrer Natur folgend, auch sanft Kompromissbereitschaft an. „Im Büro des für Verfassungsfragen zuständigen Ministers Thomas Drozda hieß es (…) zu dem Entwurf, der Verfassungsdienst prüfe nun ‚sehr genau‘ dessen Grundrechtskonformität.“ (Der Standard, 6.2.) Der Justizsprecher Jarolim beschränkte sich nach „abgemilderten Vorschlägen“ der Verfassungsjuristen Raschauer und Pichler darauf, anzumerken, dass viele Maßnahmen von den jetzigen Gesetzen schon gedeckt seien.“ (APA 5.2.2017)
Am Ende reiht sich die sobotkasche Initiative ja in eine lange Liste von Maßnahmen ein (Notstandsgesetzgebung, Ausbau des Überwachungsstaates, Erhöhung des Budgets für „innere Sicherheit“,…), die auch in Österreich mit dem Segen der Sozialdemokratie die Machtmittel des Staatsapparates massiv ausbauen. Die reformistische Führung steht Gewehr bei Fuß bei der systematischen Entwaffnung der Arbeiterbewegung. Die einzige Alternative zu diesem blinden Torkeln in die Niederlage ist der entschlossene Kampf gegen jede dieser Maßnahmen, verknüpft mit dem Kampf um einen revolutionären Kurswechsel in der Arbeiterbewegung!